Scheinheilig: entlarve die Schattenseiten der Spiritualität

Scheinheilig: entlarve die Schattenseiten der Spiritualität

Raus aus dem spirituellen Burn-out – finde deinen metaspirituellen Weg

Autor: Hajo Michels
Kategorie: Psychologie
Ausgabe Nr: 103

Nach Jahrzehnten der spirituellen Suche ist der Autor in vieler Hinsicht ernüchtert. Auch Spiritualität birgt ihre Schattenseiten, und mit entwaffnender Offenheit entlarvt Michels hier einige der wichtigsten Fallstricke. Spirituelles Bypassing, spiritueller Materialismus, falsche Gurus, spirituelles Burn-out sind nur wenige Stichworte. Deshalb plädiert er für die metaspirituelle Revolution, die uns wahrhaftig mit uns selbst verbindet, ehrlich werden und nicht nur egoistisch neoliberal, sondern für alle Lebewesen ein gutes Leben führen lässt.

Längst hat der Neoliberalismus die Spiritualität gekapert, um uns mit seiner Erleuchtungsindustrie, deren Glücksterror und grausamer bis toxischer Positivität in die Selbstoptimierungsfalle zu locken. Vegane Yogafanatiker, bei denen vor allem die körperliche Optimierung im Vordergrund steht, konkurrieren mit McMindfulness Enthusiasten, die mittels Achtsamkeit die Resilienz und damit die Produktivität steigern wollen. Es lebe der spirituelle Materialismus. Das neoliberale Narrativ, »du kannst, wenn du willst« – also die uneingeschränkte Selbstverantwortung – ist längst Teil vieler pseudo-spiritueller Gruppen geworden. Im Gegengewicht dazu hat sich das esoterische bis braune Verschwörungsgedankengut etabliert, das der »herrschenden Klasse« alle Schuld für die persönlichen Probleme zuweist.

Mit »magischem Denken« wird alles Mögliche erklärt und angeblich »manifestiert«. Jedoch hinterlässt es mehrheitlich heuchlerische oder frustrierte und sich in Selbstvorwürfen ergehende Praktizierende, weil man scheinbar doch – oh Wunder! – unfähig ist, alles zu »erschaffen und zu erreichen«.

Die Sinnhaftigkeit unseres Lebens, die uns das in Skandale verwickelte Bodenpersonal der Religionen nicht mehr glaubhaft vermittelt, verkauft uns heute Teile der Coachingszene, die mit Teebeutel-Sprüchen und gefährlichem Halbwissen ein Stück des auf circa 20 bis 30 Milliarden geschätzten Spiritualitätskuchens abhaben möchten. Und wenn es mit der Spiritualität nicht so klappt, wie es soll, gibt es bestimmt jemanden, der einem eine Abkürzung zur Erleuchtung verkauft, oder man greift zur Not zu spirituellen Drogen, die einen ins Nirwana katapultieren.

All diese »Arbeit« an uns selbst und die Fehler bei uns suchend hält uns so auf Trab, dass wir die Dysfunktionalität unserer Gesellschaft nicht wahrnehmen und weiter im Hamsterrad der vermeintlichen Spiritualität umherrennen.

Das neoliberale Narrativ, »du kannst, wenn du willst« – also die uneingeschränkte Selbstverantwortung – ist längst Teil vieler pseudo-spiritueller Gruppen geworden.

Viele Fallen und Irrwege lauern auf dem spirituellen Weg. Warum ist es wichtig, sie zu kennen und zu vermeiden?

Weil wirklich wahrhafte Spiritualität nur aus der rechten Motivation erwachsen kann. Das Ziel ist immer Transzendenz und Einswerden in der Erkenntnis des Verbundenseins mit allem. Nur dadurch erwachsen Mitgefühl und die Bereitschaft, sich »ehrlich« zum Wohle der Gemeinschaft einzusetzen.

Jede Art von Spiritualität, die nicht in Aktion tritt, um sich für das Wohl der Allgemeinheit einzusetzen, ist und bleibt nur ein Egotrip. Damit wir als Gesellschaft den anstehenden Katastrophen vielleicht noch einmal entkommen können, brauchen wir wahrhaft spirituelle Menschen, und zwar sehr, sehr viele.
Wir brauchen eine MetaSpirituelle Revolution!

Warum dieser Artikel?

Ich bin Hajo Michels und seit 35 Jahren bin ich auf dem spirituellen Pfad. 2017 wurde ich durch Ereignisse (ein Skandal in meiner spirituellen Organisation) komplett aus der Bahn geworfen und begann, meinen gesamten spirituellen Weg infrage zu stellen.

Vielleicht kennst du einige dieser Fragen auch von dir selbst? Ich begann, das Thema systematisch zu erforschen. Ich bin übrigens kein Psychologe oder Wissenschaftler, ich bin in der Wirtschaft und dem Beratungsbereich für NGOs, Gesundheits- und Kriminalprävention tätig. Ich verschlang alle Bücher, Forschungsberichte und Artikel, ich schaute alle Videos und hörte alle Podcasts, die sich mit Spiritual Bypassing, Spirituellem Materialismus, Neoliberalismus und Spiritualität sowie sonstigen Fallen auf dem spirituellen Weg befassten. Das meiste war auf Englisch, denn in den USA wird das Thema bereits länger diskutiert. Ich sprach mit allen möglichen Menschen in meinem Umfeld und weißt du was? Jeder, mit dem ich sprach, berichtete von eigenen Erfahrungen und Irrwegen. Außerdem fand ich heraus, dass ich persönlich ALLE diese Irrwege selbst beschritten hatte und in JEDE Falle selbst hineingetappt bin. Ich habe gebypasst und war so spirituell materialistisch, wie man nur sein konnte; mein Ego war spirituell. Ich dachte nur immerzu, ich sei spirituell. Mein Ego hielt mir die gesamte Zeit eine Karotte vor die Nase, der ich hinterherjagte, um mich so auf Trab zu halten, damit ich nicht bemerkte, dass es mich nur in die Irre geführt hatte, um bloß nicht bei mir selbst anzukommen.

Nach sechs Jahren fand ich heraus, dass die fünf wichtigsten Hindernisse, warum wir Spiritualität nicht authentisch praktizieren, die folgenden sind:

    1. Wir sehen die neoliberalistischen Mechanismen nicht, welche die Spiritualität gehijackt haben und uns in die Selbstoptimierungsfalle führen.
    2. Wir kennen die spirituellen Bypassing-Fallen nicht, und wie sie dazu führen, dass wir die tatsächlichen Themen und Gefühle umgehen.
    3. Wir wissen nicht, was spiritueller Materialismus ist und wie er dazu führt, Spiritualität nur mit dem Ego zu konsumieren.
    4. Wir sehen die Irrwege nicht, in welche uns das Ego verstrickt, um nur nicht anzukommen.
    5. Wir erkennen unsere Gewohnheit nicht, unerwünschte Teile abzuspalten, integrieren sie nicht und verhindern so, ganz zu werden.
Jede Art von Spiritualität, die nicht in Aktion tritt, um sich für das Wohl der Allgemeinheit einzusetzen, ist und bleibt nur ein Egotrip.

Was ist metaspirituell?

Metaspirituell ist Spiritualität jenseits von Konzepten und Religionen, frei von Führern und Gurus: Uns selbst annehmend, wie wir sind, um daraus die Kraft zu schöpfen, sich zum Wohl der Allgemeinheit einzusetzen. Es bedeutet:

    • Gefühle zu spüren und anzunehmen;
    • Spiritualität zu leben, nicht zu konsumieren oder als Selbstoptimierungsmethode zu missbrauchen;
    • die Schatten wahrzunehmen und zu integrieren, um uns wieder in unserer Ganzheit zu erfahren;
    • sich für das Allgemeinwohl zu engagieren.

 

Das Ziel:

    • Einfach ich zu sein und mich anzunehmen, wie ich bin.
    • Meine Gefühle wahrzunehmen, anzunehmen, zu integrieren und zu leben.
    • Zufrieden zu sein.
    • Mein Leben zu leben, nicht zu meistern.
    • Wahrheit in mein Leben und das meines Umfeldes zu bringen.
    • Sich aktiv für die Verbesserung der Lebensumstände einzusetzen.

 

Der Einfluss eines neoliberalistischen Leistungsdenkens in der Spiritualität bringt bei vielen Menschen Gefühle wie: »Ich bin nie genug«, »Ich komme nie an«, »Wenn ich das jetzt noch mache, dann ist es gut« hervor. Und so bleibt man stets im Hamsterrad der Selbstoptimierung gefangen und vergisst vor lauter Sich-selbst-verändern, sich selbst so anzunehmen, wie man ist und sich selbst zu lieben. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass gerade das, was uns glücklich und zufrieden machen soll, zu einem Stressfaktor pervertiert und uns in einen spirituellen Burn-out stürzt.

Spirituelles Burn-out ist ein Zustand, in dem das Streben nach spirituellem Wachstum nicht zu Erleuchtung, sondern zu Erschöpfung und Entfremdung führt. Diese tiefgreifende Erschöpfung entsteht, wenn der spirituelle Pfad von den Fesseln des Egos, Materialismus und der neoliberalen Ideale gekapert wird. Die Betroffenen finden sich gefangen in einer Spirale aus spirituellem Bypassing, Materialismus und der unerbittlichen Suche nach einem »besseren Ich«, ohne jemals anzukommen oder Zufriedenheit zu empfinden.

Die Ursachen des spirituellen Burn-outs sind vielfältig, doch sie wurzeln tief in der Verflechtung von Spiritualität mit neoliberalen Werten und dem Konsumismus. Das Streben nach ständiger Selbstoptimierung und der Missbrauch spiritueller Praktiken als Mittel zur Flucht vor dem inneren Schatten und den ungelösten persönlichen Problemen führen zu einem Zustand, in dem die Seele nicht mehr atmen kann. Die Symptome reichen von chronischer Müdigkeit und Desillusionierung bis hin zu einem Verlust des Sinns für das Spirituelle.

Die Heilung von spirituellem Burn-out erfordert eine Rückkehr zur Authentizität und zur wahren Essenz spiritueller Praxis. Es geht darum, die neoliberalen Fallstricke zu erkennen, die Spiritualität in ein weiteres Rennen um Leistung und Anerkennung verwandelt haben, und sich stattdessen auf eine Praxis zu konzentrieren, die das innere Wachstum und die Heilung fördert.

Spüre ich Druck, ständig glücklich oder positiv zu sein, und ignoriere dabei meine wahren Gefühle oder Schwierigkeiten?

Habe ich das Gefühl, dass meine spirituellen Aktivitäten oder das Streben nach spirituellem Wachstum mich eher erschöpfen, anstatt mir Frieden und Erleichterung zu bringen?

Metaspirituell ist Spiritualität jenseits von Konzepten und Religionen, frei von Führern und Gurus.

Symptome scheinheiliger Spiritualität

Gefühle, die wir spirituell umgehen

»Wir leben in einer Gesellschaft der Positivität, die sich jeder Form von Negativität zu entledigen sucht.« Byung-Chul Han: Palliativgesellschaft: Schmerz heute

Der Zwang zur Positivität bedient sich heute auch der Spiritualität. Sinn ist es, möglichst resiliente, schmerzunempfindliche Leistungssubjekte zu formen, die immer glücklich sein müssen. Gefühle, die so mittels spirituellem Bypassing umgangen werden, sind: Scham – Schuld – Wut – Angst – Hass – Eifersucht – Trauer – Einsamkeit – Neid.

Welchen Gefühlen versuche ich mitunter auszuweichen?

Von der Dunkelheit ins Licht: Der Weg zur Schattenintegration

»Wer zugleich seinen Schatten und sein Licht wahrnimmt, sieht sich von zwei Seiten, und damit kommt er in die Mitte.« Carl Gustav Jung

Die Vermeidung von Schattenarbeit dürfte wohl eines der größten Übel in spirituellen Kreisen sein. Da wird zwar gereinigt, praktiziert, Mantras rezitiert, Affirmationen aufgesagt oder gebeichtet oder gar mit positiver Psychologie den vermeintlichen Fehlern und negativen Seiten zu Leibe gerückt. Aber auf das Naheliegendste kommt man nicht. Schatten wollen immer nur eins, nämlich nicht abgespalten, sondern integriert werden. Sie sind ein Bestandteil unserer Persönlichkeit und ohne sie werden wir nicht ganz.

Welche Schatten versuche ich abzuspalten? Welche Persönlichkeitsanteile will ich nicht wahrhaben?

Spirituelle Konfliktvermeidung – Die Illusion der Harmonie

»Die größte Offenbarung ist die Stille, die folgt, nachdem wir unseren inneren Konflikten ins Auge geblickt haben.« Laozi

Eine typische Strategie des Spiritual Bypassing ist die Konfliktvermeidung, sei es durch Beschönigung oder Negierung des Problems. Mit Selbstleugnung oder mit Ausweichtaktik wird um jeden Preis versucht, eine offene Konfrontation zu vermeiden. Man versucht sich, den Schmerz zu ersparen, und versagt sich damit leider den Entwicklungsschritt. Das Ego tarnt diese Manöver als fortgeschrittene spirituelle Entwicklung, da man angeblich gar keine Konflikte mehr hat.

Welche Themen vermeide ich? Gehe ich Konflikte offensiv an?

Über das Verstecken hinter dem Spirituellen: Einblicke ins »Spiritual Whitewashing«

»Die tiefste Heilung geschieht, wenn wir den Mut haben, uns jenseits des »Spiritual Whitewashings« zu begegnen.«

»Spiritual Whitewashing« ist die Angewohnheit, Lebensereignisse mit pseudo-spirituellen, tatsächlich aber rationalen Erklärungen zu beschönigen, beziehungsweise so zu deuten, dass es keiner weiteren Handlung bedarf und wir uns einer tieferen Auseinandersetzung mit der Situation und den damit einhergehenden schmerzhaften Gefühlen entziehen.

Denke ich auch mitunter »ist Karma«, »Gott will es so« oder »wird mich spirituell weiterbringen« oder Ähnliches?

Selbstbespiegelung

»Egal, wo der Schuh drückt, wir sollen eine Lösung in uns selbst finden. Ich habe meine Zweifel, dass sich die Probleme der Welt dort lösen lassen.« Thorsten Padberg, Psychologe

In unserer atomisierten Gesellschaft ist die Gefahr groß, dass wir uns nur noch um uns selbst kümmern und den Rest der Gesellschaft vergessen. Ist es doch genau das, was der Neoliberalismus von uns möchte. Jeder soll sich nur um sich kümmern, und Gemeinsamkeiten sollen nicht mehr erkannt werden. So ist die Chance geringer, dass es zu Aufständen kommt. Hauptsache, die Menschen sind mit sich selbst beschäftigt und rennen im Hamsterrad der Selbstbespiegelung und -optimierung immer weiter der Karotte, dem vermeintlichen Glück, dem optimalen Aussehen beziehungsweise Bankkonto oder der Erleuchtung hinterher. Und wenn ich schon nichts an den Verhältnissen ändern kann, dann richte ich es mir gemütlich in meiner spirituellen Blase ein.

Wie selbstkritisch betrachte ich mich im Verhältnis zur Gesellschaft?

Tattva Viveka Nr. 103

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Erschienen: Juni 2025

Dr. Dr. Walter von Lucadou – Parapsychologie: Ein Beitrag zur Bewusstseinsforschung • Prof. dr. Stefan Schmidt – Experimentelle Parapsychologie • Birgit Feliz Carrasco – Hellfühligkeit • Dr. Gerhard Mayer – Magick in der Praxis • Dr. Marc Wittmann – Wenn die zeit verrükt spielt • Astrid Gutowski – Widerstandskraft in herausfordernden Zeiten • Hajo Michels – Scheinheilig: Entlarve die Schattenseiten der Spiritualität • Armin Denner – Die Großen Tarot Arkana • Dr. Rüdiger Sünner – Orte, die zur Seele sprechen • Kevin Johann – Soma • Sophie Baroness von Wellendorff – Wenn Licht und Dunkelheit tanzen • Buchbesprechungen • u.v.m.

Zum Autor

Hajo Michels ist Kongressveranstalter, Community-Gründer von integer-sein.de und Host des Podcasts »Integrität ist meine Superpower!«. Er bietet inspirierende Kurse und Challenges sowie Mentoring rund um gelebte Integrität und persönliche Weiterentwicklung an.

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