Nahtoderfahrung und Persönlichkeitsentwicklung

Nahtoderfahrung und Persönlichkeitsentwicklung

Wie NTEs den Menschen dauerhaft beeinflussen

Autor: Viktor Terpeluk
Kategorie: Psychologie
Ausgabe Nr: 101

Wie wirkt sich eine Nahtoderfahrung, also der kurzzeitige Eintritt in die geistige Welt und die darauffolgende Rückkehr ins Diesseits, auf die Persönlichkeitsentwicklung aus? Der Psychotherapeut Viktor Terpeluk versucht auf Basis verschiedener Studien und seiner eigenen Erfahrungen, als Psychotherapeut sowie als Person, die eine derartige »Lichterfahrung« erlebte, Antworten darauf zu geben.

Aus den voraussehenden Träumen oder Visionen wird geschlossen, dass das Leben nach einem festgelegten Plan, der bis zum Todeszeitpunkt reicht, abläuft.

Seit Jahrzehnten beschäftige ich mich mit dem Thema: »Geistige Welt und ihre Struktur – das Leben nach dem Tod«, und da ich selbst eine derartige »Lichterfahrung« erlebte, weiß ich um ihre nachhaltige Wirkung. In den 1990er Jahren wurden zwei amerikanische Studien über die Nachwirkungen einer Nahtoderfahrung veröffentlicht (Kenneth Ring, Evelyn Elsaesser-Valario 1999, Melvin Morse, Paul Perry 1994), die belegen, dass Personen sich in ihrer Persönlichkeit dauerhaft verändern, wenn sie während einer Nahtoderfahrung mit dem göttlichen Licht in Verbindung waren. Um mehr darüber zu erfahren, besuchte ich zahlreiche Kongresse über das Thema Nahtoderfahrung und lernte viele Menschen kennen, die darüber berichteten. Dabei fiel mir auf, dass diese Menschen unterschiedlich in ihrer Anschauung, in ihrer Persönlichkeit und in ihrer Bewertung dieses Lichtereignisses waren. Zugegeben, ich hatte falsche Vorstellungen, als ich zum ersten Mal solch einen Kongress besuchte. Ich hatte erwartet, auf Menschen zu treffen, die vom göttlichen Licht durchdrungen sind, sodass sie wie »Heilige« und ein Stück weit allwissend wirken. Doch dies war nicht der Fall. Eher hatte ich den Eindruck, dass diese Menschen, den kleinen Ausschnitt, den sie während ihrer Nahtoderfahrung (NTE) in der geistigen Welt kennengelernt hatten, zu etwas Absolutem erhoben, und die Interpretationen darüber unterschieden sich stark, je nach intellektuellem Hintergrund und seelischem Reifestand. Während einige diese Erfahrung in ihr religiöses Weltbild integrierten und dabei nicht selten messianisch auftraten, versuchten andere, dieses göttliche Licht als eine innenliegende Kraft darzustellen, die jedem Menschen zu eigen ist. Die Meinungen darüber können weit auseinanderliegen und sich zum Teil widersprechen. So tut sich die Frage auf: Was stimmt eigentlich?

Ich denke, die Lebensrückschau war für mich wie ein Heilungsprozess.

In diesem Artikel möchte ich diese Frage beantworten. Zuerst gebe ich den Forschungen der oben erwähnten Studien Raum und erläutere deren Ergebnisse. Anschließend stelle ich eine deutsche Untersuchung von Gerald F. Rubisch (2013) vor, der auch Nachwirkungen von Desorientierung dokumentierte. Zum Schluss stelle ich eine Übersicht über die Struktur der geistigen Welt vor und skizziere eine allgemeine, idealerweise verlaufende Persönlichkeitsentwicklung mit unterschiedlichen psychologischen und spirituellen Reifungsphasen.

1. Studie von Melvin Morse (Seattle-Studie)

Dr. Melvin Morse ist Kinderarzt und die Fragestellung seiner Studie war: Entwickelten sich Erwachsene, die als Kinder eine Nahtoderfahrung erlebten, anders als Erwachsene, die dies nicht erlebten? Insgesamt nahmen 350 Erwachsene an der Studie teil.

Die Ergebnisse der Transformationsstudie sind folgende:

Menschen, die als Kind eine NTE erlebten, gaben an

  • verminderte Angst vor dem Tod,
  • eine Zunahme übersinnlicher Fähigkeiten,
  • eine gesteigerte Lebensfreude,
  • eine höhere Intelligenz zu haben.

 

Zu den übersinnlichen Fähigkeiten gehörten Gedankenübertragung, Vorahnungen, präkognitive Träume, Menschen aus einer Art Fernsicht zu sehen sowie Krankheiten zu diagnostizieren und zu heilen. Aber auch Nachtodkontakte oder Kontakte zum Todeszeitpunkt werden häufig erlebt. Aus den voraussehenden Träumen oder Visionen wird geschlossen, dass das Leben nach einem festgelegten Plan, der bis zum Todeszeitpunkt reicht, abläuft. Mit höherer Intelligenz ist vermutlich die emotionale Intelligenz gemeint, die intuitiv zu verorten ist. Emotionale Intelligenz kann komplexe Zusammenhänge leichter erfassen, wodurch Menschen Lebensereignisse stärker in einem spirituellen Zusammenhang sehen können.

Nahtoderfahrung und Persönlichkeitsentwicklung

Insgesamt kann man sagen, dass sich vieles im Leben der Menschen mit NTE im Kindesalter positiv verändert hat und sie durch die Zunahme an übersinnlichen Fähigkeiten einen anderen Blick auf das Leben bekamen. Wir erfahren aus dieser Studie aber nicht, ob sich die Persönlichkeit dieser Menschen in einer »besonderen« Weise weiterentwickelt hat, zum Beispiel ob sie besonders liebend oder demütig geworden sind. Selbst Melvin Morse schreibt am Ende seines Buches, dass Menschen mit Nahtoderfahrung »im allgemeinen ganz gewöhnliche Menschen sind, die eine außergewöhnliche Erfahrung überlebten.« (S.305)

2. Zusammenfassung von Kenneth Rings Buch: »Im Angesicht des Lichts – was wir aus Nahtoderfahrungen für das Leben gewinnen«

Kenneth Ring war Psychologieprofessor an der Universität Connecticut und befasste sich Jahrzehnte lang mit dem Thema »Leben nach dem Tod«. In seinem Buch fasst er mehrere Untersuchungen zusammen und listet folgende psychologische und verhaltensspezifische Veränderungen nach NTEs auf: gesteigerte Wertschätzung des Lebens, bessere Selbstakzeptanz, mehr Sorge um andere, Ehrfurcht vor dem Leben, Antimaterialismus, Ende des Wettbewerbsdenkens, universale Spiritualität, erhöhte Suche nach spirituellem Wissen, von einem heiligen Lebenssinn überzeugt, keine Angst mehr vor dem Tod, Glaube an ein Leben nach dem Tod und in manchen Fällen auch an Reinkarnation und der Glaube an die Existenz Gottes. (S.113 ff)

Nicht nur werden Veränderungen der Lebenseinstellung nach einer NTE in diesem Buch zusammengefasst, sondern es werden auch Veränderungen des Bewusstseins und der paranormalen Funktionen aufgeführt: erweiterte mentale Bewusstheit mit Informationen außerhalb des ichbezogenen Selbst, paranormale Sensibilität wie Telepathie, Hellsehen, Präkognition und außerkörperliche Wahrnehmung, und bei manchen stellt sich die Gabe des Heilens ein.

Die aufgeführten Nachwirkungen einer NTE wurden von Ring an zahlreichen Einzelfallbeispielen dokumentiert. Er klassifiziert die NTEs in drei Kategorien, die unterschiedliche Ebenen des Verständnisses repräsentieren:

  1. Der umfassendste und universale Aspekt der NTE ist die beseligende Vision, in der das Individuum die Vollkommenheit des Universums und seine eigene Vollkommenheit erkennt und diese als wahre und ewige Heimat identifiziert.
  2. Der zweite Aspekt repräsentiert Erkenntnisse, die auf das Erdenleben bezogen sind. Man erkennt die Bedeutung bestimmter menschlicher Werte wie empathische Liebe, Fürsorge und umfassendes Wissen, und dass es diese sind, die einen im Erdenleben weiterführen.
  3. Der dritte umfasst die persönlichen Offenbarungen, die zum Beispiel während der Lebensrückschau dem Individuum gezeigt werden. Die Einsichten daraus verwerten die meisten Menschen nach dem Wiedereintritt in ihren menschlichen Körper so, dass sie versuchen, selbstsüchtige Bestrebungen zu überwinden und ihre Talente und Neigungen mehr zu leben, um ein authentisches Leben zu führen.

 

Viele Menschen mit NTEs erkennen hinterher, dass sie nicht wirklich ihr eigenes Leben führten, sondern ihr Leben zuvor nach falschen Bedürfnissen ausgerichtet hatten. Ring schreibt: »Das falsche Selbst wird von der Gesellschaft geformt; das wahre Selbst hingegen wird nicht so sehr durch die NTE verliehen als vielmehr vom Individuum nach der NTE geschaffen und verwirklicht. Mit Hilfe des durch das Licht verliehenen Wissens kann das Individuum das falsche Selbst und seine Entstehung erkennen – und das reicht oft aus, um mit seinem Abbau zu beginnen. Sobald dieser Prozess einsetzt, entsteht Raum für das neue, authentische Selbst…« (S.70) An dieser Stelle betont Ring, dass diese Lektionen vom Licht nicht nur an Nahtoderfahrene gerichtet sind, sondern an uns alle. Er bezeichnet die Nahtoderfahrenen in diesem Zusammenhang als Lehrer, die uns diese Weisheiten aus dem Licht übermitteln sollen. Das Licht liebt alle Menschen, und es ist wichtig, zu wissen, dass wir von ihm geliebt werden. Somit schlussfolgert Ring: »Diese Liebe ist für uns alle da, und wenn Sie sich ihr öffnen, dann wird sie Sie unvermeidlich zu Ihrem Selbst führen – Ihrem wahren Selbst.« (S.71) Wie soll man diesen Weg gehen, wenn man die göttliche Liebe nicht selbst gespürt hat? Diese Frage stellten sich die Studierenden von Ring in einer Vorlesung, in der er eine Nahtoderfahrene als Gastrednerin eingeladen hatte. Als diese Frage an sie gerichtet wurde, antwortete sie: »Liebe andere«. (S.134)

Was die NTE wirklich über das Leben nach dem Tod lehrt, ist, dass wir in jedem Augenblick unseres Lebens unser Lebensskript schreiben.

In anderer Form begegnen wir dieser Aufforderung in der Lebensrückschau während einer NTE. Dort wird Nahtoderfahrenden häufig die Frage gestellt, was sie für das Wohl oder den Fortschritt der Menschheit getan haben. Bei dieser Frage müssen viele von ihnen, die sehr egoistisch gelebt haben, peinlich berührt gewesen sein, weil sie nichts darauf antworten konnten. In einigen Fällen bietet das Lichtwesen, das einen bei der Lebensrückschau begleitet, alternative Handlungsweisen an, damit man weiß, was man in Zukunft in solchen Situationen tun kann. Solch eine Lebensrückschau ist das ultimative Lehrinstrument für die eigene Transformation. Ring widmet in seinem Buch diesem Thema ein ganzes Kapitel mit der Überschrift: »Die Heilkraft der Lebensrückschau für die Transformation der Persönlichkeit«. (S.172) Man darf allerdings nicht vergessen, dass während einer NTE das Individuum mit allem und jedem verbunden ist und alles Emotionale circa tausendmal stärker erlebt als auf der Erde. Somit spürt es den Schmerz des Gegenübers, den es ihm angetan hat, so intensiv, dass es beinahe automatisch bei jedem eine Reuereaktion erzeugt und das Bedürfnis nach Wiedergutmachung entsteht. Der ganzheitliche Blick in dieser Situation erklärt einem vieles, was man zu Erdzeiten nicht verstand. Daraus entsteht schließlich die Reaktion des Verzeihens – sich selbst und dem anderen.

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Schwerpunkt: Tabuthema Tod
Erschienen: Dezember 2024

Klemens J.P. Speer – Von den letzten und den ersten Dingen • Viktor Terpeluk – Nahtoderfahrung und Persönlichkeitsentwicklung • Bartosz Werner – »Heute ist ein guter Tag, um zu sterben.« • Philipp Feichtinger – Durch die Trauer zu einem erfüllten Leben • Irene Schneider – In Gemeinschaft vom Leben Abschied nehmen • Sophie Baroness von Wellendorff – Das Wunder der zwölf heiligen Rauhnächte • Teresa Brunnmüller – Fürchtet euch nicht • Dr. Sylvester Walch – Wege zur Ganzheit (1) • Christiane Krieg – Heiliger Kakao • Buchbesprechungen • u.v.m.

Zum Autor

Unser Autor Viktor Terpeluk

Dr. Viktor Terpeluk, geb. 1958 in München. Studium der Psychologie in München, anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Medizinische Psychologie an Universität Ulm. Während einer sechsmonatigen Auszeit in Indien machte er tiefgreifende spirituelle Erfahrungen. Im Anschluss arbeitete er vier Jahre lang in einer Privatklinik für Psychosomatik und Psychiatrie, später baute er einen alten Bauernhof um, in dem sein Haus, ein Seminargebäude (seminarhof-morgenstern.de) und seine psychotherapeutische Praxis untergebracht sind.

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