Schöner shoppen?

Schöner shoppen?

Eine kleine Filmgeschichte des Einkaufszentrums

Autor: Nicolai Bühnemann
Kategorie: Wirtschaft
Ausgabe Nr: 60

 

Das Einkaufszentrum ist ein kollektiver Ort der Neuzeit, in dem sich moderne Mythen und soziale Tendenzen sammeln und abbilden. Weit entfernt davon, nur ein praktischer Anlaufpunkt für alltägliche Besorgungen zu sein, bieten die modernen Shopping Malls im Film eine Textur, in der sich ablesen lässt, wie die Gesetze des Kapitalismus den Menschen mitspielen.

 

 

Das moderne Einkaufszentrum hat in den letzten Dekaden die Struktur des Einzelhandels grundlegend verändert. In der folgenden Abhandlung sollen anhand unterschiedlicher Filme diese Veränderungen skizzieren werden.

Der Dokumentarfilm »Die Schöpfer der Einkaufswelten« (Deutschland, 2001, Regie: Harun Farocki) gibt einen Eindruck davon, welch minutiöse Detail-Arbeit die Errichtung eines solchen Centers ist. Ohne Interviews, extradiegetische Musik oder einen Voice-Over-Kommentar vollzieht der Film die Planungsprozesse von Shopping Malls nach. An welcher Stelle im Supermarktregal steht das Knäckebrot? Wie kann ein Traditionsunternehmen, das Kleidung im Trachtenstil verkauft, seinen Laden gestalten, um auch ein jüngeres, weniger konservatives Publikum anzusprechen? Wie kann sich die Fassade eines Centers in ein historisches Stadtbild einfügen oder der Stil eines griechischen Restaurants in den »Miami Vice«-Look des Zentrums als Ganzem?

 

Eine kleine Filmgeschichte des Einkaufszentrums

 

Farockis Film lässt das Einkaufscenter auch als dezidiert »filmischen« Raum erscheinen. Durch und durch, bis ins kleinste Detail »inszeniert«, folgt das Center einer »Dramaturgie«, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen über Blickachsen und Assoziationsketten erstellt wurde. Und dazu, dass in der Gestaltung der Center nichts dem Zufall überlassen bleibt, ähnlich wie, sagen wir, in den filmischen Räumen eines Alfred Hitchcock oder Stanley Kubrick, gehören natürlich auch die richtigen Erzählungen, die kleinen und großen Versprechen von Glück, Freiheit und Unabhängigkeit, die die Werbung seit jeher nutzt, um Waren an den Mann oder die Frau zu bringen.

Da nimmt es kaum wunder, dass sich Spielfilme verschiedener Genres und Provenienz immer wieder die Shopping Mall als Schauplatz wählen. Und: So unterschiedlich wie die Standpunkte zur Mall in der Realität sind, fallen auch ihre verschiedenen filmischen Repräsentationen aus. Ist das Shopping-Center ein praktischer Ort, weil man ohne einen Parkplatz suchen zu müssen sein Brot, die Zahnbürste, das fehlende Kabel für die Anlage und ein neues Paar Schuhe unter einem Dach bekommt? Ist es darüber hinaus ein Ort sozialer Interaktion, wo die Jungen »abhängen« und Konsole spielen können und die Alten ihren Kaffee trinken? Oder ist seine akribisch geplante Architektur, die ganz dem Sinn untergeordnet ist, die Menschen zum Geld-Ausgeben, zum Konsumieren zu bewegen, eher ein Sinnbild für alles, was am Kapitalismus schlecht – und hässlich – ist? Ein Paradies der »Konsumgesellschaft« oder doch der Ort, an dem sie ihren ganzen »infernalischen« Charakter offenbart? Einige der sehr unterschiedlichen Antworten, die das Kino auf diese Fragen gegeben hat, sollen in diesem Text kurz skizziert werden.

 

Harun Farocki: Die Schöpfer der Einkaufswelten
Harun Farocki: Die Schöpfer der Einkaufswelten

 

Jungs im Einkaufszentrum: Mall-Comedy

 

Eine Einkaufspassage trügt. Für die Kunden sind wir nur Verkäufer, die nach Ladenschluss verschwinden. Aber wir wissen, dass wir viel mehr sind, dass es hinter unseren Schaufenstern die eine oder andere Geschichte gibt, die, auch wenn sie vielleicht nichts Besonderes ist, doch wert ist, erzählt zu werden.
- Ariel in »El abrazo partido«

 

Und die kleinen Geschichten der liebenswert schrulligen, aus verschiedensten Weltgegenden und Kulturen stammenden Menschen, die in Daniel Burmans Film »El abrazo partido« (Argentinien, Frankreich, Italien, Spanien 2004) in einer kleinen Einkaufspassage im Barrio Once von Buenos Aires arbeiten und leben, spiegeln zugleich die bewegte Geschichte eines ganzen Landes. Als eine Art pars pro toto steht die Passage, die für den Protagonisten Ariel (Daniel Bendler) nicht nur Arbeitsort, sondern zugleich Lebensmittelpunkt ist, buchstäblich also ein Zentrum für die multikulturelle Gesellschaft des Einwanderungslandes Argentinien, wo im Laufe der letzten Jahrhunderte Menschen aus aller Welt Schutz oder ein besseres Leben suchten. Und: Wo ließe sich die schwierige Situation der Gegenwart des beginnenden 21. Jahrhunderts, in der Argentinien die schlimmste Wirtschaftskrise seiner Geschichte erlebte, durch die Hunderttausende von Menschen alles verloren, besser erkennen als in einer Einkaufspassage? Der dreißigjährige Ariel, dessen Mutter in der Passage ein Dessous-Geschäft besitzt, beschließt, sich die Herkunft seiner Vorfahren, polnischer Juden, die einst auf der Flucht vor den Nazis in Buenos Aires landeten, zunutze zu machen, um die polnische Staatsbürgerschaft zu erlangen und nach Europa zu emigrieren. »Pole werden« nennt er das, was zugleich eine ziemlich sarkastische Formulierung des Schicksals vieler Menschen in den ärmeren Ländern dieser Erde ist, die eine Zukunftsperspektive nur noch in der Migration sehen. Die Passage mit ihren mit allerlei Kram vollgestellten Räumen sowie die heftig wackelnde Handkamera in diesem Film, in dem es kaum Totalen gibt, verbildlichen die Orientierungslosigkeit des Protagonisten.

 

Harun Farocki: Die Schöpfer der Einkaufswelten
Harun Farocki: Die Schöpfer der Einkaufswelten

 

Dass kleine Einkaufspassagen wie die, in der »El abrazo partido« spielt, global mehr und mehr von den großen Malls verdrängt werden, unterstreicht das Prekäre an der Existenz der Figuren des Films, die von den internationalen Entwicklungen abgehängt wurden.

Was amerikanische Komödien, die in Einkaufszentren spielen, mit Burmans Film gemein haben, ist, dass auch hier das Center Lebensmittelpunkt der männlichen Protagonisten ist. Dabei scheint sich auch ein festes Figurenensemble herauszubilden. So erschienen 2009 gleich zwei Filme, deren jeweilige Hauptfigur Security Guard in einer Mall war: »Paul Blart: Mall Cop« (»Der Kaufhauscop«, Regie: Steve Carr) und »Observe and Report« (»Shopping-Center King«, Regie: Jody Hill). In Ersterem kommt die große Stunde für Paul Blart (Kevin James), wie es sich für einen Wachmann im Film gehört, ein ziemlicher – wenn auch ziemlich liebenswürdiger – Loser, als er einige Gangster im Alleingang überwältigt, die das Center überfallen und mehrere Geiseln nehmen (die Story des Films ist so offensichtlich an »Die Hard« (»Stirb langsam«, USA 1988, Regie: John McTiernan) angelehnt, dass man fast von einem Remake sprechen könnte). Während Carrs Film das Thema familienfreundlich behandelt, ist der Plot um Ronnie Barnhardt (Seth Rogen), der in »Observe and Protect« auf der Jagd nach einem Exhibitionisten ist, der in der Mall sein Unwesen treibt, wesentlich derber gefasst: Mit böserem Humor, Drogen, Gewalt und date rape. Was beide Filme dabei gemeinsam haben, ist die Art, wie das Einkaufszentrum zu einem Ort wird, an dem sich soziale Hierarchien verkehren: Aus notorischen Versagern werden Helden, den chronischen Nerds, dem »white trash«, gelingt es, die popularity-Leiter hochzuklettern und dabei die Herzen – nicht nur – ihrer Traumfrauen zu gewinnen.

Darum, ihre Freundinnen zurückzuerobern, die simultan mit ihnen Schluss gemacht haben, weil in ihren Jungswelten kein Platz für sie zu sein schien, geht es auch TS (Jeremy London) und Brodie (Jason Lee) in »Mallrats« (USA 1995, Regie: Kevin Smith). Und da sie sich eh so gut wie nie woanders aufhalten, können sie das nur in der örtlichen Mall tun. Ein Dialog ist dabei besonders aufschlussreich. Drehen sich die nerdig gelehrten Unterredungen der Figuren gewöhnlich um Comic-Superhelden oder die Macht der Jedi-Ritter, geraten sie einmal in einen hitzigen Disput über die korrekten Termini zur Beschreibung des Aufbaus der Mall. Das Einkaufszentrum erscheint damit als fester Bestandteil der amerikanischen Populärkultur – wie »Star Wars« und »Spider-Man«. […]

 

Lesen Sie den kompletten Artikel in der TATTVA VIVEKA 60

 

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Eine kleine Filmgeschichte des Einkaufszentrums

Das Einkaufszentrum ist ein kollektiver Ort der Neuzeit, in dem sich moderne Mythen und soziale Tendenzen sammeln und abbilden. Weit entfernt davon, nur ein praktischer Anlaufpunkt für alltägliche Besorgungen zu sein, bieten die modernen Shopping Malls im Film eine Textur, in der sich ablesen lässt, wie die Gesetze des Kapitalismus den Menschen mitspielen.
 

 

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