26 Mai Leben, Lernen und Arbeiten an einem Ort
Das Leben einer Familie in der Gemeinschaft Schloss Tempelhof
Autor: Stefanie Raysz
Kategorie: Gemeinschaften/Projekte
Ausgabe Nr: 91
Wie lebt es sich mit einer Familie in einer Gemeinschaft? Stefanie Raysz zog vor einigen Jahren mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in die Gemeinschaft Schloss Tempelhof und hat dort Pionierarbeit beim Gemeinschaftsaufbau geleistet. Welche Anforderungen das Gemeinschaftsleben an eine Familie stellt und was sie am Heraustreten aus den normalen Strukturen begeistert, teilt sie in diesem Interview.
Tattva Viveka: Stefanie, du lebst in der Gemeinschaft Schloss Tempelhof. Wie ist es dazu gekommen, dass du dort hingezogen bist?
Stefanie Raysz: Mit 37 Jahren wollte ich mit einer Gruppe zusammen eine Gemeinschaft gründen. Es stellte sich aber heraus, dass dabei unglaublich viele Fragen auftauchen. Wir waren ziemlich unbedarft, unvorbereitet und gemeinschaftsunerfahren und konnten diese Fragen zum Teil gar nicht beantworten. Wir haben uns auch Immobilien angeschaut. Wir sind in uns gegangen, haben uns gefragt, was jeder Einzelne von uns eigentlich will und was wir miteinander wollen. Und im Zuge dessen bin ich über Schloss Tempelhof gestolpert. Schloss Tempelhof war damals gerade in Gründung, und diese Gruppe, die wir dort antrafen, hatte sich schon jahrelang Gedanken zu den Fragen gemacht, die sich uns stellten. Als ich dort hinkam, fand ich einen Haufen neugieriger, motivierter, sich im Aufbruch befindender Menschen. Das war so inspirierend und auch ein bisschen sicherheitsstiftend, weil sie sich Antworten auf unsere Fragen überlegt hatten. Wir merkten schnell, dass sie gut zu uns passen und wir zu ihnen, sodass es dann gar kein langer Prozess mehr war zu sagen, wir probieren es mit dieser Gemeinschaft.
Man könnte sagen, wir haben dort Pionierarbeit geleistet. Wir fragten uns: Wie geht man mit einem neuen Ort um? Wie geht man mit einer ganz neuen Gruppe um, die sich eine gemeinsame Vision erarbeiten möchte? Was wollen wir eigentlich miteinander? Was ist mein Beitrag für das Gesamte? Gleichzeitig, mit dem Hintergrundwissen, machte ich mich auf in etwas Neues, mir Unbekanntes, in etwas erst zum Teil Bestehendes. Das heißt, ich musste auch mutig sein, weil so eine Gemeinschaft nie fertig ist. Sie ist immer in einem fluiden Prozess.
Sich in einen unfertigen Prozess eines Kollektivs einzuklinken, wenn man selbst in einem eigenen unfertigen Prozess steckt, bedarf einiges an Energieaufwand, Lust und auch Bereitschaft, Pionierarbeit zu leisten.
So sind wir dann als Familie mit drei Kindern dort hingezogen. Wir drehten vorher noch einmal eine Schleife, weil uns Infrastruktur fehlte. Es gab damals keine Schule, keinen Kindergarten und keinen Wohnraum. Wir zogen dann erst mal in einen Wohnwagen. Es war alles ein bisschen holperig, wenn man aus einem wohlsituierten, planbaren, organisierten Organismus in etwas so völlig Neues kommt. Ich war damals auf allen Ebenen gefordert.
Wir brauchten tatsächlich eine ganze Weile, uns anzupassen und unseren Platz zu finden, auch für die Kinder.
Das war nicht ganz einfach für sie, sie waren damals zwischen drei und sieben Jahre alt.
TV: Wenn du sagst »wir«, dann meinst du deine Familie, richtig?
Stefanie: Ja, ganz genau. Mein Mann und unsere drei Kinder, die hinsichtlich schulischer Bildung, Freundschaftsbildung und Sozialisation alle in unterschiedlichen Lebensphasen waren. Es ist etwas anderes, ob ich in der Schule bin oder noch an Mamas Rockzipfel hänge. Es ist unglaublich, wie eine Sechsjährige schon weiß, in welchem Umfeld sie ist. Sie dann rauszunehmen und ihr zu sagen, wir sehen die Freunde jetzt nicht mehr, das ist nicht der gleiche Kindergarten – das war nicht einfach und es liefen ziemlich viele Tränen. Da sieht man, wie viel man aufgeben muss.
Ich war als Mama gefordert, jeden Abend ein inneres Standing zu haben, um Ungewissheiten, Unsicherheiten und Angst vor Neuem auszuhalten und Zukunftsbilder, Freude und Neugier größer werden zu lassen als die Angst.
TV: Und woher kam dann der Impuls, aus eurem »wohlsituierten, geplanten Organismus« auszubrechen und das Neue und Unbekannte zu wagen? Gab es da ein Schlüsselerlebnis?
Stefanie: Da gab es mehrere Punkte. Ausschlaggebend war, dass ich mit 37 lange krank war und in diesem Kranksein merkte, dass mein Freundschaftsnetz, das relativ gut und belastbar war, nicht ausreicht für jemanden, der ein Pflegefall wird. Es war richtig schwierig, alles aufrechtzuerhalten, wenn ich als Mama wochenlang ausfiel. Mir wurde klar, dass wir in einer so egozentrierten Welt und in einer solchen Hamsterradsituation leben, dass wir jemanden, selbst wenn er uns ganz nah ist, nicht wirklich integrieren können. Das war der eine Punkt.
Der andere Punkt war, dass ich merkte, wie sich die Familien um mich herum, die fünf bis zehn Jahre älter waren, anfingen zu langweilen. Sie wussten nicht mehr, was sie mit ihrer Freizeit anfangen sollten, als die Kinder langsam aus dem Haus gingen. Sie beschäftigten sich nur noch. Das war mir aus meinem Sinnhaftigkeitsbedürfnis heraus viel zu wenig. Als meine Kleinste ein Jahr alt war, gründete ich einen riesigen, erfolgreichen Verein, der sich für Nachhaltigkeit einsetzte. So war ich in ganz vielen Bereichen in Sachen Nachhaltigkeit unterwegs.
Das war aber keine personale Nachhaltigkeit. Es ging immer um Dinge, um Projekte im Außen, aber wenn es um mich, um mein Leben, um ein Miteinander ging, da war ich sehr isoliert.
Ich hatte diesen Familien-Nukleus, in den kamen punktuell Freunde hinein und wir machten etwas zusammen, aber
mir fehlte dabei die ganzheitliche Lebensbetrachtung,
und ich war auch nicht ganzheitlich in einem Lebensrad eingebunden.
Das war nur der Anfang des Artikels.
Im vollständigen Interview erfährst du mehr über Stefanie Raysz‘ Beweggründe nach Schloss Tempelhof zu ziehen, ihre Herausforderungen und wie sie sich heute für das Global Ecovillage Network GEN engagiert.
Lies die vollständige Fassung in Tattva Viveka 91.
Tattva Viveka Nr. 91
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Schwerpunkt: Leben in Gemeinschaft
Erschienen: Juni 2022
Jo Eckardt – Überleben in Gemeinschaft. Wie die Evolution Kooperation und Altruismus entstehen ließ • Johannes Heimrath und Lara Mallien –
Im Vertrauensraum transparent sein. Wie Gemeinschaft gelingt • Stefanie Raysz – Leben, Lernen und Arbeiten an einem Ort. Das Leben einer Familie in der Gemeinschaft • Claus Reimers – Ein Leben für die Gemeinschaftsbewegung. Einblick in die Entstehung und Entwicklung der Gemeinschaft Schloss Tempelhof • Stefanie Aue –
Die Community lebendig halten. Vor Ort in der Gemeinschaft Parimal Gut Hübenthal • Achim Ecker – Lieben ist eine politische Aufgabe. Langjährige Gemeinschaftserfahrung im ZEGG • Barbara Stützel – Gemeinschaft als Entwicklungsweg. Welche persönlichen Fähigkeiten zu mehr Verbundenheit beitragen • Dieter Halbach – »Beteiligung ist das Herz der Demokratie«. Wie die Prinzipien der Gemeinschaftsbewegung in der Gesellschaft angekommen sind • Dr. Thomas Steininger – Der Mut zu träumen. Commons, Blockchain, Peer-to-Peer-Beziehungen und die Vision einer neuen Netzwerkkultur • Ronald Engert – Die Wahrheit wird uns nicht davonlaufen. Plädoyer für Walter Benjamin • Dr. Annette Blühdorn – Das metaphorische Herz Teil 2. Zeuge des archaischen Bewusstseins • Dr. Iris Zachenhofer und Andraes Kalff – Die Annäherung von Medizin und Schamanismus. Ein Weg ganzheitlicher Heilung • u.v.m.
Zur Interviewten
Stefanie Raysz ist Master of Business Administration (MBA) und Pädagogin. Mutter von drei Kindern. Sie ist in Projektmanagement/PR und Öffentlichkeitsarbeit/Marketing- und Vertriebsleitung für verschiedene KMU und NGO tätig, Vorstandstätigkeit bei GEN (Global Ecovillage Network, Deutschland/Europe). Raysz lebt seit 2014 im Ökodorf/in der Zukunftswerkstatt Schloss Tempelhof. Beruflicher und privater Fokus: alternative Lebensformen, freie Schule, soziotechnische Innovationen und Technikphilosophie, Dorf- und Regionalentwicklung.
Webseiten:
schloss-tempelhof.de
gen-deutschland.de
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