25 Mai »Ich weiß, dass ich mit Kräften umgehe«
Kunst und Spiritualität bei Joseph Beuys
Autor: Rüdiger Sünner
Kategorie: Kunst / Musik / Literatur
Ausgabe Nr: 87
Auch Tattva Viveka blickt in diesem Jahr auf den Künstler Joseph Beuys, dessen 100. Geburtstag dieses Jahr gebührlich gefeiert wird. Dies ist ein guter Anlass, um sein Verhältnis zur Spiritualität zu beleuchten, dem im Diskurs eher wenig Beachtung geschenkt wird. Der Filmemacher und Buchautor Rüdiger Sünner stellt drei spirituelle Strömungen vor, die Joseph Beuys‘ Auffassung der Welt und so auch seine Kunst maßgeblich beeinflusst haben.
Hat die Kunst von Joseph Beuys, dessen 100. Geburtstag dieses Jahr groß gefeiert wird, etwas mit Spiritualität zu tun? Wenn es zu diesen Fragen kommt, herrscht in den Medien oft betretene Stille oder hilflose Verlegenheit, auch jetzt wieder im Jubiläumsjahr: War denn dieser Künstler wirklich ein »Schamane« und ein Anhänger des umstrittenen Esoterikers Rudolf Steiner und was hat das alles mit seiner Kunst zu tun? Da es kaum jemanden gibt, der über diese Themen kompetent Auskunft geben kann, bleibt es bei vagen Andeutungen, die – wenn überhaupt – nur kurz und oberflächlich abgehandelt werden.
Die Wahrheit ist, dass Joseph Beuys sicherlich der spirituellste Künstler des 20. Jahrhunderts war, der viele Anregungen aus den Bereichen Schamanismus, Anthroposophie, Mythologie und Christentum in seine Kunst aufgenommen hat.
Er baute diesbezügliche Motive nicht einfach in seine Werke ein, sondern verstand diese selbst als Instrumente, um im modernen Menschen verschüttete spirituelle Seiten wieder zu öffnen. Er habe sogar, so schrieb Beuys einmal, von Rudolf Steiner persönlich den Auftrag bekommen, den Menschen »das Misstrauen gegenüber dem Übersinnlichen nach und nach wegzuräumen«. Welch anderer Künstler des 20. Jahrhunderts hat so deutliche Worte für seine Arbeit gefunden?
Kräfte und Energiefelder bei Joseph Beuys
Beuys sagte einmal zu der Kunsthistorikerin Rhea Thönges-Stringaris:
»Ich weiß, dass ich mit Kräften umgehe« – dies ist einer der Schlüsselsätze, um seine Spiritualität besser zu verstehen.
Welche »Kräfte« meint er und was sind überhaupt »Kräfte«? Zunächst einmal sind es Energien in einem unsichtbaren Raum jenseits des sinnlich Wahrnehmbaren, egal ob wir von elektromagnetischen Kräften sprechen oder von der »kraftvollen Ausstrahlung« eines Menschen. Aufgrund meiner langen Beschäftigung mit seinem Werk, die zu einem Film und einem Buch geführt hat, verstand ich, dass Beuys die Welt nicht als Ansammlung von Dingen, sondern von Kräften wahrnahm. Alles waren für ihn Energiefelder, egal ob Menschen, Tiere, Pflanzen oder Materialien wie Fett, Filz, Kupfer, Gold, Honig, Eichenholz oder Basalt, aus denen seine Werke bestehen. Ganz in der Tradition eines Paracelsus, Goethe, Schelling oder Novalis glaubte Beuys daran, dass die materielle Welt verkörperter Geist ist, mit dem unser menschlicher Geist in Verbindung treten kann, wenn er ein Sensorium dafür entwickelt. Aus solchen Gründen war Beuys spirituell, im Sinne einer älteren Auffassung von Geist (»spiritus«), die diesen nicht – wie wir heute – nur in den neuronalen Aktivitäten unseres Hirns lokalisierte, sondern überall im Kosmos. Da auch der Schamanismus eine solche Weltsicht vertrat, interessierte sich Beuys zeitlebens für dessen jahrtausendealte Traditionen und empfing daraus viele Inspirationen für sein künstlerisches Werk.
Schamanismus
Dass Beuys schon früh großes Interesse an dieser wohl ältesten spirituellen Tradition unserer Erde zeigte, kann man durch viele Quellen belegen. Beuys besaß Fachbücher des Religionswissenschaftlers Mircea Eliade und des Völkerkundlers Hans Findeisen über das Thema und kannte den mehrstündigen Film »Schamanen im blinden Land« des Ethnologen Michael Oppitz, den dieser unter schwierigen Bedingungen bei den Magar in Nepal gedreht hatte. Beuys habe, so Oppitz, ein »erstklassiges Laienverständnis« vom z. B. sibirischen Schamanismus besessen, »manchmal auch so ein bisschen in der Steinerschen Linie, die mir nicht so liegt, aber das ist verziehen«.
Beuys war vom Geheimnisvollen dieser Rituale, in denen versucht wurde, mit Geistern, Göttern und Ahnen zu kommunizieren, sowie von ihrer dramatischen Kraft, die er für seine Performances nutzen konnte, tief beeindruckt.
Erfahren Sie im vollständigen Artikel, wie Beuys schamanische Elemente in seinen Kunstwerken verarbeitete.
Anthroposophie
Genauso stark wie für Schamanismus interessierte sich Beuys für die Anthroposophie Rudolf Steiners, die er seit den frühen 1950er-Jahren intensiv zu studieren begann.
Seine Bibliothek enthielt an die 100 Bände aus Steiners Gesamtwerk, und Beuys bezeichnete sich in Interviews durchaus auch als Anthroposophen.
Sein Biograf Hans-Peter Riegel hat das zum Anlass genommen, den Künstler in ein negatives Licht zu rücken. Pauschal sprach er von Steiners »germanisch völkischem Gedankengut«, das Beuys unkritisch bewundert und in seine Kunst übernommen habe [Rüdiger Sünner: Zeige deine Wunde, a. a. O. 210, Anm. 116.]: ein undifferenziertes Verständnis sowohl von Steiner als auch von Beuys, denn weder ist die Anthroposophie »völkisch«, noch spiegeln die mehrdeutigen Kunstwerke von Beuys eins zu eins deren Ideen wider. Zwar gibt es bei Rudolf Steiner tatsächlich rassistische Äußerungen, aber ausgerechnet in diesem Punkt weicht Beuys radikal von ihm ab, etwa in seiner Hochschätzung der indianischen Kultur, die für Steiner etwas »Degeneriertes« war, das zu Recht zum Aussterben verurteilt sei.
In Interviews verwendete Beuys manchmal anthroposophische Begriffe, ohne dass die uneingeweihten Zuschauer dies bemerkten. Er sprach z. B. davon, dass wir mit »Engeln« und »Erzengeln« kommunizieren könnten, dass Tiere eine »Gruppenseele« und Menschen eine »Ätherfigur« besäßen.
Gerne verwendete der Künstler auch – wie Steiner – die Trias »Imagination, Inspiration, Intuition«, um auf höhere Denkvermögen im Menschen hinzuweisen,
und sprach freimütig über seinen Glauben an Reinkarnation und Wiedergeburt. Allerdings tat Beuys dies immer auf sehr eigene Art und Weise, oft auch mit einem deftigen Lachen verbunden, das alles mehrdeutig in der Schwebe hielt.
Mehr über den Einfluss anthroposophischer Ideen auf die Werke Beuys lesen Sie im vollständigen Artikel. Unten können Sie ihn bestellen.
Das gilt auch für Beuys’ Werk »Kreuzigung« (1962/63), das ebenfalls aus Abfallelementen besteht, die in einen ganz neuen ästhetischen Zusammenhang gebracht werden: zwei Blutkonservenflaschen, hinter denen ein Holzstab aufragt, an dessen Spitze ein Stück Papier mit einem Zeichen befestigt ist, wie wir es als Symbol des »Roten Kreuzes« kennen. Um die seltsame kreuzartige Konfiguration schlingen sich Drähte, die wie Elektrokabel aussehen. Was heißt es, so ein Kunstwerk zu »verstehen«? Vielleicht, sich erst einmal den Sinneseindrücken und dadurch ausgelösten Gefühlen und Assoziationen überlassen. Wir sehen eine zunächst unbeholfen wirkende Skulptur, die wieder aus verbrauchten Materialien besteht, mit Behältern für Blut, die in bestimmten Umständen lebensrettend sein können. Gefühle von Not und Beklemmung steigen auf, das Objekt atmet etwas Armseliges und Ramponiertes aus, die Elektrokabel könnten auf einen Folterkeller hinweisen: Wurde hier Jesus Christus gefoltert oder Gefangene heutiger Unrechtsregime, für die die Blutkonserven zu spät kommen? Und doch strahlt das zerbrechliche Werk auch ein wenig Hoffnung aus, Trost, Zärtlichkeit und Wärme, allein durch die liebevolle Aufmerksamkeit, die der Künstler seinen Materialien geschenkt hat. Das kleine Kreuz über der Skulptur wirkt auch wie eine schwache Lampe, sie leuchtet nicht in dem strahlenden Signalton wie das Symbol des »Roten Kreuzes«, sondern eher braun und dunkel, in einer von Beuys‘ gedämpften Lieblingsfarben, in der er »erdige Wärme« und »getrocknetes Blut« sah. Ein kleiner glanzloser Altar, der krumm und schief dasteht wie ein buckliges Männlein, aber aus dessen Tiefe dennoch eine große Kraft ausströmt: Beuys‘ ganz eigene Form einer christlichen Alchemie, die immer wieder versucht hat, aus abgenutzten und degradierten Stoffen »spirituelles Gold« zu machen.
Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.
Erfahren Sie mehr über das Verhältnis von Joseph Beuys zu spirituellen Traditionen.
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Joseph Beuys. »Ich weiß, dass ich mit Kräften umgehe« (PDF)
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Rüdiger Sünner
»Ich weiß, dass ich mit Kräften umgehe«
Kunst und Spiritualität bei Joseph Beuys
Tattva Viveka blickt zu dessen 100. Geburtstag auf den Künstler Joseph Beuys. Dies ist ein guter Anlass, um sein Verhältnis zur Spiritualität zu beleuchten, dem im Diskurs eher wenig Beachtung geschenkt wird. Der Filmemacher und Buchautor Rüdiger Sünner stellt drei spirituelle Strömungen vor, die Joseph Beuys‘ Auffassung der Welt und so auch seine Kunst maßgeblich beeinflusst haben.
Über den Autor
Rüdiger Sünner, geb. 1953 in Köln, studierte Musik, Musikwissenschaften, Germanistik und Philosophie. 1985 promovierte er über die Kunstphilosophie von Theodor W. Adorno und Friedrich Nietzsche. Anschließend studierte er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB). Seit 1991 lebt er als freier Autor, Filmemacher und Musiker in Berlin. Seine vielfältigen Publikationen und Filme beschäftigen sich vor allem mit spirituellen Grenzgebieten, so etwa Schwarze Sonne – Mythologische Hintergründe des Nationalsozialismus (1996), Das kreative Universum – Naturwissenschaft und Spiritualität im Dialog (2010), Zeige deine Wunde – Kunst und Spiritualität bei Joseph Beuys ( 2015) und Wildes Denken – Europa im Dialog mit spirituellen Kulturen der Welt (2020).
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Bildnachweis: © wikipedia, VG Bild-Kunst
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