Huichol-Schamanismus

Huichol-Schamanismus

Eine Tradition der Vormoderne, mit aufgeklärten Augen gesehen und praktiziert

Autor: Elke Janssen
Kategorie: Schamanismus
Ausgabe Nr: 64

Eine deutsche Theologin geht seit 20 Jahren den Weg der Huichol, einem Indianervolk in den Bergen der Sierra Madre in Mexiko. Wie Aufklärung und Denken mit dem intuitiven Erfahrungsweg einer schamanischen Tradition zusammengehen, beschreibt sie zugleich gefühlvoll und reflektiert. Nicht der Intellekt, sondern liebevolles Handeln ist das Kennzeichen eines Schamanen bzw. einer Schamanin.

Es ist unsere Aufgabe als Mensch, ganz zu werden.

Es ist neblig und die Temperatur bewegt sich an der Null-Grad-Grenze. Ich habe mich verlaufen in der Hochgebirgslandschaft, einer Landschaft, mit der ich als gebürtige Flachländerin noch wenig vertraut bin. Meine Kleidung ist klamm und mir fröstelt. Ich bin auf dem Rückweg von einer eintägigen Visionssuche ohne Essen und Trinken, alleine draußen in den italienischen Alpen. Den letzten Tag und die letzte Nacht verbrachte ich dort an einem schroffen, felsigen Platz, abseits der Wanderwege, mit Ausblick auf eine kleine Schlucht. Alleine in einer wilden, wenig von Menschen berührten Landschaft. Das ist ein Abenteuer, und Abenteuer liebe ich. Auf meinem Rückweg höre ich plötzlich ein lautes Rufen, fast wie ein hustendes Geräusch. Vor mir im Nebel taucht ein kleines Rudel Rehe auf. Als seien sie aus dem Nichts erschienen, stehen sie ganz dicht vor mir – diese scheuen und empfindsamen Tiere. Ich bin berührt und fühle mich ein bisschen wie in einem schönen Traum. Ohnehin fühlt sich alles so subtil, fast durchscheinend an. Schließlich lichtet sich der Nebel, und ich finde zurück zum Kreis, wo die Rückkehrenden von der Visionssuche erwartet werden. Dort danke ich zunächst Brant Secunda, dem Schamanen, der uns ausgesandt hat, und wende mich dann dem Feuer zu, um ihm meine Erfahrungen und Visionen des letzten Tages zu erzählen.

Bedeutet Schamanismus Weltflucht?

Die Visionssuche ist eine alte schamanische Praxis, und der Schamanismus ist sehr früh in der menschlichen Entwicklungsgeschichte entstanden. Wir modernen Menschen haben uns entwicklungsgeschichtlich inzwischen durch die Aufklärung und darüber hinaus bewegt, ja unsere Wissenschaftsgläubigkeit und Rationalität ist schon fast zu einem neuen Gefängnis geworden mit der Tendenz Gefühle, Spüren, Intuition, Sinnfragen oder spirituell-mystische Erfahrungen zu verdrängen. Wenn wir als moderne, rationale Menschen heute Schamanismus praktizieren, liegt der Verdacht nahe, dass es eine Regression sein könnte, um dem rationalen Gefängnis zu entkommen. Ein »Back To The Roots«, eine Flucht in ein romantisch verklärtes Stammesleben draußen in unberührter, heiler Natur. Weg von all den technischen Schrecken der Moderne, in eine erträumte, heile, natürliche Welt: ein Aussteigerdasein.

Don Jose Matsuwa, Huichol-SchamaneDon Jose Matsuwa, Huichol-Schamane

Ausweitung der Wahrnehmung

Die Vision von Don José Matsuwa, dem Huichol-Schamane und Lehrer von Brant Secunda, war eine andere: Er sah in seinem Schüler jemanden, der den Schamanismus in die moderne Welt bringen sollte. Das bedeutet, Integration und nicht Ausstieg. Schamanismus zu praktizieren, kann uns helfen, das Spektrum unserer Möglichkeiten zu erweitern. Geschult wird das Spüren und Wahrnehmen dessen, was um uns herum geschieht, und außerdem die Fähigkeit eine tiefe Verbindung zu lebenden Wesen und dem eigenen Inneren zu entwickeln. Die Intuition wird geübt und Telepathie und Präkognition stellen sich ein. All das sind menschliche Wahrnehmungsmöglichkeiten, die das Leben bereichern und vertiefen können. Wahrnehmungsmöglichkeiten, die neben unserer Rationalität bestehen können. Der Huichol-Schamane würde sagen: »Es ist unsere Aufgabe als Mensch, ganz zu werden.« Ganz im Sinne von vollständig, komplett und kein Teil ist abgespalten. Beim Praktizieren kommt es außerdem nicht selten vor, dass man sich in anderen Bereichen wieder findet, d.h. das Wahrnehmungsspektrum geht in den subtil-psychischen Bereich und manchmal auch darüber hinaus. Es ist unsere Aufgabe, als Mensch ganz zu werden, und das ist weitaus größer als nur ein aufgeklärter Denker oder eine aufgeklärte Denkerin zu sein. Sobald es gelingt den Schamanismus im eigenen Leben zu integrieren, ist es eine Erweiterung der Lebensqualität und keine Flucht.

In Kommunikation und Austausch mit der Umgebung sein

Aber zurück in die Berge nach Italien: Nach einer Visionssuche erzählt man seine Erlebnisse zunächst dem Feuer. Dabei geht es um konkrete äußere Erlebnisse, wie Begegnungen mit Tieren oder wie es sich z.B. anfühlt, unter freiem Himmel einem Gewitter ausgesetzt zu sein, oder ohne Nahrung zurechtzukommen. […]

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Elke Janssen
Huichol- Schamanismus
Eine Tradition der Vormoderne, mit aufgeklärten Augen gesehen und praktiziert

Eine deutsche Theologin geht seit 20 Jahren den Weg der Huichol, einem Indianervolk in den Bergen der Sierra Madre in Mexiko. Wie Aufklärung und Denken mit dem intuitiven Erfahrungsweg einer schamanischen Tradition zusammengehen, beschreibt sie zugleich gefühlvoll und reflektiert. Nicht der Intellekt, sondern liebevolles Handeln ist das Kennzeichen eines Schamanen bzw. einer Schamanin.
 

 

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