Sektenhetze als spirituelles Phänomen

Sektenhetze als spirituelles Phänomen

Zur Rezeption spiritueller und neureligiöser Bewegungen in der deutschen Öffentlichkeit

Autor: Ronald Engert
Kategorie: Theologie
Ausgabe Nr: 54

Das Phänomen der Sektenjagd weist auf einen kollektiven spirituellen Missstand in unserer Gesellschaft hin. Spirituelle Gruppen und Sondergemeinschaften werden in leichtfertiger und respektloser Weise öffentlich diskreditiert. Massenmedien, Sektenbeauftragte, Schulbehörden und sogar der Verfassungsschutz mischen mit. Welche psychologischen und spirituellen Muster stecken hinter der Sektenhetze? Wie steht es um die Aufklärung in unserer modernen Gesellschaft? Welchen spirituellen Schaden richtet es an? Eine Streitschrift für die Freiheit der Religionsausübung und den gesunden Menschenverstand.

Die Bedrohung

Ein Gespenst geht um in Europa: die Sekten! Es scheint, dass religiöse Gruppierungen, die nicht zum Mainstream der Großkirchen oder der Religion des Kapitalismus gehören, eine der größten Bedrohungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unserer Zeit sind.
Natürlich ist dieses Phänomen nicht neu. Seit den achtziger und spätestens seit den neunziger Jahren kennen wir die Angst vor den Sekten in immer wieder neuen Auflagen. Prominentestes Beispiel ist natürlich Scientology. Aber auch die Hare Krishnas haben in den achtziger und neunziger Jahren übelste Nachrede ertragen müssen. Davon abgesehen kann es jeden treffen: die Rosenkreuzer,die 12-Schritte-Gruppen, urchristliche Gemeinden wie Universelles Leben, Yogaschulen wie Yoga Vidya, die Lebensgemeinschaft Damanhur, ja sogar die Berliner Friedensuniversität, die 1994 und 1995 aufgrund einer Verleumdung als Sekte in die Presse geriet und schließlich mit einem finanziellen Schaden von einer Million D-Mark aufgeben musste.

2012 sah sich das »Institut für Kulturwissenschaft – Komplementäre Medizin« an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder unter Leitung von Prof. Dr. Dr. Harald Walach Angriffen von »Esoterik-Jägern« ausgesetzt. Wie mir aus gut unterrichteten Kreisen mitgeteilt wurde, drohte deshalb die Schließung des Instituts, was aber abgewendet werden konnte. Es ist der einzige für Spiritualität offene Studiengang in Deutschland und kann mit einem Bachelor of Arts bzw. einer Promotion zum Dr. phil. abgeschlossen werden. Eine Bachelor-Arbeit an dem Institut wurde in Spiegel online (07.05.2012) entsprechend diffamiert. Hier wird u.a. auch Marcus Schmieke, der Mitgründer der Tattva Viveka, in seiner Funktion als Erforscher der Quantenmedizin diskriminiert.
Im Magazin »Zeit-Wissen« (Nr. 04/2011) sah sich Harald Walach schweren Angriffen ausgesetzt: »Esoteriker unterwandern die deutschen Hochschulen. Der Unterschied zwischen Wissenschaft und Unsinn verwischt.«

Es steht in unserem Grundgesetz geschrieben, dass jeder Mensch das Recht auf freie Religionsausübung hat.

In dem Zeit-Dossier wird im übrigen auch die DGEIM, die Deutsche Gesellschaft für Energie- und Informationsmedizin, verunglimpft. Die DGEIM ist ein langjähriger Kooperationspartner der Tattva Viveka und ein Forum hochkarätiger Wissenschaftler und Mediziner, die sich mit alternativen Heilweisen sowie Forschungen zur Wechselwirkung von Geist und Materie beschäftigen. Bezeichnend ist, dass sich der Zeit-Online-Beitrag auf die Sektenjäger-Seite esowatch.com bezieht, die mittlerweile per gerichtlicher Verfügung geschlossen wurde.
Auch die FAZ, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, beteiligt sich an dem Treiben, indem sie das Institut an der Viadrina und die DGEIM anprangerte. Mittlerweile gibt es dazu eine Abmahnung und eine Unterlassungserklärung der FAZ. Der Streitwert: 250.000 €.
Ich verzichte an dieser Stelle auf weitere Beispiele. Die hier genannten Fälle sind noch die harmlosesten. Viel weiter unter der Gürtellinie geht es zu, wenn nicht Universitäten sondern neureligiöse Gemeinschaften attackiert werden. Aber dass sogar hoch seriöse wissenschaftliche Institute Opfer der Kampagne werden, zeigt, wo wir heute stehen.

Das Sektenklischee

Meine mittlerweile über 20-jährige Beschäftigung mit alternativen Wissenschaften, spirituellen Gruppierungen aller Art und neuen religiösen Bewegungen hat mich immer wieder zu der Frage gebracht: Was ist dran an dieser Angst vor spirituellen Bewegungen? Ich hatte schon mit sehr vielen »Sekten« näheren Kontakt und frage mich noch heute: Wo sind sie denn, die bösen, respektive die ferngesteuerten Sektenanhänger? Ich kann sie nicht finden. Im Gegenteil, ich finde in diesen Gruppierungen mitunter die intelligentesten, bewusstesten und freigeistigsten Menschen überhaupt.
Ich möchte mich in diesem Aufsatz mit der Diskriminierung von neureligiösen Bewegungen auseinandersetzen. Das bedeutet nicht, dass es nicht auch zweifelhafte Tendenzen in solchen exklusiven Gruppen gibt. Fundamentalismus, ideologische Verirrung, Elitedenken und geistige Abhängigkeit sind kein Privileg der öffentlichen Meinung, es gibt sie auch in den Sondergemeinschaften. Dies ist eine eigene Diskussion. Sie ist mir bewusst und wurde von mir auch schon beschrieben.

Es ist eine typische Lesart, Sekten als autoritär organisierte, zentralistisch von einem despotischen Führer gesteuerte Strukturen zu beschreiben.

Aus Platzgründen und aus Gründen der Übersichtlichkeit möchte ich mich in dieser Abhandlung jedoch auf die Frage der Diskriminierung von spirituellen Minderheiten durch den Mainstream beschränken.
Als ich 1989 auf die Bewegung für Krishna-Bewusstsein (ISKCON) traf, war ich fasziniert von der Tiefe dieses spirituellen Weges. Zugleich wurde ich mit einem kulturellen Problem konfrontiert. So tief dieser Weg war, so bestand doch auch eine ebenso tiefe Dissonanz zwischen dieser spirituellen Gemeinschaft und der normalen Gesellschaft. Hier stießen gegensätzliche Welten aufeinander. Es ist verständlich, dass die eine Welt von der anderen Welt behauptet, sie sei falsch, verkehrt oder hässlich. Es entstehen hier gewisse Polarisierungen, die affektiv aufgeladen sind. Wenn nun die eine Welt behauptet, sie habe die alleinige Wahrheit und die anderen seien von Grund auf falsch oder gar dämonisch oder böse, so ist dies nur aus der Sicht der Vertreter dieser einen Welt nachvollziehbar. Sobald man sich in die Perspektive der anderen Seite begibt, verlieren die Argumente wie auch die Emotionen an Überzeugungskraft. Nicht problematisch ist es, wenn daraus ein fairer Diskurs entsteht, eine kontroverse Diskussion von gleichberechtigten Gesprächspartnern, die ihre Gesichtspunkte und Perspektiven austauschen. Es steht sogar in unserem Grundgesetz geschrieben, dass jeder Mensch das Recht auf freie Religionsausübung hat. Wenn jedoch von den Gegnern einer spirituellen oder religiösen Gemeinschaft unehrenhafte Mittel aufgewendet werden, um diese Gemeinschaft oder diesen Glauben zu diskreditieren, so ist es notwendig, hier genauer hinzuschauen.

Wenn man sich die Literatur oder die Berichterstattung im Fernsehen anschaut, die die Bedrohung durch die Sekten thematisiert, so ist hier doch durchweg von einem ziemlich aggressiven und manchmal fast faschistoiden Ton zu hören.
Was treibt diese Menschen an, eine derartige Rede über andere Menschen zu führen? Was ist ihr Horror oder ihre Bedrohung, die sie dazu verleiten, üble Nachrede, Hetze und Rufmord zu veranstalten? Welche spirituelle Disposition steht hinter diesem Verhalten?
Natürlich kann man diesen Menschen nur in selteneren Fällen eine böse Absicht unterstellen. Meistens ist es Unwissenheit und eine diffuse Besorgnis. Aber diese Angst vor dem Unbekannten und dem Fremden mündet dann in eine Stigmatisierung und Verhetzung, die nichts mehr mit einem vernünftigen Diskurs zu tun hat oder etwa eine Offenheit und Bereitschaft signalisieren würde, sich mit dem Fremden, Unbekannten auseinanderzusetzen, oder gar einen forschenden Geist erkennen ließe. Man hört nur noch von Stereotypen, von wenigen immer wieder kolportierten Allgemeinplätzen. All dies wäre noch zu verschmerzen, wenn hier nicht reale Menschen in ihrer Freiheit, in ihrem Ruf und in ihrer materiellen Existenz gefährdet wären.

Es ist einfach eine schwachsinnige Idee, dass Menschen ferngesteuert werden können. Menschen sind eigenständige Individuen, die ihren eigenen Willen haben.

Eine umfassende Beschreibung des Problems gibt Dr. Marco Bischof in einem Aufsatz, den er für die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) erstellte. Er schreibt: »Als eigenartiger Atavismus erscheint die Reaktion auf die neue Religiosität. Religionsfreiheit gehört in allen demokratischen Verfassungen zu den staatlich garantierten Grundrechten. Trotz formaler Gleichstellung versuchen jedoch in der Praxis in den letzten zwanzig Jahren die Amtskirchen die gesetzlich garantierte Freiheit der Religionsausübung durch bestimmte Religionsgemeinschaften durch eine systematische Diffamierung und Kriminalisierung zu unterminieren, und auf Grund der wachsenden nicht-institutionellen Religiosität werden in diesen zu einer regelrechten Kampagne gewordenen Aktivitäten gegen die als ›Sekten‹ diffamierten religiösen Gruppierungen auch Lebenshilfeangebote, Yoga- und Meditationsgruppen, ländliche Lebensgemeinschaften, Psychotherapeuten, Managementkurse und dergleichen einbezogen, in denen die neue Religiosität sichtbar und fassbar wird (Usarski 1988, Gambke 1997, Schmidt-Reinicke 1998, Besier & Scheuch 1999). Ein Ausdruck dieser Kampagne, in der die Sektenbeauftragten der Kirchen eine unrühmliche Rolle spielen, ist neben einer Flut von Antisektenbüchern und -schriften die 1996-98 tätig gewesene ›Enquetekommission des Deutschen Bundestages zu sogenannten Sekten und Psychogruppen‹, die forderte, der Staat solle hier regulierend eingreifen und ein ›Lebenshilfegesetz‹ erlassen.

Auf diese Weise wurden gezielt und systematisch Emotionen geschürt, Feindbilder geschaffen und schon bestehende Vorurteile gegen religiöse Minderheiten gefestigt, was insgesamt die gesellschaftliche Atmosphäre vergiftet und die Religionsfreiheit bedroht. Obwohl alle von der Enquetekommission in Auftrag gegebenen Untersuchungen und Gutachten übereinstimmend zeigten, dass von den neuen religiösen und weltanschaulichen Bewegungen keine größere soziale und politische Gefahr ausgeht als von vergleichbaren sozialen Kontexten auch, gab die Enquetekommission, in Widerspruch zu diesen Erkenntnissen, nicht etwa Entwarnung, sondern schlug verschiedene gesetzliche und administrative Maßnahmen vor, deren Verwirklichung eine Fortsetzung dieser Sektenhysterie, Kriminalisierung und Diskriminierung freier Religiosität befürchten lassen.

Die Methoden

Welches Bild haben die Sektengegner von den von ihnen auserkorenen Gegnern, die sie am liebsten mit Stumpf und Stiel ausrotten möchten? Der Religionssoziologe Dr. Gerald Willms beschreibt es so:

»Sektenklischees, also die öffentlich verbreiteten und mehrheitlich geteilten Vorstellungen darüber, was Sekten sind und was alles so in Sekten passiert, sind exakt so alt wie die sogenannten Sekten selbst. Denn: Es sind schließlich die Klischees, die die Sekten zu Sekten machen. »Sekte« war und ist seit jeher gleichbedeutend mit: Gottlosigkeit und Verwahrlosung, Vielweiberei und Unzucht, Geldschneiderei und Quacksalberei, Verschwörung und Subversion, Teufelsanbetung und perversen Ritualen oder kurz gesagt: moralisch-ethische Irreführung der Gutgläubigen in der ganzen Bandbreite vorstellbarer Möglichkeiten. Und zwar mit den niederträchtigsten Motiven und den hinterlistigsten Methoden! (…) In Bezug auf die bunte Welt der religiösen Phänomene sind die Normopathen die »Sektenmacher«. Sie sind jene, die allen »Andersdenkenden« und damit auch den alternativen religiösen Gemeinschaften den Stempel des Abseitigen und Perversen aufdrücken, und in diesem Sinne sind sie die eigentlichen Erfinder jener Klischees, in denen sich das Abseitige und Perverse als Kehrseite »ihrer« Vorstellungen von Normalität spiegelt. Das Basismodell der Sektenklischees, der kulturgeschichtlich stereotype Vorwurf des Glaubens an die »falschen« Götter, der »Religionsfrevel« und die »Verführung der Jugend« zur Unmoral, hatte schon Sokrates (ca. 469–399 v. Chr.) den Schierlingsbecher eingebracht. Und dem historischen Jesus ging es bekanntlich nicht besser, denn auch ihm wurden Volksverhetzung und Religionsfrevel nachgesagt.« […]

Lesen Sie den kompletten Artikel in der TATTVA VIVEKA 54

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Ronald Engert
Sektenhetze als spirituelles Phänomen
Zur Rezeption spiritueller und neureligiöser Bewegungen in der deutschen Öffentlichkeit

Das Phänomen der Sektenjagd weist auf einen kollektiven spirituellen Missstand in unserer Gesellschaft hin. Spirituelle Gruppen und Sondergemeinschaften werden in leichtfertiger und respektloser Weise öffentlich diskreditiert. Massenmedien, Sektenbeauftragte, Schulbehörden und sogar der Verfassungsschutz mischen mit. Welche psychologischen und spirituellen Muster stecken hinter der Sektenhetze? Wie steht es um die Aufklärung in unserer modernen Gesellschaft? Welchen spirituellen Schaden richtet es an? Eine Streitschrift für die Freiheit der Religionsausübung und den gesunden Menschenverstand.
 

 

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