Die Magie des Fliegenpilzes

Die Magie des Fliegenpilzes

Ein Überblick

Autor: Wolfgang Bauer
Kategorie: Ökologie
Ausgabe Nr: 84

Der Fliegenpilz ist ein treuer Begleiter des Menschen, und sein Einfluss auf die Kulturgeschichte ist unermesslich. Bereits Schamanen und Priester schätzten die bewusstseinserweiternde Wirkung des Pilzes und sahen in ihm einen Weg, sich mit der geistigen Sphäre zu verbinden und mit ihren Wesenheiten zu kommunizieren. Doch auch als Heilmittel, als Paraphernalium bei magischen Experimenten und Unternehmungen, als versteckter Akteur in fantastischen Märchen und Sagen bis hinein in die moderne Literatur übt der Fliegenpilz seit jeher Einfluss auf das irdische Geschehen aus.

In paradoxer Weise steht der Fliegenpilz als Giftpilz einerseits als Symbol für die Gefährlichkeit und Abgründigkeit der Natur, andererseits gilt er als Symbol des Glücks. Er schmückt Kinderzimmer, Wohnungen und Gärten und begleitet Feste im Jahreslauf, erfreut Jubilare und wird gern in der Kunst wie auch in der Werbung als unwiderstehlicher Augenfänger eingesetzt. Auch in der fantastischen Literatur, in Kriminalromanen, Comics und in Filmen hat er eindrückliche Auftritte. In alten Zeiten benutzten Schamanen und Priester den Pilz bei ihren Seelenreisen zu Geistern und Göttern. Das Geheimnis um seine rituelle Verwendung wurde in archaischen Kulturen streng gehütet. Spuren des Gebrauchs finden sich in Legenden, Göttermythen, Sagen und Zaubermärchen und in alchemistischen Werken, in denen über geheimnisvolle Wundermittel wie den heiligen Gral oder den Stein der Weisen spekuliert wurde. Bis heute leistet der Fliegenpilz als Heilmittel Menschen und Tieren gute Dienste. 

Fliegenpilz
Der Waldarzt versorgt seine Patienten mit der heilenden Essenz des Fliegenpilzes. Cover eines Bilderbuchs von Fritz Baumgarten.

Der rote Fliegenpilz (amanita muscaria) gehört zur Familie der Wulstblätterpilze. Nächste Verwandte sind der braune Fliegenpilz (amanita regalis), auch bekannt als Königsfliegenpilz, und der rötlichbraune Pantherpilz (amanita pantherina). Von Pilzsammlern verwechselt werden kann der Fliegenpilz mit dem roten Kaiserling (amanita caesarea), einem Speisepilz der Sonderklasse. Für Leckermäuler ist der Kaiserling der »Kaiser in der Küche«. Verwechslungen gibt es immer wieder zwischen dem Pantherpilz und dem fleischfarbenbraunen Perlpilz (amanita rubescens), einem mäßig guten Speisepilz.

Beim Verzehr, sei er absichtlich oder unabsichtlich, entfaltet der Fliegenpilz eine psychoaktive Wirkung.

Wenn ich in ihre Augen schaue, habe ich den Eindruck, ich schaue in das Leben selbst.

Der Fliegenpilz im Märchen

Illustratoren von Zaubermärchen zeigen in ihren Zeichnungen oft den Fliegenpilz, so als sähen sie in ihm den Verursacher/Auslöser für all die zauberischen Vorgänge im Handlungsstrang. Beispielsweise sind die Blumen, die Rotkäppchen abseits vom Weg pflückt, rot leuchtende Fliegenpilze. Der Wolf schaut nicht mit Gier auf das Rotkäppchen, sondern auf die Fliegenpilze neben ihr. Fliegenpilze wachsen vor und um das Haus der Hexe und geben einen Hinweis darauf, was für »Lebkuchen« die Hexe tatsächlich an die Wände ihres Häuschens zum Trocknen gehängt hat. Anstatt eine Quelle zu malen, zeigt der Maler im Märchen »Brüderchen und Schwesterchen« neben dem Brüderchen einen Fliegenpilz. Ist Fliegenpilzsaft die Quelle, die das Brüderchen in ein Tier verwandelt hat? Neben dem Sarg, in dem Schneewittchen nach dem Konsum eines »giftigen Apfels« im Koma liegt, wachsen ebenso Fliegenpilze wie neben dem Zwerg, der im Märchen »Wasser des Lebens« dem Königssohn den Weg zu dem alles heilenden Zaubertrank weist. Der Märchen- und Mythenforscher Sergius Golowin (1930–2006) ging in seinem 1973 erschienenen Buch »Magie der verbotenen Märchen: Von Hexendrogen und Feenkräutern« ausführlich auf Zusammenhänge zwischen psychoaktiven Pflanzen und Pilzen und dem wundersamen Geschehen in den Zaubermärchen ein.

Er schreibt psychoaktiven Pilzen, Kräutern und Wurzeln die Fähigkeit zu, Menschen, die sich auf sie einlassen, »mit Siebenmeilenstiefeln in unvorstellbare Märchenreiche zu entführen«.

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Das Soma des Rigveda – Ein Fliegenpilzgetränk?

R. Gordon Wasson (1898–1986), der Begründer der Ethnomykologie, beschäftigte sich lange damit, herauszufinden, welches Mittel dem Soma, dem mythischen Rauschtrank der indogermanischen Veden, im 2. Jahrtausend vor Christus zugrunde gelegen haben könnte. Das Soma der Ur-Arier verhalf den Priestern zu Erkenntnis und Zugang zur göttlichen Sphäre, zu Glück und Siegeskraft. Überlieferte Schilderungen lassen darauf schließen, dass ein psychoaktives Gewächs den zentralen Inhaltsstoff für das Soma (wörtlich: Presssaft) lieferte. Aus botanischer, ethnologischer und etymologischer Sicht könnte es sich nach der Darstellung von Wasson um den Fliegenpilz gehandelt haben. In den Jahren 1963 bis 1966 versuchte er, seine These zu belegen, und betrieb eine intensive Forschungsarbeit. Zu diesem Zweck hielt er sich in Ländern des pazifischen Raums auf. In Japan führte er sogar einen Selbstversuch durch. In dem mit der Vedistin Wendy Doniger O’Flaherty 1969 veröffentlichten Buch »Soma: Divine Mushroom of Immortality« gelang ihm eine detektivische Meisterleistung. Die vielen poetischen Metaphern und bildhaften Umschreibungen für das Soma in den Versen wie »die Zunge des Weges«, der »Nabel der Erde«, die »Quelle der Beredsamkeit«, das »einzelne Auge« oder das »Süße spendende Euter« führte er auf ihre jeweiligen botanischen Gegebenheiten am Pilzkörper zurück.

Er kam nach Abwägung aller Gegebenheiten zum Schluss, mit dem Soma des Rigvedas sei der Fliegenpilz gemeint.

Wasson: »Wenn ich richtig liege, dann ist es mir gelungen, den [sic!] Soma in den Kult um einen Baum (Birke, WB) und einen Pilz zu integrieren, der sich von dem Ende Eurasiens bis zum anderen erstreckt und der bis in die Steinzeit zurückreicht.«

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Alice besucht im Wunderland eine sprechende Raupe, die auf einem Pilz mit magischen Eigenschaften sitzt. Zeichnung von Lewis Carroll im ursprünglichen, handgeschriebenen Manuskript aus dem Jahre 1864. Daneben: Dieselbe Szene gezeichnet von John Tenniel, dem Illustrator der Buchausgabe von 1865
Alice besucht im Wunderland eine sprechende Raupe, die auf einem Pilz mit magischen Eigenschaften sitzt. Zeichnung von Lewis Carroll im ursprünglichen, handgeschriebenen Manuskript aus dem Jahre 1864. Daneben: Dieselbe Szene gezeichnet von John Tenniel, dem Illustrator der Buchausgabe von 1865

Nur am Fuß von Fichten, Kiefern, Birken und Pinien wächst im Herbst der Visionen und Allwissen schenkende purpurrote Fliegenpilz. Die Birke ist die Wirtspflanze sowohl des Zunderschwammes, eines Klammerpilzes, der am Stamm wächst, als auch des Fliegenpilzes, der mit den Wurzeln der Birke in mykorrhizaler Verbindung lebt. R. Gordon Wasson sagt, der Zunderschwamm gab den Menschen Feuer für ihre Körper und der Fliegenpilz Feuer für ihre Seelen. Für die Menschen in der Taiga ist die Birke ein wirklicher Baum des Lebens und der Fliegenpilz an ihrem Fuß ein wirklicher, Lebenswasser spendender »Brunnen«. (Ist es Zufall, fragt Edzard Klapp, dass alte Taufbrunnen in Kirchen und Brunnen auf Plätzen oft wie ein Pilz gestaltet sind? Drücken sich hier Erinnerungen an ein verlorenes Wissen aus?)

Der Somatrunk wird in den alten Schriften als metähnlicher Saft geschildert. Die Soziologin Katja Redemann hat in einem Oktober frische, in den Birkenwäldern des Hunsrücks gesammelte Fliegenpilze mithilfe eines Leinentuchs ausgepresst. Der reichlich entstandene Saft war goldgelb und metähnlich. Was dieses Aurum potabile, das wundertätige Trinkgold der Alchemisten, bewirkt? Berichte von Personen, die das Wasser des Lebens gekostet haben, erzählen von Fahrten in andere Welten. Plötzlich bekam man »Märchenaugen«, habe sich eins mit allem um sich gefühlt, habe Einblick in Himmel und Hölle, Vergangenheit und Zukunft gewonnen, habe mit Geistern, Zwergen, Elfen, Wasserfrauen und Aliens geredet und sich in ein Tier verwandeln können.

Für Anregungen und Hinweise danke ich dem Botaniker und Künstler Herman de Vries (Eschenau), dem Privatgelehrten Edzard Klapp (Steinenbronn) und der Antiquarin für Altes Wissen Adelheid Mühlan (Landau-Wollmesheim).

Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.

Erfahren Sie mehr über den Einfluss des Fliegenpilzes auf die Kulturgeschichte.

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Wolfgang Bauer
Die Magie des Fliegenpilzes
Ein Überblick

Der Fliegenpilz ist ein treuer Begleiter des Menschen, und sein Einfluss auf die Kulturgeschichte ist unermesslich. Bereits Schamanen und Priester schätzten die bewusstseinserweiternde Wirkung des Pilzes und sahen in ihm einen Weg, sich mit der geistigen Sphäre zu verbinden und mit ihren Wesenheiten zu kommunizieren. Doch auch als Heilmittel, als Paraphernalium bei magischen Experimenten und Unternehmungen, als versteckter Akteur in fantastischen Märchen und Sagen bis hinein in die moderne Literatur übt der Fliegenpilz seit jeher Einfluss auf das irdische Geschehen aus.
 

 

 
 

Über den Autor

Der Autor Wolfgang Bauer

Wolfgang Bauer, Studium der Psychologie und begleitend der Volkskunde. Tätigkeit als Psychologischer Psychotherapeut in Frankfurt am Main. Herausgeber und (Mit-)Autor vieler Bücher zu den Themen Symbolkunde, Altes Wissen und Volksbotanik, u. a. auch des ins Russische übersetzten »Lexikon der Symbole« (Wiesbaden 1980/2004). Zusammen mit Herman de Vries und Katja Redemann: »Rauschpilze: Märchen – Mythen – Erfahrungen, Nachtschattenverlag, Solothurn 2015. Mit Edzard Klapp: Herausgeber des Buchs von Andrija Puharich: »Der heilige Pilz: Schlüssel zur Pforte der Ewigkeit«, Synergia Verlag Roßdorf 2019. Kurator mehrerer Ausstellungen zur Kulturgeschichte des Fliegenpilzes und Mitarbeiter des virtuellen Fliegenpilzmuseums (www.fliegenpilz-museum.de). Referent bei Tagungen zu den Themenbereichen Traum – Trance – Vision, Heilige Pflanzen und Zauberpilze, Geisterkunde und Schwarze Märchen. YouTube-Interview: »Im Gespräch mit Wolfgang Bauer«.
Webseite: www.amanita-wolfgang-bauer.de

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