Transgenerationales Erbe

Transgenerationales Erbe

Die Last der Kriege in den Generationen danach

Autor: Marina Stachowiak
Kategorie: Psychologie
Ausgabe Nr: 86

Kriege und autoritäre Erziehung führen zu schweren Traumata bei Kindern und auch Erwachsenen. Diese Traumata werden auch an die Folgegeneration weitergegeben und belasten Menschen psychisch, oft ohne den Zusammenhang zu verstehen. Die neue Disziplin der Epigenetik zeigt, dass diese Traumata auch physisch vererbt werden können. Angesichts der Leiden der Betroffenen ein viel zu wenig beachtetes Problem.

Wir alle haben in unserem Leben etwas erfahren, das uns zutiefst geschmerzt, belastet oder traumatisiert hat. Solche Erlebnisse haben in unserem Bewusstsein eine Art Langzeitwirkung und sie bringen uns im weiteren Leben immer wieder in Resonanz mit selbstähnlichen Begebenheiten. Das einst Erfahrene begleitet unser weiteres Leben, und wir spüren es in seinen ganz unterschiedlichen Auswirkungen, sei es mental, psychisch oder auch in Form von Körpersymptomen und Erkrankungen. Wir werden also immer wieder an nicht bewältigte Erlebnisse und deren Auswirkungen auf unser Leben erinnert. Hierzu gehören neben unseren eigenen auch diejenigen Erfahrungen, die unsere Vorfahren nicht bewältigen konnten und an uns weitervererbt haben.

Dabei gelten die Kriegserfahrungen unserer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern als die schwerwiegendsten. Haben unsere Vorfahren Kriege, Holocaust, Hungersnöte, Flucht und Vertreibung oder Vergewaltigungen erlebt, waren sie in Vernichtungslagern oder Gefängnissen eingesperrt, haben sie Bombardierungen oder Fronteinsätze erlebt oder waren sie sonstigen Gefahren und Entbehrungen ausgesetzt? Konnten sie das Erlebte bewältigen oder sind sie daran zerbrochen? Was haben sie uns an Unbewältigtem weitergegeben?

Der Sozialpsychologe Hartmut Radebold prägte 2005 die Bezeichnung »transgenerationale Weitergabe kriegsbedingter Belastungen«. Darunter ist zu verstehen, dass

die psychischen Folgen verheerender Erfahrungen und Traumata während des Zweiten Weltkrieges und unter dem Hitlerregime an die Folgegenerationen weitergegeben wurden.

Welche Folgen transgenerationale Belastungen für die Betroffenen und ihre Nachfahren mit sich bringen, finden Sie im vollständigen Artikel. ? Unten können Sie bestellen!

Der Einzelne ist nichts, das Kollektiv ist alles

Ein gravierender und stark belastender und transgenerational weitergegebener Faktor ist neben den erfahrenen Kriegstraumata die autoritäre Erziehung, die bereits vor der Naziherrschaft streng und militaristisch ausgerichtet war. Disziplin und Ordnung, vor allem Unterordnung gegenüber den Vorgesetzten und in der Regel männlichen Autoritäten sowie die Einhaltung der vorgegebenen geschlechtsspezifischen Normen für Mädchen und Jungen bzw. für Frauen und Männer ließen Kinder zu unterwürfigen und gefügigen Menschen werden. Insofern dienten die bereits etablierten Erziehungstraditionen während des Hitlerregimes dem gezielten Aufbau einer Kriegsgeneration, in welcher der einzelne Mensch nichts, das nationalsozialistische Kollektiv alles galt. Auch dies ist ein Grund für das Schweigen der Kriegsgenerationen, dem eigenen Leid keine Bedeutung zu schenken. Sabine Bode beschreibt die Kriegskinder in ihrer Besonderheit: »Hier handelt es sich um eine große Gruppe von Menschen, die in ihrer Kindheit verheerende Erfahrungen gemacht hatte, aber in ihrer Mehrzahl über Jahrzehnte eben nicht auf die Idee kam, etwas besonders Schlimmes erlebt zu haben. Sie sagten übereinstimmend: Das war für uns normal, und es blieb für sie normal, das jedenfalls sagte ihnen ihr Gefühl.«

»Ihnen fehlte der emotionale Zugang zu ihren wichtigsten Prägungen.«

Entscheidend für diese Generation war vor allem auch das Fehlen von Vertrauen und sicheren Bindungen an die Eltern und Vertrauten, sodass eine gesunde individuelle Entfaltung ihrer Persönlichkeit nicht möglich war. Die nationalsozialistische Pädagogik erfolgte einerseits mit viel Zwang und Gehorsam, bot Kindern und Jugendlichen aber andererseits auch Faszinierendes in den nationalsozialistischen Kinder- und Jugendorganisationen, um sie für die eigene Ideologie zu gewinnen, denn, so propagierten die Nazis: »Wer die Jugend hat, hat die Zukunft.«

Wussten Sie, dass die Pädagogik der Nationalsozialisten auch nach Kriegsende weiterhin populär war? Dies können Sie im vollständigen Artikel lesen. (Bestellmöglichkeit am Ende des Beitrags!)

Die Kriegskinder

Diejenigen, die die unmittelbaren Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges selbst erlebten, sind durch ihre seelischen Wunden stark geprägt. Dabei ist die jeweilige Entwicklungsphase, in der sie traumatische Erfahrungen machen mussten, von entscheidender Bedeutung.

Denn je früher ein Mensch in seinem Leben Angst hatte und je früher er lebensbedrohlichen Ereignissen oder großer Not ausgesetzt war, umso heftiger wirken sie sich auf das weitere Leben aus.

Sabine Bode beschreibt dies wie folgt: »Je kleiner die Kinder waren, als die Katastrophe über sie hereinbrach, umso gravierender die Spätfolgen. In der Altersgruppe derer, die in den 40er Jahren geboren wurden und sich daher kaum oder gar nicht an das Kriegsgeschehen erinnern können, werden heute die größten Beeinträchtigungen sichtbar. Viele Menschen klagen über psychosomatische Beschwerden, vor allem über immer wiederkehrende Depressionen, unerklärliche Schmerzen oder Panikattacken. Da ihre Ängste nicht von Bildern der Kriegsschrecken begleitet werden und es auch in ihren Träumen keinerlei Hinweise dazu gibt, kamen sie bis vor kurzem nicht auf die Idee, sie könnten von Kriegserlebnissen belastet sein, und ihre Symptome blieben für die Ärzte rätselhaft. Das ist heute anders. Es hat sich in der Medizin herumgesprochen, daß ein nicht unerheblicher Teil der älteren Patienten unter Kriegstraumata leidet. Noch sind die Hilfsangebote für diese Kranken nicht ausreichend, aber es wächst die Aufmerksamkeit für die Hintergründe ihrer Beschwerden, auch in der Altenpflege.«

Viele Menschen der Kriegskinder-Generation leiden bis ins hohe Alter an ihren Erfahrungen und sind vor allem psychisch stark belastet. Sie leiden an Unruhezuständen, Getrieben-Sein, dem Gefühl, nirgends anzukommen, an Depressionen und Ängsten.

In dieser Fassung sind Auszüge aus dem Artikel wiedergegeben. Den vollständigen Artikel gibt es im Pdf, das unten bestellt werden kann.

Transgenerationales Erbe

Die Kinder der Kriegskinder wiederum empfanden Scham und Schuldgefühle über die Millionen von Toten – und wollten den Eltern als greifbaren Stellvertretern der Welt von damals in Gesprächen am Küchentisch den Prozess machen. Wollten nach dem Hitlerjungen im Vater, dem BDM-Mädchen in der Mutter bohren. Sie suchten abgestoßen und zugleich fasziniert nach den Spuren der Nazis, nicht nach den Traumata der Eltern.«

Gleichzeitig übernahmen gerade sie die nicht gelösten inneren Konflikte der Eltern und verhielten sich so angepasst wie möglich innerhalb ihrer Familien. Sie machten die Erfahrung, dass es nicht weiterführt, mit den Eltern über ihre Nazizeit zu sprechen. Was die Eltern zu ihrer Verteidigung hervorbrachten, war häufig der Satz: »Es war aber nicht alles schlecht« oder »Was hätten wir denn machen sollen?«. Sie konnten nicht über ihre Gefühle sprechen, geschweige denn sie zeigen.

Seitdem deutlich geworden ist, dass die psychischen Folgen unbewältigter Erfahrungen an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden, setzen sich soziologische, geschichtspsychologische sowie psychoanalytische und therapeutische Untersuchungen mit der unterschiedlichen Art der Weitergabe unbewältigter Erfahrungen auseinander, nehmen sich die unterschiedlichen Sozialisationen der Kriegs- und Nachkriegskinder sowie der Kriegsenkel vor oder befassen sich mit verschiedenen typischen Folgeerscheinungen in den Nachkriegsgenerationen wie sie beispielsweise Natan Kellermann für die Enkel von Holocaust-Überlebenden zusammengestellt hat.

Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.

Erfahren Sie mehr über die die Belastungen unserer Vorfahren, und wie wir lernen können, dieses Erbe aufzulösen.

Lesen Sie die vollständige Fassung in Tattva Viveka 86 oder downloaden Sie diesen Artikel einzeln als ePaper für 2,00 € als ePaper erhältlich (Pdf, 7 Seiten).

Transgenerationales Erbe (PDF)

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Marina Stachowiak
Transgenerationales Erbe
Die Last der Kriege in den Generationen danach

Kriege und autoritäre Erziehung führen zu schweren Traumata bei Kindern und auch Erwachsenen. Diese Traumata werden auch an die Folgegeneration weitergegeben und belasten Menschen psychisch, oft ohne den Zusammenhang zu verstehen. Die neue Disziplin der Epigenetik zeigt, dass diese Traumata auch physisch vererbt werden können. Angesichts der Leiden der Betroffenen ein viel zu wenig beachtetes Problem.
 

 

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Über die Autorin

Marina Stachowiak, geb. 1957, ist temporik-art Begleiterin, Kunstwissenschaftlerin, Autorin und Malerin. Sie veröffentlichte mehrere Bücher und Schriften zum integralen Themenspektrum und zum Bewusstseinswandel sowie unter ihrem ehemaligen Namen Marina Pilgram zur sexuellen Gewalt in der Kindheit. Vor dem Hintergrund der integralen Theorie des Philosophen Jean Gebser und der Psychobionik nach Bernd Joschko entwickelte sie temporik-art. 2010 gründete sie das Institut für integrale Bewusstseinsbildung in Reinheim bei Darmstadt und lehrt dort temporik-art in Einzel- und Gruppenseminaren sowie in Ausbildungsgruppen für Menschen, die andere mit temporik-art begleiten möchten.

Bildnachweis: © Marina Stachowiak

1 Comment
  • Anett Schulz (offizieller Name) - Sunny RedCloud) (richtiger Name)
    Gepostet am 14:43h, 21 März Antworten

    Ich sehe nicht, dass die Menschen der Nachkriegsgeneration leiden. Eher das Gegenteil ist der Fall, sie mobben, denunzieren Lügen, rauben, demütigen und unterdrücken immer noch Menschen die nicht ihrem Idealbild (blond und blauäugig) entsprechen. Und sie haben Spaß dabei. Sie rauben Kinder zu Tausenden, die auch nur einen Hauch von Nicht-deutsch entsprechen. Ich selbst bin eine Betroffene. Ich wurde 1973 aus den USA nach Deutschland verschleppt. 1971 hat mein Pflegevater bereits seine Pflegeeltern getötet (er Vertriebener als 3-jähriger, Mutter ist auf der Flucht verstorben, Vater im Krieg gefallen, seine Pflegeeltern ebenfalls Vertriebene). Offenbar wurde er zu DDR-Zeiten dafür noch belohnt: „mit 70 bzw. 71 Jahren haben sie lange genug Rente erhalten“. Ich war für diese „Superarier“ immer nur der Sklave. Sie sehen sich auch nicht als Verlierer des Krieges.

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