Das metaphorische Herz – Teil 2

Das metaphorische Herz – Teil 2

Zeuge des archaischen Bewusstseins

Autor: Dr. Annette Blühdorn
Kategorie: Philosophie
Ausgabe Nr: 91

Im zweiten Teil ihres Beitrags rund um das metaphorische Herz führt uns die Autorin weiter durch die Kulturgeschichte des Herzens und legt Parallelen zwischen dem Christentum und den frühindischen Schriften der Veden und Upanischaden rund um das Herz offen. Gleichzeitig geht sie einen Schritt weiter und stellt das Konzept des Leibes und der Leibesinseln vor. Der Ort, an dem sich die Seele und Empfindungen mit den körperlichen Regungen treffen und der den Menschen zu seiner ursprünglichen Ganzheit zurückführt.

Augustinus als Schnittstelle zwischen Antike und Christentum

Augustinus nimmt eine vermittelnde Position im Übergang von der griechisch-römischen Antike zum neu entstandenen Christentum und den Schriften des Neuen Testaments ein. Laut Høystad verkörpert Augustinus eine Synthese dieser beiden Traditionen, aus denen letztlich die europäische Kultur entstanden ist (74). Aufgewachsen in der Gesellschaft einer spätrömischen Provinz, führte Augustinus in seiner Jugend ein vergnügungsreiches und sinnenfrohes Leben. Viele Jahre lang war er Anhänger des Manichäismus, einer streng dualistisch aufgebauten Religion, bevor er, von den zahlreichen Vorschriften und Ritualen des Manichäismus zunehmend irritiert, Plotin und den Neuplatonismus für sich entdeckte.

Zeuge des archaischen Bewusstseins

Die Philosophie Plotins wiederum bot viele Anknüpfungspunkte an das Christentum, dem Augustinus sich mit 32 Jahren endgültig zuwandte, sich von seinem sinnenfreudigen Leben verabschiedete und schließlich Priester und Bischof wurde. Plotins Lehre war deshalb so attraktiv für Augustinus, weil sie das Ende der Dualität bedeutete, an deren Stelle nicht nur die Vorstellung der Einheit trat, einer »Einheit des Alls von dem Einen her, aus dem alles fließt« (Bernhart, 964), sondern auch die Gewissheit, dass dieses Eine reiner Geist ist, also immateriell.

Das höchste Ziel des Menschen und seine Glückseligkeit bestehen darin, seine Seele mit dem Göttlichen, aus dem sie hervorgegangen ist, wiederzuvereinen.

Das geschieht in einer vollkommenen Versenkung in das eigene Selbst, nämlich in das Göttliche, das im Menschen ist. Hier sind deutliche Parallelen zur Philosophie Indiens zu erkennen, speziell zur Philosophie des Yoga, und man kann davon ausgehen, dass Plotin Interesse am und auch Kenntnis vom indischen Denken hatte (vgl. Störig, 205).

Plotins philosophisches Modell der Einheit spiegelt sich in Augustinus’ Konzept vom Herzen wider, denn der Ort der Versenkung, der Vereinigung und Einheit mit Gott ist bei ihm das Herz.

Das Herz bildet einen Kernpunkt von Augustinus’ Philosophie und steht folglich auch im Zentrum seiner Autobiografie Confessiones (Bekenntnisse). Es deckt hier einen semantischen Bereich ab, der die Bedeutungsfelder Seele, Geist, Gesinnung, Einsicht und Vernunft umfasst (vgl. Høystad, 72), was sich laut Ilknur Özen zu der Bedeutung einer personalen Einheit verbindet als die Mitte personaler Existenz, »in der sich alles vermeintlich Gegensätzliche zusammenfinden lässt« (25). Denn das Herz ist in den Confessiones ein unruhiges Herz, das zwischen der Liebe zum Leben in der Welt mit all ihren Genüssen und der Liebe zu Gott hin- und hergerissen ist.

Nur in Gott kann das Herz zur Ruhe finden – das ist die zentrale Aussage dieses Buches, die Augustinus gleich zu Beginn des ersten Kapitels hervorhebt: »Zu dir hin hast du uns geschaffen, und ruhelos ist unser Herz, bis es Ruhe findet, Gott, in dir.« Die Ruhe in Gott bedeutet das Ende der Zerrissenheit, das Ende der Spaltung, das Ende der Dualität. Dahin gelangt der Mensch, wenn er sich von allen Begierden frei macht und ganz auf Gott einlässt.

Möglich wird dieses Einheitserlebnis nur im Herzen, »dem Organ der religiösen Erfahrung«.

(ebd., 27f).

Damit folgt Augustinus Platons Ansatz der Verinnerlichung der Gefühle, den er jedoch erweitert und vertieft. Mit ihm nimmt das Konzept der Innerlichkeit seinen Anfang, das in der deutschen Mystik weiterlebt, und mit ihm wird das Herz zum Sitz einer Seele, die nach Gott als dem All-Einen, nach der Verbindung mit ihm, nach dem Transzendenten und dem Jenseitigen strebt. Mit dieser Agenda entspricht Augustinus vollkommen den Anforderungen des modernen Yoga, dessen Ziel ebenfalls ist, das eigene Selbst mit dem höheren Gottesprinzip zu vereinen. Einen entsprechenden Artikel von Christian Schmidt (›Mit Yoga zum Seelengrund tauchen‹), der die Parallelen zwischen dem christlichen Kirchenvater und dem Yoga weiter herausarbeitet, findet man im Sonntagsblatt Evangelische Sonntagszeitung für Bayern.

Das metaphorische Herz

Neues Testament und Christentum

Mit seiner Herz-Ideologie bewegt Augustinus sich als bekennender Christ natürlich auch auf den Grundlagen des Neuen Testaments. Wie schon im Alten Testament ist das Herz hier eine klar definierte Größe und nicht, wie bei den Griechen, eine unscharf umrissene Region, die mit verschiedenen Worten beschrieben werden muss. Zwar wird im Neuen Testament nur noch etwa 160-mal der Begriff »Herz« erwähnt, aber auch hier bildet das Herz die identifizierende Mitte des Menschen.

Das war nur der Anfang des Artikels.

Im weiteren Artikel erfährst du mehr über das metaphorische Herz und wie es im Christentum, in den Veden und Upanischaden dargestellt wird. Hole dir jetzt die vollständige Fassung, erschienen in der Tattva Viveka 91.

Tattva Viveka 91

Tattva Viveka Nr. 91

Inhalt der Ausgabe

Schwerpunkt: Leben in Gemeinschaft
Erschienen: Juni 2022

Jo Eckardt – Überleben in Gemeinschaft. Wie die Evolution Kooperation und Altruismus entstehen ließ • Johannes Heimrath und Lara Mallien
Im Vertrauensraum transparent sein. Wie Gemeinschaft gelingt • Stefanie Raysz – Leben, Lernen und Arbeiten an einem Ort. Das Leben einer Familie in der Gemeinschaft • Claus Reimers – Ein Leben für die Gemeinschaftsbewegung. Einblick in die Entstehung und Entwicklung der Gemeinschaft Schloss Tempelhof • Stefanie Aue
Die Community lebendig halten. Vor Ort in der Gemeinschaft Parimal Gut Hübenthal • Achim Ecker – Lieben ist eine politische Aufgabe. Langjährige Gemeinschaftserfahrung im ZEGG • Barbara Stützel – Gemeinschaft als Entwicklungsweg. Welche persönlichen Fähigkeiten zu mehr Verbundenheit beitragen • Dieter Halbach – »Beteiligung ist das Herz der Demokratie«. Wie die Prinzipien der Gemeinschaftsbewegung in der Gesellschaft angekommen sind • Dr. Thomas Steininger – Der Mut zu träumen. Commons, Blockchain, Peer-to-Peer-Beziehungen und die Vision einer neuen Netzwerkkultur • Ronald Engert – Die Wahrheit wird uns nicht davonlaufen. Plädoyer für Walter Benjamin • Dr. Annette Blühdorn – Das metaphorische Herz Teil 2. Zeuge des archaischen Bewusstseins • Dr. Iris Zachenhofer und Andraes Kalff – Die Annäherung von Medizin und Schamanismus. Ein Weg ganzheitlicher Heilung • u.v.m.

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Über die Autorin

Unsere Autorin Dr. Annette Blühdorn

Dr. Annette Blühdorn, Studium der Klassischen Philologie, Slawistik, Germanistik; Promotion über zeitgenössische deutsche Lyrik; langjährige Lehrtätigkeit als Universitätsdozentin in England; Yoga-Praktizierende seit über 35 Jahren; zertifizierte Iyengar-Yoga-Lehrerin, seit 2014 mit eigenem Yoga-Studio in Millstatt, Kärnten; Mitarbeiterin im Redaktionsteam der Verbandszeitschrift von »Iyengar-Yoga Deutschland e.V.«; verschiedene Veröffentlichungen.

Website: www.yoga-weinleiten.at

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