Tantrische Liebe – was ist das?

Tantrische Liebe – was ist das?

Das Göttliche im Menschlichen annehmen, Teil 2

Autorin: Angela Mahr
Kategorie: Veden / Yoga
Ausgabe Nr.: 48

Der erste Teil des Beitrags beinhaltete eine Einleitung in die Bedeutung von Tantra von Angela Mahr. Im Beginn des Interviews sprach das tantrische Paar über die Verbindung von Tantra und Leben und ihre eigene Beziehung. Der zweite Teil des Interviews behandelt dunkle Rituale, Angst, Sexualität, Anhaftung, die besondere Situation der Frau, Sex mit anderen Partnern und Treue in der Beziehung.

Angela Mahr: Es gibt auch dunkle tantrische Symbolik, etwa Kali, die eine Kette aus Totenschädeln trägt, und es wird von Friedhofsritualen berichtet. Habt ihr Erfahrung damit?

Saranam: Ich habe so etwas vor langer Zeit einmal gemacht, in Berlin auf einem Friedhof, im Mitternacht, zur Geisterstunde. Ich habe es ein Kali-Ritual genannt. Die Frau war eine damalige tantrische Geliebte. Sie hat sich das Gesicht geschwärzt. Sie hat ein Zen-Schwert über mir geschwungen und die Zähne gefletscht so gut sie es konnte, und ich habe versucht, keine Angst zu bekommen, so gut ich konnte, und legte mich hin. »Shava« heißt die yogische Haltung, in der der liegende Shiva von Kali erweckt wird. Es geht dabei darum, dass Shiva sich dieser Frau unterwirft. Der gesamte Kali-Kontext, wie wir ihn heute verstehen, ist ja aus einer patriarchalischen Gesellschaftsform heraus entstanden: Kali war früher die starke Göttin, der Aspekt der liebevollen, erwachten Frau. Der dunkle Aspekt ist entstanden, weil wir uns im so genannten Kali-Yuga befinden, im dunklen Zeitalter, in dem die Frauen unterdrückt worden sind. Das Ritual hat damit zu tun, dass der Mann sein Ego aufgibt und nicht mehr zur Frau sagt: »Schau mir in die Augen, Kleines«.

Suriya: In klassischer Art habe ich das noch nicht erlebt, aber interessante andere Formen. Ich habe mich der Situation gestellt, Saranam zu erleben, wie er mit einer anderen Frau zusammen ist. Diese Aufgabe habe ich mir bewusst gestellt, weil ich Probleme mit meiner Anhaftung hatte. Ganz klar war, dass es ein ritueller Rahmen sein sollte. Das ermöglichte mir, mich für diesen Prozess zu entscheiden, der einen Anfang und ein Ende hat, mich vorzubereiten und mich dann in diesem Zeitraum selbst zu beobachten. Eine rituelle Form bietet sehr viel Halt. Hier war es so: Shiva und Shakti vereinigen sich, und ich bin diejenige, die das Ritual durchleitet. Das heißt, ich teile diesen Prozess. Ich habe eine Verantwortung. Und zugleich habe ich die Möglichkeit, in die Beobachterposition meiner selbst zu gehen. Dadurch kann ich erfahren, was Emotionen in mir auslösen und wie ich sie kontrollieren und auflösen kann, und zwar positiv.

AM: Gibt es heutzutage Ängste, die größer sind als Todesangst?

Suriya: Es gibt keine andere stärkere Angst. Es ist wichtig, dieses Thema für sich zu bearbeiten, um mehr innere Harmonie zu erzeugen: Wie gehe ich mit meiner Angst um? Letztlich führen alle Ängste zur Todesangst. Letztlich ist der Ursprung jeder Angst immer die Angst, dass wir nicht mehr existieren.

AM: Führt ihr alle Ängste darauf zurück?

Suriya: Ja, auch in der Liebesfähigkeit, und in der Orgasmusfähigkeit. Wenn wir immer tiefere Schichten betrachten, wird es letztlich der Tod sein, dem wir ins Auge blicken.

Saranam: Diese Angst bedeutet, dass ein Teil in uns, Ratio oder Ego, die Kontrolle nicht aufgeben will. Es ist eine Art an der vermeintlichen, so genannten Realität festzuhalten: Was wäre, wenn wir uns im Nichts auflösen? Eine weitere Urangst ist unser schlechtes Gewissen. Wir haben alle eingeredet bekommen, dass wir nach dem Tod für unsere Sünden bestraft werden. Nach wie vor wirkt das in uns, auch wenn wir alle sagen, wir sind gar nicht mehr so richtig religiös. Das Christentum hat uns größtenteils darüber im Unklaren gelassen, was ›Sünde‹ ist: Muss ich mich schämen, weil ich mich sexuell berühre, weil ich mich selbst liebe? Komme ich in die Hölle dafür? Das ist ein Beispiel von vielen. Heute kommen wir immer mehr dahin, an einen Gott zu glauben, der uns liebt, oder sogar an einen Gott, der zugleich wir selbst sind. Das ist die tantrische Botschaft: die Männer sind Gott, die Frau ist die Göttin.

In unserer alltäglichen sexuellen Vereinigung versuche ich aber, ohne Technik völlig selbstvergessen zu sein.

Angela Mahr

AM: Muss das Ego für die Liebe sterben?

Saranam: Lerne, deine Dämonen zu lieben. Yoga sagt, du musst deine Dämonen austreiben. Tantra sagt, lerne sie zu lieben.

Suriya: Nimm deine Angst an die Hand. Nimm sie mit.

AM: Die Tibeter sagen, alles um uns ist Spiegelung. Kann man lernen, sich selbst im Partner zu erkennen?

Saranam: Ja, ganz deutlich.

Suriya: Ich nehme mich selbst auch wahr durch die Begegnung mit jemand anderem. Mein Gefühl bleibt bei mir, und ich erlebe mich durch das Zusammenspiel mit dem anderen.

Saranam: Psychologisch erklärt, bekommt man ja auch durch die Reaktion des Partners mit, wo man selbst steht. Man kann viel durch Kleinigkeiten lernen.

AM: Was bedeutet Transformation in der tantrischen Liebe und in der tantrischen Sexualität?

Suriya: In die Liebe schließe ich die Sexualität mit ein, da beides für mich zusammengehört. In tiefen orgastischen oder sinnlichen Zuständen, in tiefer Konzentration miteinander, erfahre ich: Je tiefer ich mich einlasse, umso weiter wird der Raum.Wenn ich flüchtig oder nebenbei streichle, dann ist dieser Moment schnell vorüber, und ich habe es kaum gespürt. Wenn ich mich tief in eine Berührung hinein begebe, merke ich, dass ich mich selbst dabei spüre. In dieses Gefühl lasse ich mich immer tiefer hineinfallen. Dadurch entsteht eine Selbstvergessenheit. Das ist der Punkt, an dem der Raum immer freier wird, und auf einmal bist du mit allem verbunden. Diesen Punkt kannst du eigentlich in jedem Moment des Lebens, in jeder Situation erreichen.

Saranam: Ich sehe Suriyas Gesicht und empfinde Sehnsucht. Ich sehe ihren nackten Körper und empfinde Sehnsucht. Dann rieche ich ihren Duft und empfinde Sehnsucht. Dann entsteht bei mir eine sexuelle Erregung vorab, und ich empfinde noch mehr Sehnsucht. Dann kommen wir zusammen, und wenn sie die gleiche Sehnsucht empfindet, dann fangen wir an miteinander zu spielen. Wir denken nicht nach, wie soll ich das nun tun. Diese ganzen Techniken im Tantra sind mit Vorsicht zu genießen. Natürlich kann man vieles daraus lernen, aber manchmal sind es auch Umwege. Man versucht eigentlich durch die Techniken, seinen Kopf abzuschalten, um letztendlich wieder im Herzen zu landen. Aber du kannst auch im Herzen landen, indem du dich entscheidest zu lieben. Natürlich gibt es auch Rituale, die wir ausprobieren. Dann experimentieren wir mit Techniken, weil es auch mal Spaß macht, zum Beispiel Yoga und sexuelle Vereinigung gemeinsam auszuprobieren. In unserer alltäglichen sexuellen Vereinigung versuche ich aber, ohne Technik völlig selbstvergessen zu sein. Dadurch wird es möglich, dass ich der sexuellen Urkraft die Führung überlasse.

[…]

Den vollständigen Artikel lesen Sie in der Tattva Viveka 48

[wpshopgermany product=”70″]

Keine Kommentare

Kommentar abgeben