19 Jun Hochsensibilität in Zeiten des Bewusstseinswandels
Über einen Fluch und eine Gabe
Autor: Marina Stachowiak
Kategorie: Psychologie
Ausgabe Nr: 75
In einer Welt zu funktionieren, die eine permanente Überreizung darstellt, ist die Herausforderung für hochsensible Menschen. Dabei handelt es sich nicht um eine psychische Störung, sondern um ein ausgeprägtes Nervensystem und Reize, die nicht gefiltert werden. Der Segen ist eine komplexere Wahrnehmung, die zu seherischen Fähigkeiten führen kann. Der Fluch: Wie umgehen damit in einer lärmenden Welt?
Ich passe nicht in die Welt
Dieser Mustersatz hat mich den größten Teil meines Lebens begleitet. Ich wollte so wie die anderen sein, wollte gesehen und ernst genommen werden sowie teilhaben an der Gemeinschaft mit anderen. Aber ich trug eine Tarnkappe, wurde übersehen oder geriet in ungerechte oder gewaltsame Zusammenhänge, in denen ich ausgebeutet wurde. Ich interessierte mich für ganz andere Dinge als die Menschen, mit denen ich lebte oder zusammen war. Meine Interessensgebiete waren vielgestaltig und ich war immer irgendwie schöpferisch tätig. Ich wollte wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält, aber das interessierte die meisten anderen überhaupt nicht. So verbarg ich mein Innerstes und tat so, als könnte mich nichts erschüttern. Ich legte mir eine zweite Haut um, die anderen meine vermeintliche Schwäche verbarg und mich gleichzeitig vor den anderen schützte. Die vorwurfsvollen Sätze, die ich als Kind gehört hatte, sagte ich mir nun selber: Stell dich nicht so an. Übe dich in Geduld. Sei doch nicht gleich so empfindlich. Nun nimm dich aber mal zusammen. Im Frühjahr 2014 entdeckte ich, dass ich hochsensibel bin und damit zu den 15–20 % derjenigen gehöre, die weitaus mehr Reize aufnehmen und verarbeiten müssen als normalsensible Menschen.
Zu allen Zeiten hat es hochsensible Menschen gegeben, die sehr viel empfindsamer waren und mehr Mitgefühl mit anderen Menschen oder Tieren hatten als der größte Teil ihrer Mitmenschen.
Oft waren es Menschen, die nicht nur sehr empathisch fühlten, sondern auch hellsichtig waren und über eine stark ausgeprägte Intuition verfügten. In vielen Kulturen waren diese Menschen geachtet und bei Problemen und Schwierigkeiten suchte man Hilfe und Rat bei ihnen. Sie waren spirituell in ihrem Kontext, waren Künstler und Alchemisten, Heilkundige und Menschen, die mehr Einblick in die verschiedenen Bereiche des menschlichen Bewusstseins hatten. In manchen Kulturen ist das auch heute noch so, dass hochsensitive oder hochsensible Menschen geachtet und geschätzt sind.
Hochsensibilitätsforschung
Zwar ist das Phänomen der Hochsensibilität nicht neu, neu ist jedoch, dass sich jetzt wissenschaftlich damit auseinandergesetzt wird.
Der Blick auf die Eigenschaften und Qualitäten der Hochsensibilität erschließt uns die Wahrnehmung jener menschlichen Qualitäten und Umgangsformen, die gerade heute so bitter nötig sind. Dabei trifft das Thema Hochsensibilität in unserer patriarchalen Gesellschaft auf einen wunden Punkt. Die besonderen Qualitäten hochsensibler Menschen wie etwa Mitgefühl und erhöhtes Wahrnehmungsvermögen, ihre ausgeprägte Intuition und die Wahrnehmung komplexer Zusammenhänge galten bislang als typisch weibliche Eigenschaften, die in unserer männlich fokussierten Kultur als minderwertig und gern auch als »hysterisch« eingestuft sind. Jahrhundertelang wurden diese Eigenschaften unterdrückt und fristen in unser aller Seelen heute ein Schattendasein. So mögen die unzähligen Verbrechen und Morde, die in der Neuzeit an Mädchen und Frauen begangen wurden, für viele vorbei und vergessen sein. In unserem Bewusstsein sind sie jedoch präsent und wirken auch heute noch in uns. Dies gilt es mit zu bedenken, wenn wir uns mit Hochsensibilität auseinandersetzen.
Seitdem die amerikanische Psychologin Elaine Aron mit ihren Untersuchungen Ende der 1990er-Jahre die Hochsensibilitätsforschung einleitete, gibt es eine Reihe von Publikationen, die sich damit auseinandersetzen. Vereine und Blogs im Internet sowie Infoseiten für Betroffene können aufgesucht werden und bieten Hilfen und Vernetzung an.
In dieser Fassung sind Auszüge aus dem Artikel wiedergegeben. Den vollständigen Artikel gibt es im Pdf (8 Seiten), das unten bestellt werden kann.
Eigenschaften von hochsensiblen Menschen
Hochsensible sind oft uneigennützig und nehmen viel Rücksicht auf andere. Sie haben einen ausgesprochenen Gerechtigkeitssinn und sind gewissenhaft, friedliebend und harmoniebedürftig. Was für die meisten anderen Menschen normal ist, kann für Hochsensible Stress bedeuten. So können sie schlecht Unordnung, laute Geräusche, grelles Licht oder laute Stimmen ertragen.
Erlebtes reflektieren Hochsensible intensiv, wobei ihre Selbstkritik und die Wahrnehmung von größeren Zusammenhängen eine Rolle spielt.
Es ist daher wichtig, dass Hochsensible Verantwortung für sich selbst übernehmen, für genügend Raum und Rückzug für sich selbst sorgen und auch an das eigene Wohlergehen denken. Viele Hochsensible können ihre Übererregung durch kreative Tätigkeiten abreagieren, indem sie musizieren, schreiben, malen oder etwas herstellen.
Alle Eigenschaften und Qualitäten, die auf Hochsensible zutreffen, bringen für sie selbst nicht nur angenehme Seiten zum Vorschein, sondern eine Reihe von unangenehmen Belastungen, die sie verarbeiten müssen. Aus diesem Grund ziehen sich hochsensible Menschen gern zurück. Sie wollen für gewisse Zeiten allein sein, um sich von den vielen Eindrücken zu erholen und sie zu verarbeiten.
Wenn man bedenkt, dass Hochsensibilität auch bei Säugetieren vorkommt, und zwar in annähernd denselben Anteilen von 15–20 %, stellt sich die Frage der Bedeutung von Hochsensibilität auch im Sinne der Evolution und beim Menschen speziell im Sinne der Bewusstseinsentwicklung.
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Das weltweite Chaos, in dem wir uns momentan zu bewähren haben, ist laut verschiedener Denker als das äußere Anzeichen für einen grundlegenden Bewusstseinswandel zu verstehen. Die Folgen unseres Lebenswandels in der westlichen Kultur betreffen mittlerweile alle Menschen auf der Erde. Jeder Einzelne ist in irgendeiner Form damit konfrontiert, was insbesondere durch die allerorts herrschende psychische Not offenkundig ist. Deshalb ist jeder einzelne Mensch gefordert, in Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern für das Ganze zu treten. Dazu ist ein Wandel in unserem Bewusstsein erforderlich, der uns aus unserer Vereinzelung herausführt und uns deutlich werden lässt, dass wir mit dem Weltganzen auf das Innigste verbunden sind. Dieser Wandel muss sich in jedem einzelnen Menschen vollziehen, worauf der Schweizer Kulturanthropologe Jean Gebser auf das Deutlichste hinweist.
Gebser hat diesen Wandel in seinem Hauptwerk Ursprung und Gegenwart beschrieben und das heutige Chaos bereits Ende der 1940er-Jahre vorausgesagt. In seinem Werk beschreibt er eine Gesamtschau der abendländischen Bewusstseinsgeschichte in fünf Stufen. Vom verborgenen Ursprung ausgehend, der durch alle Stufen hindurch scheint und in dem das Potenzial aller Entfaltung beschlossen liegt, ortet er die archaische, magische, mythische und mentale Struktur sowie die bereits wirksame und sich entfaltende integrale Struktur. Momentan befinden wir uns nach Gebser in der Endphase der mentalen Struktur, die er auch als rationale Struktur bzw. als Defizienzphase beschreibt. In ihr erschöpfen sich die mentalen Qualitäten allmählich, steigern sich in die Maßlosigkeit und treten schließlich in eine chaotische Periode, in der es zu zersetzenden und zerstörerischen Auswirkungen kommt. Gleichzeitig wirkt aber bereits das Potenzial der kommenden integralen Stufe und führt die überkommene mental-rationale Struktur in die Mutation. Die integrale Struktur zeichnet sich dadurch aus, dass sie sämtliche bisher wirkenden Strukturen integriert, die auch in jeder individuellen Entwicklung durchlaufen werden und nach wie vor mehr oder weniger latent wirksam sind.
Zur Autorin
Marina Stachowiak, geb. 1957, ist temporik-art Begleiterin, Kunstwissenschaftlerin, Autorin und Malerin. Sie veröffentlichte mehrere Bücher und Schriften zum integralen Themenspektrum und zum Bewusstseinswandel sowie unter ihrem ehemaligen Namen Marina Pilgram zur sexuellen Gewalt in der Kindheit. Vor dem Hintergrund der integralen Theorie des Philosophen Jean Gebser und der Psychobionik nach Bernd Joschko entwickelte sie temporik-art. 2010 gründete sie das Institut für integrale Bewusstseinsbildung in Reinheim bei Darmstadt und lehrt dort temporik-art in Einzel- und Gruppenseminaren sowie in Ausbildungsgruppen für Menschen, die andere mit temporik-art begleiten möchten.
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Marina Stachowiak
Hochsensibilität in Zeiten des Bewusstseinswandels
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alle Gemälde: © Marina Stachowiak
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