31 Mai Soma
Das legendäre Entheogen aus dem Rigveda
Autor: Kevin Johann
Kategorie: Ökologie
Ausgabe Nr: 103
Das in den Hymnen des vedischen Rigveda gelobte Soma ist noch immer ein von zahlreichen Rätseln umranktes Faszinosum. Wir können mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es sich um eine psychoaktive Zubereitung mit womöglich stark psychedelischer Wirkung gehandelt hat. Welche Pflanze das Ausgangsmaterial lieferte, ist jedoch bis zum heutigen Tag ungewiss.
»Wir haben Soma getrunken. Unsterblich sind wir geworden. Wir sind zum Lichte gelangt. Wir haben die Götter gefunden.« Rigveda, 8-48.3
Der Rigveda ist eine vedische Textsammlung, dessen Alter auf ca. 3.500 Jahre geschätzt wird; von den insgesamt vier Veden ist er der älteste Teil. Das neunte Buch des Rigveda – das sogenannte Soma Mandala – ist ausschließlich Soma gewidmet, das gleichermaßen als kosmische Macht, als Mond beziehungsweise Mondgott, als spirituelles Prinzip, als eine heilige Pflanze sowie ein aus dieser gewonnenes Rauscherzeugnis interpretiert wird.
Es heißt, dass Soma als Ritualtrunk erstmalig infolge einer Völkerwanderung zwischen 2.000 und 1.500 vor Christus nach Indien gelangte und dort als Opfer für die Götter sowie als rituelles Entheogen ausschließlich von den Brahmanenpriestern verwendet wurde. Ob es sich tatsächlich um ein Psychedelikum gehandelt hat oder möglicherweise um ein Gewächs mit andersartiger psychoaktiver Wirkung, ist niemals eindeutig bestätigt worden. Das im Rigveda beschriebene Wirkpotenzial lässt jedoch zu hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Soma ein visionäres Psychedelikum war. Doch welches genau, das wissen wir nicht. Am populärsten ist sicherlich die von Gordon Wasson aufgestellte Fliegenpilz-Hypothese, die aber, ebenso wie die von anderen Forschern aufgestellten Theorien, niemals eindeutig verifiziert werden konnte. Schließlich sind die im Rigveda auffindbaren Beschreibungen der Somapflanze sehr vage und lassen daher viel Interpretationsspielraum zu. Angeblich soll Soma eine Pflanze gewesen sein, die in den Bergen wuchs und eine rötliche oder gelbbraune Farbe hatte. Über die Frucht, die Blätter, die Samen oder die Wurzel finden wir keine Angaben. Eine Beschreibung also, die im Grunde genommen keinerlei Aussagekraft besitzt.
Das im Rigveda beschriebene Wirkpotenzial lässt jedoch zu hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Soma ein visionäres Psychedelikum war.
Persönlich kann ich mir gut vorstellen, dass Soma nicht die Bezeichnung für eine bestimmte Pflanze gewesen ist, sondern vielmehr als eine Art Sammelbezeichnung für all solche Gewächse fungierte, die in den alten vedischen Ritualen als Entheogen eingesetzt wurden. Anzunehmen ist aber auch, dass es sich um eine synergistische Mischung aus verschiedenen Pflanzen gehandelt hat; möglicherweise auch mit variierender Zusammensetzung.
Mythologie
Verschiedene mythologische Szenen stehen unmittelbar mit Soma in Verbindung. Eine davon erzählt, dass die erste Somapflanze von einem Falken (oder Adler) auf die Erde gebracht wurde. Weiterhin heißt es, dass Indra, die kriegerische Gottheit des Himmelreiches, den bösen Dämon Vritra deshalb besiegen konnte, weil er zuvor ein paar Schlucke vom »Trank der Unsterblichkeit« eingenommen und dadurch außergewöhnliche Kräfte erlangt hatte. Durch den Sieg über Vritra – der die Aspekte Dürre und Unfruchtbarkeit verkörperte – konnte Indra das durch den gefürchteten Dämon gefangen gehaltene Wasser sowie das Vieh befreien, wodurch die Menschen wieder Essen und Trinken hatten. In einem jüngeren Teil der Rigveda finden wir den Hinweis, dass es sich beim Mond um Indras Somabacher handelt. So schrieb Hermann Oldenberg in seinem 1894 erschienen Werk »Die Religion des Veda«, dass wir uns in diesem Zusammenhang den Mond als ein mit einer leuchtenden Flüssigkeit befülltes Gefäß vorstellen können, das von den Göttern in regelmäßigen Zyklen ausgetrunken wird (abnehmender Mond), anschließend für eine kurze Zeit leer ist (Neumond), sich wieder langsam füllt (zunehmender Mond) und letztlich für eine ganze Nacht lang voll ist (Vollmond).
Persönlich kann ich mir gut vorstellen, dass Soma nicht die Bezeichnung für eine bestimmte Pflanze gewesen ist, sondern vielmehr als eine Art Sammelbezeichnung für all solche Gewächse fungierte, die in den alten vedischen Ritualen als Entheogen eingesetzt wurden.
Spekulationen um die Soma-Stammpflanze
Insgesamt wurden von unterschiedlichsten Forschern rund 20 verschiedene Organismen als Ausgangsmaterial für die Soma-Zubereitung in Betracht gezogen. Hier eine Auswahl möglicher Stammpflanzen:
Fliegenpilz
In seinem legendären Buch »Soma – Divine Mushroom of Immortality« (1968) stellte Gordon Wasson die Theorie auf, dass es sich beim heiligen Soma um den Fliegenpilz handelte. Die wichtigsten Argumente, die von Wasson als Begründung seiner Theorie herangezogen wurden, waren folgende:
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- Es werden in der Rigveda keine Angaben über die Blätter, Wurzel oder das Geäst gemacht,
- Soma wird als rötlich-braun (hari) beschrieben sowie
- Soma wird in Zusammenhang mit Urin erwähnt.
Letzteres ist deshalb interessant, weil es bei einigen schamanischen Völkern eine alte Tradition ist, den Urin eines Fliegenpilzberauschten zu trinken. Die Wirkstoffe des Fliegenpilzes werden über den Urin ausgeschieden und sind dann noch immer wirksam. Allerdings ist die besagte Phrase in der Rigveda, in der es heißt »Die geschwollenen Männer urinieren das Fließende« keinesfalls explizit; auch wird hier lediglich vom Urinieren und nicht von Urin trinken berichtet.
Gleichwohl viele von Wassons aufgestellten Argumenten durchaus überzeugend sind, hat seine Fliegenpilz-Theorie auch Kritiker. Zum Beispiel weisen die Autoren S. K. Dash und S. N. Padhy in ihrer Publikation »The Soma Drinker of Ancient India: An Ethno-Botanical Retrospection« (2004) darauf hin, dass gemäß den »Gesetzen des Manu«, welche für die einstigen vedischen Brahmanen eine hohe Autorität darstellten, Pilze überhaupt nicht genossen werden durften. Ob dieses Verbot jedoch gleichermaßen für Speisepilze und sakrale Ritualpilze galt, ist unklar. Das Fazit zu diesem Thema lautet daher: ungewiss! Einiges spricht dafür, dass das entheogene Soma der Fliegenpilz war. Korrekt angewendet und bei entsprechender Ausrichtung der eigenen Geisteshaltung hat Amanita muscaria nämlich zweifelsohne das Potenzial, in tiefe Trancezustände zu führen; das Bewusstsein des Anwenders wird signifikant erweitert und für die spirituellen Dimensionen geöffnet.
Hawaiianische Holzrose
Auch wenn der Name uns zunächst anderes glauben lässt, stammt die Hawaiianische Holzrose (Argyreia nervosa) ursprünglich aus Indien. Die Samen dieses Windengewächses enthalten das Mutterkornalkaloid Lysergsäureamid, kurz LSA, das für seine psychoaktive Wirkung bekannt ist. Die Wirkung von LSA, die durchaus sehr psychedelisch sein kann und in manchen Merkmalen auch mit LSD zu vergleichen ist, ist der Grund, weshalb einige Ethnologen diese Spezies als potenziellen Soma-Kandidaten in Betracht ziehen. Es gibt jedoch keinerlei konkrete Hinweise darauf, dass Argyreia nervosa einstmals für rituelle oder schamanische Zwecke eingesetzt wurde, weder in Indien noch anderswo. Auch gibt es keinen Beweis dahingehend, dass die in den Veden erwähnte »Soma-Ranke« die Holzrose war. Unabhängig davon ist dieses Windengewächs in Indien seit langen Zeiten als Heilpflanze bekannt, beispielweise als Tonikum bei Schwächezuständen sowie als Aphrodisiakum bei Libidoverlust.
Verschiedene mythologische Szenen stehen unmittelbar mit Soma in Verbindung.
Cannabis
In Indien genießt Cannabis in der Darreichung von »Bhang« eine sehr alte Tradition als bewusstseinserweiternde und spirituelle Ritualdroge. Sehr wahrscheinlich war die psychoaktive Wirkung von Cannabis bereits zur Zeit der Veden bekannt. Ob es sich beim Hanf auch um Soma gehandelt hat, ist jedoch unklar. Im Sanskrit taucht Cannabis zwar unter der Bezeichnung »Indrasana« (dt. Indras Essen) auf, was einige Forscher zu der Annahme führte, dass Cannabis die legendäre vedische Ritualdroge gewesen sein könnte, doch letztlich kann auch dies nicht als hinreichender Beweis gewertet werden. Zu den bekanntesten Unterstützern der Hanf-Hypothese gehört der Cannabis-Forscher Chris Bennett, Autor des Buches »Cannabis and the Soma Solution« (2001).
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Schwerpunkt: Parapsychologie
Erschienen: Juni 2025
Dr. Dr. Walter von Lucadou – Parapsychologie: Ein Beitrag zur Bewusstseinsforschung • Prof. dr. Stefan Schmidt – Experimentelle Parapsychologie • Birgit Feliz Carrasco – Hellfühligkeit • Dr. Gerhard Mayer – Magick in der Praxis • Dr. Marc Wittmann – Wenn die zeit verrükt spielt • Astrid Gutowski – Widerstandskraft in herausfordernden Zeiten • Hajo Michels – Scheinheilig: Entlarve die Schattenseiten der Spiritualität • Armin Denner – Die Großen Tarot Arkana • Dr. Rüdiger Sünner – Orte, die zur Seele sprechen • Kevin Johann – Soma • Sophie Baroness von Wellendorff – Wenn Licht und Dunkelheit tanzen • Buchbesprechungen • u.v.m.
Zum Autor
Kevin Johann ist Ethnobotaniker, Buchautor, Referent, Sozialpädagoge (M. A.) sowie Verfasser zahlreicher Artikel zu den Themenkomplexen Pflanzenkunde und Bewusstseinskultur. Seit seiner Jugend interessiert er sich für die faszinierende Welt der Pflanzen und ihre traditionellen Anwendungsmöglichkeiten als Heil- und Ritualgewächse.
Webseite: kevinjohann.de
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