Der entwertete Mann

Der entwertete Mann

Die männliche Sicht der Emanzipation

Autor: Prof. Dr. Walter Hollstein
Kategorie: Mann/Frau
Ausgabe Nr: 52

Eiskalt, rachsüchtig, brutal – alle negativen Charaktereigenschaften sind dem Mann zugeschrieben und so verkörpert er fast schon die Manifestation des metaphysischen »Bösen«. Hier schreitet der Autor ein und zeigt die Ohnmacht des Mannes in dieser ihm zugeschriebenen Rolle auf. Wann ist ein Mann ein Mann? Was ist überhaupt männlich, wenn die Frauen, so die These des Artikels, mittlerweile die ganze Gesellschaft verweiblicht haben? Ein Plädoyer für wahre Männer.

Hollstein - Der entwertete Mann

Was entwertet werden kann, muss logischerweise einmal Wert besessen haben. Das gilt für die Inflation des Geldes ebenso wie für jene von Mann und Männlichkeit.

Der Mann galt über lange Jahrhunderte als Schöpfer von Zivilisation und Kultur; er war verantwortlich für Schutz und Fortbestand des Gemeinwesens. In Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung heißt es: »Mit Würd’ und Hoheit angetan, / Mit Schönheit, Stärk’ und Mut begabt, / Gen Himmel aufgerichtet steht der Mensch, / Ein Mann und König der Natur.« Manchmal sind solche Bilder mit der androzentrischen Gefahr verbunden, das eigene Geschlecht zu idealisieren und dementsprechend das andere abzuwerten; zumeist sind sie aber durchaus altruistisch. »Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt«, heißt es im Wilhelm Tell. Beethoven spricht mit Schillers Ode an die Freude vom »Männerstolz vor Königsthronen« und meint das mutige männliche Einstehen für Freiheit und Selbstbestimmung. Apostelgeschichte 13, Vers 22, fordert den »Mann nach dem Herzen Gottes«, und das impliziert Güte, Verantwortung und die Fürsorge für den Nächsten. Große Epen von Homers Odysseus über Wolfram von Eschenbachs Parzival bis zu Goethes Wilhelm Meister beschreiben die schwierige männliche Initiation von einem individualistischen Ausgangspunkt zu einer allgemein-menschlichen Verantwortung.

Der Mann und seine Aufgaben

Der große Berliner Soziologe Georg Simmel hat in seinem Aufsatz Weibliche Kultur zu einer Zeit angemerkt, da es noch keine Männerforschung gab, »unsere Kultur ist, mit Ausnahme ganz weniger Provinzen, durchaus männlich. Männer haben die Industrie und die Kunst, die Wissenschaft und den Handel, die Staatsverwaltung und die Religion geschaffen, und so tragen diese nicht nur objektiv männlichen Charakter, sondern verlangen auch zu ihrer immer wiederholten Ausführung specifisch männliche Kräfte.«

Albert Camus beschreibt in seinem Roman Die Pest, wie in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine furchtbare Seuche in der nordafrikanischen Stadt Oran ausbricht. Die Pest ergreift die Stadt totalitär und schneidet sie auch bald von der Außenwelt ab. Angesichts der Epidemie sehen sich mehrere der ausschließlich männlichen Hauptpersonen des Romans vor der existentiellen Alternative von Flucht oder Kampf. Diejenigen, die sich dafür entscheiden, der Pest Widerstand zu leisten, riskieren ihr Leben, ihre Liebesbeziehungen und ihre Zukunft zugunsten des kollektiven Wertes der Rettung menschlicher Ordnung, Kultur und Gemeinschaft.

Die schwierige männliche Initiation geht von einem individualistischen Ausgangspunkt zu einer allgemein-menschlichen Verantwortung.

In diesem Roman wird das männliche Prinzip noch einmal plastisch zusammengefasst in den Qualitäten von Mut, Fürsorge, Willenskraft, Verantwortung, Güte, Risikobereitschaft, Nachsicht, Grenzüberschreitung, Verzicht, Altruismus, Ritterlichkeit, Ehrlichkeit und Bescheidenheit in Form der Zurückstellung eigener Bedürfnisse. Gleiches wird in der Weltliteratur Männern immer wieder zugewiesen, ob es nun in Joseph Conrads Taifun um den männlichen Kampf gegen die Naturgewalten geht oder in Ernest Hemingways Roman Wem die Stunde schlägt um die heroischen Bemühungen gegen den Faschismus im Spanischen Bürgerkrieg. Dabei finden sich im männlichen Prinzip durchaus auch Eigenschaften, die im modernen Diskurs eher Frauen zugeschrieben werden, wie zum Beispiel Fürsorge, Güte oder Verzicht. Die Gewichtung kann variieren, wie historische Darstellungen von Männlichkeit belegen. E. Anthony Rotundo zum Beispiel zeichnet in seiner Geschichte der Männlichkeit American Manhood nach, wie entsprechend den ökonomischen und politischen Bedingungen vom Mann eher »weiche« oder eher »harte« Qualitäten erwartet wurden.

Hollstein - Der entwertete Mann

Der Bruch mit diesem Bild wird registriert zu Beginn der siebziger Jahre, als der Feminismus – vor allem in seiner vulgären Ausdrucksform – beim Kampf gegen das Patriarchat auch das männliche Subjekt gnadenlos zerlegte und die Dichotomie zwischen männlichen Tätern und weiblichen Opfern begründete. Dabei kann man für den deutschsprachigen Raum zwei große Phasen unterscheiden. In der ersten wurden Männer als Verbrecher, Vergewaltiger und Missbraucher »demaskiert«, in der zweiten vornehmlich als Versager und Trottel vorgestellt. Dieser tiefgreifende Wandel im Männerbild unserer Kultur ist im deutschsprachigen Raum bisher weder zureichend wahrgenommen noch thematisiert worden – ganz im Gegensatz zu vielfältigen Arbeiten über das Frauenbild der Medien. Misogynie und Frauenfeindlichkeit sind seit langem anerkannte Themen, für die die Öffentlichkeit stets aufs Neue sensibilisiert wird; für Misandrie und Männerfeindlichkeit gilt das hingegen nicht.

Das Weibliche ist heute, zumindest ideologisch und normativ, mehr wert als das Männliche.

Die dramatische Entwertung der Männlichkeit wird man dem Feminismus aber nur in seiner ideologischen Komponente anlasten können. Lange vor der ersten und zweiten Frauenbewegung hatte schon eine gesellschaftliche Entwertung von Männlichkeit eingesetzt. Dieser Prozess ist insofern verborgen geblieben, weil sich die Patriarchatsforschung mit Ausschließlichkeit auf das konzentriert hat, was Männer Frauen angetan haben. Das gilt für feministische Darstellungen ebenso wie für jene der profeministischen Männerforschung. Will man Entwicklungen nachzeichnen, wie Männer im Laufe der modernen Geschichte um viele ihrer Qualitäten enteignet worden sind, muss man sich auf Forschungsarbeiten abseits des Mainstream stützen.

In dem Sammelband amerikanischer Psychiater Men in Transition (1982) notiert zum Beispiel Wolfgang Lederer: »Es war die Maschine, die die Männer eines der wenigen natürlichen Vorteile über die Frau beraubte, ihrer größeren körperlichen Kraft. Es braucht einen starken Mann, um Land zu roden und eine gerade Furche zu pflügen; dagegen ist einweiblicher Teenager in der Lage, einen Traktor zu fahren.« Der Mann ist zum Anhängsel seiner eigenen Erfindungen geworden und hat sich so seiner Kraft, Autonomie und Kreativität enteignet. […]

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Prof. Dr. Walter Hollstein
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Die männliche Sicht der Emanzipation

Eiskalt, rachsüchtig, brutal – alle negativen Charaktereigenschaften sind dem Mann zugeschrieben und so verkörpert er fast schon die Manifestation des metaphysischen »Bösen«. Hier schreitet der Autor ein und zeigt die Ohnmacht des Mannes in dieser ihm zugeschriebenen Rolle auf. Wann ist ein Mann ein Mann? Was ist überhaupt männlich, wenn die Frauen, so die These des Artikels, mittlerweile die ganze Gesellschaft verweiblicht haben? Ein Plädoyer für wahre Männer.
 

 

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