Ein neues Selbstverständnis des Mannes

von Armin H. Klein

Ein Bericht zur Situation der Männer in der heutigen Gesellschaft und ein Plädoyer dazu, was geschehen muss, damit Männer Orientierung finden und reif werden.

Männer heute

Männer sterben durchschnittlich fünf Jahre früher als Frauen, achten weniger auf ihre Gesundheit und haben angeblich mit der Kommunikation Probleme.

Einerseits werden Männer heute öffentlich durch den Kakao gezogen, in Werbung, Film und Comedy hervorragend zu beobachten. Männer, die zu doof sind Tütensuppen zu kochen oder deren Kinder im Supermarkt den Verkäufer briefen, damit Vati nicht überfordert ist. Alles witzig und z.T. leider Wirklichkeit.

Andererseits werden Männer als die Patriarchen und Unterdrücker gesehen. Der Gipfel ist das Dilemma der Männer in Erziehungsberufen. Unbestritten ist die Wichtigkeit der männlichen Präsenz im Erziehungsprozess, der aber mit dem Generalverdacht des missbrauchenden Mannes im Konflikt ist. Das Feindbild des unkontrollierten, gefährlichen Mannes braucht eine differenzierte Sicht des einzelnen Täters und der Strukturen unserer Gesellschaft.

 

Aber von vorne. Unbestritten ist die Existenz von Gewalt, Vergewaltigung und Missbrauch, den Männer begehen. Aber ein Generalverdacht qua Geschlechtszughörigkeit ist unhaltbar. Hier werden verschiedene Ebenen verwechselt, die die häufige Orientierungslosigkeit von Männern abbilden. Bei Teenagern, Heranwachsenden, Männern in der Midlife-Krise und alternden Männer ist die Orientierungslosigkeit am sichtbarsten, während die beruflich engagierten, mit Karriere, Familiengründung und Hausbau beschäftigten abgelenkt sind.

 
Die Männerseite bei Tattva Viveka
 

Ich arbeite seit 1980 mit Männern unterschiedlichster Hintergründe, von Kindergarten bis Rente, Kriminelle, Junkies, Arbeiter, Professoren, Unternehmer, Väter. Allen gemeinsam ist, dass sie Orientierung suchen und damit alleingelassen werden. Alle brauchen Gruppen und Gelegenheiten, sich mit Männern zu treffen, um ihre persönliche Situation zu reflektieren und zu entwickeln, ebenso wie gesellschaftliche Innovationen.

 

Ein erwachsener Mann ist ein Mann, der nicht mehr fragt, was kann ich bekommen, sondern fragt, was kann ich geben.

 

Die Erziehung ist für die individuelle Entwicklung von starker Bedeutung. Seit Generationen fehlt ein starkes väterliches /männliches Vorbild. An der Stelle wird die gesellschaftliche »Trance« gerade in Deutschland sichtbar. Durch die erlebte Katastrophe des »3. Reichs« und der Omnipotenzvorstellung des arischen Mannes und Helden sind viele Ziele und Ideale für die männliche Entwicklung abgesägt worden. Hier wurden mit den menschenverachtenden Auswüchsen des Nationalsozialismus auch gleich die Wurzeln von individueller, männlicher Identitätsstiftung mit ausgerissen. Die Heilung dieser individuellen und kollektiven Katastrophe dauert Generationen. Erst vor 15 Jahren begannen Männer im Alter von 70/80 Jahren, Bücher über ihre Kriegserfahrungen zu schreiben. Bücher wie Kriegskinder und Kriegsenkel sind Bestseller – fast 70 Jahre danach!

 
Männer und Jungens
 

Wir sind an einem Wendepunkt angekommen. Heute blicken junge Männer der »Generation Y« vorbehaltloser in die Zukunft und gestalten diese. Phallische nach vorne gerichtete Energie, schön und bewundernswert. Sie wird nicht wieder in einer »alles ist machbar«-Ideologie enden, wie wir sie mit dem Wirtschaftswachstum, der Umweltverschmutzung und der Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt hatten. Die Zeit erfordert multidimensionale Vorgehensweisen, die Anfang des 3. Jahrtausends in einer globalisierten Welt emergieren, weil einfache Wenn-Dann-Szenarien nicht mehr funktionieren. Die Alten müssen den Jungen vertrauen, sie antizipieren Zukunft, allein dadurch, dass sie dort leben werden.

 

Männer brauchen ein tiefes Verständnis dessen, was sie vermisst haben, was ihre Wunde ist.

 

Männer brauchen heute Orientierung in ihrer eigenen Entwicklung, in allen Lebensphasen.

  1. Mütter und Väter brauchen Aufklärung und Unterstützung für die Kinderaufzucht ihrer Söhne und Töchter. Väter müssen präsent sein und Mütter müssen über Jungen aufgeklärt werden und wissen, was Jungen brauchen und dass sie ihre eigenen Männerthemen nicht ihren Söhnen in die Wiege legen dürfen.
    Individuell bedeutet das, das Väter sich für ihre Kinder einsetzen und den Kindern und der Mutter helfen, aus der Symbiose zu entkommen.
    Kollektiv braucht es Ausbildung für Profis, die keinen Genderbrei unterrichten, sondern eine für Jungen und Mädchen identitätsstiftende Geschlechtlichkeit.

     

  2. Jugendliche brauchen Mentoren, reife, erwachsene Männer, die zur Verfügung sind, greifbar, Zeit haben und nicht der eigene Vater sind.
    Kollektiv müssen Männer Angebote entwickeln, wie die Initiationsprojekte »Phönixzeit« von Manne e.V und »FeuerWasser« von Männersache e.V., bei denen sich ältere Männer zur Aufgabe gemacht haben, jüngere Männer beim Übergang ins Jugendlichen- und Erwachsenenalter zu begleiten. Konfirmation und Firmung brauchen einen Relaunch und weltliche Alternativen, bei denen die Jungen Sinn und Werte konfrontieren und Gemeinschaft erleben.

     

  3. Erwachsene Männer müssen sich mit ihrer Männlichkeit auseinandersetzen und die Verwechslungen aufdecken. Das eigene Gewordensein muss erforscht werden. Hierbei ist alles erlaubt und wichtig, Therapie, Selbsterfahrung ebenso wie Ahnenforschung und Reisen zu den Plätzen der Vorfahren. Es bedarf des Wissens und einer erweiterten Perspektive. Sobald ich anfange die Perspektive des anderen einzunehmen, kann ich meine egozentrische Sicht verlassen. Männer müssen sich aus der Abhängigkeit von der Mutter befreien – vordringlich in ihrem Kopf und Bauch! Mutti hat alles gegeben, was da war – mehr gab´s nicht. Ein erwachsener Mann ist ein Mann, der nicht mehr fragt, was kann ich bekommen, sondern fragt, was kann ich geben. Dazu ist das »sowohl als auch« so wichtig. Männer brauchen ein tiefes Verständnis dessen, was sie vermisst haben, was ihre Wunde ist. Erst wenn ein Mann anerkennt, dass er diesen Schmerz hat, kann Heilung beginnen. Damit ist der erste Schritt in eine erwachsene reife Männlichkeit getan. Erwachsene reife Männlichkeit leugnet nicht die Schmerzen und Verletzungen der Vergangenheit. Sie integriert diese und geht von dem, was ist, in die Zukunft. Handeln aus dem Jetzt, inklusive der Anerkennung des Vergangenen, wird in vielen Weisheitslehren beschrieben.
    Kollektiv braucht es unterschiedlichste Männergruppen, die eine neue Kultur der Begegnung und Konfrontation entwickeln. Mein Lieblingsprojekt ist hier die »Männerzeit«, die von einem sehr heterogenen Team jährlich weiterentwickelt wird und schließlich die Begegnung mit den Frauen anvisiert. (Siehe dazu die Berichte von Ronald Engert: Mannsbilder. Auf dem Weg zu einer neuen Männlichkeit und Eine neue Kultur der Liebe. Bericht vom Frauen-Männer-Kongress, in: Tattva Viveka 61, Berlin 2014, S. 62-69)

     

 

 

Wir haben heute den Luxus, dass sich eine große Masse Menschen mit solchen Themen beschäftigen kann. Nach meiner Erfahrung sind viele Männer bereit, sich dem zu öffnen. Sie scheinen intuitiv zu spüren, so kann es nicht mehr weiter gehen.

Es geht sowohl um den individuellen Weg der Entwicklung zu möglichst großer Freiheit und Unabhängigkeit. Wohlgemerkt die Freiheit als reifer Mann Verantwortung zu übernehmen – nicht die infantile Freiheit von überdimensionierten Jungs, die es krachen lassen, weil »Mutti« gerade aus dem Haus ist und »Vati« schon lange nichts mehr sagt.

Und es meint den kollektiven Weg der Weiterentwicklung, die Gestaltung von Strukturen für eine Reifung von Männern. Hier seien Männergruppen und Initiationsrituale genauso genannt wie Teilzeit-Arbeitszeitmodelle und Vaterzeiten.

 

Zum Autor:
Armin H. Klein, Trainer, Coach, Vortragsredner, Erwachsenenbildner, ehemaliger Suchttherapeut, Scheidungsvater eines erwachsenen Sohnes.

www.Potential-Mann.de
info@armin-h-klein.de

 

Weblinks:
www.phoenixzeit.de
www.maennersache-ev.org (FeuerWasser)
www.maenner-kongress.de (Männerzeit)

 

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