Mann werden – verflixte Entwicklung

Ein Mann nach vier Jahren am Rande des Nervenzusammenbruchs, Teil 1

von Jörg M. Hirsch

Mann werden – verflixte Entwicklung

Männer, Gefühle, Liebe, Beziehung, Drama, Trauma – ein Mann beschreibt sehr ehrlich und direkt seine eigene Erfahrung mit Selbstentwicklung, zahlreichen New Age-Therapien und dem Eintritt in den MKP e.V. Deutschland. Seine persönliche Geschichte handelt von der Beziehung zu einer Frau, dem Scheitern der Beziehung und der folgenden Depression. Eine Geschichte, wie sie wohl jeden Tag vorkommt, roh, existentiell, emotional, mitreißend erzählt, exemplarisch und lehrreich für alle.

Dies ist meine Geschichte. Die wahre Geschichte über die Reise eines Mannes an die Grenzen der »Mannwerdung« und seiner selbst. An die Grenzen von dem, was »Mann« an Schmerz, Erfahrung und »Entwicklung« ertragen kann, ohne am Ende schwer traumatisiert unterzugehen, oder sogar vom Opfer zum Täter zu werden.

Aber das Trauma ist geschehen – ich lebe seit dem März 2015 mit einer Depression.

»Die Versuchung besteht darin, dass Gute mit Gewalt herbei zu zwingen – und damit selbst böse zu werden. Genau darin liegt die Lüge des Faschismus und des Kommunismus … Wir müssen mit unseren Wunden leben und von ihnen lernen, bis sie zur heiligen Wunde geworden sind. Der Himmel ist nicht für die Engel gedacht, sondern für die Verwundeten!« (Richard Rohr, Adams Wiederkehr, Claudius Verlag 2013, S. 163)

Nach über 12 Jahren pragmatischer, männlicher Gefühllosigkeit bin ich, verdammt noch mal, verliebt.

2012

Als die Welt untergehen sollte, lernte ich in Wetzlar am Vorabend meines 51. Geburtstags eine Frau kennen. Wir verbrachten die Nacht miteinander, tauschten die Telefonnummern aus und gingen auseinander. Für alle Fälle. Es war ja nicht schlecht gelaufen.

Am nächsten Tag ging es mir nicht gut. Da war so ein Gefühl in der Brust und im Bauch, das ich nicht kannte und immer wieder das Bild von dieser Frau. Ich lief eine ganze Weile hin und her, bis es mir langsam dämmerte – ich bin verliebt! Nach über zwölf Jahren pragmatischer, männlicher Gefühllosigkeit bin ich, verdammt noch mal, verliebt. Nicht, dass ich in der Zeit keine Beziehungen gehabt hätte, denn zu der Zeit lebte ich seit über fünf Jahren mit einer Frau zusammen, aber ich war nicht in Liebe. Und davor auch nicht.

Mann werden – verflixte Entwicklung

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Wie absurd mein Vorschlag in den Augen dieser Frau sein musste, erkannte ich erst, als es zu spät war.

Mir wurde damals klar, dass ich niemals eine Chance gehabt hatte, meine Ziele mit dieser Frau, in diesem Stadium ihrer Entwicklung (»6«) umzusetzen, und schon gar nicht nach ihrer Vorgeschichte mit Männern. Diese war geprägt von männlicher Gewalt, spätpubertären Auswüchsen, Stalking von vorgesetzten Männern, egozentrischen Exzessen und nicht dazu geeignet, in unser Geschlecht irgendeine Art von Vertrauen zu entwickeln.

Endlich hatte ich Zeit, die Tattva Viveka 52 zu Ende zu lesen und meinte nun zu wissen, warum unsere Beziehung so furios gescheitert war. Der Artikel von Martin Ucik, »Integrale Beziehungen«, und später dann sein Buch boten mir eine Landkarte durch die Entwicklungs- und Beziehungsdschungel an, und das Buch vertiefte meine aufkeimende Erkenntnis. Im Rückblick wird mir deutlich, dass ich mich (nach Ucik) im Entwicklungsschritt von einer »6« zur »7« befinde.

Anmerkung:

Die Entwicklungsstadien 1-7 orientieren sich an der integralen Theorie der »Spiral Dynamics« von Christopher C. Cowan und Don Beck, die u.a. auch von Ken Wilber bekannt gemacht wurde. Das menschliche Bewusstsein durchläuft demnach sieben oder mehr Entwicklungsstufen: archaisch, animistisch, egozentrisch, mythisch, rational, pluralistisch, integral. Siehe dazu: Tom Amarque: »Boomeritis. Ein Rückschritt im Fortschritt oder das Sprungbrett zu höherem Bewusstsein?«, in: Tattva Viveka 37, Bensheim 2008, S. 16-22.

MKP (Man Kind Project) tut Männern weh

Ich werde versuchen, an meinem Beispiel, meinen Erfahrungen und umfangreichen Recherchen darzulegen, wie offensichtlich nach meinem Erkenntnis- und Wissensstand, wie vergeblich und sogar in hohem Maße schädlich die Bemühungen in diversen »Workshops« unserer spirituell/esoterischen Gesellschaft nach Auflösung unserer Schatten und Traumata sind. Denn letztendlich grenzt »gut gemeint« dann doch eher und final an schwere Körperverletzung. Gerade wenn man, wie ich es am Beispiel des MKP erlebt habe, sich aus allen Bereichen und Schulen der Psychologie, Esoterik, Schamanismus usw. ein Konzept zusammen bastelt und meint, damit Männer zu besseren Menschen machen zu können.

Dies soll dadurch geschehen, dass man diese durch eine »Instant Initiation« in drei Tagen von ihren frühkindlichen Traumata befreit und ihnen ihre Schatten bewusst macht.

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Mehr über das Mankind Project im kompletten Artikel.

Die erste Begegnung mit dem MKP

Wenige Tage später, an einem Dienstag, traf ich dann auf die »initiierten Männer« des MKP in Hamburg. Talismane um den Hals, ritueller Eintritt in den Raum mit Reinigung durch Salbei und Fragen wie: Was ist Dein »Gold«, was bringst Du heute an Gefühlen mit, was ist Dein »Schatten«, was ist Dein Tiername, wann und wo wurdest Du initiiert, wie lautet Deine Affirmation …?

Nun, mein Familienname ist Hirsch und initiiert wurde ich – so sah ich es damals – in der Nacht nach meiner letzten Trennung in Wetzlar, als ich vor Schmerz brennend dem Versuch widerstand, meinem Herzen zu folgen und etwas fortzusetzen, was mein Verstand als unmöglich erklärt hatte.

Völlig betrunken wurde ich mir damals eines Beobachters bewusst, hinter meinem Körper, meinen Gefühlen und meinem Verstand, der anscheinend genau wusste was zu tun war. Geh nicht zu dieser Frau zurück, mach dich dort nicht auch noch lächerlich und verliere den Rest an männlicher Selbstachtung. Stehe zu deiner Entscheidung und ziehe weiter.

Mir wurde Einlass gewährt.

Die erste Begegnung mit dem MKP
Aber ich warne vor dem freien Fall, der sich nach der Auseinandersetzung mit dem Thema Patriarchat einstellt, denn das ist nichts für schwache Nerven.

Was dann folgte, war eine Mixtur aus indianischen Ritualen und dem, was man so aus hiesigen Selbsterfahrungsgruppen kennt. Die Anrufung der Himmelsrichtungen mit den jeweiligen Vertretern der Archetypen des Magiers, Königs, Kriegers, Liebhabers des Himmels und der Erde, kurze Gewahrwerdung deiner Gedanken, Gefühle, Blitzlicht auf deinen inneren Zustand und welche Intensität dein Thema auf einer Skala von 1-10 hat und final: ob du dazu »arbeiten« möchtest. Die Archetypenlehre begründet sich wohl auf das Buch von Robert Moor und Doug Gillette: King, Warrior, Magician, Lover: Rediscovering the Archetypes of the Mature Masculine.

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Wie geht’s weiter? Lesen Sie die ganze Geschichte im kompletten Artikel.

Was ist der Sinn einer Initiation im Kern?

»Frauen bringen die Jungs auf die Welt, Männer führen die Jungs in die Welt.«

Einem neuen Mann wird sein Platz in der Gesellschaft der Männer durch die anderen Männer zugewiesen. Durch seine Initiation hat er sich diesen verdient. Die anderen initiierten Männer achten darauf, dass der »Schatten« eines Mannes nicht die Oberhand über seine Handlungen gewinnt und weisen ihn in seine Schranken. Zum Schutz des Allgemeinwohls und zur psychosozialen Hygiene.

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Sehr überrascht war ich, als ich mir eher aus Langeweile den Film »Original Sin« mit Angelina Jolie und Antonio Banderas anschaute und mir klar wurde, was ein »Leben auf des Messers Schneide« nach Deida in letzter Konsequenz bedeutet. So absurd das erscheinen mag, aber David Deida ist Teil der Integralen Schule von Ken Wilber.

Das Thema ist außerdem in Mythen und Märchen wie dem »Eisenhans« präsent, und man erkennt die Schatten (Schwächen) männlicher Selbstherrlichkeit in der Politik, Wirtschaft, dem Rechtswesen und in allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens und Umgangs miteinander. Männer nutzen ungestraft die Verletzlichkeit und die Hilflosigkeit anderer Männer zu ihrem Vorteil aus, zuletzt und besonders schmerzhaft dann auch im ganz intimen Bereich unserer Privatsphäre, wie es z.B. mir ergangen ist.

Am Schluss dieser Geschichten bekommt der Held immer seine Königin. Im wahren Leben wohl meistens eine Depression und Sozialhilfe. Aber wir sind blind für diese Hinweise, bis sie uns selbst treffen, und selbst wenn wir sie kennen, hinkt die Umsetzung der Erkenntnis immer hinterher.

Lesen Sie in der nächsten Ausgabe der Tattva Viveka den 2. Teil des Berichts über den Schatten, Nutzen und Schaden von Meditation, das Ende seiner Beziehung und ein – nicht ganz positiv gestimmtes – Resümee.

Zum Autor

Jörg M. Hirsch

geb. 1961 in Dortmund, Energiegeräteelektroniker, Kulturmanager, Handelsfachwirt (IHK), Theaterpädagoge, Proberaumbauer und Verwalter. Hausbesetzer, Musiker (Singer/Songwriter), Heilpraktiker Studium, fast Sannyasin, Gründungsmitglied der 1. Männergruppe in Gießen (Mitte der 80er), Aufbau eines freien Kulturzentrums in Gießen, Aufbau eines Theaterjugendclubs in Sondershausen, Autor zweier Theaterstücke, Lehrer für Arg. Tango, bis März 2015 »Lebenskünstler«. Für Kontakt, Kritik und Anregungen: Email an j.m.hirsch@herz-aus-gold.com

Jörg M. Hirsch

Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.

Erfahren Sie mehr über die gescheiterte Beziehung und die Erlebnisse und Erfahrungen des Autors mit dem Mankind Project, aber auch mit anderen New Age-Therapien und Methoden.

Lesen Sie die vollständige Fassung in Tattva Viveka 68 oder downloaden Sie diesen Artikel hier:

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