Göttinnen im Tantra

Göttinnen im Tantra

Die zehn göttlichen Erkenntniswege der Dasha Maha Vidyas (Teil 1)

Autor: Stefanie Aue
Kategorie: Veden/Yoga
Ausgabe Nr: 94

Tantra ist unter anderem für die besondere Verehrung des weiblichen Teils Gottes bekannt, »Maha Shakti« in Sanskrit. Auf dem Weg zum höchsten Absoluten wählt der Tantra-Praktizierende eine der zehn Facetten Maha Shaktis, um seinem Ziel, der Erleuchtung, auf die von ihm bevorzugte Weise näherzukommen. Jede dieser zehn Facetten oder »Dasha Maha Vidyas« verbindet die Manifestation mit dem allerhöchsten Göttlichen und stellt daher die Möglichkeit dar, ein einzigartiger Erkenntnisweg für den Praktizierenden zu werden. Dieser erste Teil des Artikels widmet sich den ersten fünf der Dasha Maha Vidyas und dem Potenzial, das in ihnen verborgen liegt.

Der hinduistische Tantrismus spricht von »Shiva« und »Maha Shakti« als dem männlichen und weiblichen Prinzip des Universums.

Das Shiva-Prinzip stellt dabei den mit dem Bewusstsein in Verbindung stehenden Teil des Absoluten dar, während Maha Shakti die sich als Energie äußernde Kraft ist, die die gesamte Manifestation durchdringt. Sie ist der Heilige Geist, der die Trinität mit Vater und Sohn komplettiert. Maha Shakti hat gemäß der tantrischen Tradition wiederum zehn spezifische Aspekte, die bestimmte Aufgaben der göttlichen Mutter übernehmen. Jeder dieser zehn Aspekte spiegelt sich in jedem Detail der Schöpfung, in jedem Baum, in jedem Blatt und in jeder Zelle wider. Gleichzeitig hat jeder dieser zehn Aspekte auch seinen Anteil an der Resorption der Schöpfung. Anders gesagt, äußert sich die göttliche Mutter in zehn verschiedenen Hypostasen, die im Tantra in der personifizierten Form von zehn unterschiedlichen Göttinnen verehrt werden kann. Um jede einzelne dieser zehn Göttinnen, die in Sanskrit auch »Dasha Maha Vidyas«, die zehn großen Erkenntniswege oder die zehn Großen Makrokosmischen Kräfte genannt werden, kennenzulernen und mit ihnen in Einklang zu treten, führt der Tantra-Praktizierende Meditationen, Rituale und Übungen der Aufmerksamkeit und Transfiguration aus, um sich so der ausgewählten Göttin zu nähern und ihre Gnade zu empfangen. Im Gegenzug verhilft die Göttin dem Praktizierenden zu mehr und mehr Selbsterkenntnis. Zunächst nimmt der Praktizierende dabei die entsprechende Göttin im vermeintlich Äußeren wahr, um sie dann durch Identifikation, »Samyama« in Sanskrit, mit ihr im eigenen inneren Wesen zu erleben.

Kali, die Große Makrokosmische Kraft der Zeit und Transformation
Kali, die Große Makrokosmische Kraft der Zeit und Transformation

Damit diese Identifikation auf leichte Weise gelingt, ist es hilfreich, eine genaue Vorstellung von jener Großen Makrokosmischen Kraft zu haben, mit der wir in Einklang treten möchten. Auf diese Weise fällt uns der Bezug zur göttlichen Mutter leichter. Jede einzelne der Göttinnen aus dem »Dasha Maha Vidya«-Kanon personifiziert daher, was für uns sonst ohne ihre bildlichen Darstellungen abstrakte Wirklichkeit bliebe. Auf diese Weise fällt es dem Praktizierenden leichter, mit höheren spirituellen Wahrheiten in Berührung zu kommen und eine persönliche Beziehung zur jeweiligen Göttin aufzubauen, sodass er ihre kosmische Wahrheit direkt in sich selbst erfahren kann. Die spirituelle Praxis mit den zehn Großen Makrokosmischen Kräften ist daher weniger eine äußere Anbetung, sondern vielmehr eine innere Verehrung in Form von Meditation, Identifikation und Hingabe.

Aus dieser Tradition heraus wird auch verständlich, warum Tantra oft mit der Verehrung der göttlichen Mutter, des weiblichen Aspekts der Gottheit, assoziiert wird: Tantra bejaht die Manifestation, die aus der Energie, Shakti, entspringt und auf diese Weise täglich von uns erfahren werden kann. Gleichzeitig erkennt es dennoch auch den gleichbedeutenden männlichen Teil des Universums, Shiva, an.

Tatsächlich unterstützen sich das männliche und weibliche Prinzip gegenseitig und sie können zusammen verehrt werden.

Gemeinsam entspringen Shiva und Maha Shakti der allerhöchsten und absoluten Realität Gottes.

Da Maha Shakti sowohl mit dem Allerhöchsten als auch mit der Manifestation verbunden ist, kann sie den Tantriker auf seinem Erkenntnisweg von der konkreten materiellen Welt bis zum reinen Bewusstsein leiten.

Genauso wie Maha Shakti mit dem Grob-, aber auch mit dem Feinstofflichen verbunden ist, sind es auch ihre zehn göttlichen Aspekte, die Dasha Maha Vidyas. Jede einzelne von ihnen führt den Praktizierenden, der sich an sie wendet, auf direktem Weg zurück zur Quelle der Existenz, zu Gott selbst.

Tara verkörpert das Mitgefühl und die göttliche Gnade
Tara verkörpert das Mitgefühl und die göttliche Gnade

Die zehn Großen Makrokosmischen Kräfte lassen sich in wohlwollende und schreckliche Göttinnen einteilen, denn einige dieser Großen Makrokosmischen Kräfte sind nicht nur inspirierend, sondern auch ziemlich Furcht einflößend, und es bedarf einer gehörigen Portion Mut, ihnen gegenüberzutreten. Darüber hinaus sind ihre symbolischen Erscheinungsformen nicht zwingend dazu gedacht, uns Vergnügen zu bereiten, sondern eher dazu, uns herauszufordern und unseren Geist wachzurütteln. So können sie beispielsweise unsere Gedankenprozesse neutralisieren und uns von den Mustern unseres Verstandes befreien. Aufgrund dieses immensen Einflusses auf unser Wesen ist es wichtig, nicht nur oberflächlich an die zehn Großen Makrokosmischen Kräfte heranzutreten, sondern uns inständig der göttlichen Mutter hinzugeben, um in den vollen Genuss ihrer Gnade zu kommen, um dann mit der Transformation unseres Wesens von ihr gesegnet zu werden.

Der Artikel wird in zwei Teilen veröffentlicht. Der zweite folgt in Tattva Viveka 95.
Der Artikel ist unter Mitarbeit von Chloe Hünefeld entstanden.

Einen praktischen Zugang zu den Dasha Maha Vidyas bieten die Yoga- und Tantrakurse der Deutschen Akademie für traditionelles Yoga. Mehr dazu unter: traditionelles-yoga.de

Dies ist nur der Anfang des Artikels.

Alle Einzelheiten zu den ersten fünf der Dasha Maha Vidyas kannst du im vollständigen Artikel entdecken, der in Tattva Viveka 94 erschienen ist.

Tattva Viveka 94

Tattva Viveka Nr. 94

Inhalt der Ausgabe

Schwerpunkt: Göttinnen
Erschienen: März 2023

Stefanie Aue • Göttinnen im Tantra. Die zehn göttlichen Erkenntniswege der Dasha Maya Vidyas (Teil 1) • Vanessa Chakour • Die wilde Göttin in uns. Für den Schutz und das Entfachen des Lebens • Sophie Maria Anna Elisabeth Baroness von Wellendorff • Göttinnen im Rhythmus des Jahreskreises zelebrieren. Die spirituelle Tradition der Germanen und Kelten • Ronald Engert • Radha, die indische Göttin der Liebe. Leitbild für eine zukünftige spirituelle Gesellschaft • Prof. Dr. Peter Schäfer • Bilder der Weiblichkeit Gottes in der frühen Kabbala. Tochter, Schwester, Braut und Mutter • Deike Alexa Behringer • »Ganz normale Frauen mit Göttinnen-Power«. Orakelkarten, die uns an unsere innewohnenden Kräfte erinnern • Dipl.-Germ. Petra Baumgart • Germanische Göttinnen und die quantenphilosophische Schau. Ein anderer Blick auf die Welt • Eva-Maria Zander und Nora Hansing • Erwecke die Essenz der Weiblichkeit in dir. Ein weibliches Mehrgenerationengespräch •
Dieter Halbach • Demokratische Kultur. Ein Arbeitsfeld für Mehr Demokratie • Dr. Franz Alt • Wir brauchen eine neue Kultur des Friedens. Plädoyer für eine erneute Abrüstung • Walter Benjamin • Über die Sprache des Menschen und Sprache überhaupt. Das Wesen der Sprache • u.v.m.

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Über die Autorin

Unsere Redakteurin Stefanie Aue

Stefanie Aue ist Redakteurin der Tattva Viveka und freie Journalistin. Als Sozial- und Medienwissenschaftlerin sowie Yogalehrerin und Tantra-für-Frauen-Gruppenleiterin gilt ihr Interesse gesellschaftlichen und individuellen Transformationsprozessen.

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