19 Nov Vitalismus – Zwischen Biologie, Philosophie und Parapsychologie
Hans Driesch, der Vitalist
Autor: Dr. Stephan Krall
Kategorie: Biologie
Ausgabe Nr: 65
Die Bedeutung des Lebens ist auch in der Biologie nicht ganz geklärt. Ist der lebendige Körper nur eine Maschine, die nach kausalen Gesetzen funktioniert? Hat Leben ein Ziel, ein Telos? Gibt es vielleicht auch eine zweite Instanz, die man Bewusstsein oder Transzendenz nennen könnte? Der Biologe Hans Driesch entwickelte die Theorie des Vitalismus. Diese postuliert eine Lebenskraft nicht materieller Art. Wie schwer es für die Naturwissenschaft ist, eine solche Dimension zu akzeptieren, zeigt der folgende Artikel.
Hans Driesch (1867-1941) war ein besonderer Mensch. Wissenschaft war sein Leben und der Vitalismus als Idee und Philosophie seine Passion. Er wollte sich nicht in den Vordergrund drängen und war bereit, alle seine Thesen auch wieder zu hinterfragen oder hinterfragen zu lassen. Er entwickelte sich vom Biologen und Experimentator zum Philosophen, als den er sich den Hauptteil seiner wissenschaftlichen Laufbahn verstand. Driesch hat das aber nie als Wechsel des Faches begriffen, sondern als die Verfolgung einer Idee mit anderen Mitteln. Im nachfolgenden Beitrag geht es um den Menschen, um den Biologen und auch um den Philosophen und Parapsychologen Driesch. Aber hauptsächlich geht es um seine Idee des Vitalismus und die Entelechie als wirkendendes Agens.
Leben und Mensch
Hans Driesch war eigentlich ein echter Hamburger Junge, wurde aber in Kreuznach geboren, da seine Mutter bei der Geburt bereits Anfang 40 war und ihr Mann nicht wollte, dass sie das Kind im rauen Hamburger Klima zur Welt bringt (Wenzl 1951). Der Vater verstarb aber bereits zwei Jahre später mit 38 an den Blattern. Das Geschäft des Vaters, Gold- und Silberwaren, führte die Mutter mit Hilfe eines Geschäftsführers weiter, und so verlebte Driesch eine wohlbehütete Kindheit. Er ging erst auf eine Privatschule und dann auf das in Hamburg berühmte, altehrwürdige, bereits 1529 gegründete Johanneum, das es noch heute gibt. Er studierte die ersten beiden Semester in Freiburg Zoologie, wechselte dann zu dem damals berühmten Ernst Haeckel (1834-1919), der die Evolutionstheorie von Darwin in Deutschland vertrat und weiterentwickelte, an die Universität Jena. Bei Haeckel promovierte er auch über Hydroidpolypen. Mit ihm überwarf sich Driesch später, als er bereits in Neapel forschte, wegen seiner Kritik an der Evolutionstheorie (Driesch 1951).
Die Frage ist, ob Leben eine Qualität hat, die grundsätzlich von unbelebter Materie unterschieden ist.
Nach dem Studium ging Driesch zusammen mit seinem Freund Curt Herbst, den er im Stu-dium kennen gelernt hatte, für experimentelle Forschungen an die zoologische Station in Neapel, wo die beiden jahrelang mit Unterbrechungen forschten. Durch den Verkauf des väterlichen Geschäftes nach dem Tod seiner Mutter verfügte Driesch über ein erhebliches Vermögen, das ihm die Existenz als Privatgelehrter ermöglichte.
Unterbrochen wurde die Forschung immer wieder von Reisen, u. a. nach Indien, Russland, Ägypten, China, Argentinien und die USA. Er wurde dadurch zu einem toleranten Kosmopoli-ten, der glaubte, dass Wissenschaftler durch ihre weltumspannende Verbundenheit zu einer friedlichen Welt beitragen können. Diese Hoffnung wurde bei Driesch zweimal auf das Bitterste enttäuscht, durch den ersten und vor allem den zweiten Weltkrieg mit der Naziherrschaft. Driesch stand als Pazifist und Mitglied der Liga für Menschenrechte beiden Kriegen ablehnend gegenüber und verachtete vor allem die Nazis mit ihrer Kulturlosigkeit, Rassentheorie und Judenfeindlichkeit.
Driesch wurde für die Jahre 1907 und 1908 von der schottischen Universität Aberdeen als Gifford-Lecturer ausgewählt und eingeladen, 20 Vorträge zu halten. Diese Vorträge wurden noch im selben Jahr auf Englisch unter dem Titel »Philosophy of the Organism« in zwei Bänden veröffentlicht und kurz darauf auf Deutsch (Driesch 1921). Die Lesungen brachten Driesch auf den Geschmack am Dozieren, und so nahm er den Rat verschiedener Professoren an, sich zu habilitieren.
Abbildung aus Driesch: Der Vitalismus, 1905
1919 – inzwischen hatte sich Driesch zum Philosophen weiterentwickelt – nahm er einen Ruf an die Universität Köln an. Bereits 1921 erhielt er einen weiteren Ruf an die Universität Leip-zig. Dort lehrte Driesch im Fach Philosophie bis zu seiner vorzeitigen »Emeritierung« 1933 durch die Nazis, die mit der Begründung erfolgte, dass er sich bereits früher für Pazifisten und Juden eingesetzt hatte. Enttäuscht und tief getroffen zog er sich immer mehr zurück und starb 1941. Zu seinen Schülern gehörten Norbert Elias (1897-1990), Erich Fromm (1900-1980), Helmut Schelsky (1912-1984) und Ernst Jünger (1895-1998).
Die biologischen Forschungen
Zwanzig Jahre seines Lebens verbrachte Driesch als Forscher, die meiste Zeit davon an der biologischen Forschungsstation in Neapel. Driesch forschte vor allem an der Entwicklung von Seeigeleiern und -larven, aber auch an anderen Meeresorganismen. Er fand heraus, dass in frühen Zellteilungsstadien, wenn man diese Zellen trennt, sich doch aus den getrennten Zellen jeweils wieder ganze, wenn auch kleinere Seeigel entwickeln. Damit sah Driesch die Zellen in ihrer prospektiven Bedeutung nicht als konstant an, sondern als variabel. Er schuf deshalb den Begriff der prospektiven Potenz, die in einer Zelle steckt, aus der sich dann erst sein mögliches Schicksal entwickelt. Er fand es erstaunlich, dass auch bei Teilung des Keimes »Normales« erreicht wird, obwohl das »Normale« noch gar nicht da war. Driesch nannte diese auf ein sich harmonisch entwickelndes Ganzes bezogene Systeme »harmonisch-äquipotenzielle Systeme« (Driesch 1905).
Hans Driesch, 1932
Die Entwicklung vitalistischer Ideen
Drieschs Experimente machten ihn nachdenklich und er fragte sich, wieso sich ein Organis-mus zu einem komplexen Gebilde gestaltet, auch wenn man ihn in der Embryonalentwicklung immer wieder stört. Er fragte sich, ob es dafür einen Plan gibt, oder ob dieser Faktor E, wie er ihn nannte, »maschinell« erklärt werden kann, ob also das Leben nur eine Maschine ist, und dieser Faktor innerhalb des Lebens zu suchen ist. Da man aber z. B. Seeigelkeime im frühen Stadium teilen kann, und sie sich wieder zu ganzen Organismen entwickeln, müsste dieser Faktor auch beliebig klein und fast unendlich gedacht werden, was Driesch absurd vorkam, für heutige Genetiker aber im Sinne des genetischen Codes selbstverständlich ist. Für Driesch wurde deshalb der Begriff des Lebens als Maschine unsinnig und somit musste der Faktor E etwas anderes sein, das auch nicht im Inneren des Organismus oder der Zelle liegt, sondern als ein Naturfaktor sui generis gedacht werden muss, als etwas, das neben dem aus Physik und Chemie Bekannten als neue elementare Sondereinheit tritt. Er nannte diesen Faktor E »Entelechie« (Driesch 1905). Er wollte damit zwar einerseits an Aristoteles, der den Begriff geprägt hatte, erinnern, ihn aber mit neuem Inhalt füllen. Der Begriff entelecheia bedeutet so viel wie sein Ziel (Telos) in sich selbst zu haben. Unter bestimmten Voraussetzungen würde auf ein angebbares Ziel hin eine Raum-Zeit-Gestalt verwirklicht. Dieser Vorgang sei zwar unverständlich, aber nicht als übernatürlich zu deuten (Driesch 1921).
Aber es ging ihm auch generell um die Frage, ob Leben eine Qualität hat, die grundsätzlich von unbelebter Materie unterschieden ist. Am Bespiel des Reiz-Reaktionsmusters macht Driesch erneut die Autonomie des Lebens fest. Die Individualität, mit der viele Organismen auf Reize reagieren könnten, schlösse einen »Maschinencharakter«, also reine Kausalität, aus. Das Reaktionsbestimmende bei Handlungen sei eine Art der Entelechie, die er aber zur Unterscheidung »Psychoid« oder »Seelenfeld« nannte und ins Innere des Organismus ver-legte, während die formbildende Entelechie von außen wirkt.
Die Hypothese, dass es diesen Naturfaktor gibt, nannte Driesch Vitalismus. Der Vitalismus sagt aus, dass es in der Natur auch Ganzheits- und Finalgesetze gibt, also nicht nur rein kausale Zusammenhänge. Diese Annahme, dass es in der Natur eine Teleologie gibt, deren Gesetze Ausdruck von Ideen sind, ist für Driesch nicht unverständlicher als eine sinnfreie Natur, in der es nur Resultanten nach Elementargesetzen gibt. Er stellte die Finalität der Kausalität gleichberechtigt gegenüber.
Driesch nahm die Entelechie als einen von außen auf die Materie wirkenden Faktor an, womit er sich dem Vorwurf der Transzendenz aussetzte. Wenn aber, so Driesch, die Entelechie für das zweckmäßige, sinnhafte Funktionieren und Reagieren und damit für die Ermöglichung des eigentlichen Lebens verantwortlich ist, dann bewirkt sie auch fühlende, erlebnisfähige Wesen. Damit wird der Entelechie auch eine seelenartige Wesenheit zuerkannt, die ihr in gewisser Weise eine »Intelligenz« gibt, weil sie das »Lebensproblem« in so wunderbarer Weise löst. Die von Driesch postulierte psychoide »Intelligenz« gilt auch für niedere Organismen wie Amöben und ebenso auch für Pflanzen.
Das Wirkliche existiert auch ohne dass es erlebt wird.
Eine Schlüsselfrage ist natürlich einerseits die nach dem Wesen der Entelechie, aber vor allem auch nach dem Wirkmechanismus. Driesch nahm für die Entelechie zwei mögliche Wirkmechanismen an. Die Suspensionsphypothese besagt, dass im lebenden Organismus durch die Entelechie ein nach den Gesetzen der Physik fälliger Energieumsatz zweitweise nach Bedarf aufgehoben werden kann, um dann durch die so steuernde Entelechie wieder freigegeben zu werden. Die Steuerung bestände dann nur in einer negativen, hemmenden Wirkung. Das Pendel würde sozusagen im höchsten Punkt kurz daran gehindert werden, seine potenzielle Energie wieder in kinetische zu verwandeln. Die zweite Möglichkeit nannte Driesch die realisierten Bedingungsgleichungen. Damit meinte Driesch bildlich, dass ein Körper auf einer Fläche nur bestimmte Bahnen nehmen könnte. Die Entelechie lässt also Kräfte wirksam werden, die die Teilchen zur Abweichung von der physikalischen Bahn veranlassen. Bahnen, die in der Physik als rein virtuell gelten, könnten durch die Entelechie real werden.
Der berühmte Physiker Pascual Jordan (1902-1980) nahm an, dass gerade in der Indeterminiertheit in der Mikrophysik eine Brücke zur Lösung des Lebensproblems gesehen werden kann. Dass dort, wo es gar keine Maschine im klassischen Sinne mehr geben kann, der Raum für die Einschaltungsmöglichkeit einer Entelechie gegeben sei (Jordan 1943). Aber in diese Richtung hat Driesch nicht gedacht. […]
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Artikel zum Thema in früheren Ausgaben:
TV 10: Dr. Stephan Krall – Wilhelm Reich. Die Urzeugung. Eine kritische Würdigung
TV 39: Dr. Michael Nahm – Charles Darwin. Leben und Werk des Begründers der Evolutionstheorie
TV 53: Rupert Sheldrake – Tabubruch. Die spirituelle Befreiung der materialistischen Wissenschaft
TV 56-57: Ronald Engert – Blick in die Ewigkeit. Die Nahtoderfahrung eines Neurowissenschaftlers
Bildnachweis: © Pixabay.com, © Wallpaper’s mindfulness
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Dr. Stephan Krall
Zwischen Biologie, Philosophie und Parapsychologie
Driesch, der Vitalist
Die Bedeutung des Lebens ist auch in der Biologie nicht ganz geklärt. Ist der lebendige Körper nur eine Maschine, die nach kausalen Gesetzen funktioniert? Hat Leben ein Ziel, ein Telos? Gibt es vielleicht auch eine zweite Instanz, die man Bewusstsein oder Transzendenz nennen könnte? Der Biologe Hans Driesch entwickelte die Theorie des Vitalismus. Diese postuliert eine Lebenskraft nicht materieller Art. Wie schwer es für die Naturwissenschaft ist, eine solche Dimension zu akzeptieren, zeigt der folgende Artikel.
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