Am Anfang war die Mutter

Am Anfang war die Mutter

Was können wir heute von matriarchalen Gesellschaften lernen?

Autor: Dr. Heide Göttner-Abendroth
Kategorie: Soziologie
Ausgabe Nr: 87

Die Begründerin der Modernen Matriarchatsforschung, Dr. Heide Göttner-Abendroth, lässt uns an den Erkenntnissen ihrer jahrzehntelangen Forschung über matriarchale Gesellschaften teilhaben. Sie räumt mit Klischees und Vorurteilen gegenüber diesen Gesellschaften auf, die sich durch Egalität, Basisdemokratie und eine tiefe Verehrung für Mutter Erde auszeichnen. Dabei wird die Vielfalt menschlicher Lebensformen deutlich, aber auch wie viel westlich-europäische Gesellschaften von matriarchal geprägten lernen können.

Tattva Viveka: Wir sprechen heute mit Dr. Heide Göttner-Abendroth über das Thema Matriarchatsforschung. Ich möchte Sie kurz vorstellen: Sie sind Philosophin und Forscherin zu Kultur und Gesellschaft, mit dem Schwerpunkt Matriarchat. 1973 promovierten Sie in Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Universität München und lehrten dort zehn Jahre lang Philosophie. Seit 1976 sind Sie in der Pionierarbeit auf dem Gebiet der Frauenforschung aktiv und veröffentlichten viele Bücher über matriarchale Forschung, Kultur und Gesellschaft. Deshalb werden Sie auch die Gründermutter der modernen Matriarchatsforschung genannt.

Sie gelten als eine der Begründerinnen der modernen, auch politischen Matriarchatsforschung. Da diverse, auch falsche, Vorstellungen und Definitionen von dem, was das Matriarchat sein soll, kursieren, frage ich Sie gern zuallererst: Wie definieren Sie Matriarchat und wo liegen die Kernunterschiede zum Patriarchat?

Göttner-Abendroth: Diese so kurze Frage beinhaltet doch einen großen Teil meiner Forschung. Obwohl in der bisherigen Matriarchatsforschung, auch bei den älteren Forschern, viel geredet und gesammelt wird, mangelt es an einer klaren Definition, wie diese Gesellschaftsform aussieht. In den meisten Fällen sind die Definitionen schwammig formuliert und vermischen sich mit Vorurteilen sowie emotionalen Aussagen. Darum habe ich es mir, als ich vor mehreren Jahrzehnten anfing, zum Anliegen gemacht, diese Gesellschaftsform an noch existierenden Beispielen zu untersuchen, um ausgehend von diesen lebenden Gesellschaften den allgemeinen Nenner zu finden, was ein Matriarchat denn überhaupt sei. Folgendes konnte ich herausfinden – ich halte die Definition kurz, denn sie ist etwas umfangreich:

Matriarchale sind auf der sozialen Ebene nach der Mutterlinie und der Matrilokalität organisiert, also dem Wohnsitz im Mutterhaus. Diese Eigenschaften setzen Frauen ins Zentrum, aber nicht an die Spitze. Von der Mitte her halten die ältesten Mütter ihre Sippen, ihre Clans zusammen.

Die ökonomische Ebene betreffend wird den Matriarchinnen, also den ältesten Müttern, der gesamte Clanschatz in die Hände gegeben. Alles, was die Clanmitglieder durch Ernten oder ihre Arbeit erwerben, übergeben sie der Matriarchin.

Lernen Sie die weiteren Ebenen, die matriarchale Gesellschaften charakterisieren, im vollständigen Artikel kennen.

Politische Matriarchatsforschung

TV: Sie grenzen Ihre Matriarchatsforschung ab, denn Sie nennen sie »moderne und/oder politische Matriarchatsforschung«. Wo liegt in Ihren Augen der Unterschied zwischen politischer und herkömmlicher Matriarchatsforschung?

Göttner-Abendroth: Die moderne Matriarchatsforschung, deren Begründerin ich bin, unterscheidet sich von der traditionellen, weil sie auf wissenschaftlichem Boden fußt. Das heißt zuerst, dass eine klare Definition davon vorliegt, was das eigentlich ist. In Bezug auf die traditionelle Matriarchatsforschung wissen die Forscher zum Teil gar nicht, wie sie Matriarchate definieren sollen. Vielmehr beschreiben sie die Einzelheiten verschiedener Gesellschaften, aber sie definieren diese nicht. Dann ereignen sich Geschichten wie beispielsweise die folgende: Der Forscher Major Gurdon, Autor des Buches »The Khasis«, findet eine Gesellschaft vor, die er Matriarchat nennen möchte, in der Männer nicht unterdrückt werden, sondern auch ihre Rollen einnehmen, die sie mit Würde wahrnehmen. Deshalb schreibt er, dass dies kein Matriarchat sei. Ein paar Seiten weiter stellt er fest, dass die Männer dem Reisschnaps huldigen. Daraus schließt er messerscharf, dass die Männer vielleicht doch nicht solche Zukunftsperspektiven haben und vielleicht doch etwas unterdrückt werden. Also ist es ein Matriarchat. Dies offenbart eine Schwammigkeit in der Begriffsbestimmung, sodass sie nicht wissen, wie sie das richtig einordnen sollen. Das liegt unter anderem daran, dass sie von der althergebrachten Vorstellung ausgehen, dass Matriarchate Frauenherrschaften sein müssen und es Männern dort schlecht gehen muss. Diese Vorstellung zieht sich durch die gesamte traditionelle Matriarchatsforschung. Gerade diese Unklarheiten haben den vielen Vorurteilen Vorschub geleistet.

Die praktische Umsetzung der Erkenntnisse, die Dr. Göttner-Abendroth über die Jahre gesammelt hat, werden im vollständigen Artikel vorgestellt. Das Pdf können Sie unten bestellen.

Märchen und Mythen

TV: Viele Märchen und Mythen existieren, in denen der Gang eines Helden in die Unterwelt thematisiert wird. Da kann man an Orpheus, der auch in die Unterwelt geht, und Eurydike denken – ein Bild, das in vielen Kulturen in bestimmten Mythen überliefert wird.

Göttner-Abendroth: Dieses Bild zeigt sich auch in Märchen, in denen der Held in die Unterwelt geschickt wird und dort seine Erfahrungen macht. Infolgedessen wird er weise, denn die Weisheit kommt aus der Tiefe der Unterwelt. Der Held, der dann wiederkehrt, wird rehabilitiert und dann – wie gesagt – auch heiliger König. In anderen Märchen steigt ein weibliches Wesen in die Unterwelt hinab, zum Beispiel bei »Frau Holle«. In diesem Märchen gelangt die Goldmarie durch den Brunnen – als Todessymbol – in die Unterwelt zu Frau Holle. Sie erfährt dort die magischen Künste, die ihr Frau Holle als Göttin schenkt. Als sie wiederkehrt, verfügt sie über dieses magische Wissen und wird die Priesterin der Frau Holle. Es handelt sich also um eine Initiationsreise mit dem Ziel, die Priesterin der Göttin zu werden. Märchen, in denen ein Prinz oder ein junger Mann eine Unterweltsreise antritt, handeln oft davon, dass er hinterher in der Rehabilitation die Erbprinzessin freit und der heilige König an ihrer Seite wird. Die Märchen spiegeln es in der Tat.

TV: Kann man sagen, dass Märchen und Mythen eine gewisse Wahrheit beinhalten und ein ursprüngliches Gesellschaftsmodell oder eine Spiritualität beschreiben?

Göttner-Abendroth: Märchen haben sich bei uns durch die Jahrhunderte, vielleicht sogar durch ein Jahrtausend als mündliche Traditionen erhalten. Sie sind im Grunde verkappte Mythen. Als sie später, in der Romantik, verschriftlicht wurden, wurden sie etwas verzerrt und verniedlicht. Aber man kann anhand der vielen internationalen Varianten von Märchen herausfinden, dass es alte Mythen sind, die genau dieses Muster enthalten.

Diese Ebene des Geistes wird oft als Merkur bezeichnet, denn genau wie Merkur ist dieser Teil des Geistes in ständiger Bewegung, höchst instabil und der Dualität, den Versuchungen und Wünschen unterworfen. Jede Sinneserfahrung durchläuft Manas und wird nach zwei groben Kategorien etikettiert, entweder eine Akzeptanz oder eine Ablehnung der Erfahrung, des Phänomens, der Empfindung, der Person usw., mit der wir interagieren.

Die Bewusstseinsebene, die mit dieser Funktion des kognitiven Instruments verbunden ist, ist die animalische oder instinktive Ebene, wo das Bedürfnis zu versorgen, zu schützen und sich fortzupflanzen der instinktive und unbewusste Impuls ist, den wir im Tierreich leicht erkennen können. Auf der menschlichen Ebene besteht diese Funktion einfach darin, zwei beliebige Aspekte zu vergleichen, einen als Bezugspunkt und den anderen als etwas, das wir kategorisieren wollen. Wir tun dies durch Vergleich, bis der Aspekt oder das Objekt, das wir kennenlernen wollen, mit einer passenden Kategorie oder einem Etikett versehen ist.

Was Manas mit der sensorischen Wahrnehmung unserer Umgebung zu tun hat, erfahren Sie im vollständigen Artikel. Bestellen können Sie am Ende des Beitrags!

Was können wir heute von matriarchalen Gesellschaften lernen?

Göttner-Abendroth: Ich erforschte als Wissenschaftlerin zunächst, was diese Kulturen denken, wie sie sich die Welt vorstellen, welches Bild sie von Frau und Mann haben. Das kann man als Wissenschaftlerin problemlos erforschen, wie es auch ReligionswissenschaftlerInnen überall tun. Sie erforschen die Religion anderer Völker, ohne selbst die Religion anzunehmen. So fing ich an, als Wissenschaftlerin. Doch ich stellte fest, dass matriarchale Kulturen im Grunde auf allen Ebenen sakraler Natur sind. Auch ihre Ökonomie verstehen sie demnach nicht als ökonomisches System, sondern als spirituelles, das Mutter Natur folgt. Mutter Natur gibt allen ihren Kindern gleich, also wäre es für sie ein Sakrileg, wenn man die Güter infolge nicht gleich verteilt. Das ist ein spirituelles Prinzip. Ich stellte immer mehr fest, dass diese Gesellschaften insgesamt auf spirituellen Prinzipien beruhen, in denen Mutter Erde oder die Mutter als prototypisches Wesen unter den Menschen nach dem Prinzip der Egalität gleich verteilt.

Dies beeindruckte mich als Person sehr und inspirierte mich, insbesondere die Mythen, sodass ich im Rahmen der Frauenkulturbewegung begann, spirituelle Formen wiederzubeleben, die ich als matriarchal bezeichne. Wir nennen das die matriarchalen Mysterienfeste.

Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.

Erfahren Sie mehr über matriarchale Gesellschaften – lesen Sie die vollständige Fassung in Tattva Viveka 87.

Der zweite Teil dieses Beitrags ist in Ausgabe Nr. 88 erschienen, die sich dem Matriarchat und der Matriarchatsforschung als Schwerpunktthema widmet. Dort sprechen wir über die politischen Aspekte des Patriarchats, über Herrschaftskritik, den Unterschied zwischen Politik, Wissenschaft und Spiritualität und wie das in einem matriarchalen Paradigma verbunden werden kann.

Beide Teile des Artikel stehen auch als Gesamt-ePaper für 3,00 € (Pdf, 18 Seiten) zum Download zur Verfügung.

Das matriarchale Paradigma (Teil 1-3) (PDF)

 3,00

Dr. Heide Göttner-Abendroth
Am Anfang ist die Mutter
Das matriarchale Paradigma (Teil 1&2)

Die Begründerin der Modernen Matriarchatsforschung, Dr. Heide Göttner-Abendroth, lässt uns an den Erkenntnissen ihrer jahrzehntelangen Forschung über matriarchale Gesellschaften teilhaben. Sie räumt mit Klischees und Vorurteilen gegenüber diesen Gesellschaften auf, die sich durch Egalität, Basisdemokratie und eine tiefe Verehrung für Mutter Erde auszeichnen. Dabei wird die Vielfalt menschlicher Lebensformen deutlich, aber auch wie viel westlich-europäische Gesellschaften von matriarchal geprägten lernen können. Im zweiten Teil des Gesprächs mit der Begründerin der Modernen Matriarchatsforschung Dr. Heide Göttner-Abendroth sprachen wir über unreflektierte Herrschafts- und Hierarchiestrukturen in unserer Gesellschaft, wie das Patriarchat entstanden ist und inwiefern das matriarchale Paradigma mit der Ansicht, dass alles belebt und miteinander verbunden sei, eine revolutionäre und ebenso friedliche Kraft in sich trägt.
 

  

Artikelnummer: TV087e_12 Schlagwörter: ,

 
 

Über die Autorin

Heide Göttner-Abendroth ist Mutter und Großmutter. Sie erwarb ihren Doktortitel an der Universität München, wo sie zehn Jahre Philosophie und Wissenschaftstheorie lehrte. Durch ihre lebenslange Forschungsarbeit und ihr Hauptwerk Das Matriarchat wurde sie zur Begründerin der Modernen Matriarchatsforschung. Sie war Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten (Bremen, Hamburg, Kassel), 1980 Gastprofessorin in Montréal, 1992 Gastprofessorin in Innsbruck. 1986 Gründung und Leitung der »Internationalen Akademie HAGIA für Matriarchatsforschung«. Leitung der drei Weltkongresse für Matriarchatsforschung. Im Jahr 2012 erhielt sie für ihre Forschung einen Award von der »Association of Women & Mythology«. Sie wurde zweimal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

www.goettner-abendroth.de
www.hagia.de

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