Hier, Jetzt und Gott

Hier, Jetzt und Gott

Auf der Spur des spirituellen Lebens
Sein und Werden in der Nondualität

 

Autor: Thomas Hübl
Kategorie: Spiritualität allgemein
Ausgabe Nr.: 45

Auf der Spur des spirituellen Lebens
Der spirituelle Lehrer Thomas Hübl spricht über seinen Weg und seine Einstellung zu Gott. Was ist die tiefste Aufgabe des Menschen? Was versteht Hübl unter Nondualität? Seine Arbeit widmet sich dem Sein, verstanden als meditative Exploration der Wirklichkeit und dem Werden, der praktischen Seite im »Fluss des Lebens«. Lesen Sie ein Gespräch über die Rolle von Meditation, den Weg im täglichen Leben und eine angeregte Diskussion über philosophisch-spirituelle Feinheiten.

 

Tattva Viveka: Du bist ein spiritueller Lehrer. Würdest du dich zur Satsang-Bewegung zählen? Oder wie kann man dich überhaupt einordnen? Das würde mich interessieren.

Thomas Hübl: Das würde mich auch interessieren.

TV: Welchen Hintergrund hast du?

TH: Für mich selber braucht es keine Bezeichnung dafür, wo ich mich einordnen würde. Ich würde mich sicher nicht in der Satsang-Bewegung einordnen, obwohl ich die Grundlagen von Ramana Maharshi sehr ansprechend und gut finde. Aber mir ist diese etwas einseitige Betrachtung von Spiritualität, die ich in der Satsang-Szene wahrnehme, einfach nicht genug. Mich interessiert mehr, wie das Sein und Werden non-dual angesprochen und verwirklicht werden können. Das finde ich in der konventionellen Satsang-Szene nicht in der Form. Darum interessiert mich mehr ein Ansatz, mit dem wir vertieft das Sein realisieren und auch gleichzeitig den Werdensprozess aktiv und bewusst mitgestalten. Das ist für mich eine ansprechendere Sichtweise auf das Thema Spiritualität.

Wir verstehen, dass der Schöpfungsakt bewusst
und nicht nur ein unbewusster Akt ist.

TV: Sein würde dann mehr diesen Aspekt des Non-Dualen betreffen, also nach innen in einen Zustand des Einfach-da-seins zu gehen – das ist der absolute Aspekt. Werden meint eher das Leben hier auf der Erde. Ist das so zu verstehen?

TH: Reden wir vom »non-dualen Aspekt«, dann sind die beiden schon nicht mehr zwei. In Bezug auf den spirituellen Weg würde ich sagen, dass es von der Ich-Identifikation hin zum Non-Dualen eine gewisse Realisation des Absoluten braucht. Diese Realisation bedeutet, dass wir den Seinsaspekt, also den Urgrund des Lebens und gleichzeitig den Schöpfungsakt – wie aus der Leere das ganze Universum hervortritt – erkennen. Wir verstehen, dass der Schöpfungsakt bewusst und nicht nur ein unbewusster Akt ist. Ich glaube, da ist der Unterschied. In dem Moment, wo wir Non-Dualität wirklich realisieren, sind die beiden schon nicht mehr zwei, sondern dann ist der Urgrund und das Werden non-dual. In der Satsang-Szene wird oftmals propagiert, dass es dieses »Ich« nicht gibt, dass es im Prinzip nichts zu tun gibt und dass jede Anstrengung ein Hindernis auf dem Weg ist – davon werden die Menschen leider schnell angesprochen. Dem stimme ich nicht zu. Ich glaube, dass das so nicht stimmt. Schlussendlich stimmt es wieder, aber nicht in der spirituellen Praxis. Die spirituelle Praxis braucht eine gewisse Zeit, um tiefere Realisationen zu erlangen. Von diesem Platz aus braucht es irgendwann ein Loslassen von dieser spirituellen Praxis, hin in diese fundamentale Erkenntnis. Das ist für mich ein Unterschied. Da es leider oft anders vermittelt wird, sehe ich das eher als ein konzeptionell verstandenes, aber nicht als ein verwirklichtes Instrument. Durch diese Einstellung werden Menschen in einer Passivität unterstützt und nicht zum Tiefgang ihrer spirituellen Praxis geführt. Das sehe ich als kontraproduktiv an und sehe mich deswegen nicht als Vertreter der konventionell verstandenen Satsang-Szene.

Auf der Spur des spirituellen Lebens
TV: Was hast du mit diesem Seinsgrund für Erfahrungen gemacht oder anders gefragt: Was ist für dich die spirituelle Erfahrung? Wie bist du da hingekommen?

TH: Ich habe eine Zeit lang in Wien Medizin studiert und hatte dann mit 26 einen sehr starken Ruf in die ganz tiefe spirituelle Praxis. Danach habe ich mich für 4 Jahre zurückgezogen und viel Zeit in Tschechien auf dem Land verbracht. Dort habe ich diese vier Jahre sehr tief meditiert, praktiziert und bin nach innen gegangen. In dieser Zeit der Stille und der Erforschung der Innenräume ist für mich eine Menge Fundamentales passiert – ich kann es nicht anders beschreiben. Auf eine ganz schöne Weise hat mich das Leben irgendwann wieder abgeholt und es hat sich wie von selbst ergeben, dass ich begonnen habe, mit Menschen zu arbeiten und Workshops zu geben. Ich habe nach einer gewissen Zeit z.B. Einladungen bekommen. Aus dem heraus ist im Prinzip die ganze Arbeit entstanden, die ich heute mache.

TV: Bist du in Tschechien alleine gewesen oder hast du einen Lehrer gehabt?

TH: Ich habe mir natürlich in der Zeit davor viele verschiedene Richtungen angeschaut, aber nie wirklich einen langzeitigen Lehrer gehabt. Ken Wilber war sicher eine große Inspiration in der Zeit. Auch ein tiefer Wissensfundus über Dinge, die es gibt oder gegeben hat. Dann bin ich eher alleine –mit meiner damaligen Frau, die war auch sehr viel dabei – in eine tiefere meditative Praxis gegangen. Ich hatte damals schon einige Jahre eine regelmäßige Meditationspraxis betrieben. Diese wurde dann sehr intensiv. Es gab eine Zeit, da wollte ich in ein tibetisches Kloster nach Indien. Da ich damals meine Frau kennen gelernt habe, hat sich das nicht ergeben.

Bringe die Dinge in Ordnung, bevor sie existieren.

TV: Meditation bedeutet, sich mit dem Geist und dem Denken zu desidentifizieren. Wie hast du das erlebt und wie ist das für dich jetzt? Hast du einen Abstand zu Deinem Denken? Wie fühlt sich das an? In welchen Zustand bist du in der Meditation gekommen?

TH: In der Meditation hat irgendwann eine sehr tiefe Versenkung stattgefunden. Etwas Fundamentales, wo Innen-Außen und Außen-Innen sich plötzlich in etwas ganz Neues erhoben hat und gleichzeitig eine ganz einfache Weise, wo Dinge so sind, wie sie sind. Es war irgendwie eine grundlegende Erfahrung und gleichzeitig auch etwas sehr Einfaches. So kann ich es am nächsten beschreiben. Aus dem heraus hat sich dann auch die Arbeit mit Menschen ergeben, aus einem sehr tiefen Platz heraus, wo Wissen und Information zu Situationen, zu Menschen aufsteigt – wenn Menschen kommen und Fragen stellen oder mit Fragen zu ihrem Leben kommen, wie die Grundstruktur ihrer Wirklichkeit offensichtlich wird. Aus dem heraus ergibt sich: Wo kann das Lebendige sich weiter evolvieren, wie kann das Lebendige sich weiter entwickeln und was für Dinge stehen dem im Weg? Diese Dinge, die da im Weg stehen, die oft nicht bewusst erlebt werden, die entwickeln an der Oberfläche unseres Verstandes Fragen, Symptome. Wir sind sehr oft im Leben mit den Symptomen beschäftigt. Was bei meiner Arbeit immer klarer geworden ist: Wie kontaktieren wir den Punkt, wo wir nicht mehr von den Symptomen verblendet sind, sondern wo wir wirklich die Essenz dessen ansprechen, was gerade ausgedrückt wird. Daraus hat sich der Kern meiner Arbeit geformt: einerseits eine meditative Praxis, um tiefere meditative Zustände, tiefere Seinszustände zu kontaktieren und zu erleben, zu erfahren; und gleichzeitig aber auch in den Werdensprozess zu sehen, wo das Leben, der Fluss des Lebens Steine im Flussbett hat. Und um diese Steine entwickeln sich Flusswasserwirbel. Diese Wasserwirbel sind das, was uns im Geist, in Gedanken beschäftigt. Wir können immer mehr eine Art und Weise entwickeln, wie wir diesen Ursprung der Wasserwirbel unter der Oberfläche kontaktieren lernen. Damit meine ich die Tiefendimension, wo ich prinzipiell in Gott schaue und all die Schichten des Bewusstseins potentiell offen sind. Je nach dem, von welcher Schicht, von welcher Bewusstseinsebene wir sprechen, tritt diese dann eben stärker hervor. Das ist oftmals eine sehr persönliche Ebene. Bei manchen Menschen, die mehr spirituelle Praxis haben, dehnt sich das aus in das, was wir überpersönliche Bewusstseinsebene nennen. Auf all diesen Ebenen entstehen unterschiedliche Fragen, unterschiedliche Bedürfnisse, unterschiedliche Erkenntnissehnsüchte. Mit diesen verschiedenen Stufen von Bewusstheit ist es möglich, in einer Weise zu arbeiten oder zu schauen: Wie entsteht da immer mehr Desidentifikation und dadurch ein größerer Bewusstseinsraum? Und dann noch ein größerer Bewusstseinsraum.

Das authentische Selbst ist das Leben, Wirken, Denken, Handeln aus der göttlichen Anbindung, aus diesem göttlichen Fluss heraus.

TV: Würdest du sagen, dass in der Tiefe, an diesem echten Punkt, dass da immer noch eine Person ist, ein Ich? Oder ist das, wie im Non-Dualen gesagt wird, gerade die Ursache des Leidens – the separate self, wie es die spirituelle Lehrerin Diane Hamilton nennt. Das scheint mir die Grundhaltung im Buddhismus und im Advaita zu sein. Wenn du da reinspürst und an diese Tiefenstruktur rangehst, an diesen Werden-Aspekt – mich würde interessieren, wie du das siehst. Gibt es da noch eine Person? Es gibt ja ein Ich. Oder ist das dann eher eine Illusion?

TH: Also ich glaube, dieses Ich, das wir normalerweise als Persönlichkeit empfinden, dieses persönliche Ich, das ist natürlich nur ein sehr kleiner Radius von Bewusstheit. Das heißt schon, dass es das gibt, aber dieser kleine Radius ist natürlich in einen kosmisch leeren Raum eingebettet, genauso wie alle kollektiven Bewusstseinssichten, alle Wirklichkeitsinterpretationen. So gesehen kann man sagen: Wacher zu werden heißt einfach, dass wir die Tiefendimension der Wirklichkeit, die mystische Dimension der Wirklichkeit tiefer erfassen. Somit ist dieses kleine Ich, das wir früher waren, ein kleiner Bestandteil von einem viel größeren Bewusstseinsraum. Deswegen wird es nicht mehr als Trennung erfahren, sondern als Teil des Ganzen. In der Tiefe ist die Wirklichkeit leer. Das heißt diese Realisation der Leere ist gefüllt mit all den Formen, wovon das Ich auch ein Teil ist. Aber das ist nur ein kleiner Teil der Wirklichkeit.

Thomas Huebl: Auf der Spur des spirituellen Lebens
TV: Was sind diese Steine, von denen du gesprochen hast, die da im Weg liegen oder die Wirbel erzeugen?

TH: Wenn aus der Tiefe dieses Urgrunds Wirklichkeit entsteht, dann ist das für mich wie ein Schöpfungsstrahl, wie das Hervortreten aller Formen aus dem Nichts. Bis wir uns hier als persönliche Individuen erleben. Durch uns alle wirkt im Prinzip dieser Fluss des Lebens, der evolutionäre Impuls, der sich durch uns alle ausdrückt. Wenn der Impuls sich reibungslos ausdrücken kann, dann würden wir sagen: Wir sind im Fluss. Wenn der Impuls aber an Konditionierungen und Persönlichkeitsidentifikationen »Wirbel« erzeugt, dann erfahren wir diese Bereiche als unklar und als problematisch. Das sind die Bereiche, wo unsere persönlichen Schatten liegen, das sind im Prinzip unbewusste Potentiale, die nicht gelebt werden und die deswegen als verschiedene Symptome erlebt werden. An diesen Plätzen kann sich dieser evolutionäre Impuls nicht ungehindert ausdrücken.

TV: Unbewusste Potentiale, die nicht gelebt werden. Für mich ist dann immer die Frage: Was ist das für ein Potential? Ist das etwas, wo ich mich nicht lebe oder ist das etwas Unpersönliches aus dem Bewusstseinsstrom?

TH: Das ist eine Frage der Identifikation. Wenn ich mit dem kleinen Selbst identifiziert bin, würde ich sagen: Ich lebe mich da nicht. Je größer mein Bewusstseinsraum ist, desto weniger nenne ich das nur »mich“; desto mehr sehe ich, dass dieses Ich natürlich in ein viel größeres kosmisches Netz eingebettet ist. Das hängt natürlich wieder von der spirituellen Reife oder der Perspektive des Betrachters ab. Aber tendenziell ist es so, dass in unseren Body-Minds evolutionäre Potentiale gelebt werden, diese sind frei. Andere sind gebunden in Kontraktionen, in unbewusster Kontraktion. Sie machen physische, mentale und auch spirituelle Symptome. Schauen wir in die Gesellschaft und in kollektive Strukturen, in Firmen, in Institutionen oder in Familien, dann sehen wir, dass diese ungelebten Potentiale in diesen Systemen eine große Wirkung haben. Deswegen ist es in einer integraleren Sichtweise auf Spiritualität auch wichtig, dass wir diese ungelebten Potentiale integrieren und sie mit ins Bewusstsein gehoben werden.

Der Fluss des Lebens wird sich durch jeden von uns unterschiedlich ausdrücken.

TV: Es gibt ja die Diskussion, dass solche Schattenanteile nicht durch Meditation behoben werden können, sondern dass da eine emotionale oder psychologische Heilungsarbeit stattfinden muss. Wie siehst du das?

TH: Ja, genau. Denn diese abgespaltenen Anteile werden als Nicht-Ich erlebt. Sie werden als Symptome erlebt, aber nicht als Ich. Geht man in der Meditation weiter, relativiert sich diese Ich-Identifikation auch immer mehr. Die überbewussten Anteile können manchmal auf pathologische Art und Weise verwechselt werden, so dass man einen abgespaltenen, nicht mehr fühlbaren Anteil als eine Leere sieht, die nichts mit uns zu tun hat. Das ist genauso, wie wenn man überbewusste Anteile realisiert und sich die Ich-Identifikation relativiert. Und da ist es wichtig zu erwähnen: Realisieren wir tiefere Dimensionen in unserem Selbst, heißt das noch lange nicht, dass in den anderen Bewusstseinsstufen Dinge dadurch integriert werden. Sie kriegen nur eine andere Perspektive. Das heißt aber nicht, dass sie integriert werden. Oftmals brauchen sie sogar eine Re-identifikation und dann wird die Energie entladen. Dann kontaktieren wir das evolutionäre Potential des Lebendigen. Dieses evolutionäre Potential, die Intelligenz, die darin ist, setzt sich weiter fort. In jedem Schattenanteil ist auch eine Intelligenz drin, die sich noch ausdrücken möchte, die sich noch weiterentwickeln möchte. Kontaktieren wir diese, dann entsteht Heilung, Integration und reichhaltigeres Leben. Das macht uns von innen heraus glücklicher, weil wir das Gefühl haben, wir sind noch mehr im Fluss. Deswegen ist es ein ganz wichtiger Punkt zu erkennen, Meditation ist nicht das Werkzeug, mit dem man Schattenanteile integriert. Es ist ein hilfreiches Werkzeug, um eine weitere Perspektive zu haben, wenn wir wissen, dass es andere Techniken braucht, um Schattenanteile zu integrieren. […]

 

Lesen Sie den kompletten Artikel in der TATTVA VIVEKA 45 >>

Dieser Artikel ist auch als PDF erhältlich:

Hier, Jetzt und Gott (Teil 1-2) (PDF)

 2,00

Thomas Hübl
Hier, Jetzt und Gott.
Auf der Spur des spirituellen Lebens, Teil 1 & 2

Der spirituelle Lehrer Thomas Hübl spricht über seinen Weg und seine Einstellung zu Gott. Was ist die tiefste Aufgabe des Menschen? Was versteht Hübl unter Nondualität? Seine Arbeit widmet sich dem Sein, verstanden als meditative Exploration der Wirklichkeit und dem Werden, der praktischen Seite im »Fluss des Lebens«. Lesen Sie ein Gespräch über die Rolle von Meditation, den Weg im täglichen Leben und eine angeregte Diskussion über philosophisch-spirituelle Feinheiten.
Im zweiten Teil des Interviews geht es um die Kernfragen: Wie ist Gott zu verstehen? Gibt es ein individuelles Selbst? Was ist non-duale Erfahrung? Hübl tritt für eine Hinwendung zu Gott ein, und weist auf die Möglichkeiten hin, wie wir Gott zu unserer ersten Priorität machen können. Eine spirituelle Erfahrung geht für ihn über jedes Konzept von Gott und Selbst hinaus. Sie bedeutet, die Fragen offen zu lassen. Dann öffnet sich der Raum von Demut und Gnade.
 

 

Artikelnummer: TV045e_02 Schlagwörter: , , ,

 
 


Artikel zum Thema in früheren Ausgaben:

TV 29: Ken Wilber – Das zweite Gesicht Gottes. Ein revolutionärer Gedanke

TV 37: Tom Amarque – Boomeritis. Ein Rückschritt im Fortschritt oder das Sprungbrett
zu höherem Bewusstsein?

TV 42: Steve McIntosh – Integrale Philosophie und die Evolution des Bewusstseins

TV 42: Prof. Dr. Thomas Metzinger – Der Ego-Tunnel. Wahrnehmung und Wirklichkeit

TV 44: Ronald Engert – Aufklärung und Erleuchtung. Bericht von der Integralen Tagung in Berlin.

 

 

Keine Kommentare

Kommentar abgeben