24 Feb Radha, die indische Göttin der Liebe
Leitbild für eine zukünftige spirituelle Gesellschaft
Autor: Ronald Engert
Kategorie: Veden/Yoga
Ausgabe Nr: 94
Im indischen Götterhimmel gibt es viele Göttinnen, die wichtige Funktionen innehaben. Eine sehr bedeutende ist Radha, die Gefährtin von Krishna. Die Beziehung zwischen Radha und Krishna könnte als Prototyp einer Liebesbeziehung überhaupt bezeichnet werden. In der Meditation über ihre Spiele fühlen wir uns in ihre Gemütsstimmungen ein und erheben unser Bewusstsein auf die spirituelle Ebene.
»Weil der Nektarozean der spirituellen Liebesstimmungen ohne Grund und ohne Ufer ist, ist es sehr schwierig, in ihn einzutauchen. Während ich an seiner Küste stehe, habe ich ihn einfach nur kurz berührt. Dieses Buch ist ein leuchtender Saphir, geschrieben in dem mysteriösen und unergründlichen Ozean von Vrindavan.«
– Rupa Goswami
Es gibt wohl keine religiöse Tradition der Menschheit, die einen größeren Götterhimmel als die vedische, indische Kultur hat. Wir finden dort Abertausende von männlichen und weiblichen Gottheiten. Anders als in den abrahamitischen Religionen (Christentum, Judentum, Islam) sind die weiblichen Gottheiten im indischen Götterpantheon des Hinduismus sehr präsent. So gibt es verschiedene Hochgottheiten, die immer als Paar auftreten. Dazu gehören Shiva-Shakti, Sarasvati-Brahma, Lakshmi-Narayan, Sita-Ram und Radha-Krishna. In allen Fällen bilden die Göttinnen einen wichtigen Anteil und haben maßgebliche Funktionen.
So ist Sarasvati die Göttin des Lernens, der Sprache, der Wissenschaften, der Künste, der Dichtung, der Literatur, der Schrift, der Weisheit, des Tanzes, des Gesanges und der Musik. Sie gilt als »Mutter der Veden«, Erfinderin des Sanskrit-Alphabets und der Devanagari-Schrift. Als Frau des Schöpfergottes Brahma steht sie mit diesem in der Götterhierarchie allerdings nicht an erster Stelle.
In der vorliegenden Abhandlung soll es deshalb vor allem um Radha (Radharani, Srimati Radhika) gehen, die Gefährtin von Krishna, die mit ihm zusammen als das ewig jugendliche göttliche Paar (yugala kishora) verehrt wird. Sie steht für die höchste Form der göttlichen Liebe. Um die tiefe Bedeutung der Göttin Radha einordnen zu können, bedarf es einiger vorausgehender Erklärungen zur vedischen Spiritualität.
Der vedische Götterpantheon
Die höchste Ebene des Götterhimmels der Veden bildet das Dreigestirn Brahma, Vishnu und Shiva.
Dabei steht Brahma für die Schöpfung, Vishnu für die Erhaltung und Shiva für die Zerstörung. Metaphysisch betrachtet stellt nur Vishnu reine Transzendenz jenseits von Raum und Zeit dar, da die Prinzipien der Schöpfung und Zerstörung raumzeitlich sind. Bei der Schöpfung beginnt etwas, und bei der Zerstörung endet etwas. Wir sind also mit diesen beiden Qualitäten innerhalb der Zeit. Indem mit Schöpfung und Zerstörung Form beginnt beziehungsweise endet, sind wir auch innerhalb des Raumes.
Nur das Prinzip der Erhaltung, das durch Vishnu repräsentiert ist, transzendiert Raum und Zeit und führt uns in die Ewigkeit. Von diesen drei Gottheiten ist deshalb aus der Sicht der Vaishnavas Vishnu der höchste. Die göttlichen Qualitäten entscheiden über die theologische Funktion der jeweiligen Gottheit. Vishnu gilt als die Höchste Persönlichkeit Gottes, da er nicht durch Schöpfung oder Zerstörung bedingt ist. Vishnu ist reine Transzendenz.
Auch wenn Vishnu die Transzendenz verkörpert, geht die Differenzierung auf der Ebene der Transzendenz weiter. Was wäre eine Höchste Persönlichkeit Gottes, wenn sie nicht noch viele Aspekte und Formen hätte? Diese absolute und von Raum und Zeit nicht bedingte Entität erscheint in Varianten, die eine unendliche Vielfalt beinhalten. Vishnu wird in diesem Sinne als der Ehrfurcht gebietende Aspekt, als die Höchste Persönlichkeit Gottes betrachtet. Narayan (s. o.) gilt als Wassergeborener und Menschensohn und ist eine Form von Vishnu. Seine Gefährtin Lakshmi ist die Glücksgöttin. Ram gilt als der siebte Avatar von Vishnu und erschien im Treta-Yuga, dem zweiten der vier Zeitalter. Ram und seine Frau Sita gelten innerhalb der indischen Religion als Verkörperung des Prinzips der Tugend und sind das ultimative Vorbild für einen ethischen Lebenswandel.
Krishna, die besondere Form Gottes
Krishna ist eine weitere Variante von Vishnu und gilt als der private und persönliche Aspekt dieser Gottheit. Besonderes Augenmerk liegt in den vedischen Schriften auf seinen persönlichen Beziehungen, in denen er die ekstatischen und beglückenden Spielarten der Liebe zu seinen Gefährten und Gefährtinnen erfährt.
Krishna ist die einzige Gottheit in Indien, die ohne Waffe dargestellt wird.
Er trägt stattdessen als untrennbar mit ihm verbundenes Attribut eine Flöte, auf der er betörende Lieder spielt, die nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere, Pflanzen und Halbgötter in ihren Bann ziehen. Seine Hautfarbe wird als blau oder schwarz beschrieben. Genau genommen ist es die Farbe einer dunklen Monsunwolke, die gleichzeitig schwärzlich und bläulich leuchtet.
Wenn Vishnu den offiziellen, Ehrfurcht gebietenden Aspekt Gottes verkörpert, so kann man ihn bildlich zum Beispiel mit dem Bundespräsidenten im Amt vergleichen. Krishna wäre dann analog dazu der Bundespräsident zu Hause privat im Kreis seiner Liebsten.
Die meisten Verehrungsformen Gottes in allen Religionen beziehen sich auf den offiziellen Aspekt. Man betrachtet Gott aus einer Perspektive der Ehrfurcht und des Respekts, als Machtperson, als den Höchsten. Dies ist jedoch nicht die höchste Form der Beziehung zu Gott, die die Seele vollständig zufriedenstellt. Wie auf der menschlichen Ebene, so stellt uns auch in der Beziehung zu Göttin-Gott eine private, persönliche Beziehung, wie man sie zwischen Freunden oder Geliebten hat, am meisten zufrieden. Eine solche Beziehung stellt im Übrigen auch Gott selbst am meisten zufrieden.
Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.
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Tattva Viveka Nr. 94
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Schwerpunkt: Göttinnen
Erschienen: März 2023
Stefanie Aue • Göttinnen im Tantra. Die zehn göttlichen Erkenntniswege der Dasha Maya Vidyas (Teil 1) • Vanessa Chakour • Die wilde Göttin in uns. Für den Schutz und das Entfachen des Lebens • Sophie Maria Anna Elisabeth Baroness von Wellendorff • Göttinnen im Rhythmus des Jahreskreises zelebrieren. Die spirituelle Tradition der Germanen und Kelten • Ronald Engert • Radha, die indische Göttin der Liebe. Leitbild für eine zukünftige spirituelle Gesellschaft • Prof. Dr. Peter Schäfer • Bilder der Weiblichkeit Gottes in der frühen Kabbala. Tochter, Schwester, Braut und Mutter • Deike Alexa Behringer • »Ganz normale Frauen mit Göttinnen-Power«. Orakelkarten, die uns an unsere innewohnenden Kräfte erinnern • Dipl.-Germ. Petra Baumgart • Germanische Göttinnen und die quantenphilosophische Schau. Ein anderer Blick auf die Welt • Eva-Maria Zander und Nora Hansing • Erwecke die Essenz der Weiblichkeit in dir. Ein weibliches Mehrgenerationengespräch •
Dieter Halbach • Demokratische Kultur. Ein Arbeitsfeld für Mehr Demokratie • Dr. Franz Alt • Wir brauchen eine neue Kultur des Friedens. Plädoyer für eine erneute Abrüstung • Walter Benjamin • Über die Sprache des Menschen und Sprache überhaupt. Das Wesen der Sprache • u.v.m.
Über den Autor
Ronald Engert, geb. 1961. 1982–88 Studium der Germanistik, Romanistik und Philosophie, 1994–96 Indologie und Religionswissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/M. 1994 Mitgründung der Zeitschrift Tattva Viveka, seit 1996 Herausgeber und Chefredakteur. 2015–22 Studium der Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2022 Masterarbeit zum Thema »Mystik der Sprache«. Autor von »Gut, dass es mich gibt. Tagebuch einer Genesung« und »Der absolute Ort. Philosophie des Subjekts«.
Blog: ronaldengert.com
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