Vom Glück, ein Mann von heute zu sein

Der Mann von heute, so heisst es, hat die Privilegien von einst verloren und gegen eine Hydra von sich widersprechenden Ansprüchen eingetauscht, die die neuen, selbstbewussten Frauen an ihn stellen. Sie wollen einen Mann, der zuhören kann, der präsent ist und zugleich auch im richtigen Moment Entschiedenheit und Stärke zu zeigen weiss. Anders als ihre Mütter bescheiden sie sich nicht mehr damit, dem Mann die Hemden zu stärken und die Gefühlswelt zu ordnen.

 

 

Sind wir Männer die Verlierer der Emanzipation? – Nein. Ich bin überzeugt davon, dass noch keine Generation von Männern den gleichen Spielraum hatte, ein selbstbestimmtes Leben zu führen wie wir heutigen Männer. Wir haben heute die Chance, mit unseren Partnerinnen das Abenteuer des Lebens gemeinsam und auf Augenhöhe zu wagen und zu riskieren: Auf Zeit, für immer und für alles dazwischen. Ich finde, das ist ein beträchtlicher Gewinn.
Allerdings: So sehr es ein Glück ist, sich mit einer Frau zu verbinden – die Liebe zu einer Frau macht den Mann noch nicht zum Mann. Vielleicht rührt die heute oft beschworene Verunsicherung von Männern von einer zu starken Ausrichtung auf das weibliche Gegenüber her. Der Mann von heute riskiert, ganz seiner Frau zugewandt, zum neuen „anderen Geschlecht“ zu werden. Findet er keinen Bezug zu sich als Mann, bleibt ihm eine wesentliche Quelle des Glücks verschlossen.

Von beidem, vom Glück einer neuen Liebe und dem Abenteuer einer offenen, sich selbst entdeckenden Männlichkeit ist hier die Rede.

Früher war es nicht besser

Der Platz meines Vaters am Esstisch war gegeben: Er sass am Kopfende. Sein Arm war lang und seine gezielten Interventionen mit der Gabel waren gefürchtet: Wer nicht richtig aß, riskierte einen Zwick mit dem Essbesteck. Man aß, wenn er zu essen begann. Man schwieg, wenn er zu den Nachrichten schwieg. Man gehorchte ihm, denn sein Leib, seine Vitalität und die Tatsache, dass er uns Kinder gezeugt hatte und uns alle an diesem Tisch ernährte, waren unwiderlegbar. Ausserdem fuhr er einen mächtigen Amerikanerwagen, was seinem Wort zusätzliche Bedeutung verlieh.
Meine Mutter hielt das mächtige Vaterbild aufrecht. Und wenn sie uns drohen wollte, dann drohte sie mit dem Machtwort des Vaters. Es war aber auch die Mutter, die uns Kinder als Komplizen in ihren Freiheitsbestrebungen gegenüber dem Vater aufbaute. Uns klagte sie Leid und Unbehagen, uns gestand sie ihre Freiheitsfantasien. »Er« war der mächtige Abwesende. So sah ich als Kind von Anfang an beides: Die inszenierte Macht des Vaters und wie sie hintergangen wurde. In seinem Poltern sah ich auch seine Schwäche, in seinem Vorrecht des Ernährers sah ich auch die Last des Verdienenmüssens.

Neu lieben!

Abhängigkeit und Liebe können nicht zusammengehen. Ich kann mir nicht vorstellen, mich mit einer Frau zu verbinden, die mir nicht gleich, ebenbürtig und gewachsen wäre. Natürlich ist die Konsequenz dieser Wahl nicht leicht auszuhalten, denn sie schliesst es aus, den Menschen an sich zu binden, den man liebt. Sie schliesst es aus, über die Partnerin zu bestimmen. Und das heisst: Sie kann sich für Dinge entscheiden, die einem nicht passen. Der Gewinn aber ist die Gewissheit, dass die Frau an unserer Seite uns nicht folgt, weil sie muss, sondern neben uns geht, weil sie will: Ein grössere Sicherheit gibt es nicht.

 

 

Gibt es eine neue Männlichkeit?

Und was heisst es denn, ein guter Mann zu sein? Will ich überhaupt so etwas wie »Männlichkeit« für mich definieren? Wir leben in einer Zeit, die das Konzept einer festen Identität auflöst. Wir lösen Rollen, Zuordnungen und Vorrechte auf – und das mit Gewinn. Wieso also diese Freiheit aufgeben, um sich auf irgendeine Form von Männlichkeit festzulegen? Die Antwort lautet: Man wird Mann in der Auseinandersetzung mit anderen Männern. Gerade so, wie man den Sinn des Lebens beim Nachdenken über den Sinn des Lebens findet. Mannsein ist eine Praxis. Man übt sich und lernt Spielfreude und Gelassenheit. In der Begegnung mit andern Männern löst sich der starre Begriff von Männlichkeit zugunsten einer beglückenden Vielfalt von Variationen auf. Ein guter Ort für das Praktizieren von Männlichkeit ist eine Männergruppe. Aber es geht auch jede andere Begegnung mit Männern. Wenn sie nur real und richtig sind.

Sei Mann und tu Gender!

Die Antwort auf die Rede von der Verunsicherung des Mannes lautet also: »Den Mann« gibt es nicht – es lebe die widersprüchliche Vielfalt dessen, was es heisst, ein Mann zu sein! In der Begegnung und der Befreundung mit andern Männern erschließe ich mir meine unzähligen Möglichkeiten Mann zu sein. Macho, Softie, Sportler, Philosoph, Held, Autofreak und Ökoheld, unentschlossen, mutig, schwankend und zielstrebig: Alles ist möglich und alles steckt in mir. Ich bin der Sünder und der Moralist zugleich!
Mann zu sein, jenseits von Privileg und Bürde bedeutet, sich auf das faszinierend offene und widersprüchliche Ganze einer Identität einzulassen. Das ist ein Glück. Dass es immer leicht fällt: Davon war nicht die Rede.

Ivo Knill ist Chefredaktor der Schweizer Männerzeitung. Diese erscheint vier Mal im Jahr und berichtet über die Lust, das Glück und die Herausforderung, ein Mann zu sein.

Ivo.knill@maennerzeitung.ch
www.maennerzeitung.ch

 

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