Vom Unterschied, eine Frau zu sein

 

Autor: Hella Suderow
Kategorie: Mann/Frau
Ausgabe Nr: 63

 

Die moderne Gender-Forschung geht davon aus, dass das Geschlecht nur eine sozial konditionierte Rolle ist. Sie möchte die Frau von ihrem vermeintlichen Nachteil, eine Frau zu sein, befreien. Die Autorin ist jedoch glücklich, dass sie eine Frau ist, und möchte vielmehr andere Frauen dazu ermutigen, ihre Weiblichkeit zu leben. Dazu muss aber die Opferhaltung aufgegeben werden.

 

Der liebe Gott erschuf das Weib – oder war es die große Göttin? Egal, denn in den himmlischen Sphären gibt es ja eh nur androgyne Wesen! Aber hier auf der Erde dürfen Frauen in weiblichen Körpern Erfahrungen sammeln, geboren in der heutigen Zeit und in einer Gesellschaft wie der unsrigen – ein, wie ich finde, durchaus glücklicher Umstand! Wäre da nicht die Genderforschung, die davon ausgeht, dass es keinen Unterschied zwischen Frau und Mann gäbe und dieser lediglich kulturell bedingt sei.

Das Wort Gender bedeutet frei übersetzt: »soziales Geschlecht« – unser biologisches Geschlecht heißt Sex. Gender versteht unser biologisches Geschlecht nicht als naturgegeben, sondern überwiegend gesellschaftlich geprägt, und hinterfragt diese gesellschaftlichen Vorstellungen vom natürlichen Wesen der Geschlechter. Glauben wir den Genderforschern, dann sind wir Frauen nicht eine Idee der großen Göttin, sondern dem Manne gleich oder wir könnten gleich sein, wenn die Gesellschaft uns nur ließe.

 

Da wo Gender die Vorstellung eines natürlichen Wesens des Weiblichen hinterfragt und meint, uns vom vermeintlichen Nachteil, eine Frau zu sein, befreien zu müssen, plädiere ich daher dafür, uns klar zu positionieren und zu polarisieren.

 

Was jedoch, wenn ich dem Manne gar nicht gleichen möchte, weil ich das Spiel des Weiblich-Männlichen erheblich vermissen würde? Gender hin, Gender her, wir brauchen die Dualität hier auf Erden, die Entwicklung überhaupt erst ermöglicht. Ich muss doch nicht die Nacht zum Tage machen, um meinen inneren Frieden zu finden!
Und was, wenn es für ein ausgewogenes Spiel der Kräfte hier auf unserem Planeten dringend einer gelebten Weiblichkeit bedürfte?

Da lobe ich mir die seit Jahrtausenden bestehende tantrische Lehre, die zwar auch besagt, dass Frau und Mann sich gleichen, da beide sowohl weibliche wie männliche Attribute in sich tragen. Sie wirken jedoch als einander entgegengesetzte Kräfte und ergänzen sich auf wunderbare Weise!

C.G. Jungs Lehre beschreibt es ähnlich: Anima und Animus als die zwei wichtigsten im kollektiven Unbewussten angelegten Urbilder. Die Frau besitzt ein männliches Urbild, ihren inneren Mann (Animus), abgrenzend zu ihrer äußeren, weiblichen Persönlichkeit – und natürlich umgekehrt beim Mann.

Wie ergänzen sich nun laut tantrischer Lehre diese einander entgegengesetzt wirkenden Kräfte? Die Frau trägt einen essenziell empfangenden Pol, ihre Vagina und einen ausgleichenden inneren, dynamischen Pol auf der Ebene des Herzens in sich. Umgekehrt trägt der Mann einen essenziell dynamischen Pol auf der Ebene des Penis und einen inneren, empfangenden Pol im Herzbereich in sich.

Schauen wir uns diese unterschiedlichen Pole noch einmal genauer an: In den Genitalien zeigt sich physiologisch ein großer Unterschied. Die Vagina ist ein empfangendes Organ, das den Penis aufnimmt und in der Lage ist, den männlichen Samen und somit ein Kind zu empfangen. Der Penis des Mannes ist ein dynamisches Organ, das sich kraftvoll und zielorientiert zeigt. Der Mann ist für Sex meist schneller bereit als die Frau. Um sich in der Tiefe wirklich öffnen zu können, braucht sie Zeit.

 

Vom Unterschied, eine Frau zu sein

 

Auf der Ebene des Herzens ist besagter Unterschied nicht ganz so offensichtlich, bei genauerem Betrachten jedoch durchaus nachvollziehbar. Hier ist die Frau in ihrer dynamischen Kraft, und der Mann ist in seiner empfangenden Kraft. Sozialisation hin oder her: Wir Frauen sind oft einfach schneller im Ausdruck unserer Gefühle und die Männer davon leicht überfordert. Hier braucht er Zeit, um sich in seiner Tiefe wirklich öffnen zu können. Wenn wir uns in unserer Sexualität in unsere Körper hinein entspannen, uns auf unsere unterschiedliche Polarität wirklich einlassen und einander Zeit geben, entsteht ein wundervoll nährender Energiekreislauf, der der Begegnung zwischen Frau und Mann eine spirituelle und zutiefst nährende Dimension schenkt. Hierfür braucht es für mich als Frau jedoch ein vollständiges Bejahen meiner weiblichen, meiner empfangenden Kraft.

Da wo Gender die Vorstellung eines natürlichen Wesens des Weiblichen hinterfragt und meint, uns vom vermeintlichen Nachteil, eine Frau zu sein, befreien zu müssen, plädiere ich daher dafür, uns klar zu positionieren und zu polarisieren. Erst durch eine vollständige Akzeptanz meiner weiblichen Identität kann ich als Frau auf einer heilsamen, nährenden Ebene dem männlichen Prinzip begegnen: auf der äußeren Ebene einem Mann, auf der inneren Ebene meinem inneren Mann und dadurch aus der dynamischen Kraft meines Herzens in der Welt leben und wirken.
Es ist an der Zeit, dass wir Frauen uns endgültig aus einer Opferrolle befreien, mit der wir uns immer noch gerne identifizieren. Auf diese Weise entlassen wir den Mann auch endlich aus seiner Täterrolle, was die Beziehung zwischen Mann und Frau meines Erachtens erheblich entspannen würde. Möge für uns Frauen angesichts der Jahrhunderte währenden kollektiven Erfahrung von Abhängigkeit, Unterdrückung und Abwertung des Weiblichen die Angst, uns unserer empfänglichen Seite zuzuwenden, auch noch so verständlich sein, hindert sie uns zugleich daran, die so dringend benötigten weiblichen Attribute für einen echten Frieden zwischen den Geschlechtern und einer Harmonisierung der Kräfte auf unserem Planeten zu initiieren. Um den Schmerz über die Verletzungen unserer weiblichen Seite nicht fühlen und anerkennen zu müssen, manipulieren und kontrollieren wir fleißig weiter, statt das Risiko einzugehen, ganz Frau zu sein. Solange wir hier unbewusst Opfer unserer Ängste und Schmerzen bleiben, können wir keine Kontrolle abgeben, uns entspannen und hingeben – der empfangende Pol kann sich in seiner Tiefe nicht wirklich öffnen. Könnte die unbewusste Sehnsucht nach echter Hingabe eine Erklärung dafür sein, warum sich »Fifty Shades of Grey« trotz literarischem Griff ins Klo zu einem solchen Bestseller entwickeln konnte?

 

Um den Schmerz über die Verletzungen unserer weiblichen Seite nicht fühlen und anerkennen zu müssen, manipulieren und kontrollieren wir fleißig weiter, statt das Risiko einzugehen, ganz Frau zu sein.

 

Echte Hingabe hat jedoch nichts mit Unterwerfung zu tun – Sado-Maso-Praktiken können unser Sehnen auf Dauer nicht stillen oder gar zur Erfüllung bringen.
Unsere Gesellschaft braucht Frauen, die durch eine befreite Weiblichkeit ein Mehr an Fürsorge, Kooperation und Liebe etablieren, damit sich unsere Kultur ausbalancieren und weiter entwickeln kann. Eine Kultur, die durch rationales Denken, Konkurrenzgebaren und Profitoptimierung unsere Erde hauptsächlich ausbeutet. Für ein friedliches Miteinander zwischen den Geschlechtern, welches das Fundament für einen wirklichen Frieden in der Welt bilden würde – und für Mutter Erde, die ein trauriges Abbild dieser lange währenden unterdrückten Weiblichkeit darstellt. Es ist an der Zeit, dass wir Frauen unsere Liebe für eine friedlichere Welt einsetzen, statt unsere Zeit aus einer scheinbar befreiten Haltung heraus für emanzipierte Ampelweibchen oder gendergerechte Spielplätze zu vergeuden!

 

Zur Autorin
Die Dipl. Psych. Hella Suderow leitet mit ihrem Mann seit vielen Jahren in Deutschland die Making Love Seminare nach Diana Richardson, in denen sie mit den teilnehmenden Paaren den bindungsbasierten Ansatz von Slow Sex und der Achtsamkeit & Bewusstheit in Partnerschaft erforschen.

Aktuelle Termine unter www.paarweise.info

Die nächsten Retreats finden vom 9.8.-16.8.2015 bei Oldenburg und 23.8.-30.8.2015 bei Wismar statt.

 

 
Die Frauenseite bei Tattva Viveka