Teilhard de Chardin

Teilhard de Chardin

Bewusstseinspionier für eine Religion und eine Wissenschaft der Liebe

Autor: Jürgen Schröter
Kategorie: Philosophie
Ausgabe Nr: 77

Als französischer Jesuitenpater und Naturwissen¬schaftler erwacht Teilhard de Chardin in den Schützengräben des ersten Weltkrieges zum Mystiker. In diesem Szenario blickt er erstmalig hinter den Schleier der dramatischen Gegensätzlichkeit von »Gut und Böse«, »Freund und Feind«, »Krieg und Frieden« und zu guter Letzt auch von »Leben und Tod«.

Dieser Artikel knüpft an meinen Artikel in der Tattva Viveka 76 über New-Age-Philosophen als Pioniere der Verbundenheit von Spiritualität und Wissenschaft an. In diesem Artikel wurde schon der französische Jesuitenpater und Naturwissenschaftler Pierre Teilhard de Chardin (1881 – 1955) herausgestellt, der ein neues Kapitel der Verbundenheit von Mystik und Naturwissenschaft aufgeschlagen hat. Wir wollen dies nun vertiefen.

»Teilhards Überzeugung, im Herzen der Materie schlage das Herz eines Gottes, ist der kühnste Brückenbau, der zwischen Wissenschaft und Glaube, Mensch und Materie, Vergangenheit und Zukunft bisher versucht worden ist.«

Teilhard-Biograph Günther Schiwy (Lesebuch, S. 13) Pater Teilhard de Chardin strahlt eine charismatische Faszination aus, die bis heute nicht nachgelassen hat. Er ist ein in den Schützengräben des ersten Weltkriegs erwachter Mystiker. Als Geologe, Paläontologe und Anthropologe ist er ein anerkannter Naturwissen­schaftler. Er ist der erste christliche Theologe und Religions-Philosoph, der die darwinsche Evolutionstheorie mit dem christlichen Bibel-Dogma in Einklang gebracht hat.

Wir suchen heute noch nach der »Religion der Zukunft«. Pater Teilhard hat sie bereits skizziert – als weibliche Religion, als feministische Spiritualität, als christlicher Feminismus: das »Ewig-Weibliche« und ihre Anziehungs­kraft.

Die Liebe ist für ihn die Kraft, die – gegen die Kräfte des Bösen und der Entropie – alles zum »Punkt Omega« führt, die Vergöttlichung des Kosmos im »Leib Christi«.

Damit hat er auch eine spirituelle Evolutionstheorie der Liebe im Ansatz erschaffen.

Pierre Teilhard de Chardin hat durch das Publikationsverbot seines Jesuitenordens nicht viele Bücher hinterlassen, im Grunde nur vier: »Das göttliche Milieu« (1926), »Der Mensch im Kosmos« (1949), »Das Herz der Materie« (1950) und »Die Entstehung des Menschen« (1950). Die weitaus meisten Schriften sind Essays, die in den Werkausgaben zu finden sind (im Französischen in 13 Bänden, im Deutschen in 10). Umfangreich sind auch Tagebücher und Briefe an Freunde, Verwandte oder Frauen. Frauen waren wichtige Adress­aten seiner Briefe, die Musen seiner allumfassenden Liebe. Diese Briefe an Frauen sind die umfangreich­sten, die uns das innere Leben Pater Teilhards besonders nahe­bringen. Mit ihnen diskutiert er immer auch Glaubensfragen, sei es eine Autorin der Literatur, eine Feministin, eine Marxistin, eine Geologin oder eine Künstlerin.

Teilhard de Chardin
Der französische Jesuitenpater und Naturwissenschaftler Teilhard de Chardin

Das äußere Leben von Teilhard de Chardin

Marie-Joseph (!) Pierre Teilhard de Chardin wird am 1. Mai 1881 als viertes von 11 Kindern in einer französischen Landadels-Familie gut behütet und »hochwohl« in der Nähe von Clermont-Ferrand (Zentral­massiv) geboren. Er hat zeit seines Lebens als Edelmann etwas Aristokratisches und Ritterliches. Die Familie ist streng katholisch, die Mutter eine sehr fromme »Herz-Jesu«-Frau, der Vater ein natur­verbundener Mann, der in den Kindern das Interesse für die Natur, Mineralien, Fossilien, Pflanzen und Insekten weckt. So findet Pierre in seinen Eltern beide Seiten seines späteren Lebens: das Religiöse und das Naturwissenschaftliche. Teilhard ist 1911 noch skeptisch, dass sich Theologie und Evolutionstheorie miteinander vereinbaren lassen. Er hat sein paläontologisches Studium noch nicht abgeschlossen, war noch nicht zum Mystiker erwacht. Doch irgendwie fasziniert ihn die Idee der Evolution in dieser Zeit: »Dieses magische Wort ›Evolution‹, das in meinem Denken immer wieder kam wie ein Refrain, wie ein Geschmack, wie ein Versprechen und wie ein Apell.« (Zitiert nach Schiwy, Bd.1, S. 206 / Das Herz der Materie, S. 41)

Während des ersten Welt­krieges leistet er zwischen 1914–1919 den Kriegsdienst als Sanitäter und Bahrenträger unmittelbar an der Front ab und macht hier seine mystischen Erfahrungen. In diese Zeit fällt auch seine erste sicher platonische Liebesbeziehung zu einer Frau, seiner Cousine Marguerite Teillard-Chambon.

Seine Mystik ist eine Mystik der Liebe, die er bei einer Frau erfahren hat und über die Liebe zur Materie auf den ganzen Kosmos überträgt, die er als »Leib Christi« erfährt und im Kosmischen Christus voll­endet sieht.

Lesen Sie im vollständigen Artikel, wie die Beziehung zu seiner Cousine seine Mystik prägten und es nach dem ersten Weltkrieg in seinem Leben weiterging. Für 2,00 € gibt es die Vollversion (am Ende des Beitrags bestellbar)!

Jesuit mit Herz und Seele

Es ist sinnvoll, sich etwas mit dem Gründer der »Gemeinschaft Jesu«, dem Spanier Ignatius von Loyola (1491 – 1556) zu beschäftigen, um zu verstehen, warum Pierre Teilhard de Chardin seinem Orden Zeit seines Lebens absolut treu geblieben ist.

Ignatius und sein Orden waren eine nahezu »militärische Speer­spitze« (gegen die Reformation) mit dem Ziel, an die Reformation verlorene Gebiete im Sinne Roms und des Papstes zurückzuerobern. Sie verstanden sich als »kämpfende Ritter«, als »Soldaten Christi«. Der Orden war aber auch dem Judentum gegenüber nicht freundlich gesonnen, man könnte es auch »Antisemitismus« nennen. Beim Tod des Ignatius von Loyola zählte der Orden bereits 1.000 Mitglieder. Die Hierar­chie des Jesuitenordens war an militärischen Rängen angelehnt – bis hin zum »Ordensgeneral«. Disziplin war Pflicht. Der in unseren Alltagsgebrauch eingeflossene Begriff des »Kadaverge­horsams« stammt ursprünglich von Ignatius.

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Raimund Badelt interpretiert Ignatius von Loyola in seinem Büchlein »Energie der Liebe« zusammenfassend mit den Worten: »Das heißt, Gott selbst wirkt durch die Natur im Menschen; er lädt den Menschen zur Kooperation in der ›immerwährenden Schöpfung‹ (creatio continua) ein.« (S. 32)

Genau das ist das Grund­motiv von Teilhard, dass die Schöpfung noch (lange) nicht zu Ende ist, sondern durch den Menschen im Geiste Gottes fortgeführt wird, »… wir bauen an der Schöpfung, letztlich am kosmischen Leib Christi« (Badelt, S. 37)

»Ebenso wie die Schöpfung dauert auch die Menschwerdung Gottes (Inkarnation) an, solange die Welt besteht.« – Badelt S. 46

Teilhard hat Ignatius niemals kritisiert. Er müsse nur um die kosmische Evolution erweitert werden. Zwei fundamentale Stränge in dem Leben Pater Teilhards lassen sich auf Ignatius zurückführen: einmal der Priester-Soldat und Mystiker von der Front und zum anderen die Liebe zur Natur als göttliche Schöpfung.

Erfahren Sie, wie Ignatius von Loyola Teilhard De Chardin inspirierte. Lesen Sie die Vollversion in der Tattva Viveka 77 oder als Einzelartikel zum Download am Ende des Artikels.

Teilhard diente nicht nur diszipliniert seinem Orden, sondern auch seinem Land Frankreich als Sanitäter im ersten Weltkrieg 1914–1918 unmittel­bar in den Schützengräben – auch acht Monate in der »Hölle« von Verdun. Teilhard drängt es an die Front.

Was in dieser Zeit passiert, ist das eigentliche Wunder. Teilhard war alles andere als ein Pazifist. Er war konservativ erzogen, und der französische Chauvinismus war ihm nicht fremd. Man liest bei ihm in den Tagebüchern »kriegsverherrlichende Worte«, die einen sehr irritieren können:

»Der gegenwärtige Krieg ist schön; weil logisch, über alles Maß ehrlich, klar in seinem Prozeß – er ist eine sehr reine Geste – seit langem (vielleicht seit jeher?) der erste Krieg, der seine Definition und seine Natur als Aufeinanderstoßen zweier Völker voll verwirklicht.« (Schiwy, Bd. 1, S. 245)

Man könnte fast denken, hier schreibt ein »Gotteskrieger«, der im »Heiligen Krieg« kämpft.

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Doch er schreibt auch Sätze wie: »Wer die ›Front‹ gekostet hat, hat das Unendliche gekostet.« (Schiwy, Bd. 1, 255) Und wer das Unendliche gekostet hat, für den verschwinden die Dichotomien von »Gut und Böse«, »Freund und Feind«, »Krieg und Frieden«, »Leben und Tod« in ihrer dramatischen Gegensätz­lichkeit und es werden relative, ver­söhnliche Begriffe. Der Krieg erscheint wie eine mächtige Natur­katastrophe – eine Eruption sich verstärkter Spannung hin zur Entspannung der Entladung eines Vulkans. Kriege sind Krisen des Egoismus auf stärkster Spannung hin. Pater Teilhard sah in den Leiden des Krieges auch bereits das Aufblühen der Liebe danach, die Versöhnung und das kooperative Zusammen­wach­sen der Men­schen nach der Katas­trophe. Teilhard denkt nicht in Jahrzehnten, er denkt in Jahrhunder­ten. Kriege waren für Pater Teilhard so etwas wie »das Kreuz der Menschheit«, das es zu ertragen und zu überwinden gilt. Nach dem Kreuz am Tod folgt die Auferstehung. Pater Teilhard ist allerdings ein Theologe, für den die Auferstehung viel wichtiger ist als der Tod am Kreuz. Die Auferstehung der Menschheit ist letztlich der Punkt Omega. Dieser Gedanke der Auferstehung steht mehr im Zentrum des Neuen Christentums. Seine mystischen Erfahrungen macht Pater Teilhard an der Front in ständiger Todesgefahr. Diese Zeit, er ist 33 bis 38-jährig, ist die intensivste Zeit seines Lebens.

Sein deutscher Biograph Günther Schiwy schreibt dazu (Bd. 1, S. 262): »Teilhard begreift sich an der Front des ersten Weltkriegs als einer, der sein Leben lang an der vordersten Front Gottes stehen wird, die für ihn identisch ist mit der Linie des Fortschritts für die Menschheit. Das ist seine Berufung, die er sich nicht ausgedacht hat, sondern die ihm zuteil geworden ist wie dem Moses: im brennenden Dornenbusch. An der ›Front‹ hat Teilhard ›gesehen‹, deshalb wird ihn die ›Sehnsucht nach der Front‹ nie wieder verlassen.«

Unser Autor Jürgen Schröter

Über den Autor

Jürgen Schröter (Jahrgang 1951) ist von Hause aus Pädagoge, war Lehrer in der Erwachsenenbildung und hat sich 1989 selbstständig gemacht. Hier hat er als Texter und Lektor gearbeitet, ist Autor (»Zahlenmystik als spiritueller Weg«), hat eine Autorenschule und den Verlag DIE SEELE gegründet. Er war der erste Herausgeber des an Ken Wilber orientierten Online-Magazins »integral informiert«. Seine Vision ist es, Schöpfungsmythologie und Evolutionstheorie in einer Theorie der Selbst-Bildung der Geist-Seele zu integrieren. Er lebt mit Sohn und Enkeln in Südfrankreich. https://juergen-schroeter.de

Ausführliche Literaturverweise und Buchbesprechungen in seinem Buchblog: https://buch-blog.info/teilhard-de-chardin

Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.

Jürgen Schröter beschreibt in diesem Artikel detailliert den Werdegang von Teilhard de Chardin und welche Erlebnisse ihn selbst und seine Mystik prägten.

Die vollständige Fassung des ersten Teils lesen Sie in der Tattva Viveka 77 Auch für 2,00 € als ePaper erhältlich (Pdf, 7 Seiten).

Teilhard de Chardin (Teil 1-3) (PDF)

 3,00

Jürgen Schröter
Teilhard de Chardin, der Bewusstseinspionier

Als französischer Jesuitenpater und Naturwissenschaftler erwacht Teilhard de Chardin in den Schützengräben des ersten Weltkrieges zum Mystiker. In diesem Szenario blickt er erstmalig hinter den Schleier der dramatischen Gegensätzlichkeit von »Gut und Böse«, »Freund und Feind«, »Krieg und Frieden« und zu guter Letzt auch von »Leben und Tod«.
 

 

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