26 Mai Überleben in Gemeinschaft
Wie die Evolution Kooperation und Altruismus entstehen ließ
Autor: Jo Eckardt
Kategorie: Gemeinschaften/Projekte
Ausgabe Nr: 91
Kooperation und Konkurrenz, zwei Eigenschaften, die beide zu denselben grundlegenden Zielen führen können: zu überleben und sich evolutionär fortzupflanzen. Jo Eckardt geht der Frage nach, wann wir welche Strategie wählen, welchen Einfluss sie auf die Menschheitsgeschichte hatten und ob wir uns von einer der beiden einen größeren Vorsprung erwarten können.
Warum verhalten sich manche Menschen egoistisch und andere kooperativ? Wie entsteht Empathie auf der einen und Rücksichtslosigkeit und Verachtung auf der anderen Seite? Die Psychologie versucht, diese Fragen aus einer individuellen Perspektive heraus zu beantworten.
Je nachdem, welche frühen Erfahrungen ein Mensch macht, entwickeln sich die Bindungsfähigkeit, das Urvertrauen und die Fähigkeit zur Empathie.
Hinzu kommt noch die jeweilige Persönlichkeit, mit der jeder Mensch geboren wird. Sie ist zwar bis zu einem gewissen Grad veränderbar, gibt aber doch wesentliche Grundzüge vor: etwa ob jemand extrovertiert oder eher introvertiert ist. Nimmt man sich also eine bestimmte Person vor, kann man wahrscheinlich ziemlich genau herausfinden, warum sie so fühlt und agiert, wie sie es tut. Man könnte dann vermuten, dass ein kooperativer Mensch als Kind viel Empathie erlebt hat und Grund hatte, sich und anderen zu vertrauen. Vielleicht hat auch eine offene und umgängliche Persönlichkeit geholfen, viele gute Bindungen entstehen zu lassen, und die Neigung zur Kooperation hat sich dann ganz einfach entwickelt. Andersherum ist es möglich, dass ein egoistischer Mensch als Kind das Gefühl hatte, nicht das zu bekommen, was ihm oder ihr zustand.
Wer keine Liebe spürt und kein Mitgefühl erlebt, wird selbst wenig Empathie für andere entwickeln und das schwache Selbstwertgefühl durch materielle Erfolge zu kompensieren versuchen.
Ausbau der sozialen Fähigkeiten – der Entwicklungssprung?
Eine ganz andere Frage ist aber, warum wir Menschen überhaupt Empathie und die Fähigkeit zur Kooperation entwickelt haben. Ist die soziale Kompetenz vielleicht sogar das Erfolgsgeheimnis von unserer Spezies, die uns überhaupt erst zu den Wesen gemacht hat, die wir sind? Sind Kooperation und Altruismus Wesensmerkmale von uns Menschen, die uns von den Tieren unterscheiden? Die Anthropologie, aber natürlich auch die Zoologie, Soziologie und Evolutionspsychologie interessieren sich für diese Fragen. Tatsächlich setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass es nicht die »Intelligenz« ist, nicht die Fähigkeit, Werkzeuge zu benutzen und Sprache zu entwickeln, nicht die Beherrschung des Feuers, nein,
was den frühen Menschen geholfen hat, den enormen Entwicklungssprung zu vollziehen, der zum Homo sapiens führte, war der Ausbau der sozialen Fähigkeiten.
Dabei ist es nicht so, dass Tiere keine sozialen Fähigkeiten hätten. In den letzten Jahren ist es Tierpsychologen und Verhaltensforscherinnen gelungen, viele erstaunliche Entdeckungen zu machen: Tiere bemerken, wenn Belohnungen ungerecht verteilt werden, und können ernsthaft wütend werden, wenn andere mehr bekommen. Man kann also voraussetzen, dass sie so etwas wie einen Gerechtigkeitssinn haben. Wenn es darum geht, an Futter zu gelangen, können sie Strategien entwickeln, die Kooperation voraussetzen, bei denen also einzelne Tiere Schritte durchführen, die erst einmal gar nichts mit dem Futter zu tun haben, die aber in der Zusammenarbeit letztlich doch dazu führen, dass alle zu fressen bekommen. Einige Tiere können Emotionen in Menschen erkennen und andere helfen Artgenossen aus prekären Situationen und gehen dabei sogar Risiken für ihr eigenes Leben ein. Dabei geht es nicht nur um intelligente Säugetiere wie Elefanten, Hunde, Affen oder Ratten, sondern auch um Vögel und andere Tierarten. Sind nicht überhaupt die größten Kooperations-Experten Ameisen und Bienen? Und was ist mit der Spinnenart, die den größten Akt der Selbstaufopferung vollführt, der vorstellbar ist: Die Mutter löst sich nach der Geburt auf, um den Nachkommen als Nahrung zur Verfügung zu stehen. Gut, könnte man sagen, aber nur der Mensch empfindet so etwas wie wahres Mitgefühl und Altruismus. Oder nicht? Auch hier würden Tierpsychologen widersprechen und Hundebesitzer sowieso.
Und doch ist die soziale Kompetenz das herausragende Merkmal, das unseren Vorfahren den entscheidenden Schub gab, um sich von den engsten Verwandten fortzuentwickeln. Funde von Hominiden kurz vor der Abspaltung der menschlichen Spezies lassen darauf schließen, dass die Gehirne gerade in den Bereichen, die für Empathie und Kooperation benötigt werden, sich anfangs nicht von denen der anderen Menschenaffen unterschieden. Einige Millionen Jahre schienen unsere Vorfahren den anderen Affenarten wahrscheinlich sogar unterlegen. Erst als die Entwicklung des Gehirns einen Sprung machte und soziale Fähigkeiten ausgeprägt wurden, begann der Siegeszug der Menschheit. Wie kam es dazu?
Das war nur der Anfang des Artikels.
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Tattva Viveka Nr. 91
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Schwerpunkt: Leben in Gemeinschaft
Erschienen: Juni 2022
Jo Eckardt – Überleben in Gemeinschaft. Wie die Evolution Kooperation und Altruismus entstehen ließ • Johannes Heimrath und Lara Mallien –
Im Vertrauensraum transparent sein. Wie Gemeinschaft gelingt • Stefanie Raysz – Leben, Lernen und Arbeiten an einem Ort. Das Leben einer Familie in der Gemeinschaft • Claus Reimers – Ein Leben für die Gemeinschaftsbewegung. Einblick in die Entstehung und Entwicklung der Gemeinschaft Schloss Tempelhof • Stefanie Aue –
Die Community lebendig halten. Vor Ort in der Gemeinschaft Parimal Gut Hübenthal • Achim Ecker – Lieben ist eine politische Aufgabe. Langjährige Gemeinschaftserfahrung im ZEGG • Barbara Stützel – Gemeinschaft als Entwicklungsweg. Welche persönlichen Fähigkeiten zu mehr Verbundenheit beitragen • Dieter Halbach – »Beteiligung ist das Herz der Demokratie«. Wie die Prinzipien der Gemeinschaftsbewegung in der Gesellschaft angekommen sind • Dr. Thomas Steininger – Der Mut zu träumen. Commons, Blockchain, Peer-to-Peer-Beziehungen und die Vision einer neuen Netzwerkkultur • Ronald Engert – Die Wahrheit wird uns nicht davonlaufen. Plädoyer für Walter Benjamin • Dr. Annette Blühdorn – Das metaphorische Herz Teil 2. Zeuge des archaischen Bewusstseins • Dr. Iris Zachenhofer und Andraes Kalff – Die Annäherung von Medizin und Schamanismus. Ein Weg ganzheitlicher Heilung • u.v.m.
Über die Autorin
Jo Eckardt hat Bücher zu Themen wie Trauma, Trauer und Kommunikation geschrieben. Das 2022 bei Kamphausen erschienene Buch »Das neue Miteinander« beschäftigt sich mit der Bedeutung von Gemeinschaft nicht nur für den einzelnen Menschen, von Geburt an bis ins hohe Alter, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt. Gemeinschaftlichkeit ist die größte Chance dafür, dass wir die Herausforderungen der Zukunft meistern können und die Menschheit am Ende überlebt.
Webseite: joeckardt.de
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Bildnachweis: © Adobe Photostock- pronoia
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