Der Weg der Gefühle

Der Weg der Gefühle

Aus dem Kopf, aus dem Herzen oder aus dem Bauch?

Autor: Dr. Martin Spiegel
Kategorie: Psychologie
Ausgabe Nr: 56

 

Denken oder Fühlen? Herz oder Verstand? Fühlen!, heißt die einfache Antwort des Autors, die einfacher klingt, als es für viele Menschen ist. Durch den mentalen Überbau, der den meisten als Kind anerzogen wurde, haben wir fast schon eine zweite Identität entwickelt. Der Autor beschreibt, wie wir wieder in unsere erste authentische Identität gelangen können.

»Wage zu wissen«, ist der Leitspruch alter Philosophen. »Wage zu fühlen« ist eine Leitidee moderner Psychologie – man spricht heute von »emotionaler Intelligenz«. Wir sollen »zurück ins Herz« finden um den Gegensatz zwischen Haupt und Herz zu versöhnen, der den modernen Menschen so krank macht. Ist »Herz« mehr als eine Metapher für »Gefühlsleben«? Steht das »Herz« wirklich höher als der »Kopf« – die Liebe höher als das Wissen oder die Weisheit? So einfach ist es leider nicht.

Die Frage ist nicht nur, ob es einen Gegensatz zwischen Denken und Fühlen gibt, sondern ob man überhaupt einen Unterschied zwischen beiden machen kann; denn einerseits findet die moderne klinische Psychologie die Gefühle angeblich im Kopf, im Gehirn, andererseits ist die Rede vom »Herzdenken« oder der »Intelligenz des Herzens« uralt!
Kann das Herz denken oder wissen, oder ist das nur eine poetische Metapher für Intuition oder ähnliches? In der Geschichte der westlichen oder östlichen Philosophie wird interessanterweise zwischen Denken und Fühlen kein so großer Unterschied gemacht. Wenn in der Zen-Philosophie die Rede von »Makyos«, Halluzinationen, ist, die man durch Meditation überwinden soll, dann sind damit alle Bewusstseinsinhalte gemeint: Denken (in Begriffen oder in Bildern), Fühlen (im Sinne von Gefühlen-Emotionen) und »Impuls-Energien«. Und wenn René Descartes im 17. Jahrhundert sagt: »Ich denke, also bin ich«, denkt er in Wirklichkeit auch das Fühlen, das Gewahrsein, das Merken natürlich mit: »Ich fühle, also bin ich«!

Der Weg der Gefühle

Warum rümpft man traditionell so gern die Nase bei Emotionen, warum sollen sie traditionell bekämpft und durch die Vernunft besiegt werden, schon in der Kindererziehung, um die »Menschwerdung des Tieres« voranzutreiben – und warum bekommen heute schon Politiker und Wirtschaftsmanager Kurse in emotionaler Intelligenz: Wie lerne ich, Gefühle auszudrücken, um erfolgreicher zu sein? Statt zu sagen: »Ich lasse mich nicht von Ihnen über den Tisch ziehen«, lernen wir zu sagen: »Das macht mich aber sehr traurig, was Sie mir da vorschlagen.«
Und warum sind heute auch Neobuddhisten, Philosophen, Anhänger orientalischer spiritueller Praktiken und christliche Asketen, die die Überwindung aller Gefühle als Ego fordern, immer mehr in der Defensive? Was hat es letzten Endes mit Gefühlen auf sich: lästiges, überflüssiges, zu überwindendes belastendes Beiwerk des Lebens auf dem Weg zur inneren Freiheit, Coolness und Gelassenheit? Oder Schlüssel zu einem empfindsamen und liebevollen Umgang mit sich selbst und anderen? Der Gegensatz zwischen Kopf und Herz wird in der Geistesgeschichte der Menschheit seit je bearbeitet. Heute sagt man auch gerne: »Ich handle aus dem Bauch heraus«.

Kopf – Herz – Bauch: die drei Bewusstseinszentren im Menschen
Heute weiß man, dass das Nervengeflecht um den Bauch die Dimensionen eines Zweit- oder gar Ersthirns hat! Wenn Odysseus auf seinen Irrfahrten nicht mehr weiter wusste, befragte er sein »Zwerchfell«, den Sitz des Bauchbewusstseins. Altgriechisch heißt Zwerchfell »Phrên«; »schizein« heißt schneiden, spalten; und schizophren nennen wir heute eine Bewusstseinsspaltung!
Über die »Kopfigkeit« des modernen Menschen wurde und wird viel geschimpft. Die Alternative, die viele suchen, läge nicht im Herzen oder im Becken, sondern in dem Ausstieg aus sämtlichen Bewusstseinsinhalten: Frei sein nicht nur von Gedanken, sondern auch von Gefühlen, Wünschen, Bedürfnissen, Impulsen etc. Ich halte das für eine Fortsetzung der frühkindlichen Tendenz, Gefühlen auszuweichen und Bedürfnisse unter dem Einfluss der Glaubenssätze von Eltern und Pädagogen zu verdrängen.

Entsetzen, Fassungslosigkeit;
Angst;
Zorn, Empörung, Wut, Hass;
Schmerz;
Verzweiflung;
Traurigkeit;
Gram, Bitterkeit …

… das sind alles Gefühle, die Kinder schon ganz früh fühlen und die einfach nur wahr und berechtigt sind. Was daran soll schlecht sein oder weggemacht werden müssen, und warum? Bedeutet die heiß ersehnte innere Freiheit wirklich, keine Gefühle und Bedürfnisse mehr zu spüren? Schon kleine Kinder übernehmen das und versuchen sich danach zu richten. Sind Menschen geborene Buddhisten? Keine Gefühle und Bedürfnisse mehr! Keine Sehnsucht, kein Wunsch – »geht sowieso nicht in Erfüllung« …

Was ist schlecht an Gefühlen und Bedürfnissen? Und was ist der Unterschied zwischen Haupt-, Herz- und Beckenbewusstsein? In Wirklichkeit sind Gefühle und Bedürfnisse, besonders große Gefühle, die Goethe mit »Himmelsglut« verbindet, viel näher am Herzen als noch so große Gedanken: »Gefühl ist alles; / Name ist Schall und Rauch, / Umnebelnd Himmelsglut«. Wollen wir Gefühlsarmut, ›seelische Blutleere‹, oder ein reiches, lebendiges Gefühlsleben? Seelenfülle oder Seelenleere?
Kann man …

Erfüllung-Glück;
Erschüttert-Berührtsein;
Empathie-Liebe;
Mitleid-Erbarmen;
emotionale Sattheit, Beruhigung-Befriedung;
Dankbarkeit;
Angekommensein-Einssein;
Annehmen-Weisheit;
Freude-Jubel;
Triumph etc.

… spüren ohne die anderen Gefühle fühlen zu können?
Welches von den genannten »negativen« oder »positiven« Gefühlen würden Sie jetzt am liebsten spüren? Wir haben allen Anlass, fassungslos und entsetzt zu sein; Angst zu haben; seelischen Schmerz zu spüren; tiefe, lösende Traurigkeit; wahren, berechtigten, heiligen Zorn; Verzweiflung, Gram und Bitterkeit; Erfüllung-Glückseligkeit; Empathie-Liebe; Mitleid-Erbarmen; Beruhigung-Befriedung; Dankbarkeit; Angekommensein-Einssein; Freude-Jubel; Triumph etc. – wenn nicht um unseretwillen, so doch um des Seins von Welt und Menschheit willen. Welches dieser Gefühle hilft Ihnen im Moment am besten weiter? Ganz ehrlich? Welches Gefühl von den oben genannten würde Ihnen im Moment am meisten bringen?

Gibt es schon eine wissenschaftliche Psychologie der Emotion?
Die wissenschaftliche Psychologie behauptet, der Sitz der Gefühle sei das Gehirn – und alle fallen darauf herein. Im Gehirn sind die körperlichen Wirkungen von Seelenzuständen messbar, aber nicht die Seelenzustände selbst. Seelenzustände selbst verändern das Gehirn, wie man heute weiß.
Wenn ich dieses Körperliche durch Reize, Botenstoffe, Drogen etc. verändere, wirke ich damit auf das Seelische zurück. Das heißt aber nicht, dass die Gefühle im Kopf sind. Verehrter Leser, erlauben Sie sich für einen Moment, zu Ihrem Brustraum hinzuspüren. Fühlt Ihr Brustkorb sich im Moment eher geweitet an oder eingeengt? Eher geleert-ausgetrocknet oder gefüllt-voll?

Martin Spiegel

Wir fühlen unsere Gefühle im Brustraum, wenn er nicht aufgrund unserer inneren Reaktionsmechanismen von Kindesbeinen an blockiert ist und die Gefühle verdrängt oder in den Körper, in den Kopfbereich oder in unser Energiesystem (Aura) verlagert werden. Und das Spannendste ist: So wie Gedanken Gefühle hervorrufen können, so bergen Gefühle immer Gedanken in sich; sie sind die Quelle der wahren Intuition.

Es ist nicht nötig, »in den Kopf zu gehen«, um Probleme zu lösen oder Themen zu bearbeiten: Mit Leichtigkeit lässt es sich erlernen, aus dem Brustraum heraus wahrzunehmen, zu hören, zu sehen, zu lauschen, zu denken. Der Brustraum ist die Stelle nicht nur des körperlichen Herzens, sondern auch des seelischen Herzens des Menschen. Deswegen sage ich: Probleme lassen sich nicht durch Nachdenken lösen, sondern nur durch Hinfühlen. […]

Lesen Sie den kompletten Artikel in der TATTVA VIVEKA 56

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Dr. Martin Spiegel
Der Weg der Gefühle

Denken oder Fühlen? Herz oder Verstand? Fühlen!, heißt die einfache Antwort des Autors, die einfacher klingt, als es für viele Menschen ist. Durch den mentalen Überbau,der den meisten als Kind anerzogen wurde, haben wir fast schon eine zweite Identität entwickelt. Der Autor beschreibt, wie wir wieder in unsere erste authentische Identität gelangen können.
 

 

Artikelnummer: TV056e_01

 
 

1 Comment
  • peet
    Gepostet am 23:06h, 08 September Antworten

    Man braucht kein studierter Psychologe oder Philosoph zu sein um das zu verstehen . Viele Menschen haben , zum Glück eine – natürliche , einfache Anlage – mit in die Wiege gelegt bekommen , die das Problem der Verzerrung des menschlichen Geistes auf ” natürliche Weise ” in neue Bahnen schwingen wird . Das Experiment – Mensch – nimmt seinen
    Lauf .

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