15 Mai Geld – Zwischen Freiheit und Verbundenheit
Das Geld als Mittel zu einer höheren Kultursynthese
Autor: Gabriele Sigg
Kategorie: Wirtschaft
Ausgabe Nr: 59
In der allgemeinen gesellschaftlichen Betrachtungsweise ist das Geld der Grund allen Übels. Würde das Geld nur nicht sein, hätten wir keine Probleme, so eine weit verbreitete Ansicht. Die Autorin entlarvt diese einfache Logik als Fehlschluss und verweist auf die befreienden Möglichkeiten, die das Geld in seinem Entstehungszusammenhang in sich trug, die dann aber missbräuchlich verwendet wurden. Es ist heute unsere Aufgabe zu lernen, das Geld im Sinne unserer Seele als Tauschmittel zu gebrauchen.
In postmodernen westlichen Gesellschaften lässt sich das ausgeprägte Phänomen der Vereinzelung beobachten. Gepaart mit Beziehungsunfähigkeit, Egoismus und einer kapitalistischen Religion des Geldes verleitet dies leicht zu einer romantischen Sehnsucht nach den »guten alten Zeiten«. Geld wird in dieser Dynamik verteufelt und als Wurzel allen Übels angesehen. Gemeinschaftsbildung, Tauschwirtschaft und Teamwork sind die moralischen Appelle, die der stark ich-bezogenen Egozentrik mit einer Wir-Bewegung Einhalt gebieten wollen. Dabei wird leicht vergessen, welche Einschränkungen und Zwänge die »guten alten Zeiten« mit sich brachten. Der folgende Artikel zeichnet deshalb die Entwicklung der Möglichkeiten und individuellen Freiheiten nach, die sich erst durch die Entstehung der Geldwirtschaft entwickeln konnten. Hier wird deutlich, dass keine Sache an sich gut oder schlecht ist, sondern es immer an dem Umgang der Menschen mit den Dingen liegt. Das Geld als solches zu verteufeln wird somit auch nicht die Probleme lösen, die es lediglich widerspiegelt. Das Geld kann wenig dafür, wenn es von Menschen missbraucht wird. Es spiegelt lediglich die eigenen ungelösten Charakterdispositionen wie etwa die Gier wider und ruft dazu auf, bei sich selbst zu schauen.
In einem befreiten Umgang kann das Geld dazu dienen, die Individualität und Souveränität des Einzelnen zu fördern, um sich aus dieser erlösten Position in eine höhere Kultursynthese zu entwickeln, in der sich Freiheit und Verbundenheit in einer dialektischen Dynamik reiben, ergänzen und austarieren. Dies verdeutlicht gleichzeitig, dass die wesentliche Struktur des Lebens dialektischer Natur ist. Das Leben bewegt sich immer zwischen unterschiedlichen Polen. Wird der eine oder andere Pol überbetont, erstarrt das Leben. Um mit dem Lebensfluss zu fließen, dürfen wir lernen, unsere Seele zu fühlen.
Dieser Aufsatz ist größtenteils inspiriert von einem meiner wichtigsten nicht mehr lebenden Lehrer, Georg Simmel, der es wie kein anderer verstand, Soziologie und Philosophie zu verbinden. Diese Abhandlung ist Georg Simmel gewidmet.
Das Geld und die individuelle Freiheit
Was wir als Freiheit empfinden, entsteht häufig durch den Wegfall einer bis dahin geltenden Verpflichtung. Durch die Lösung des Drucks, der durch die Verpflichtung aufkam, fühlen wir uns im ersten Moment frei, sobald dieser Druck von uns genommen ist. An die Stelle alter Verpflichtungen treten jedoch neue, und nach geraumer Zeit werden die einstigen Freiheiten zu neuen Verpflichtungen und neuen Zwängen. Freiheit muss in diesem Sinne also vielmehr als »Wechsel der Verpflichtungen« (Simmel 1989, S. 375) verstanden werden. Anhand der Betrachtung der Entwicklung hin zur Geldwirtschaft kann diese Einsicht sehr gut verdeutlicht werden. Heute fühlen wir hinsichtlich des Geldes wohl vor allem eine neue Verpflichtung, es ist uns ein »Dorn im Auge«, es bringt uns in Zwänge und wir wünschen uns vom Geld erlöst und befreit zu werden. Vergegenwärtigen wir uns nun aber erst einmal die Freiheiten, die durch die Geldwirtschaft entstanden sind, bevor wir uns zu voreiligen Schlüssen verleiten lassen.
Um mit dem Lebensfluss zu fließen, dürfen wir lernen, unsere Seele zu fühlen.
Zur Veranschaulichung führen wir uns die Entwicklung der Arbeit von der Sklaverei hin zur Lohnarbeit vor Augen. Zu Anfang dieser Entwicklung betraf die verlangte Leistung die Person als Ganzes. Der Sklave als extremstes Beispiel dieses Arbeitsverhältnisses war in diesem Zusammenhang in den »Besitz« des Herrn gestellt, und die Verpflichtung betraf nicht nur eine bestimmte Arbeitsleistung, sondern den Leistenden selbst. Der Sklave war Eigentum seines Herrn und hatte immer zu dessen Diensten zu sein. Er war dem subjektiven Willen seines Herrn unterworfen und hatte zu jeder Tages- und Nachtzeit bereitzustehen um Befehle und Anweisungen entgegenzunehmen. Das Wort Frei-Zeit gab es in dieser Konstellation nicht. Unter diesem Aspekt betrachtet kann man nachvollziehen, warum selbst die heutige Fabrikarbeit, die oft unter schlechtere materielle Bedingungen gestellt ist als die Arbeit im Dienste einer Herrschaft (z.B. als Dienstmädchen oder als Chauffeur), vorgezogen wird, da man sich in der Fabrik freier fühlen kann, als wenn man sich subjektiven Persönlichkeiten unterordnen muss (vgl. Simmel 1989, S. 375ff).
Es wird somit deutlich, dass es eine immense Befreiung für diese Art der Hörigkeit und persönlichen Vereinnahmung gewesen sein muss, als sich der Arbeiter in der darauffolgenden Entwicklungsstufe, wo er kein Sklave oder Leibeigener mehr war, nur noch auf eine bestimmte Arbeitszeit zu beschränken hatte. Es besteht ein gewaltiger Unterschied darin, ob sich das Recht des Arbeitgebers auf die Person als Ganzes erstreckt oder lediglich auf das Produkt der Arbeit. Die Entwicklung hin zur zweiten Stufe entsteht nun eben dadurch, dass die Dienste, die der Arbeiter dem Arbeitgeber gewährte, zeitlich eingeschränkt wurden. Ganz vervollständigt wird diese Stufe, wenn anstelle der Arbeitszeit nur noch ein Produkt steht. War der Sklave noch ganz im Besitz seines Herrn, konnte sich der Einzelne durch die Naturalgabe ein eigenes Zeitfenster schaffen (vgl. Simmel 1989, S. 376ff).
In der dritten Stufe, der Geldwirtschaft, war es schließlich völlig gleichgültig, welches Produkt (Korn, Vieh etc.) erzeugt wurde, solange dem Grundherrn der geforderte Anteil in Form von Geld gegeben wurde. Dem Grundherrn wiederum ermöglicht das Geld, eine Vielzahl anderer Güter zu erwerben und nicht von dem Anbau seines Bauern abhängig zu sein (vgl. Simmel 1989, S. 378ff). »Höher kann die persönliche Freiheit vor dem Wegfall jedes bezüglichen Rechtes des Grundherrn nicht steigen, als wenn die Verpflichtung des Untertanen in eine Geldgabe verwandelt ist, die der Grundherr annehmen muß.« (Simmel 1989, S. 380) Der Grundherr hat also nur noch das Recht auf das Geld, aber keinen Einfluss mehr auf das persönliche Leben des Arbeiters. Heute erscheint es uns als das Selbstverständlichste, dass unsere Arbeit durch Geld entlohnt wird, und es würde uns vermutlich empören, wenn der Arbeitgeber Forderung an unsere Person stellen würde. Aber genau diese Freiheiten, die wir als so selbstverständlich ansehen, waren erst durch die Entwicklung der Geldwirtschaft möglich.
Das Geld befreit den Menschen nicht nur in der Beziehung zu seinen Gütern, sondern auch in der Beziehung der Menschen untereinander.
Die Entwicklung der Geldwirtschaft ging aus einer Tauschwirtschaft hervor. In der Tauschwirtschaft wurden die konkreten Güter mit mehr oder weniger ähnlichen Äquivalenten getauscht. So bekam man etwa für ein Kilo Kartoffeln ein Kilo Korn. Die Kartoffeln konnte man dann entweder alsbald verbrauchen oder wiederum gegen ein anderes Gut eintauschen. Problematisch an dieser Art des Gütertausches waren der Verfallswert und die Spezifität des jeweiligen Gutes. Das Geld dagegen ist nun ein vollkommen neutraler Wert, der weder einer bestimmten Verwendung noch einem Verfallswert unterworfen war. Es erhält seinen bestimmten Eigenwert bzw. Charakter gerade durch seine »Charakterlosigkeit«. Die »Charakterlosigkeit« erfährt im Geld somit eine positive Umdeutung. Das Geld ist ein neutraler Wert, der durch seine Neutralität die Fähigkeit erhält, anderen Gütern Wert beizumessen und ein unabhängiges Vergleichsprinzip zu sein. Wenn ein Kilo Kartoffeln also 5 € Wert kosten und ein Kilo Korn 3 €, ermöglicht das Geld als ein übergeordnetes Prinzip die Verhältnismäßigkeit der beiden Güter zu messen und zu vergleichen. Es befreit auf dieser Ebene also den Verbraucher von der Spezifität, die einem Gut wie Korn oder Kartoffeln schon innewohnt und ermöglicht die mannigfachsten Güter durch das Geld einzutauschen.
Das Geld befreit den Menschen nicht nur in der Beziehung zu seinen Gütern, sondern auch in der Beziehung der Menschen untereinander. So kann eine ähnliche Dynamik wie im Bezug auf das Arbeitsverhältnis auch in Bezug auf die Familie und Sippe gefunden werden. In vormodernen Gesellschaften waren die Tochter oder der Sohn mehr oder weniger im Besitz und in der Verpflichtung ihrer Vorfahren. Der Sohn hatte den Beruf seines Vaters zu erlernen, die Tochter wurde zu einer guten Ehe- und Hausfrau herangezogen. Die Tochter war ein wichtiger Wert, der durch den richtigen Ehemann, im Tausch, den Eltern Ware oder auch Geld einbringen konnte. Im Alter sollte sich der Kreislauf schließen und die Kinder waren nun für die Fürsorge ihrer Eltern zuständig. Das Leben der Kinder war vom Tag ihrer Geburt vorgegeben und im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Schicht bestimmt. Der Schuster hatte bei seinen Leisten zu bleiben. Die Einzigartigkeit der Seele und der individuelle Ausdruck der Persönlichkeit waren in vormodernen Gesellschaften nicht zu verwirklichen. Die gesellschaftliche Rolle oder auch die Maske, in die man durch seine Geburt hineingeboren wurde, bestimmte das Leben. Der Sohn war von dem Vater und der Vater von den Erträgen seines Produktes abhängig. Es waren das Hörigkeitsprinzip und die Vereinnahmung, wie sie vorher schon bei der Entwicklung der Arbeit dargelegt wurden, nach denen das Leben funktionierte.
Die Einzigartigkeit der Seele und der individuelle Ausdruck der Persönlichkeit waren in vormodernen Gesellschaften nicht zu verwirklichen.
Um die Wichtigkeit dieser Vereinnahmung zu verstehen, muss die Idee der Freiheit differenziert betrachtet werden. In seinem Aufsatz »Die beiden Formen des Individualismus« (1995a) verdeutlich Simmel, dass der Individualismus nur unter Einbezug der quantitativen und qualitativen Dimension wirklich verstanden und auch umgesetzt werden kann. Dies verdeutlicht er am Beispiel der individuellen Freiheit. Freiheit kann nicht allein quantitativ dadurch bestimmt sein, dass sie alle Bindungen und Beziehungen auflöst. Dies wäre eine bloß äußere Freiheit, die einhergeht mit einer Vielzahl von Wahlmöglichkeiten in einer multioptionalen Gesellschaft. Die Entwicklung qualitativer Freiheit geht aus der Idee hervor, dass in jedem Menschen das Ideal seiner selbst liegt, welches es auch zu verwirklichen gilt. Während äußere Freiheit also den Rahmen der Möglichkeiten betrifft, fragt die innere Freiheit nach der Qualität und Einzigartigkeit jeder Person, deren Qualität und innere Freiheit es nun ist, gerade diese Einzigartigkeit zu leben. Wahre Freiheit ist innere Freiheit. Durch die Ablösung der Person von ihrem Grundherrn oder ihrer Familie war es nun erstmals möglich, diese Art der inneren Freiheit zu leben. Dies ist ein historischer Wendepunkt, ein Meilenstein und Quantensprung menschlicher Entwicklungsgeschichte.
Es wäre eine Zerstörung der Beziehung, wenn diese Hingabe der Seele nicht erwidert werden würde.
War man im Mittelalter nicht derselben Religion oder demselben Stamm verpflichtet – was damals nicht zu trennen war –, war eine Zusammenarbeit undenkbar. Erst der objektive Charakter der Geldbeträge ermöglichte einerseits die persönlichen Beziehungen zu lockern und dann andererseits als ein ideales Bindemittel zu dienen um sich trotz unterschiedlicher Meinungen und Konfessionen einer gemeinsamen Sache unterzuordnen (vgl. Simmel 1992, S. 179ff).
Durch die Trennung der Arbeit von der Person, der Person von dem Gut und der Ersetzung des Gutes durch Geld konnten sich die gegenseitigen Abhängigkeiten auflösen und die Person durch diese Auflösung erst ihre Individualität entwickeln. Nur so war es möglich, die Einzigartigkeit der Seele zu verwirklichen. Davor fehlte durch die Vereinnahmung durch den Gutsherrn oder auch den familiären Verband die Möglichkeit dazu. Das Geld entwickelt sich in dieser Dynamik zu einer Art Bindeglied zwischen Subjekt und Objekt oder auch zwischen zwei Subjekten und ermöglicht beiden Seiten eine eigene Entwicklung. […]
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Gabriele Sigg
Zwischen Freiheit und Verbundenheit
Das Geld als Mittel zu einer höheren Kultursynthese
In der allgemeinen gesellschaftlichen Betrachtungsweise ist das Geld der Grund allen Übels. Würde das Geld nur nicht sein, hätten wir keine Probleme, so eine weit verbreitete Ansicht. Die Autorin entlarvt diese einfache Logik als Fehlschluss und verweist auf die befreienden Möglichkeiten, die das Geld in seinem Entstehungszusammenhang in sich trug, die dann aber missbräuchlich verwendet wurden. Es ist heute unsere Aufgabe zu lernen, das Geld im Sinne unserer Seele als Tauschmittel zu gebrauchen.
Artikel zum Thema in früheren Ausgaben:
TV 10: Michael Wünstel – Hoffnung auf eine bessere Welt.
Das Freigeldexperiment der Gemeinde Wörgl
TV 19: Utz Schulze – Was ist Schuld?
Die überraschende Antwort eines Psychologen
TV 28: Dr. Sonja Klug – Das Geld der Gotik.
Die Kathedralen, das Geld und die Templer
Bildnachweis: © fotolia_Luis Louro, Dreamstime_Syda Productions, Ten-Collection_1qiuijuo1, Fotolia _(4) Collage: Saleema Thierauf
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