31 Mai Experimentelle Parapsychologie
Erklärungsversuche für wissenschaftliche Anomalien
Autor: Prof. Dr. Stefan Schmidt
Kategorie: Psychologie
Ausgabe Nr: 103
Erlebnisse, die sich mit den uns bekannten Erklärungsmodellen nicht belegen lassen, gibt es immer wieder. Sind diese Ereignisse dem Zufall geschuldet oder lassen sich Gesetzmäßigkeiten dafür finden? Wie man dies untersuchen kann, verrät Stefan Schmidt und stellt dazu eine Reihe von Forschungsmethoden vor, die bei parapsychologischen Phänomenen angewendet werden.
Fast jeder Mensch kennt es: Außergewöhnliche Erfahrungen, die sich mit unserem gängigen Weltbild nicht erklären lassen. Ein konkreter Traum ereignet sich ein paar Tage später genau so wie geträumt, eine plötzliche Eingebung lässt uns wissen, wer gleich anruft, und so geschieht es; man spürt Blicke im Rücken, dreht sich um und stellt in der Tat fest, dass man beobachtet wird, oder man spürt plötzlich eine enge und vielleicht auch eine emotionale Verbindung zu einer weit entfernten Person, wobei man später erfährt, dass diese Person in genau diesem Moment ein sehr bedeutsames Erlebnis hatte. Wer dies nicht selbst erlebt hat, kennt sicher jemanden in seiner Umgebung, der oder die Ähnliches erlebt hat. Und immer stellt sich dann die Frage: Ist es ein verblüffender Zufall oder gibt es Psi, eine unsichtbare und unbekannte Kraft oder Verbindung, die für diese Erlebnisse verantwortlich ist? Sicherlich ist vielen Menschen dann diese Idee gekommen: Das müsste man einmal experimentell untersuchen.
Die Experimentelle Parapsychologie macht genau dies. Ihre Wurzeln reichen zurück bis ins Jahr 1882, als die ersten britischen Forscher damit begannen, Berichte von außergewöhnlichen Erfahrungen zu sammeln und systematisch auszuwerten. Die Geschichte der größeren und längeren Experimente in Laboren begann 1927 an der renommierten Duke University im amerikanischen Durham (North Carolina). Dort führte J. B. Rhine mit Würfelmaschinen und Spielkarten Psi-Experimente mit vielen hunderten Versuchspersonen durch. Seither gibt es auf Psi-Experimente spezialisierte Forschungsabteilungen an verschiedenen Universitäten und Einrichtungen in der ganzen Welt. Diese werden dort mal mehr und mal weniger geduldet, aber nichtsdestotrotz hat eine kleine, aber aktive Community von Forschenden mittlerweile eine beeindruckende Menge von Daten zu dieser Frage gesammelt.
Ist es ein verblüffender Zufall oder gibt es Psi, eine unsichtbare und unbekannte Kraft oder Verbindung, die für diese Erlebnisse verantwortlich ist?
Existieren Psi-Effekte?
Die akademische Psi-Forschung ist dabei auch immer in ein kritisches Umfeld eingebunden. Kritische Kolleginnen und Kollegen begutachten die Forschungsergebnisse und versuchen, alternative Erklärungen zu finden. Manchmal finden Kooperationen mit sogenannten SkeptikerInnen statt, welche die Existenz solcher Phänomene vorab bestreiten. Daraufhin werden gemeinsam Labore begutachtet, oder es wird in Zusammenarbeit dasselbe Experiment durchgeführt. Neben einem solchen konstruktiven kritischen Dialog erfährt diese Art der Forschung auch offene Ablehnung und Ausgrenzung. Experimentelle Arbeiten mit positiven Befunden werden von Zeitschriften oft abgelehnt, die Forschenden als naiv und unwissenschaftlich dargestellt. Das Argument lautet meist, dass diese keine echte Forschung sei, sondern eine Pseudowissenschaft. Das Gegenteil ist aber der Fall. Denn Wissenschaftlichkeit definiert sich durch ein systematisches, methodisches Vorgehen, nicht durch das Thema der Forschung. Eine Arbeit jedoch abzuwerten, weil das Thema nicht der eigenen Weltsicht entspricht, ist dagegen keine wissenschaftliche Haltung. Als ich einmal eine Arbeit mit signifikanten Befunden zur Telefontelepathie (man weiß, wer einen anruft) bei einer Zeitschrift einreichte, schrieb der Herausgeber zurück, er müsse die Arbeit leider ablehnen, denn sie sei offensichtlich fehlerhaft, da es dieses Phänomen nicht gäbe. Wenn ich es aber trotzdem in meinen Daten finden würde, müsste ich einen Fehler gemacht haben. Man sieht bei solchen nicht etablierten Fragestellungen, dass der Wissenschaftsbetrieb oft weit mehr weltanschaulich und weniger wissenschaftlich geprägt ist, als man gemeinhin vermutet.
Jetzt stellt sich natürlich die Frage, welche die Ergebnisse dieser experimentellen Forschung sind? Hundert Jahre Laborforschung sollten mit Leichtigkeit ausreichen, um die Frage, ob es Psi gibt oder nicht, zu beantworten. Das ist überraschenderweise nicht der Fall, die Frage ist immer noch nicht eindeutig entschieden und lässt sich am ehesten mit einem eindeutigen Jein beantworten. Warum ist das so? Die experimentelle Laborforschung hat umfangreiche Nachweise erbracht, dass in verschiedenen Experimenten kleine, aber deutliche Abweichungen vom Zufall zu finden sind. Die Daten verhalten sich einerseits definitiv nicht so, wie sie es müssten, wenn es keinerlei parapsychologische Effekte geben würde. Man kann also davon ausgehen, dass es irgendeinen Einfluss gibt. Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht so, dass die Psi-Forschenden solche Effekte durch die Konstellation bestimmter Bedingungen gesichert herbeiführen können. Es ist bei jedem Experiment wieder neu und komplett offen, ob sich dieses Mal Psi-Befunde zeigen oder nicht. Würde man die bisherigen Befunde gut verstehen, müsste dies möglich sein, aber dem ist nicht so. Das ist das bekannte Replikationsproblem der Parapsychologie. Vielleicht lässt sich die momentane Lage am besten so zusammenfassen: Wir machen Experimente, um Belege für die Existenz von Psi zu finden, und stoßen stattdessen auf eine Menge Anomalien in den Daten, die wir nicht recht zu deuten wissen.
Als ich vor 30 Jahren damit begann, parapsychologische Experimente durchzuführen, hatte ich ein klares Ziel vor Augen. Ich werde ein Experiment aufbauen, dass Daten für Psi-Effekte liefert und damit nachweist, dass das bestehende physikalische Weltbild unvollständig ist. Sobald entsprechende empirische Daten vorliegen – so meine naive Idee – wird sich dadurch der Diskurs in der Wissenschaft zu diesem Themenbereich maßgeblich verändern. Es hat einige Jahre und viele experimentelle Arbeit benötigt, bis ich etwas sehr Wichtiges verstanden hatte: Daten allein reichen nicht! Die Idee, dass aufgrund von experimentellen Daten die Modelle angepasst werden, wie ich das in der Wissenschaftstheorie gelernt hatte, stimmt so nicht. Es braucht nicht nur Daten, sondern auch alternative Modelle und Theorien, die diese erklären können und sich bestenfalls sogar in das bestehende Theoriekonzept der Mainstreamforschung integrieren. Daher ist die Arbeit an theoretischen Modellen zur Erklärung der empirischen Daten ebenso wichtig wie die experimentellen Arbeiten selbst. Ich selbst orientiere mich dabei am Modell der Generalized Entanglement Theory (GET), das ich für einen vielversprechenden Kandidaten halte.
Eine Arbeit jedoch abzuwerten, weil das Thema nicht der eigenen Weltsicht entspricht, ist dagegen keine wissenschaftliche Haltung.
Wie sehen nun die gängigen Experimente in der Parapsychologie aus? Hier hat sich im Verlauf der Jahre gezeigt, dass es nicht einfach ist, ein gutes Experiment zu konstruieren. Der Schlüssel zu einem gelungenen Experimentalaufbau liegt darin, dass alle Möglichkeiten einer konventionellen Informationsübertragung ausgeschlossen werden können – erst dann rückt die Psi-Hypothese in den Fokus. Daher ist es eine der Hauptaufgaben, die Experimentalidee und den entsprechenden Experimentalaufbau absolut wasserdicht zu machen. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Wir wollen untersuchen, ob Gedanken per Telepathie von einer Person zu einer anderen übertragen werden können. Wir zeigen der Person A ein bestimmtes Bild und bitten dann Person B, zu beschreiben (oder auch zu zeichnen), was ihr »übertragen« wurde. Wenn das Ergebnis stimmt, muss man sich sorgfältig überlegen, wie dieser Befund auf konventionellen Kommunikationskanälen zustande gekommen sein könnte. Haben die beiden sich eventuell abgesprochen? Gab es Kommunikation per Smartphone? Oder auch per Klopfzeichen innerhalb des Gebäudes? Haben die beiden vorab mögliche Bilder und Ideen ausgetauscht? Oder kennt Person B eventuell Person A so gut, dass ihr von vornherein klar ist, an was sie als Erstes denken wird? Sind eventuell generische Symbole und Bilder benutzt worden, die häufig genannt werden? Bei Farbe Rot, bei Musikinstrument Geige, bei Werkzeug Hammer? Wenn Person A anwesend ist, während Person B zeichnet oder antwortet, kann Person A zum Beispiel bewusst oder unbewusst signalisieren, ob Person B auf dem richtigen Weg ist und so weiter. Letztendlich müssen alle möglichen Betrugsversuche und alle möglichen Tricks ausgeschlossen werden. Wer öfters einer Mentalistin oder einem Zauberer zuschaut, bekommt eine erste Idee von der Vielzahl der Möglichkeiten, die es zu berücksichtigen gilt. Es gab daher bereits Kooperationen von ParapsychologInnen mit professionellen Zauberern, bei denen gemeinsam der entsprechende Laboraufbau auf Manipulationsmöglichkeiten überprüft und dann entsprechend angepasst wurde.
Es gibt allerdings eine experimentelle Ausnahme, bei der die Kontrollen vergleichsweise einfach sind. Das sind Präkognitionsexperimente, bei denen das zu erratende Ziel (zum Beispiel die Zahl auf einem Würfel) erst nach der Abgabe der Vorhersage ermittelt wird. Also die Versuchsperson sagt voraus, dass der Würfel zum Beispiel auf eine Fünf fällt, und erst im Anschluss wird gewürfelt. Auch hier gibt es vereinzelte Manipulationsmöglichkeiten, aber diese sind weit geringer und weniger aufwändig zu unterbinden als bei Experimenten, die nicht auf Präkognition zurückgreifen.
Parapsychologische Standardexperimente
Aufgrund dieser Schwierigkeiten, ein gutes Experiment an den Start zu bringen, haben sich in der parapsychologischen Forschung seit den 1970er Jahren einige Standardexperimente entwickelt, die seither mit mehr oder weniger derselben Methode immer wieder genutzt werden. Einige der am häufigsten durchgeführten sollen hier kurz benannt werden:
So wird Psychokinese (PK), also die Frage, ob man kraft mentaler Anstrengungen oder Intentionen Veränderungen in der materiellen Welt bewegen kann, meist über die Beeinflussung von Zufallsgeneratoren untersucht, die einen quantenmechanischen und damit echten Zufallsprozess abbilden. Den Versuchspersonen wird dabei meist eine Zufallsfolge aus einem solchen Zufallsgenerator visuell oder akustisch dargeboten. Zum Beispiel geht die Tonhöhe bei einer »1« nach oben und bei einer »0« nach unten. Die Versuchsperson bekommt nun die Aufgabe, den Ton nach oben oder unten »abzulenken«, also den Zufallsgenerator so zu beeinflussen, dass er überzufällig mehr Einsen oder überzufällig mehr Nullen produziert.
Telepathie wird häufig über das sogenannte Ganzfeld-Experiment untersucht. Hier kommen zwei Versuchspersonen in das Labor. Die eine Person (»EmpfängerIn«) wird dabei in einen speziellen Bewusstseinszustand versetzt, das sogenannte Ganzfeld. Sie hört über Kopfhörer ein Rauschen und bekommt auf die Augen via einer Spezialbrille (oft werden auch halbierte Tischtennisbälle verwendet) ein homogenes farbiges (meist rotes) Lichtsignal, in dem keinerlei Strukturen zu erkennen sind. Diese spezielle Art der Stimulation, durch die man zwar etwas sieht und hört, man aber keinerlei Geräusche oder Objekte erkennen kann, führt dazu, dass die Versuchspersonen Bilder und Geräusche aus ihrer Innenwelt wahrnehmen. Die Annahme ist, dass in diesem Material eventuell auch telepathische Informationen vorhanden sind, die ansonsten von stärkeren Signalen aus der Umwelt überdeckt werden. Während sich nun die eine Person in dieser Ganzfeldstimulation befindet, sieht die zweite Person (»SenderIn«) über einen gewissen Zeitraum ein Bild oder Video, oftmals mit einem starken emotionalen Gehalt. Sie hat dabei die Aufgabe, diese Information gedanklich an die EmpfängerIn zu schicken. Nach Abschluss dieser Phase werden der EmpfängerIn vier Bilder oder Videos gezeigt, eines ist das Zielbild (target), das die SenderIn gesehen hat, die drei anderen nicht. Die EmpfängerIn muss nun das korrekte Bild bestimmen. Die Zufallswahrscheinlichkeit liegt hierfür bei 25 % (eine aus vier).
Für Fragestellungen zu Fernbeeinflussung oder Fernheilung hat sich das sogenannte DMILS-Paradigma etabliert. Diese Abkürzung steht für Direct Mental Interaction in Living System. Auch bei einem DMILS-Experiment kommen zwei Versuchspersonen in das Labor und werden getrennt. Bei der einen Person wird kontinuierlich eine physiologische Variable gemessen, zum Beispiel die Elektrodermale Hautleitfähigkeit (EDA). Dieses Signal wird der anderen Person auf einem Monitor gezeigt, gepaart mit der Aufforderung diese Person nun aus der Entfernung entweder zu aktivieren (mehr EDA-Aktivität) oder zu beruhigen (weniger EDA-Aktivität). Zur Auswertung werden dann die EDA-Daten aus den Abschnitten, bei denen aus der Ferne aktiviert wurde, mit denjenigen verglichen, bei denen aus der Ferne beruhigt wurde. Findet sich hier ein bedeutsamer Unterschied, dann weist dies – gute Kontrollen vorausgesetzt – auf eine außergewöhnliche und nicht erklärbare Kommunikation zwischen den beiden Personen hin.
Zwei weitere interessante Paradigmen untersuchen, ob es Versuchspersonen gelingt, über Informationen zu zukünftigen Ereignissen zu verfügen. Das eine Paradigma untersucht dies auf einer unbewussten und physiologischen Ebene, das andere in einem bewussten kognitiven Modell. Bei den sogenannten Presentiment-Studien werden Versuchspersonen verschiedene Bilder gezeigt. Parallel wird die elektrodermale Aktivität gemessen. Diese stellt einen Indikator des sympathischen Nervensystems dar und kann sogenannte Orientierungsreaktionen bei gefährlichen oder bedrohlichen Stimuli abbilden. Werden den Versuchspersonen harmlose und schöne Bilder gezeigt, findet keine solche Orientierungsreaktion in der EDA statt, sind die Bilder dagegen bedrohlich oder erregend, dann folgt kurz nach der Präsentation des Bildes ein deutlicher Ausschlag in der EDA-Kurve. So weit so normal. Im Presentiment-Experiment wird nun untersucht, ob sich eventuell schon ganz kurz vor der Präsentation eines bedrohlichen oder erregenden Bildes ein Ausschlag in der EDA findet. Also gibt es so etwas wie eine Vorahnung, dass gleich etwas passiert, und bildet sich eine solche Vorahnung eventuell in einem physiologischen Signal ab? Aus evolutionärer Perspektive wäre eine solche Eigenschaft sinnvoll.
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Schwerpunkt: Parapsychologie
Erschienen: Juni 2025
Dr. Dr. Walter von Lucadou – Parapsychologie: Ein Beitrag zur Bewusstseinsforschung • Prof. dr. Stefan Schmidt – Experimentelle Parapsychologie • Birgit Feliz Carrasco – Hellfühligkeit • Dr. Gerhard Mayer – Magick in der Praxis • Dr. Marc Wittmann – Wenn die zeit verrükt spielt • Astrid Gutowski – Widerstandskraft in herausfordernden Zeiten • Hajo Michels – Scheinheilig: Entlarve die Schattenseiten der Spiritualität • Armin Denner – Die Großen Tarot Arkana • Dr. Rüdiger Sünner – Orte, die zur Seele sprechen • Kevin Johann – Soma • Sophie Baroness von Wellendorff – Wenn Licht und Dunkelheit tanzen • Buchbesprechungen • u.v.m.
Zum Autor
Prof. Dr. Stefan Schmidt studierte Psychologie und promovierte 2002 über ein parapsychologisches Experiment. Seit 2018 ist er Professor für Systemische Familientherapie an der Uniklinik Freiburg, vorher hatte er Professuren in Utrecht und Frankfurt (Oder). Seine Forschungsschwerpunkte sind Achtsamkeit und Meditationsforschung, Parapsychologie, Placeboforschung sowie Systemische Therapie.
Webseite: prof-stefan-schmidt.info
Buch:
Experimentelle Parapsychologie: Eine Einführung
159 Seiten
ISBN-10 : 3956500792
Preis: 24,00€
Ergon Verlag, 2014
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