Surrealismus und Magie

Surrealismus und Magie

Ein Ausstellungsbericht

Autor: Alice Deubzer
Kategorie: Kunst, Musik & Literatur
Ausgabe Nr: 93

Okkulte Symbolik, magische Paraphernalia, irrationale Tramlandschaften, zerfließende Motive und Zauberwesen erwarten einen auf der bemerkenswerten und besuchenswerten Ausstellung »Surrealismus und Magie. Verzauberte Moderne« im Museum Barberini in Potsdam.

Die surrealistische Bewegung, eine neue künstlerische und literarische Strömung, die durch das Manifest des Surrealismus vom französischen Schriftsteller André Breton 1924 initiiert wurde, verstand sich selbst als mehr als eine Kunstrichtung. Sie war viel eher eine Lebensauffassung, die auf der Suche nach einer höheren Synthese war, nach einer absoluten Wirklichkeit, die die Dualitäten des Lebens, die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit, das Rationale und Phantastische aufhob. Dabei gab es keine einheitliche »Form«, kein einheitliches Auftreten, vielmehr verbindet diese Kunstrichtung ihr gemeinsames Interesse an der Welt des Traums und des Irrationalen, die die KünstlerInnen, jeder und jede auf ihre eigene Art und Weise mit unterschiedlichen Verfahren, seien diese abstrakt oder figurativ oder eine Mischung aus beidem, ausdrückten. Ein weiteres Merkmal von surrealistischen Werken ist, dass ihr Sinngehalt sich nicht völlig erschließen lässt. Die Bilder sind geprägt vom Irrationalen und Rätselhaften, Motive, die widersprüchlich erscheinen und dessen Zusammenhang nicht ersichtlich sind, werden miteinander kombiniert, Gegenstände sowie Wesen werden verfremdet oder vermischt dargestellt wird. Somit wird dem Betrachter viel Raum für die eigene Interpretation sowie Imagination eröffnet, was eine der Absichten der Schöpfenden war. Denn ihre Intention ist es nicht nur gewesen, sich mit dem eigenen Innenleben, mit seelischen Wunschbildern und Ängsten zu befassen und diesen Ausdruck zu verleihen, sondern auch den Betrachter in diesen surrealistischen Prozess oder surrealistische Wahrnehmung miteinzubeziehen und in eine traumartige, `surreale´ Sicht auf die Wirklichkeit einzuführen.

»Mit ihren traumartigen Bildfindungen wollten die Surrealisten die menschliche Vorstellungskraft anspornen und die Betrachter zu einer Auseinandersetzung mit ihrem Innenleben anregen«, erläutert Daniel Zamani, Kurator der Schau. »In diesem Sinn sollte die Begegnung mit einem surrealistischen Werk ein transformatives Ereignis darstellen und einen neuen Blick auf die Wirklichkeit eröffnen. Dorothea Tanning etwa erklärte, sie wolle in ihren Arbeiten ‘die Tür zur Phantasie offenlassen, damit der Betrachter jedes Mal etwas anderes sieht.’«

Victor Brauner, Der Surrealist, 1947© VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Abbildung: Solomon R. Guggenheim Foundation, New York (Photo: David Heald)
Victor Brauner, Der Surrealist, 1947

Ein weiterer roter Faden, der sich durch das Schaffen der Surrealisten durchzieht und in der Ausstellung tongebend ist, ihr gemeinsames Interesse für Magie und den Okkultismus, die in den 1920er-Jahren stark die Aufmerksamkeit und Faszination von verschiedenen Kreisen und Künstlern anzog und ein Revival erlebte. Im Zweiten Manifest des Surrealismus proklamierte André Breton »die Okkultation« der surrealistischen Bewegung, also die programmatische Beschäftigung mit Magie und Okkultismus, ein jahrtausendealtes Weltbild, das den Gedanken, der Phantasie, der Intuition sowie den inneren Bildern und Ahnungen eine essenzielle Rolle sowohl im magischen Wirken und Ritualen als auch bei unserer Interaktion mit der Welt vergibt und das davon ausgeht, dass unsichtbare Kräfte ebenfalls so real sind wie die offensichtlich sichtbaren. Die Arbeiten der ausgestellten Künstler ließen sich von verschiedenen okkult-magischen Konzepten inspirieren, beispielweise von der »Theorie der Korrespondenzen“ oder von Assoziationsketten. Gemäß dem magischen Weltbild stehen der Mikro- und der Makrokosmos, der Mensch und die Natur durch Analogien in einer dynamischen Verbindung zueinanderstehen, aufeinander Einfluss ausüben und sich einander spiegeln – im Sinne von »Wie oben, so unten, wie außen, so innen«. Des Weiteren gehen Magier und Okkultisten davon aus, und einige Surrealisten nahmen diese Ansicht ebenfalls an, dass das Universum ein einziger lebendiger Organismus ist, der sich nicht auf mechanische Vorgänge und Zahlen reduzieren lässt, sondern voller Geheimnisse, Ungewissheiten und Widersprüche ist, die vom Menschen erforscht werden können, und dass der Mensch nicht nur ein integraler, ebenfalls lebendiger Teil dieses Universums ist, sondern dass er mittels seinen Gedanken und Gefühlen Einfluss auf dieses ausüben kann, und diese unsichtbare Kraft des Menschen, seine Wirkkraft auf seine Außenwelt faszinierte zutiefst die Surrealisten.

Zahlreiche Surrealisten kannten die Arbeiten Sigmund Freuds, und insbesondere die 1913 erschienene Abhandlung Totem und Tabu erregte ihre Aufmerksamkeit, da Freud in dieser die Entstehung des künstlerischen Wirkens mit einem magischen Impuls in Verbindung setzt. Für Freud war der Glaube an die »Allmacht der Gedanken« eines der Grundprinzipien des magischen Weltbilds. Diese Allmacht der Gedanken besagt, dass die Gedanken, Gefühle, Wünsche und Sehnsüchte die äußere Wirklichkeit direkt formen und beeinflussen können. So werden die inneren Bilder, die Phantasie und inneren Regungen des Menschen zu einer magischen Kraft, die auf die äußere Wirklichkeit einwirken kann. Die Surrealisten sahen sich selbst ebenfalls als Magier und Zauberer, und inszenierten sich ebenfalls als solche, da beide in der Lage sind durch ihre imaginären Kräfte, neue illusorische Welten zu schaffen und Menschen in diese hineinzuziehen. Breton selbst plädierte für eine Wiederverzauberung der Moderne, die von Technik und Rationalität geprägt ist und den Sinn für das Mysterium und Zauber aus seiner Weltbetrachtung verbannt hat.

Leonora Carrington, Der Nekromant, um 1950
Leonora Carrington, Der Nekromant, um 1950

Doch wessen Gemälde darf man auf dieser Ausstellung bewundern und sich von diesen verzaubern lassen? Die umfangreiche Schau zeigt rund 90 Arbeiten von über 20 Künstlerinnen und Künstlern aus 15 Ländern und Exponaten aus den Jahren 1914 bis 1987. Sie zeigt den Surrealismus als eine globale, transnationle Kunstströmung, dessen Ausstrahlung und Wirkkraft weit über das Frankreich der 1920er- und 1930er-Jahre hinausreichte. Viele wichtige Akteure der surrealistischen Bewegung sind präsent, neben berühmten Malerpersönlichkeiten, die Teil des Kunstkanons sind, wie Max Ernst, Salvador Dali, Giorgio de Chirico, Max Ernst und René Magritte, doch auch Werke weniger bekannten Künstler darunter Victor Brauner, Enrico Donati, Óscar Domínguez, Wifredo Lam, Wolfgang Paalen, Roland Penrose und Kurt Seligmann. Frauen waren im Surrealismus unterrepräsentiert und wurden häufig auf die Femme Fatale oder Muse »reagiert«. Umso erfreulicher ist es, dass die Ausstellung bewusst das künstlerische Schaffen von Surrealistinnen präsentiert und ihren zentralen Beitrag rund um das Feld Surrealismus und Magie hervorhebt. Die vertretenen Künstlerinnen sind unter anderem: Leonora Carrington, Leonor Fini, Dorothea Tanning und Remedios Varo.

Der Betrachter wird durch verschiedene Themenfelder geführt; von Magie und Okkultismus über Moderne Künstler-Magier bis zu Göttinnen und Hexen. Magische Frauenbilder. Malerische Höhepunkte meines Erachtens sind Victor Brauners Der Surrealist, Giorgio de Chiricos »die metaphysischen Malerei« sowie die gezeigten Werke von Max Ernst, beispielweise »Die Einkleidung der Braut«.

Diese Schau entführt in magische Zauberwelten, lässt in uns den Glauben für Magie und den Betrachtungssinn für das Wunder und Mysterium, in dem wir leben, wiedererwachen und, wie Kunst ein geeignetes Medium ist, um vermeintliche Gegensätze und Polaritäten wie das Bewusste und Unbewusste zu überwinden und in eine höhere Wirklichkeit zu führen, so lässt sie uns Menschen uns selbst als Gefährten und Schöpfende des kreativen Universums, in dem wir leben, erfahren.

Weitere Informationen rund um ihren Besuch finden Sie auf der Hompage des Museums Barberini: www.museum-barberini.de

Bildnachweis: © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Dieser Artikel ist kostenlos im Volltext online.

Das ist der vollständigen Artikel, der auch in der Tattva Viveka 93 erschienen ist.

Tattva Viveka 93 - Das spirituelle in der Kunst

Tattva Viveka Nr. 93

Inhalt der Ausgabe

Schwerpunkt: Kunst und Spiritualität
Erschienen: Dezember 2022

Ronald Engert – Die Existenz ist anderswo. Der mystische Kern der Kunst • Cambra Skadé – Kunst als magischer Akt. Die Verbindung von Kunst, Magie und Heilen • Mike Kauschke – Werde wach mit allem. Poesie und Mystik im Gespräch mit dem Geheimnis • Dr. Thomas Anton Weis – Teilen als Synthese von Kunst und Spiritualität. Ein Integrationsprozess • Paula Marvelly – Das Leuchtende in der Kunst. Eine Meditation zu Nicolas Roerich • Alice Deubzer – Surrealismus und Magie – verzauberte Moderne. Ein Ausstellungsbericht • Frido Mann – Zwischen Geheimnis und Humanismus. Thomas Manns Verhältnis zur Religion • Alexandra Mann – Weltkloster – Begegnung durch Verbundenheit. Spiritualität als Brücke zwischen den Religionen • Tilmann Haberer – Von Gott und der Welt. Hat das Christentum heute noch Relevanz? • Dr. phil. Thomas Höffgen – Die Verteufelung der Natur. Religiöse Wurzeln unserer ökologischen Krise • Monika Alleweldt – Der Ruf der Erde an uns Menschen. Rückkehr zur Verbundenheit mit unserem blauen Planeten • Walter Benjamin – Die magische Sprache der Kraft. Wirkende Worte • Buchbesprechungen • u.v.m.

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