07 Apr Meditation für Skeptiker
Ein Gehirnforscher auf der Suche nach dem Selbst
Autor: Dr. Ulrich Ott
Kategorie: Spiritualität Allgemein / Meditation
Ausgabe Nr.: 47ng
Dr. Ott erforscht als Psychologe und Spezialist auf dem Gebiet der Meditationsforschung am Bender Institute of Neuroimaging meditative Zustände des Gehirns. Eine nüchterne Beschreibung und ein Bericht über die Zusammenhänge von Geist und Materie von einem Wissenschaftler, der fundierte praktische Erfahrungen in der Meditation mit modernster Meditationsforschung vereinigt.
Bild: Der Magnetresonanztomograph ist das wichtigste Verfahren in der neurophysiologischen Meditationsforschung (MRT)
Im folgenden lesen Sie einige Ausschnitte aus dem großen Interview, das Tattva Viveka mit Dr. Ott zum Thema Meditationsforschung geführt hat.
Was ich als Meditierender erzeuge, ist ein Zustand extrem hoher Wachheit, Klarheit, Präsenz, die nicht eingreift in das, was im Gehirn passiert. D.h. alle normalen Mechanismen, die im Präfrontalhirn die Regulation von Informationsverarbeitungsflüssen im Gehirn steuern und selektiv eine Sache hervorheben und andere hemmen – diese ganzen Eingriffe in die Gehirndynamik muss ich sein lassen. Und in dem Moment kann quasi intrinsisch, aus sich heraus, das Hirn in so einen Zustand von Kohärenz hineinfallen. Das ist nicht machbar. Das Ich, das normalerweise bei willentlicher Anschauung etwas hervorbringt, kann das nicht tun. Denn genau dieses Ich muss für eine Zeit zurücktreten. Das ist sehr schön in den ganzen Meditationslehren beschrieben. Man kann es nicht machen. Und wenn ich mich besonders anstrenge, dann dauert es doppelt so lange. Das Ich als solches, das normalerweise die Instruktion hört und versucht, das umzusetzen, ist in der letzten Konsequenz das, was ich loswerden muss, um in dieses Schauen zu kommen. Ich kann es mit dem Ich nicht sehen. Es muss zu dieser Selbstwesensschau, wie es so schön im Zen heißt, kommen. Ich muss das zulassen. Und hinterher sagen die Leute auch alle: Es war die ganze Zeit da, aber ich konnte es nicht sehen.
Bild: Medizinisch-biologische Meditationsforschung arbeitet mit bildgebenden Verfahren
Ich kann es mit dem Ich nicht sehen. Es muss zu dieser Selbstwesensschau, wie es so schön im Zen heißt, kommen.
Die Meditierenden, die in diese intensive Phase reingehen, beschreiben, wie das Gehirn quasi verrückt spielt und Bilder produziert. Und wenn sich diese gesammelten Eindrücke entladen haben, kommt irgendwann ein Punkt von Stille, wo ein Equilibrium von hoher Erregbarkeit herrscht, ohne dass das Gehirn irgend etwas tun muss, ohne dass ich es irgendwie konditioniere. Und genau das, denke ich, ist der optimale Ausgangszustand, um in diese Dynamik hinüberzugehen.
Bild: Meditationsforschung zeigt: die grauen Zellen wachsen auch beim Erwachsenen weiter.
Ich bin ein lebendiges Wesen, d.h. dieser Körper ist nicht tot wie ein Stück Fels, sondern er lebt, er atmet. Der beste Prüfungsindikator, ob jemand noch lebt, ist der Atem. Und dieser Atem ist auch für die Meditation ein sehr gutes Objekt. Mit dem Atem komme ich schon in den Bauchraum, in den Brustraum und kann die Gefühle, die sich dort niedergeschlagen haben und oft unterdrückt sind, wahrnehmen und ins Bewusstsein zurückholen. Und das ist genau der Prozess, der in der Meditation eigentlich passiert, dass ich mich dem öffne, was an Traumata in meinem Körper sitzt. Das kommt alles zum Vorschein. Wenn ich nicht ständig beschäftigt bin und um mein Alltagsgeschäft kreise, kommen die ganzen Gespenster aus der Vergangenheit hochgestiegen. Und wenn ich dann die richtigen Methoden habe, damit umzugehen, sie mir anzuschauen und sie nicht zu fürchten, sie aber auch nicht zu wollen, sondern sie nur mit Gleichmut anzuschauen, dann merke ich auf einmal, wie sie sich auflösen, wie ich immer freier und klarer werde. Und dieser Klärungsprozess ist für mich das Zentrale in der Meditation; dass ich hinterher rauskomme und nicht mehr ständig diesen suchenden und bewertenden Blick habe. Ich sehe es immer sehr schön, wenn ich aus einem Workshop oder aus einer sehr intensiven Meditation komme und ich zur Mensa gehe: Im Normalzustand läuft man einfach mit Scheuklappen von A nach B und hat schon einen Speiseplan, weiß schon, was man alles tun will und parallel denkt man noch darüber nach, welche E-Mails man danach schreibt, welche Dinge man im Meeting anspricht. D.h. man ist ständig in diesem Simulationsapparat gefangen, der Vergangenes und Zukünftiges koordiniert usw., aber man geht nicht den Weg von A nach B. Man ist nicht da und man sieht die Leute nicht, die da sind. Und wenn man sich durch die Meditation klärt und in den gegenwärtigen Moment erwacht und dann denselben Weg läuft, dann treffen sich die Blicke. Man sieht irgendwie jeden. Es ist, wie wenn man sofort da ist. Es ist eine viel größere Präsenz, ein viel größerer Kontakt da. Man riecht auf einmal, es hat geregnet oder die Wiese wurde gemäht oder man hört Vögel. Man sieht einfach mehr, wer man ist und wo man ist. Und diese Öffnung ist, denke ich, ein sehr wichtiges Ziel der Meditation.
Man muss eben auf eine Metaperspektive kommen können. Und dafür ist Meditation ideal – das innere Zurücktreten und das Schauen. Aus meiner Erfahrung weiß ich, das ist bei der Meditation ein Anzeichen, wenn ich auf einmal mein Gesicht wahrnehme. Normalerweise stecke ich in meinem Gesicht drin und agiere damit, bin damit identifiziert. In der Meditation spüre ich manchmal, wie ein Ausdruck in meinem Gesicht drinhängt, wie ich eine bestimmte emotionale Haltung habe, die sich in den Muskelkonzentrationen, im Gesicht festhält. Dann nehme ich das wahr, merke aber auch, wie ich durch das reine Schauen und Wahrnehmen in einen neutralen Zustand komme, wie sich das Gesicht klärt und frei wird, dass ich nicht mehr versuche, irgend etwas zu transportieren, eine Haltung darzustellen, sondern einfach nur so sein kann, wie ich wirklich bin; also in dieses ursprüngliche Gesicht sozusagen wieder einzutauchen.
Diagramm: Die Anzahl wissenschaftlicher Beiträge zur Meditationsforschung in Fachzeitschriften verzeichnete im Laufe von 30 Jahren ein starkes Wachstum.
Meditationsforschung
Hier können Sie den 2. Teil des Interviews anlesen (erschienen in Tattva Viveka 48).
Den kompletten Artikel zur Meditationsforschung von Dr. Ulrich Ott finden Sie in der Tattva Viveka 47.
Hier finden Sie weitere Beiträge zum Thema Meditation, Gehirn- und Meditationsforschung:
www.tattva.de/category/spirituelle-kulturen/vedenyoga/
www.tattva.de/category/naturwissenschaft/bewusstsein/
Ein ausführliches Video-Interview zur Meditationsforschung mit Dr. Ott finden Sie unter:
http://vimeo.com/11573024
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Meditation für Skeptiker (Teil 1-2) (PDF)
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Dr. Ulrich Ott
Meditation für Skeptiker.
Ein Gehirnforscher auf der Suche nach dem Selbst, Teil 1-2
Ott erforscht als Psychologe am Bender Institute for Neuro Imaging meditative Zustände des Gehirns. Ein Bericht über die Zusammenhänge von Geist und Materie von einem Wissenschaftler, der fundierte praktische Erfahrungen mit Meditation hat.
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