Othmar Keel: Gott weiblich

Othmar Keel: Gott weiblich

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Othmar Keel: Gott weiblich
Eine verborgene Seite des biblischen Gottes
Ausstellungskatalog Gütersloher Verlagshaus, DIN A 4, 144 S.,
durchgehend farbig bebildert, € 25,00

 

Ganze 6800 Male bezeichnen die Übersetzungen des Alten Testaments den biblischen Gott als der Herr. So wundert es nicht, dass Gläubige gewöhnlich ihre Vorstellung von Gott vermännlichen. Doch schon Kirchenvater Augustinus kommentierte Psalm 27, 10 – „Wenn mich auch Vater und Mutter verlassen, JHWH nimmt mich auf“ – mit folgenden Worten:

„(Gott) ist Vater, weil er gründet, weil er (be)ruft, weil er befiehlt, weil er herrscht;
Mutter, weil sie (die Gottheit) wärmt, weil sie nährt, weil sie stillt, weil sie umschließt.“

Dabei hatte bereits das Deuteronomium gewarnt, den aus imaginärem Feuer zu Moses spre-chenden JHWH auf ein männliches oder weibliches Abbild zu reduzieren (5 Mose 4, 15 f.). Der Prophet Hosea lässt JHWH betonen: „Ich bin Gott, nicht ein Mann!“ In der Hebräi-schen Bibel blieb JHWH auch anfangs ein Eigenname ohne geschlechtliche Zuordnung. Altägyptische Texte legen nahe, dass der Name der Gottheit (ausgesprochen etwa Jahwe) aus dem nordwestlichen Arabien stammt und wahrscheinlich bedeutet: „Er weht“, „Er ist da“, „Er lässt da sein“ oder „Er ist wirksam“. (Logischer wäre dann aber: „Es weht“, „Es ist da“, usw.) Ab dem 3. oder 2. Jahrhundert v. Chr. vermieden jüdische Priester, JHWH unter seinem Eigennamen anzusprechen. Stattdessen ersetzten sie das heilige Tetragrammaton durch Gott, Herr, Allherr (Pankrator), Himmel, sogar durch Der Name oder Der Ort. Als Grund vermutet Othmar Keel, dass im Zuge des sich durchsetzenden Monotheismus ein Eigenname für das zentrale Göttliche nicht mehr passend war. Damit ging einher, dass JHWH seine weiblichen Aspekte verlor, z. B. als Mutter oder Hebamme. Leider erfahren wir in der knapp gehaltenen Einleitung nicht viel mehr darüber. Obwohl eine solche Entwicklung doch so viele Fragen aufwirft!

 

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1 Die Göttin Aschera, 650 v. Chr.2 Artemis Ephesia, um 100 v. Chr.3 Unbekannt, Maria, um 1440-50, MAHF D 2006-5944 Erotische Figur in einer Kapelle, Ägypten, um 1300 v. Chr.Quelle:bible-orient-museum.ch

 

Im Haupt- und Bildteil des Katalogs dokumentieren 150 Darstellungen weiblicher Idole und eindrucksvoller Göttinnen aus dem alten Palästina ein weites Spektrum weiblicher Göttlichkeit. Es reicht von selbstbewusster Erotik über kämpferische Jungfräulichkeit bis zu hingebungsvoller Mütterlichkeit allem Leben gegenüber. Bibelzitate zu den einzelnen Themenkomplexen verdeutlichen, dass solche weiblich-göttliche Vielfalt immer noch im Alten Testament zu entdecken ist, sei es als Züge Gottes oder von ihm besonders begnadeten Frauen. Lange vor der Entwicklung zum monotheistischen Manngott aber hatte JHWH eine weibliche Partnerin: Aschera. Sie wurde u. a. in Form eines heiligen Baumes verehrt. Ein Idol von ihr stand noch im ersten Salomonischen Tempel (ca. 950 – 587 v. Chr.) bei der Bundeslade. Nach dem Babylonischen Exil der Juden wurde sie durch Weisheit (hebr.: chokmah, griech.: Sophia) ersetzt. „Wer nach ihr greift, dem ist sie ein Lebensbaum; wer sie festhält, ist glücklich zu nennen“ (Spr 3, 18). Doch das Buch der Sprüche stellt Weisheit nicht nur als ernste Beraterin vor. Sie war auch anwesend, als der Schöpfer die Welt schuf, und hielt ihn unter der Arbeit mit ihren erotischen Scherzen bei guter Laune.

 

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Der Theologe, Bibelwissenschaftlerund Religionshistoriker Othmar Keel

 

Im Epilog zeigt der Theologe, Bibelwissenschaftler und Religionshistoriker Othmar Keel an Hand der Entwicklung des Marienbilds, wie solche Vorstellungen weiterlebten oder in der Renaissance wieder entdeckt wurden. Keel, der lange mit weiblichen Bibelexegeten zusammenarbeitete, schließt mit einem eindringlichen Appell an alle christlichen Theologen, diesem weiblichen Aspekt des Göttlichen mehr Zuwendung und Bedeutung zu geben. Katalog und Ausstellung wollen solche Einsicht fördern und sind diesbezüglich wichtig und wertvoll. Einsicht verlange solche Gerechtigkeit, argumentiert der Autor. Doch geht es bei einer tieferen Vorstellung des Göttlichen um Gerechtigkeit? Oder eher um Klarheit? Erfassen wir mit dem Focus auf den weiblichen Aspekt wirklich die Ganzheit des Göttlichen? Ist das wahre höchste Göttliche neben dem „Sowohl-als-auch“ nicht zugleich das „Nichts-von-alledem“?

Clemens Zerling

 

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