18 Apr Der Weg der Mitte
Theologie und Praxis im Islam
Autor: Gönül Yerli
Kategorie: Islam/Sufismus
Ausgabe Nr: 85
Die Religionspädagogin Gönül Yerli spricht mit großer Begeisterung über ihren Glauben und die Religion, der sie angehört, den Islam. Im Gespräch gibt sie einen profunden Einblick sowohl in die theologischen Aspekte des Islam und in aktuelle Fragen beispielsweise zur Stellung der Frau als auch in die praktischen Gesichtspunkte wie Gebet und Fasten. Dabei wird die Ausrichtung des Islam deutlich, der den Menschen unterstützen möchte, Frieden in sich selbst zu finden und diesen in der Welt zu verwirklichen.
Tattva Viveka: Liebe Gönül Yerli, wir sprechen heute über das Thema Islam: Was ist der Islam, welche Bedeutung kommt ihm hier in Deutschland zu und wie können wir als christlich geprägte Deutsche in einen interreligiösen Dialog mit dem Islam treten? Sie sind Religionspädagogin und seit 2005 die Vizedirektorin der Islamischen Gemeinde Penzberg (Bayern). Auf ihrer Homepage heißt es, dass ein wesentlicher Schwerpunkt darin liegt, die Teilhabe der Mitglieder der Gemeinde in der hiesigen Gesellschaft zu unterstützen und zu fördern. Hier spielen die Themen interreligiöser Dialog und gesellschaftliche Teilhabe eine Rolle. Was genau ist euer Bedürfnis und wie gestalten sich dieser Dialog und die gesellschaftliche Teilhabe?
Gönül Yerli: Unsere Gemeinde in Penzberg besteht seit fast 30 Jahren, und ich bin fast so lange selbst dabei. Die anfänglichen Bedürfnisse waren praktischer Natur. Bevor es überhaupt zur religiösen Aufgabenstellung kam, fragte sich die Gemeinde, welche wesentlichen Bedürfnisse der Mensch in einem neuen fremden Land habe. Das waren die Sprache, die sozialen Bedürfnisse und die emotionale Teilhabe.
Dazu kommt die Frage, wie ich meine Religion, die mir mit auf den Weg gegeben und in die ich hineingeboren wurde, auch in Deutschland emotional und spirituell empfinden kann.
Diese Fragestellung beschäftigt uns bis heute.
Einige Umstände in Deutschland verändern die Ausübung der Religion. Bereits das Wetter macht einen Unterschied, und deswegen muss vieles umgedacht und es müssen Kompromisse geschlossen werden. Ich halte es bei Religionen für das Spannendste, dass diese seit jeher flexibel und variabel waren. Man kann sie überallhin mitnehmen. Das finde ich faszinierend, auch für meinen eigenen Lebensweg.
Die religiöse Bedeutung des Kopftuchs
TV: Ich würde in dem Zusammenhang gerne über das Thema Kopftuch sprechen. Sie tragen auch eins. Was ist die Bedeutung des Kopftuchs? Ich sprach bereits mit einigen Musliminnen, aber ich muss gestehen, dass ich bei dem Thema ein wenig schwer von Begriff bin. Mir ist das noch immer unklar.
Yerli: Ich fürchte, es wird mit meiner Antwort nicht besser werden. Vielleicht verwirre ich Sie nur noch mehr. Jede Frau, die ein Kopftuch trägt und die Sie fragen, wird Ihnen wahrscheinlich eine individuelle Antwort geben.
Ich setze das Kopftuch in meiner religiösen Welt nicht an erste Stelle. In meiner Religion oder auch für mich persönlich spielen andere Werte eine größere Rolle. Ich trage das Kopftuch natürlich auch, weil ich Muslima bin. Das Kopftuch als Wort kommt im Koran nicht vor. Es heißt nicht unbedingt, dass man ein Kopftuch tragen soll, sondern es geht um eine Bedeckungsvorschrift in der damaligen Gesellschaft. Männer und Frauen wurden gleichermaßen angesprochen. Bei den Frauen heißt es zusätzlich, dass sie etwas über ihr Haupt schlagen sollen. Bis heute ist nicht ausdiskutiert, was das Haupt der Frau ist. Ob nur das Gesicht dazugehört oder auch die Hände, die ebenfalls bedeckt werden müssen, die Füße, der Kopf, die Haare. So haben wir unterschiedlichste Varianten, wie sich muslimische Frauen heutzutage bedecken. Doch das Kopftuch ist kein Indiz dafür, dass ich eine hundertprozentige Muslima bin. Man kann sich dafür entscheiden, so wie ich es getan habe, es gehört aber nicht zu den Bekenntnissen.
Ich weiß, dass es schwer zu erklären ist, insbesondere wenn man in unserer Gesellschaft in Deutschland oder in einem anderen nicht-muslimisch geprägten Land lebt. Ich würde sagen, dass es ein inneres Bedürfnis ist.
Es erfüllt mich, wenn ich das Kopftuch tragen darf. Ich habe das Gefühl, so meine Religion besser zu erfassen, aber Sie sehen, wie ich mit den Worten ringe.
Vielleicht ist es auch etwas so Intimes, dass man es nicht beschreiben kann.
Wieso sich Gonül Yerli für das Kopftuch entschieden hat, wird in den folgenden Abschnitten weiter erläutert. Unten können Sie bestellen!
Das Ego, der Dschihad und die Barmherzigkeit Gottes
TV: Ich möchte gerne über einige theologische Aspekte des Islam sprechen. Zum Beispiel heißt es in einem Gebet: »Befähige uns, Böses mit Gutem zu erwidern.« Was ist für euch das Böse und wie geht ihr damit um? Stichwörter: Frieden, Barmherzigkeit und Vergebung.
Yerli: Zum größten Teil sind wir Menschen friedliche Wesen, aber in uns schlummert auch etwas Böses. Wenn es um das Menschenbild im Islam geht, wird darauf gesetzt, dass der Mensch die lebenslange Aufgabe hat, dieses Böse in ihm so klein wie möglich zu halten. Wir nennen diesen Zustand – und ich benutze jetzt ein Wort, das leider in den späteren Jahrhunderten völlig von der eigentlichen Intention abgekommen ist – Dschihad.
Dschihad bedeutet, das eigene böse Ego besiegen.
Das ist eine lebenslange Aufgabe, die dem Menschen bleibt.
Muslim bedeutet interessanterweise vom Wortlaut her »der Friedensstifter«. Islam bedeutet in erster Linie Frieden. Primär soll der Mensch mit sich selbst Frieden schließen. Erst dann kann ich Frieden mit Gott schließen, erst dann kann ich Frieden mit den Mitmenschen schließen, erst dann kann ich Frieden mit der Natur schließen, und es geht dann weiter mit dem Kosmos und dem Universum.
Der Auftrag eines Muslims ist es, mit Frieden durch diese Welt zu gehen und den Frieden zunächst bei sich selbst herzustellen.
Dieser friedliche Zustand kann immer wieder Störungen erfahren. Dies kann durch Menschen geschehen, mit denen wir zu tun haben, es kann unsere eigene Einstellung sein, die immer wieder reflektiert werden muss, aber es geht immer darum, diesen Frieden zum größten Teil aufrechtzuerhalten.
Lesen Sie im vollständigen Artikel, welche Handlungen und Rituale den Gläubigen auf dem Weg zum Frieden unterstützen. (Bestellmöglichkeit am Ende des Beitrags!)
Im Islam gibt es auch ein Leben im Paradies bei Gott und die verbotene Frucht. In dem Fall ist es nicht der Apfel, sondern die Paradiesfrucht, wie auch immer sie ausgesehen haben mag. Adam und Eva wird alles im Paradies bereitgestellt, außer dieser Frucht, die sie nicht essen sollen, aber sie können dem nicht widerstehen – und hier trifft die Schuld nicht den einen oder anderen, sondern der Koran berichtet »und beide aßen sie von dieser Frucht«. Beide begingen einen Fehler und um diesen Fehler wiedergutzumachen, fallen Adam und Eva auf die Erde. Auf der Erde haben sie kein unbeschwertes Leben mehr, sondern eines mit Hürden und Hindernissen, aber auch hier kommen wir wieder auf die Barmherzigkeit Gottes zurück. Denn aufgrund der Barmherzigkeit Gottes haben wir den Tod. Gott lässt die Geschöpfe nicht für ewig auf der Erde, sondern er nimmt sie wieder zurück. Das ist die größte Barmherzigkeit, die dem Menschen widerfahren kann: nicht ein Leben lang auf der Erde schuften zu müssen und nicht ein Leben lang diese große Verantwortung zu tragen.
TV: Der Koran verfolgt einen deutlich emanzipierteren Ansatz als das Alte Testament, nach dem Eva aus der Rippe erschaffen wird. Sie wird wie etwas Sekundäres dargestellt und zudem für die ganze Sünde verantwortlich gemacht.
Yerli: Auch hier gibt es in der Theologie neuere Ansätze. Der biblische Bericht beinhaltet zwei Aussagen über die Schöpfung von Adam und Eva. Aber es ist interessant: Auch Muslime glauben daran, dass Eva aus der Rippe Adams erschaffen worden ist. Diese Geschichte hat sich ebenso im muslimischen Kulturraum durchgesetzt, vielleicht weil sie empfänglicher ist, vielleicht weil man ein Interesse daran hatte, die Frau unterzuordnen. Denn es wäre gar nicht denkbar, dass Gott beide gleichzeitig erschaffen hat, weil so die Gleichwertigkeit dieser Geschlechter erkennbar wird. Doch wenn wir den koranischen Bericht darüber lesen, ist dieser eindeutig.
Das Interview führte Ronald Engert.
Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.
Erfahren Sie mehr über das Selbstverständnis einer Muslima und wie diese ihre Religion auffasst.
Lesen Sie die vollständige Fassung in Tattva Viveka 85 oder downloaden Sie diesen Artikel einzeln als ePaper für 2,00 € als ePaper erhältlich (Pdf, 8 Seiten).
Theologie und Praxis im Islam (PDF)
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Gönül Yerli
Der Weg der Mitte
Theologie und Praxis im Islam
Die Religionspädagogin Gönül Yerli spricht mit großer Begeisterung über ihren Glauben und die Religion, der sie angehört, den Islam. Im Gespräch gibt sie einen profunden Einblick sowohl in die theologischen Aspekte des Islam und in aktuelle Fragen beispielsweise zur Stellung der Frau als auch in die praktischen Gesichtspunkte wie Gebet und Fasten. Dabei wird die Ausrichtung des Islam deutlich, der den Menschen unterstützen möchte, Frieden in sich selbst zu finden und diesen in der Welt zu verwirklichen.
Über die Autorin
Gönül Yerli, M. A., Religionspädagogin, verheiratet, 3 Kinder, seit 2005 Vizedirektorin der Islamischen Gemeinde Penzberg und zuständig für das Referat interreligiöser Dialog.
Sie hat den Grund- und Aufbaukurs der katholischen Theologie an der Domschule Würzburg absolviert. Den Masterlehrgang »Interreligiöser Dialog: Begegnung von Juden, Christen und Muslimen« an der Donau-Universität Krems absolvierte sie 2017. Für ihre Masterthesis und für ihr langjähriges interreligiöses Engagement erhielt sie den Manfred Görg-Sonderpreis 2018 für religionsgeschichtliche Forschung und interreligiösen Dialog von den Freunden Abrahams e.V.
Website: https://islam-penzberg.de
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Bericht vom internationalen Friedenskongress 2006 - OS 17: Tilman Haberer – Gott 9.0. Die Integrale Theorie
Bildnachweis: © Adobe Photostock
Henry Nold
Gepostet am 00:20h, 03 FebruarSchöne Worte …. “Penzberg” ist mit der Muslimbruderschaft verbandelt. Etwas Recherche. Was ist die Muslimbrudetschaft, von Katar gesponsort?
PS. Erdogan, die DITIB Mischeen, Milli Görüs …. alle dabei. Klasse, oder?