05 Jan Mit Klecksen hexen
Autor: Wolfgang Bauer
Kategorie: Kunst / Musik / Literatur
Ausgabe Nr: 81
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Vom Schattenbeschwörer Justinus Kerner über den Seelenerforscher Hermann Rorschach zu Jack the Dripp
Seit jeher sucht der Mensch Techniken und Methoden, um sich dem Unbewussten zu nähern und seine Bilder und Archetypen zu deuten. Denn das Unbewusste gilt als die Pforte zur Inspiration und auch zu der Anderswelt, die eine starke Faszination auf den Menschen ausübt. Eine Technik um das Unbewusste zu beleuchten, ist die der Klecksographie. In der modernen Psychologie steht der bekannte wie umstrittene Rorschach-Test in der Tradition der mystischen Tintenkleckse, die die Phantasie des Menschen beflügeln.
Im Jenseits des Andersgegenständlichen
Das Auftreten von schöpferischem Denken scheint etwas mit der besinnlichen und ziellosen Hingabe an die Wahrnehmung von natürlich entstandenen, amorph wirkenden Mustern zu tun zu haben.
Zu allen Zeiten nahmen Menschen an, dass es hinter der Realität der Dinge des Alltags okkulte Bereiche geben müsse. Verborgenes Wissen, geheime Erkenntnisse und unsichtbare Wesenheiten.
Um zu dieser verborgenen Welt Zugang zu finden, dienten und dienen allerlei magische Praktiken.
Einen Vorreiter in der Kunst, finden wir in dem Arzt, Dichter und Zeichner Justinus Kerner (1786–1862). Sein Zugang zur anderen Wirklichkeit bestand im andächtigen Verfertigen von Klecksbildern. Fast 1000 Klecksografien entstanden über die Jahre an seinem Schreibtisch.
Bilder aus dem Hades
Kerner war davon überzeugt, dass in den nicht sichtbaren Bereichen der Natur Geistwesen existieren.
Er nahm an, dass es ein »Allgemeinleben« von Menschen, Geistern und Gestirnen gibt, bei dem alles mit allem zusammenhängt, zusammenwirkt und einander berührt.
Mithilfe von Tinte und gelegentlich auch von Kaffee bannte er Urbilder aus dem Nacht- und Zwischenreich aufs Papier, die er in einer Kladde, den »Hades- und Höllenbildern« zusammenstellte (posthum 1890 erschienen) und mit Versen, oft sehr humorvoll, kommentierte.
»Hades- und Höllenbild«
»Diese Bilder aus dem Hades,
Alle schwarz und schauerlich
(Geister sinds, sehr niederen Grades),
Haben selbst gebildet sich
Ohn‘ mein Zuthun, mir zum Schrecken,
Einzig nur – aus Dintenflecken.
Habe stets dabei gedacht,
Überall, wo‘s schwarz und Nacht,
Spuket die gespenst‘ge Rasse,
Darum auch im Dintenfasse.
Die ihr schreibt, nehmt euch in acht!
Weil ich Klecksograph entdecket,
Daß im Dintenfaß oft stecket
Eines gift‘gen Dämons Macht.«
Kerner merkt an, dass man beim Klecksografieren nie das, was man gern möchte, hervorbringen kann, und dass oft das Gegenteil von dem entsteht, was man erwartet, dass aber gerade diese zufällige Entstehung der Bilder der Fantasie »ungeheuren Spielraum« gebe. Viele dieser Bilder trugen für ihn den »Typus längst vergangener Zeiten aus der Kindheit alter Völker«. Kerner hatte schon in frühester Jugend durch das Zerdrücken kleiner, färbender Beeren und Fliegenköpfe auf zusammengelegtem Papier Zeichnungen hergestellt. Später als Erwachsener ließ er Tinte auf Papier tropfen. Es entstanden symmetrische Zeichnungen: Arabesken, Tier- und Menschenbilder.
Von der Klecksografie zum Tintenklecks-Test
Hermann Rorschach (1884–1922), der zuerst Künstler werden wollte, studierte schließlich Medizin in Zürich und arbeitete als Psychiater in Schweizer Psychiatrien. Die Dissertation eines Schweizer Kollegen, Szymon Hens (»Phantasieprüfung mit formlosen Klecksen bei Schulkindern, normalen Erwachsenen und Geisteskranken«), die 1917 erschienen war, gab ihm die Idee für die Entwicklung seines Formdeute-Verfahrens, den Rorschach-Test. Vor Hens und Rorschach hatten bereits andere Forscher Klecksgebilde als Stimulusmaterial bei ihren Untersuchungen genutzt.
Rorschachs Ziel: Er wollte (in Anlehnung an die Tiefenpsychologie Sigmund Freuds) ein global einsetzbares Testverfahren anbieten, das eine objektive Methode zur Diagnostik der Gesamtpersönlichkeit darstellen sollte. Aus der Interpretation eines Rorschach-Protokolls werden Aufschlüsse zu kognitiven und affektiven Aspekten sowie zur Ich-Struktur erwartet. Rorschach hoffte, mit den von ihm vorgegebenen zehn Klecksbildern okkultes Material aus der Psyche seiner Probanden sichtbar machen zu können. Da der Rorschach-Test (erst einmal) keine richtige und keine falsche Antwort kennt, kann sich die Testperson scheinbar unbefangen äußern. Nichts bremst die Assoziationen und Zuschreibungen. Allerdings ist der Tester bei seiner Auswertung durch eine Fülle von vorgegebenen Kriterien festgelegt. Klinische Psychologen versprachen sich vom Rorschach-Test auch ein Verfahren, das den Patienten veranlasst, seine private Welt zu enthüllen. »Er erzählt, was er auf den verschiedenen Tafeln ›sieht‹, und projiziert deshalb seine Gefühle und Gedanken, weil die Tafeln keine sozial standardisierten Objekte darstellen, auf die es kulturell vorgeschriebene Antworten gibt.« Der Proband ist sich in seinen Antworten nicht bewusst, was er sagt. Er kann sich nicht hinter kulturellen Normen verstecken. Klopfer/Davidson lassen schließlich die Katze aus dem Sack, wenn sie schreiben:
»In der Rorschach-Situation weiß man nicht, wie die richtige, beste oder typische Antwort lautet. Jeder muss in seiner für ihn spezifischen Art und Weise reagieren. Indem man so antwortet, enthüllt man unbeabsichtigt oder unbewusst gerade jene Teile des Ichs, die man selbst nicht ganz kennt.«
Es geht dem Psychologen darum, verborgene, versteckte Seiten der Persönlichkeit des Probanden mit dem Zaubermittel der Klecksografie aufzudecken. Eingehende Kenntnisse in der Psychoanalyse sind aber eine unerlässliche Voraussetzung für den Deuter. Hier liegen die Schwächen der Methode.
Wenn sie mehr über den Rorschachs Test erfahren möchten, können sie den vollständigen Artikel als Pdf unten bestellen.
Jackson Pollock und das Drip-Painting
1937 begab sich der Maler Jackson Pollock (1912–1956) wegen alkoholischer Entgleisungen in eine Therapie bei einem Jungianisch orientierten Psychiater. Da er sich schwer tat, sich bei seinem Behandler über sich und seine Problemlage zu äußern, brachte er ihm Blätter aus seinem Skizzenbuch als nonverbalen Beitrag in die Sitzungen mit.
Um das Jahr 1946 machte Pollock mit Klecksbildern von sich reden. Auf die Idee, Farbe auf die am Boden liegende Leinwand zu tropfen, zu schütten, zu sprengen, zu spritzen, verlaufen und verfließen zu lassen, zu klecksen, zu tupfen, zu wischen, hatte ihn der surrealistische Maler Max Ernst (1891–1976) gebracht. Mit seinem wilden Farben-Dripping ohne Plan hoffte Pollock, ein Ventil für die Dämonen in seinem Inneren, seine panischen Ängste, seine schweren Depressionen und Aggressionsschübe, gefunden zu haben.
Er hoffte frei nach C. G. Jung, dass sein Unbewusstes im Zustand der Trance die Quelle für seine Kunst werden könnte.
Er sah sich als Medium, aus dessen Unbewusstem die Kunst ohne Kontrolle herausfließt. Es ging Pollock nicht darum, nach der Natur, sondern wie sie, parallel zu ihr, zu arbeiten. Demgemäß konnte er sagen: »Ich befasse mich mit den Rhythmen der Natur. Ich arbeite von innen nach außen, genau wie die Natur.« Er wehrte sich auch vehement gegen die Behauptung, seine Bilder seien durch Chaos gekennzeichnet und rein zufällig entstanden. Sie seien vielmehr als Manifestationen von Energie und Bewegung sowie von im Körpergedächtnis gelagerten Erinnerungen zu verstehen.
Viele, die glaubten, dass Pollocks Klecksbilder wertlos und keine Kunst seien (»Werke eines delirierenden Irren«), wurden 2006 eines Besseren belehrt. Sein Gemälde »No. 5 1948« wurde 2006 von einem mexikanischen Sammler für 140 Millionen Dollar gekauft. Aus dem „zufälligen Gekleckse“ wurde damit ein Kunstwerk von höchstem Wert. Link zum Bild
Wenn sie mehr über Jason Pollock erfahren möchten, zum Beispiel was er mit Max Ernst, Juddi Krishnamurti und C.G Jung zu tun hat, können sie den vollständigen Artikel als Pdf unten bestellen.
Bei dem Verfertigen seiner Klecksbilder versuchte Jackson Pollock, einen schamanistischen Zugang zu den Inhalten seines Unbewussten zu bekommen. Seine dort verorteten Ängste, Zwänge und inneren Qualen wollte er über den Prozess des Farben-Drippings sichtbar und zu Kunst werden lassen. Den Zündfunken für sein Tun erhielt er durch einen Trancezustand, eine Art von Selbsthypnose, in die er sich bei seinem künstlerischen Schaffen versetzte. Dieser Vorgang der Entäußerung, im Akt der Selbstöffnung von innen nach außen, sollte ihn heil machen und in einen Zustand versetzen, in dem er sich wieder im Einklang mit seiner Natur und mit der Natur als Mutter von allem befand und in dem er glücklich sagen konnte: »Ich bin Natur.«
Über den Autor
Wolfgang Bauer, Jahrgang 1940, Studium der Psychologie und begleitend der Volkskunde. Tätigkeit als Psychologischer Psychotherapeut in Frankfurt am Main. Veröffentlichungen (in Zusammenarbeit mit anderen Autoren): »Das ganz andere im Stein. Wenn Steine, Felsen und Berge ihr vollständiges Sein offenbaren« (2013), »Der Fliegenpilz. Geheimnisvoll, giftig und heilsam. Die Wurzeln von Mythen, Märchen und Religionen« (2014).
Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.
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Wolfgang Bauer
Mit Klecksen hexen
Seit jeher sucht der Mensch Techniken und Methoden, um sich dem Unbewussten zu nähern und seine Bilder und Archetypen zu deuten. Denn das Unbewusste gilt als die Pforte zur Inspiration und auch zu der Anderswelt, die eine starke Faszination auf den Menschen ausübt. Eine Technik um das Unbewusste zu beleuchten, ist die der Klecksographie. In der modernen Psychologie steht der bekannte wie umstrittene Rorschach-Test in der Tradition der mystischen Tintenkleckse, die die Phantasie des Menschen beflügeln.
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