05 Mai Alexander-Technik
Die Kunst des Nicht-Tuns
Nach dem Schauspieler F.M. Alexander
Das innere und äußere Wohlergehen liegt jedem Menschen am Herzen, und doch wird es selten verwirklicht. Ein Weg um Harmonie zu erleben ist die Alexander-Technik nach dem Schauspieler F.M. Alexander, die auf der achtsamen Wahrnehmung des Körpers und der Bewegungen sowie auf der Aufmerksamkeit der Gegenwart basiert. Die Intention ist, den Menschen zu sich selbst zurückzuholen, um gleichzeitig innere Weite und Ruhe zu erfahren.
Viele von uns kennen es aus dem Alltag, dass sie viel Zeit in ihrem Kopf verbringen. Sie denken an ihre Arbeit, an die Aufgaben, die von ihnen noch erledigt werden müssen, und was es am Abend zu essen geben wird. Dabei sind wir oftmals so sehr in Gedanken vertieft, dass wir unseren Körper wie »vergessen«. Durch diese Gewohnheit, mehr im Kopf als in unserem gesamten Körper präsent zu sein, können wir das Bewusstsein für unsere eigene Balance verlieren.
Doch wie können wir wieder lernen auf unsere Balance zu achten, unabhängig von dem, was wir gerade tun, ob es kochen, die Arbeit am Computer oder Sport ist.
Gemäß der Alexander-Technik ist der erste Schritt die Schulung der Körpersinne. Diese Form der Körperarbeit wird durch drei Grundpfeiler getragen:
- Achtsamkeit: Die bewusste Wahrnehmung der eigenen Bewegungs-, Haltungs- und Verhaltensmuster.
- Innehalten: Das bewusste Anhalten ist die Voraussetzung um Gewohnheitsmuster zu erkennen und gibt dir die Möglichkeit bewusst zwischen verschieden Reaktionsmöglichkeiten zu wählen anstatt auf eine eingefahrene Weise zu reagieren
- Neuorientierung: Sie zielt auf eine bewusste natürliche mentale und körperliche Ausrichtung.
Der Name geht auf den Begründer der Technik zurück, F.M. Alexander (1869-1955), ein australischer Schauspieler. Nach einer gewissen Zeit begann er auf der Bühne seine Stimme zu verlieren, aber dies geschah ungewöhnlicherweise nur auf der Bühne. Ärzte rieten ihm dazu seine Stimme zu schonen, konnten aber keine Diagnose feststellen. Da der Rat der Ärzte keine nachhaltige Wirkung zeigte, begann Alexander selbst nach den Ursachen zu forschen und zwar mithilfe von Spiegeln, die er um sich herum positioniert hatte. Durch die Selbstbeobachtung fiel ihm auf, dass seine Körperhaltung selbst die Ursache für den Verlust seiner Stimme war, denn beim Sprechen zog er den Kopf nach hinten und unten, die Schultern nach oben, folglich zog sich der Brustkorb zusammen und übte Druck auf den Kehlkopf aus.
Nach diesen und weiteren Beobachtungen begann er die Prinzipien der Alexander-Technik zusammen mit Ärzten zu entwickeln. Alexander fand heraus, dass der gesamte Organismus besser funktioniert, wenn Kopf, Hals und Rücken in einem freien Verhältnis zueinander schwingen, das heißt kein Druck auf dem Rumpf ist und der Kopf leicht auf der Wirbelsäule balanciert. Zudem braucht die Wirbelsäule Platz um sich in eine Richtung auszudehnen. Dies fördert die Wahrnehmung, weil die Nerven anderes wahrnehmen, und auf der anderen Seite sendet man klarere Signale. Dadurch wird die Bewegungskoordination fließender, was sich direkt auf die innere Klarheit und Gedanken auswirkt.
Dabei erkannte er früh die Wichtigkeit der Untrennbarkeit von Körper und Geist und formte das Konzept der psychologischen Einheit aus. Menschen, die sich viele Sorgen machen und ein sehr aktives emotionales und geistiges Innenleben haben, neigen zu heftigen Muskelspannungen. Bei deprimierten, erschöpften Personen neigen die Muskeln wieder eher zur Erschlaffung. Diese Beispiele veranschaulichen sehr deutlich, wie stark die Verbindung von Körper und Geist ist und welchen Einfluss sie aufeinander ausüben. Psyche und Physis funktionieren nur gemeinsam.
Doch nicht nur bestimmte Gedankenmuster und Verhaltensmuster wirken sich stark auf unseren Körper aus, sondern auch angewöhnte Körperhaltungen, die dem individuellen Fluss des Körpers widerstreben.
Die Gewöhnung an solchen Körperhaltungen tritt oft unbewusst in der Jugend auf, da es eine Zeit ist, in der man stark darauf bedacht ist, sich an das gegebene soziale Umfeld anzupassen und Verunsicherungen zu kaschieren. Das Resultat dessen können ungünstige Körperhaltungen sein, an die sich der Körper gewöhnt hat und als »richtig« wahrnimmt. Ein Beispiel dafür wäre, dass große Menschen den Kopf nach unten ziehen, um weniger aufzufallen.
Die innere Balance ermöglicht uns, Gelassenheit und Ausgeglichenheit unabhängig von äußeren Umständen in uns zu erfahren.
Weiterhin können einseitige Tätigkeiten oder Belastungen, die bei Verletzungen mal notwendig waren, dazu führen, dass sich der Körper an das Ungleichgewicht gewöhnt hat und wir dies als normale Balance betrachten.
Das Anliegen dieser Technik ist die Schärfung der Aufmerksamkeit so wie der bewussten Wahrnehmung des im Körper liegenden Gleichgewichts, die wir manchmal durch unser ständiges Tun verlieren können. Mit der Zeit gewöhnen wir uns bestimmte Körperhaltungen, z.B. hochgezogene Schultern, wie auch einen überflüssigen Kraftaufwand an. Dies ist unserem Selbst und unserem Körper nicht dienlich, hat sich aber eingeschlichen.
Aufmerksamkeit
Wir widmen unseren Bewegungen nicht die nötige Aufmerksamkeit, sondern unser Kopf suggeriert uns bereits zu wissen, wie es am besten funktioniert. Aber wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf uns selbst richten, können wir uns fragen, wie viel Kraft brauche ich tatsächlich.
So wie kleine Kinder, die das Aufstehen erlernen, sich mit der Schwerkraft beschäftigten, denn sie wissen noch nicht, wie die Körperkoordination funktioniert. Sie müssen in jedem Augenblick aufpassen, da alles noch neu ist. Diese Fähigkeit, jeden Augenblick bewusst wahrzunehmen und das »Neue« zu erfühlen sowie uns daran anzupassen, haben wir als »erwachsene« Menschen oftmals verlernt. Richtige Bewegung ist ein Zusammenspiel von Aufmerksamkeit und von Vertrauen auf die eigene Körperorganisation. Dies wieder zu erlernen, ist ein weiterer Prozess. Dabei beschäftigt man sich nicht isoliert mit gewissen Muskeln oder Gliedmaßen, sondern arbeitet mit dem gesamten Körper. Zum Beispiel geschieht eine Armbewegung aus dem Bewusstsein für den ganzen Körper.
Unsere Haltung und unser Benehmen sind oftmals von vorweggenommenen Ideen, einer Form von Situationsleitfaden, wie ich mich benehmen sollte, geprägt, was aber unseren eigentlichen Situationsspielraum stark begrenzt. Wenn man jedoch innehält und zu sich kommt, kann man sich fragen, was für Möglichkeiten gibt es und was ist gut für mich. Das ist die Arbeit an den eigenen Möglichkeiten und am eigenen Verhaltensmuster.
Wenn wir nachdenken, suchen wir oft etwas Bestimmtes in unserer Gehirnschublade, um einen Gedanken zu reproduzieren, doch dabei ziehen wir uns ein Stück aus dem Moment zurück.
Da wir unsere Aufmerksamkeit unseren Gedanken widmen und auf diese Weise in unserem eigenen Kopf feststecken, nimmt unser aktives Erleben des Augenblicks zurück und wir nehmen weniger die Kostbarkeit des Lebens wahr.
Wenn wir aber versuchen immer neu aufmerksam zu sein, unterbrechen wir die Schleife der Halb-Präsenz. Dem Leben die Aufmerksamkeit zu geben, das es verdient, befähigt uns, in uns hinein zu fühlen und nachzuforschen, wie es um unsere innere Balance steht. Die innere Balance ermöglicht uns, Gelassenheit und Ausgeglichenheit unabhängig von äußeren Umständen in uns zu erfahren. Durch dieses Erleben stellt sich auch die Körperbalance ein und der Mensch fühlt sich dadurch leichter und entspannter. Doch nicht nur das innere Wohlbefinden weitet sich aus, sondern auch unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen werden liebevoller und einfühlsamer, da wir erst durch die Präsenz in der Lage sind unseren Mitmenschen wahrhaftig zu begegnen.
Die Alexander-Technik empfiehlt den Menschen ihr Ziel nicht mit übermäßigem Fokus darauf direkt erreichen zu wollen (koste es was es wolle), sondern bei jedem einzelnen Schritt ganz präsent zu sein. Durch den Wechsel der Perspektive beginnt man jeden einzelnen Schritt wertzuschätzen und erkennt den Sinn, der darin liegt. Die Präsenz hilft einem, in seinem eigenen Tempo bewusst und fehlerfreier die einzelnen Schritte auszuführen.
Die Fähigkeit anwesend zu sein
Die Stopps, das Innehalten, Sich-Neu-Orientieren und erst dann Sich-Weiterbewegen, sind wichtig. Die spezifischen Techniken kann man erlernen, doch Alexander war die Selbstständigkeit wichtig, dass die Menschen ihre Augen öffnen und erkennen, dass sie es selbst können, und dass bereits in uns die Fähigkeit liegt, uns selbst wieder in die Balance zu bringen.
Die Alexander-Technik eignet sich für jeden, der einen nachhaltigen und selbstverantwortlichen Wandel getragen durch Leichtigkeit und Ruhe in seinem Leben vollziehen möchte, sowie wenn man Stress/Druck in seinem Leben reduzieren möchte und das Körpergefühl sowie die Beziehung zum eigenen Körper stärken möchte. Eine besondere Unterstützung kann es für Menschen sein, die wie Tänzer, Schauspieler und Musiker intensiv mit ihrem Körper arbeiten, da sie mithilfe die Alexander-Technik ihr Potential durch ein verfeinertes Körperbewusstsein ausdehnen können um ihre Bewegungen und ihren Ausdruck auf eine neue Weise entdecken.
Für Personen, die Führungspositionen innehaben und vor größeren Menschengruppen agieren, ist es hilfreich zu lernen, wie man in solchen Momenten ruhig und präsent bleibt um selbstbewusst aufzutreten und auch seine Stimme klar klingen zu lassen.
Für Arbeitnehmer, die viel Zeit vor dem Computer sitzen, werden Techniken vermittelt, wie man richtig sitzt, ohne den Körper zu belasten, und wie man lang aufmerksam bleiben kann. Auch um körperliche Beschwerden wie Rücken-, Nacken-, und Gelenkschmerzen selbständig zu lindern oder vorzubeugen, kann die Alexander-Technik eingesetzt werden.
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen die ganzheitliche Wirkungsweise der Alexander-Technik und ihre vielfältigen Einsatzmöglichkeiten. In den USA und England wird diese Technik im Spitzensport und Managertraining verwendet. Zudem steht sie in den Lehrplänen von renommierten englischen Instituten der bildenden und darstellenden Kunst, der Branche, aus der der Begründer F.M. Alexander selbst kam.
Denn das ist eben die Eigenschaft der wahren Aufmerksamkeit, daß sie im Augenblick das Nichts zu Allem macht.
– Johann Wolfgang von Goethe
Wie wird die Alexander-Technik umgesetzt?
Dies geschieht in Einheiten á 50 Min., in denen ein ausgebildeter Lehrer sich intensiv und individuell ganzheitlich mit dem Schüler und seinen Alltagsbewegungen beschäftigt. Die Vermittlung findet nicht nur über die verbale Ebene statt, sondern auch durch sanfte Berührungen, durch die der Schüler aufmerksam gemacht wird, wo er Spannung loslassen kann. Dadurch wird das Gleichgewicht zwischen Körper und Geist fühlbar wiederhergestellt und man erlebt deutlich mehr Ruhe im Körper.
Innerhalb der Alexander-Technik gibt es unterschiedliche Schulen, da der Begründer F.M. Alexander seine Nachfolge nicht geregelt hat. Diese Schulen lehren leicht abgewandelte Formen der Alexander-Technik, ohne dass die eigentlichen Kernthemen Alexanders wie die Schulung der Aufmerksamkeit bezogen auf das gesamtkörperliche Gleichgewicht und die Betrachtung des Menschen als ganzheitliches Wesen in den Hintergrund gedrängt werden.
Die Ausbildung zum Alexander-Technik-Lehrer dauert drei Jahre lang und umfasst 1.600 Stunden. Man braucht sehr lange um diese Technik zu beherrschen, da die Veränderung der Koordination bei einem selbst beginnen muss, ehe man sie an einem Schüler anwenden kann. Um die Alexander-Technik selbstständig an sich selbst während des Alltags anzuwenden, benötigt man ungefähr 30 Einheiten, denn das Wissen baut auf die Erfahrung jedes einzelnen mit der Technik und seinem Körper auf.
Die fließende Arbeit am Körper zeigt sich nicht nur durch ein stärkeres körperliches Wohlbefinden, dass von Leichtigkeit und Entspannung geprägt ist, sondern unterstützt auch die persönliche Entwicklung und deckt innere Schätze, die in uns liegen, auf. Körper und Seele sind auf der materiellen Ebene tief miteinander verbunden, und was unserem Körper wahrhaftig guttut, tut auch unserer Seele gut. Die Alexander-Technik ist ein Weg, um den von den Polaritäten Geist-Körper und Innen-Außen geprägten Mensch in Einklang zu bringen und Wohlbefinden auf den verschiedenen Seinsebenen zu verwirklichen.
Über die Autorin
Alice Deubzer, geb. 1993, lebt in Berlin und studiert an der Humboldt-Universität zu Berlin Linguistik und Theologie. Neben ihrem Studium arbeitet sie in der Redaktion der Tattva Viveka mit. Alice ist auf der Suche nach der Essenz des Lebens.
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Alice Deubzer
Alexander-Technik
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Ein Weg zur freien und natürlichen Selbstentfaltung
Bildnachweise: © alle Bilder: Meike Strohbach
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