20 Jul Spiritualität von oben und von unten
Die menschlichen Schwächen annehmen
Autor: Krishna Chandra
Kategorie: Theologie
Ausgabe Nr: 83
Verschiedene Wege führen zu einer Annäherung an Gott und zu einer liebevollen Beziehung mit ihm. Einer dieser Weg führt über die Ideale, über die Wunschvorstellung, die wir von uns selbst haben. Diesen Weg nennt der Autor »Spiritualität von oben«. Dem beinahe entgegengesetzt setzt die Spiritualität von unten an den Schwächen und Schattenanteilen des Menschen an. Die Anerkennung und Annahme dieser Aspekte, die untrennbar mit der menschlichen Existenz verbunden sind wie Licht und Schatten, lehren uns Demut und zeigen uns, dass die Wege des Heiligen unergründbar für seine Geschöpfe sind.
Die Spiritualität von oben setzt bei den Idealen an, die von heiligen Schriften und Heiligen Vorbildern inspiriert werden, der Tradition, den Musterbildern innerhalb der eigenen Gemeinschaft und den Vorstellungen von sich selbst, wie man eigentlich gerne sein möchte. Sie geht von Zielvorstellungen aus, die der Mensch durch Sadhana, durch Bemühung, durch Gebet, durch Askese erreichen sollte. Die hohen Ideale vor Augen zu halten, die wir erreichen wollen und sollen (die vollständige Selbstlosigkeit, Selbstbeherrschung, brahmanische Eigenschaften entwickeln, die ständige Freundlichkeit, Freiheit von Zorn, Überwinden der Sexualität). Die Grundfrage dieses Zugangs der Spiritualität ist: Wie soll ein Vaishnava, ein Diener Krishnas (Gottes), handeln, wie soll er sein? Was tut er? Welche Haltungen sollte er verkörpern? Arjuna fragt in der Bhagavad-gita (2.54): »Wie spricht jemand, der in Bewusstseinsruhe ist, wie sitzt er, wie bewegt er sich?«
Die Spiritualität von oben entspringt der menschlichen Sehnsucht, immer besser zu werden, immer höher aufzusteigen, Gott immer näher zu kommen.
Diese Art der Spiritualität ist sicher gut. Sie fordert uns heraus und spornt uns an, über uns selbst hinauszuwachsen und uns den wirklichen Zielen zuzuwenden und sich nicht einfach im Trott der Verweltlichung zu verlieren.
Spiritualität von unten
Spiritualität von unten meint, dass Krishna nicht nur aus heiligen Texten und durch Sadhus der Vergangenheit und Gegenwart zu uns spricht, sondern gerade auch durch uns selbst, durch unsere Gedanken, Gefühle und Träume, durch die Dinge in dieser Welt. Die Stimme seiner Allgegenwart und Alldurchdringung spricht uns an – wenn wir die grundlegende Bereitschaft haben, sie hören zu wollen. Und speziell, dass Gottes Präsenz, Gegenwart und Anteilnahme an uns auch in unseren Wunden und unseren vermeintlichen Schwächen, in unserem Erleben und unserer Erfahrung wahrnehmbar sind. Im Dialog mit ihnen erfahren wir, was uns Krishna durch sie hindurch mitteilen möchte.
In einer Spiritualität von unten beginnt man bei sich selbst, bei seinen eigenen Schwächen und Leidenschaften, Gefühlen und Bedürfnissen.
Sie müssen erst angeschaut werden, damit wir dem wirklichen Gott begegnen können. Sonst würden wir statt Krishna nur den eigenen Hoffnungen und Projektionen begegnen.
In der christlichen Tradition sagt Isaak, der Syrer: »Derjenige, der seine Sünden kennt, ist größer als der, der durch sein Gebet die Toten erweckt. Derjenige, der eine Stunde lang über sich selbst stöhnt und seufzt, ist größer als der, welcher das Universum unterrichtet. Derjenige, der seine Schwäche kennt und einsam und zerknirscht Gott folgt, ist größer als der, der sich der Gunst der Massen in den Kirchen erfreut.«
Wenn Sie mehr über die Ideale der Spiritualität von oben erfahren möchten, können Sie den vollständigen Artikel als Pdf unten bestellen und herunterladen.
Das Paradoxon des Heiligen
Es scheint ein Paradoxon zu sein: Wir steigen zu Gott hinauf, indem wir in unsere Wirklichkeit hinabsteigen bis in die Tiefen des Unbewussten. Im Hinabsteigen in die eigene Menschlichkeit, in seine Erdhaftigkeit, erhebt man sich zu Gott.
Es ist ein Aufstieg durch Abstieg – ein Paradox des Heiligen. C. G. Jung würde sagen, dass der Weg zu Gott ein Abstieg in die eigene Dunkelheit, in das Unbewusste, in das Schattenreich des Hades ist.
Und von dorther kann die Seele reich beschenkt wiederauftauchen, so wie Goldmarie im Märchen »Frau Holle« in den Brunnen fällt, in der Unterwelt das Gold findet und mit neuem Reichtum wieder in die obere Welt zurückkehrt. Aber dieser Mut ist die Grundlage. Im Augenblick des Loslassens und Eingehens des alten »Ichs« und »seiner Welt« verspürt man auch ganz fein, aber dennoch gleichzeitig, das Aufsteigen einer ganz anderen Wirklichkeit. Viele haben erfahren, wenn der Tod ganz nah war, in Bombennächten, in schwerster Krankheit oder anderen Weisen drohender Vernichtung – wie gerade in dem Moment, in dem die Angst ihren Höhepunkt erreichte und die innere Abwehr zusammenbrach, wenn man sich an dem Punkt unterwirft und die Situation annimmt, schlagartig alles ganz ruhig wurde, man unversehens ohne Angst war und spürte, dass etwas in einem lebendig ist, an das kein Tod und keine Vernichtung herankommt.
In dieser Fassung sind Auszüge aus dem Artikel wiedergegeben. Den vollständigen Artikel gibt es im Pdf, das unten bestellt werden kann.
Es geht in den Heiligen Schriften nicht darum, uns eine Sprossenleiter anzubieten, mit der wir zur Vollkommenheit aufsteigen, sondern die Betrachtung all des Heiligen wird konfrontiert mit dem eigenen Leben, mit der eigenen Wirklichkeit – was einen Weg eröffnet, der in die Tiefe der Demut führt. Demut soll auch nicht als Tugend verstanden werden, die man sich selber anwirbt, indem man sich »verdemütigt« und kleinmacht, es ist nicht eine soziale Tugend, sondern eine religiöse Grundhaltung.
Demut wird vom Althochdeutschen diomuoti abgeleitet und beschreibt eine »dienende Gesinnung«. Das lateinische Wort humilitas hat mit Humus, mit Erde, zu tun. Humilitas ist also das Aussöhnen mit unserer Erdhaftigkeit, mit unserer Erdenschwere, mit unserer Triebhaftigkeit, mit unserem Schatten.
Die Griechen unterscheiden da genau zwischen tapeinosis (Erniedrigung, Elend) und tapeinophrosyne, was die Haltung der Demut, der geistlichen Armut, beschreibt. Es ist der Ort der Tiefe, an dem man wirklich Gott begegnen kann, an dem erst das wirkliche Gebet erklingt. Diese Demut ist die Voraussetzung für die echte Gotteserfahrung.
Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.
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Krishna Chandra
Spiritualität von oben und von unten
Die menschlichen Schwächen annehmen
Verschiedene Wege führen zu einer Annäherung an Gott und zu einer liebevollen Beziehung mit ihm. Einer dieser Weg führt über die Ideale, über die Wunschvorstellung, die wir von uns selbst haben. Diesen Weg nennt der Autor »Spiritualität von oben«. Dem beinahe entgegengesetzt setzt die Spiritualität von unten an den Schwächen und Schattenanteilen des Menschen an. Die Anerkennung und Annahme dieser Aspekte, die untrennbar mit der menschlichen Existenz verbunden sind wie Licht und Schatten, lehren uns Demut und zeigen uns, dass die Wege des Heiligen unergründbar für seine Geschöpfe sind.
Über den Autor
Krishna Chandra, geboren 1970. Gründer einer Schülergewerkschaft, linkspolitischer Aktivist, engagiert in den Bereichen Tierbefreiungen und Vegetarismus (mehrere Publikationen dazu). Mit 20 wurde er Mönch. Lebte viele Jahre in verschiedenen Krishna-Ashrams, leitet Pilgerreisen nach Indien. Eröffnete einen eigenen kontemplativen Ashram in den Schweizer Alpen (www.sanatan-dharma.ch)
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Spirituelle Perspektiven aus der Bhagavad-gita
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