Buchbesprechungen September 2023

Buchbesprechungen September 2023

Stefanie Stahl: Das Kind in dir muss Heimat finden

Stefanie Stahl

Das Kind in dir muss Heimat finden

Der Schlüssel zur Lösung (fast) aller Probleme

Kailash, München 2015
38. Auflage, Taschenbuch, 288 Seiten, 14,99 €

Dieses Buch schaffte es auf der Spiegel Bestsellerliste auf Platz 1. Normalerweise bespreche ich solche Bücher nicht. Erstens haben solche Bücher bereits genug Aufmerksamkeit, und es gibt andere wichtige Bücher, die auch Aufmerksamkeit verdienen. Zweitens sind Bücher, die in einer solchen Breite auf Interesse stoßen, meistens nicht sonderlich tief. Es ist erfreulich, dass diese Autorin hier die Balance zwischen einfachen und gut verständlichen Aussagen einerseits und inhaltlicher Tiefe andererseits ganz gut herzustellen vermag. Allerdings fällt das Urteil gespalten aus. Ihre Diagnose ist brillant, die Therapie lässt zu wünschen übrig.

Thema ist das Innere Kind und die psychischen Probleme, die Menschen so haben können. Sie unterscheidet das Schattenkind und das Sonnenkind. Dabei steht das Schattenkind für all unsere dysfunktionalen Anteile, unsere Ängste, Schmerzen, Isolation, Stress und dergleichen. Das Sonnenkind ist, wie man sich leicht denken kann, das positive Gegenstück, unsere Selbstliebe, unsere gesunde Abgrenzung, unsere »Schatzstrategien« im Gegenzug zu den Schutzstrategien, die das Schattenkind anwendet, um die ursprüngliche Verletzung nicht noch einmal erleben zu müssen.

Bei der Beschreibung dieser psychologischen Prozesse, wie wir uns das Leben schwer machen, trifft Stahl immer wieder auf den Punkt. Sie ist ausgebildete Psychologin und kennt sich entsprechend gut aus. Es ist auf jeden Fall ihr Verdienst, dass sie hier mit großer Sachkenntnis Wesentliches über die Psyche zu sagen vermag. Es wird deutlich, wie wichtig die ersten Lebensjahre sind, in denen entweder das Urvertrauen ins Leben aufgebaut wird, oder entsprechend das Urmisstrauen. »Man hat auch inzwischen in neurobiologischen Studien nachweisen können, dass Kinder, die in den ersten Lebensjahren viel Stress, zum Beispiel in Form einer lieblosen Behandlung, erfahren haben, ihr Leben lang eine erhöhte Ausschüttung von Stresshormonen aufweisen. Dies macht sie auch als Erwachsene sehr anfällig für Stress: Sie reagieren heftiger und empfindlicher auf Stressoren und sind mithin psychisch weniger belastbar als Menschen, deren Kindheit vorwiegend von viel Sicherheit und Geborgenheit bestimmt war. In unserem Bild bedeutet dies, dass die Betroffenen häufig mit ihrem Schattenkind identifiziert sind.« (27)

Will man als Mensch nun funktionierende Beziehung eingehen, geht das aus der Position des Schattenkindes praktisch nicht. So sieht man aus der Perspektive des Schattenkindes das Gegenüber immer größer als man selbst, man fühlt sich zu schnell dominiert oder manipuliert und unterstellt dem anderen sogar böse Absichten. Das alles ist aber nur eine Projektion, mit der das Gegenüber gar nichts zu tun hat. Insofern ist es sehr wichtig, diese ganzen Vorgänge in der Psyche und in den Gefühlen genau wahrzunehmen und ihnen auf die Spur zu kommen.

Hier kommen wir zu ihren therapeutischen Vorschlägen. Sie ist sich sehr wohl der Wichtigkeit der Gefühle bewusst und erwähnte das auch an vielen Stellen. Ihr Ansatz erscheint mir aber dennoch recht kognitiv und sehr stark auch durch die Verhaltenstherapie geprägt. Letztendlich läuft es meistens darauf hinaus, dem Schattenkind aus der Position des inneren Erwachsenen die Dinge vernünftig zu erklären. Des Weiteren scheint sie als wichtigsten Ursprung der Probleme die Glaubenssätze zu sehen. Sobald man sich zum Beispiel selbst den Glaubenssatz einredet: »ich bin klein und schwach«, verhält man sich auch dementsprechend. Das mag stimmen, die Frage, wie jemand zu einem solchen Glaubenssatz kommt, bleibt jedoch bestehen. Ihr Lösungsvorschlag ist es dann, positive Glaubenssätze zu formulieren und diese affirmativ so lange zu wiederholen, bis man sie glaubt. Damit ist meines Erachtens aber die Ursache der negativen Glaubenssätze nicht bestimmt und auch nicht geheilt.

Natürlich gibt es hier unterschiedliche Ansätze in der Psychologie. Manche vertreten die Position, dass es müßig ist, die alten Geschichten aufzuwärmen, und man besser daran tut, neue Bilder und Vorstellungen zu entwickeln. So spielen auch bei Stahl Bilder und Vorstellungen eine große Rolle. Ich denke jedoch, das sind alles kognitive Strukturen, die die ursprüngliche emotionale Verletzung überdecken, aber nicht auflösen können. Eine echte psychotherapeutische Heilarbeit sollte an diesen ursprünglichen Verletzungen ansetzen und sie energetisch entladen und emotional abschließen.

Der zweite Teil des Buches, wo es um die Therapie geht, wirkt gegenüber dem diagnostischen und psychologisch beschreibenden Teil etwas flach. Man soll sich dann halt auf die Schulter klopfen und die psychischen Probleme abstreifen, wenn ich es mal etwas lapidar verkürzt darstellen darf. So kann nur jemand reden, der diese psychischen Problemen nicht am eigenen Leib erfahren hat. Die therapeutischen Vorschläge wirken dann auch ein bisschen wie ein Werkzeugkasten für Bastler. Einiges mag sicherlich helfen. Es scheint mir eher ein behavioristischer Ansatz zu sein, der auf pragmatisches Funktionieren ausgerichtet ist. Die Wahrheit in der Tiefe bleibt so am Ende doch unberührt.

Ronald Engert

Dandapani: Fokus, Die Kraft der Konzentration

Dandapani

Fokus
Die Kraft der Konzentration

352 Seiten, 2023, Hardcover, € 24,00

Permanente Ablenkung und ständiges switchen der Aufmerksamkeit ist in unserer schnelllebigen Gesellschaft zum Standard geworden. Dass dies auf Dauer unsere Gesundheit, unser Leistungsvermögen und unser Lebensglück kompromittiert, dürfte längst den meisten Menschen klar geworden sein. Was also tun gegen die pausenlose Unaufmerksamkeit und die Sucht nach immer neuen Eindrücken? Die Lösung liegt in der Konzentration. Dass meint zumindest der Hindu-Priester und Unternehmer Dandapani, der zehn Jahre lang als Mönch in einem Kloster lebte und heute als bekannter Keynote-Speaker von Top-Firmen gebucht wird. In seinem Buch »Fokus. Die Kraft der Konzentration« zeigt er, dass Konzentration erlernbar ist. Er gibt dem Leser einen praktischen Leitfaden an die Hand, um Purpose und Prioritäten richtig zu setzen und zu verfolgen. Die Folge ist vollkommene Präsens in dem, was wir tun.

Dandapani, der derzeit mit seiner Frau ein Retreat-Zentrum mit botanischem Garten in Costa Rica aufbaut, legt großen Wert auf das Verständnis, warum es so wichtig ist ein fokussiertes Leben zu führen. Denn ohne korrekte Motivation ist das Erlernen der Konzentration nur ein trockener Ansatz, der keine Früchte tragen wird und der alsbald von den meisten Menschen wohl links liegen gelassen würde. Doch verstehen wir, wie sehr unser Lebensglück, das Erreichen unseres Lebenszwecks und die vollkommene Nutzung unserer kostbaren Lebenszeit von unserer Fähigkeit uns zu konzentrieren abhängen, sollte einem entsprechenden Training nichts mehr im Wege stehen. Wollen wir ein erfolgreiches und glückliches Leben führen, ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass das Leben endlich ist und mit was wir unsere wertvolle Zeit hier auf Erden verbringen wollen. »Der Tod sollte uns dazu bringen, der Suche nach unserem Lebenszweck höchste Priorität einzuräumen. Denn der Purpose bestimmt die Prioritäten, die wir uns setzen, und diese wiederum entscheiden darüber, worauf wir uns fokussieren.« (S. 49)

Mit unterschiedlichen Tools und praxisnahen Beispielen eröffnet Dandapani dem Leser eine strukturierte Anleitung zum Erlernen einer ungestörten Konzentration. Mit geeigneten Tools führt der Autor den Leser vom intellektuellen Verständnis, der Theorie zur Praxis, Umsetzung und Veränderung im Leben. Das Buch ist für alle, die sich mehr Tiefe und Erfüllung in ihrem Leben wünschen und ihre Ziele ohne Umschweife erreichen möchten. Und nicht nur das, denn ein scharfer Fokus unterstützt auch die Selbstreflexion und damit das Erkennen des eigenen Lebenssinns, welcher dann uneingeschränkt verfolgt werden kann.

Lies dazu auch unser Interview in der Tattva Viveka 96.

Stefanie Aue

Bildnachweis: © Adobe Stockphoto

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