Ist das Bewusstsein eine Funktion des Gehirns?

Ist das Bewusstsein eine Funktion des Gehirns?

Empirische und erkenntnistheoretische Indizien für die Existenz einer immateriellen Sphäre

Autor: Prof. Roland Böckle
Kategorie: Philosophie
Ausgabe Nr: 61

 

Wenn man die Schnittstelle von Wissenschaft und Spiritualität untersucht, mag es sinnvoll sein, herauszuarbeiten, was die Wissenschaft nicht erklären kann. Der Autor zeigt empirisch und philosophisch, dass Bewusstsein materiell nicht erklärbar ist. Vielmehr erfordert die Existenz von Bewusstsein die Annahme einer mystischen Dimension.

»Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen ›Ich fühle Schmerz, fühle Lust; ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Rot …‹ Es ist eben durchaus und für immer unbegreiflich, daß es einer Anzahl von Kohlenstoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff- usw. Atomen nicht sollte gleichgültig sein, wie sie liegen und sich bewegen, wie sie lagen und sich bewegten, wie sie liegen und sich bewegen werden. Es ist in keiner Weise einzusehen, wie aus ihrem Zusammensein Bewußtsein entstehen könne.«
– Emil du Bois-Reymond, deutscher Physiologe (1818–1896)

 

Was ist Bewusstsein?

Bewusstsein, Geist, Seele, Selbst – alles Begriffe, für die es Dutzende mehr oder weniger scharfe Definitionen gibt.

Max Dessoir hat bereits im vorletzten Jahrhundert das Begriffspaar Oberbewusstsein/Unterbewusstsein vorgeschlagen (Dessoir, 1980). Diese beiden Begriffe wurden inzwischen von der Neurobiologie, Psychologie und Psychiatrie stark verfeinert. Für die folgenden Überlegungen schlage ich vor, »Oberbewusstsein« jene Ebene des Bewusstseins zu nennen, die vom Verstand bestimmt ist und kontrollierbar erscheint. (Beachten Sie: Ich sage »erscheint«!) »Unterbewusstsein« nenne ich jene Ebene, deren Inhalte unterhalb der so genannten Bewusstseinsschwelle wirken. In der Folge verwende ich – abweichend vom Alltagsgebrauch – den Begriff »Bewusstsein« als Sammelbegriff für Ober- und Unterbewusstsein.

Die wesentliche Frage heißt nach meiner Einschätzung: Besteht der Mensch nur aus Materie, sind also Emotionen, Bewusstsein und Geist eine Funktion physikalischer und chemischer Prozesse? Wie kann die Materie des Gehirns, etwas Physisches, subjektive Gefühle, etwas Nichtphysisches, hervorbringen? Der Gehirnforscher Christof Koch formuliert es ausführlicher (Koch, 2013, S. 2):

 

Auf der einen Seite befindet sich das Gehirn, das komplexeste Objekt des bekannten Universums, ein materielles Ding, das den Gesetzen der Physik gehorcht. Auf der anderen Seite befindet sich die Welt der Bewusstheit, die Welt dessen, was wir sehen und hören, der Furcht und des Zorns, der Lust, der Liebe und der Langeweile.

 

Der Philosoph Dave Chalmers, Professor an der Australian National University in Canberra und an der New York University, besteht darauf, dass keine empirische Tatsache, keine Entdeckung in der Biologie und kein Fortschritt in der Mathematik ihn von der Vorstellung abbringen könne, dass es eine unüberwindbare Kluft zwischen der Welt des Gehirns und der Welt des Bewusstseins gäbe. (Chalmers, 1996)
Sind vielleicht die funktionalen Beziehungen der einzelnen Gehirnteile zueinander entscheidend? Oder lässt sich bewusstes Erleben nicht auf physikalische Gesetze zurückführen? Kann die Wissenschaft die Trennlinie zwischen Geist und Körper nicht hinreichend verstehen? Stößt die Wissenschaft hier an ihre Grenzen? Existiert im Menschen vielleicht etwas Immaterielles, etwas außerhalb der Physik, das man Seele nennen könnte? Im zweiten Fall könnte man Bewusstsein als dem Bereich der Seele zugehörig auffassen. Diese Auffassung deckt sich auch mit den Lehren der Rosenkreuzer.

Viele Wissenschaftler gehen allerdings davon aus, die Wissenschaft sei – zumindest nach weiteren Forschungen – in der Lage, alle Ausdrucksformen des menschlichen Bewusstseins, alle Phänomene wie Gedanken, Wille, Gefühle, die Kraft der Liebe, des Hasses, der Hoffnung vollständig als physikalisch-chemische Prozesse erklären zu können. Es gäbe keinen Geist ohne materiellen Träger. (Koch, 2013, S. 272) Der Mensch wird somit ausschließlich durch materielle Phänomene erklärt.

Wer eine reduktionistisch-materialistische Position einnimmt, lehnt die Existenz einer immateriellen Seele ab und behauptet, dass Seelisches auf Aussagen über neuronale Zustände im Gehirn reduzierbar sei. Und der Pathologe Carl Freiherr von Rockitansky stellte mit dem Satz »Ich habe schon ein paar tausend Leichen seziert, aber Seele habe ich noch keine gesehen« die Seele des Menschen infrage.

Immanuel Kant hielt es für unmöglich, auf theoretischer Ebene die Existenz einer unsterblichen Seele zu beweisen oder zu widerlegen. Der Nobelpreisträger Gerald Maurice Edelmann konstatiert:

 

»Jede angemessene, globale Theorie der Gehirnfunktion muss ein wissenschaftliches Modell des Bewusstseins enthalten, aber um wissenschaftlich akzeptabel zu sein […], muss sie uneingeschränkt physikalisch sein.« (1989, S. 10)

 

Der englische Mathematiker und Physiker Roger Penrose, Professor an der Oxford University, fragt:»Wie ist es möglich, dass ein materieller Gegenstand (ein Gehirn) tatsächlich Bewusstsein hervorbringen kann? Wie ist es möglich, dass ein Bewusstsein durch seinen Willenseinsatz die (offensichtlich physikalisch determinierte) Bewegung materieller Gegenstände beeinflussen kann? […] Es scheint, als hätten wir im ›Geist‹ oder vielmehr im ›Bewusstsein‹) ein nicht-materielles ›Ding‹, das einerseits von der Welt der Materie hervorgebracht wird und andererseits diese materielle Welt beeinflussen kann.« (Penrose, 1991, S. 405) Ist unser Bild von einer Welt, die durch die Regeln der klassischen [Physik] und der Quantenphysik bestimmt wird, so wie wir sie zur Zeit verstehen, tatsächlich geeignet für die Beschreibung von Gehirn und Geist?« (Penrose, 1991, S. 402) »Man könnte argumentieren, dass ein Universum, das von Gesetzen bestimmt wird, die kein Bewusstsein zulassen, überhaupt kein Universum ist«, schreibt er. (Penrose, 1991, S. 447)
John Rogers Searle, Professor für Philosophie an der University of California, behauptet: »Es ist eine simple Tatsache, dass die Welt solche bewussten mentalen Zustände und Ereignisse beinhaltet, aber es ist schwer zu begreifen, wie rein physikalische Systeme ein Bewusstsein aufweisen können. Wie konnte es auftreten? Wie kann zum Beispiel dieses schmutziggrau-weiße Ding in meinem Schädel bewusst werden?« (Searle, 1986, S. 17)
Searle fragt weiter: »Wie genau sind die neurophysiologischen Prozesse beschaffen und wie bringen die Elemente der Neuroanatomie – Neuronen, Synapsen, synaptische Spalten, Rezeptoren, Mitochondrien, Gliazellen, Transmitterflüssigkeiten und so weiter – bewusste sowie unbewusste mentale Phänomene hervor?« (Searle 1993, S. 16)
Der Neurobiologe und Nobelpreisträger Roger Sperry stellt fest: »Man betrachtete das Bewußtsein im wesentlichen als eine dynamische Äußerung der Gehirntätigkeit, die weder mit den neuronalen Ereignissen, aus denen sie hauptsächlich besteht, identisch noch auf sie reduzierbar ist. […]

Alle früheren wissenschaftlich anerkannten Bewußtseinstheorien leugneten, daß das Bewußtsein kausal auf die Gehirnfunktionen einwirken könne.« (Sperry, 1977)

Die Wissenschaft kann die stofflichen Grundlagen erforschen. Manches, was von der Wissenschaft als fundamentales Wissensgut dargestellt wird, ist eine zeitgebundene, vorläufige Erscheinung, neben der ganz andere Auffassungen möglich sind. »Die Biologie als Wissenschaft vom Leben erschöpft sich nicht in der physikalisch-chemischen Betrachtungsweise.« Das Ganze bleibe letztlich unerkennbar, auch wenn man immer neue Teilaspekte wissenschaftlich untersucht. (Kugler, 1967, S. 22 f.) Der schweizerische Biologe und Philosoph Adolf Portmann (1976, S. 150) schreibt:

 

»Die Forschung, welche die lebende Substanz mit den Mitteln des Chemikers und Physikers untersucht, führt immer weiter vom Erleben weg. Man darf sich darüber keine Illusionen machen, auch wenn man vielleicht da und dort glaubt, dass in ferner Zukunft auf dem Vormarsch zum Wesen der Substanz auch die Erklärung des Erlebens, des Seelischen sich finden müsse. Ich will lieber gleich feststellen, dass ich nicht dieser Auffassung bin.
Die zeitweilige Ausschließlichkeit der physikalisch-chemischen Methoden in der Biologie hat die Versuche ermuntert, alle Lebensäußerungen der Tiere wie der Pflanzen kausal zu erklären und den Organismus restlos als einen Mechanismus aufzufassen.«
(Portmann, 1960, S. 47)

 

Die unter dem Einfluss der Physik und Chemie stehende mechanistische Auffassung der Organismen setzte sich durch und war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die nahezu allgemein herrschende Auffassung. Lebensvorgänge wurden komplett auf materielle Elemente zurückgeführt. Durch die fast ausschließliche Erforschung der kausal-quantitativen Seite der Welt wurde das Quantitative und Kausale überbewertet. Die Welt des Messens und Zählens erschien als die wahre Wirklichkeit und führte zur Erwartung, dass die physikalischen Wissenschaften im Prinzip eine Theorie von allem liefern könnten. Jeder Widerstand gegen diese Auffassung wird als wissenschaftlich inkorrekt angesehen. (Nagel, 2013, S. 14 f.) Dies hat zu einer Entfremdung der Wissenschaft vom Menschen geführt. Doch weiß man: Wissenschaftliche Aussagen sind ihrem Wesen nach nie abgeschlossen oder endgültig. »Wenn der Reichweite der Wissenschaft […] Grenzen gesetzt sind, gibt es dann andere Formen des Verstehens, die verständlich machen können, was die physikalische Wissenschaft nicht begreift?«
(Nagel, 2013, S. 33) […]

 

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Prof. Dr. Roland Böckle
Ist das Bewusstsein eine Funktion des Gehirns?

Wenn man die Schnittstelle von Wissenschaft und Spiritualität untersucht, mag es sinnvoll sein, herauszuarbeiten, was die Wissenschaft nicht erklären kann. Der Autor zeigt empirisch und philosophisch, dass Bewusstsein materiell nicht erklärbar ist. Vielmehr erfordert die Existenz von Bewusstsein die Annahme einer mystischen Dimension.
 

 

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3 Kommentare
  • Dietmar Heuel
    Gepostet am 13:42h, 02 September Antworten

    Zum vorhergehenden Kommentar.
    Um die Paradigmen “Innensicht der Materie ” und Außensicht der Materie” begreifen und beurteilen zu können, bräuchte man das Buch oder weitere Erläuterungen. Deshalb nur etwas zur “mythischen Dimension”. Damit kann die Wissenschaft überhaupt nichts anfangen. Lohnender wäre es aber, wenn sie sich mutig und engagiert auf und in das Thema ” Konsequenzen aus der Quantenphysik” für das Verständnis von “”Materie” und “Bewusstsein” stürzen würde. Die Pioniere , von Heisenberg, Planck und Bohr bis Bohm und Penrose, haben schon viele Gedanken dazu geäußert. Die im Wesentlichen eine spirituelle Dimension für “nicht ausgeschlossen” halten.
    (Vgl. dazu aktuell z.B. die Äußerungen von Dr. Ulrich Warnke, auch in Tattva Viveka)
    Wenn man den Grundgedanken der Quantenphilosophie bedenkt, wonach es keine Materie im Sinne von sinnlich geprägtem Erfahrungswissen gibt, sondern alles aus Licht, Wellen, Teilchen
    besteht, dann fällt es leicht, sich das Bewusstsein als Essenz allen Strebens und Werdens
    von Licht und Wellen zu sinnvollen “Vereinigungen” zu denken. Die Annahme, dass dies ohne irgendein (Selbst)Bewusstsein ginge, ist erst einmal abwegig. Erst durch die massenhypnotisch in alle Gehirne bzw. ins Bewusstsein eingeprägte materialistisch-materielle “Wissenschafts-Dogmen”
    wird solch naheliegendem Verständnis eine intellektuelle und gesellschaftlich massive Barriere vorgesetzt. Die aber immer deutlicher durch persönliche spirituelle Erfahrungen von Millionen
    anfängt, zu bröckeln. Auch wird der hehre Anspruch der Wissenschaft auf die alleinige Wahrheit und deren Verbreitung durch ihre oft an die Inquisition erinnernden Machenschaften unglaubwürdig. Nur die fast totale Unterwerfung der Medien unter das Diktum der Wissenschaftsvertreter und ihr verbundener Wirtschaftskreise verhindert , dass dies einer Mehrheit offenkundig wird.

  • Gerhard Höberth
    Gepostet am 15:58h, 05 Dezember Antworten

    Aus der Tatsache, dass Bewusstsein nicht aus der Form von Materie hervorgehen kann, wie sich allgemein in der Wissenschaft Materie vorgestellt wird (was ich durchaus auch so sehe), kann man nicht schlussfolgern, dass Geist eine mythische Dimension benötigt. Vielmehr müssen wir den Materiebegriff überdenken. In meinem Buch “Evolutionärer Idealismus”, das hier in dieser Zeitschrift schon mal kurz vorgestellt wurde, habe ich detailliert erklärt, wie man den Begriff der Materie erweitern muss, damit Geist/Bewusstsein erklärbar wird:
    “Bewusstsein ist Materie aus der Innenperspektive” und “Materie ist Bewusstsein aus der Außenperspektive”. Nur so wird Religion und Wissenschaft widerspruchsfrei kompatibel.

    • Wolfgang Stegemann
      Gepostet am 19:54h, 21 Februar Antworten

      „Bewusstsein ist Materie aus der Innenperspektive“ kann heißen, daß unser Bewußtsein Ergebnis evolutionärer Selbstorganisationsprozesse ist, möglicherweise quantenphysikalisch erklärbar. Die subjektive Vorstellung eines über die Materie hinausreichenden Geistes könnte ebenso bei einem hochdifferenzierten Roboter mit ausgeklügelter künstlicher Intelligenz entstehen. Wir müssen uns fragen, ob wir unser Bewußtsein nicht überbewerten. Nur weil wir es sind, die sensitive Erfahrungen hochkomplex verarbeiten, muß kein materieloser Geist im Spiel sein. Wir betrachten die Welt durch unsere Menschenbrille, so wie die Ameise sie durch ihre Ameisenbrille sieht. Wie die Welt wirklich ist, wissen wir nicht. Da der Umgang mit unserem eigenen Bewußtsein für uns besonders (als innerer betrachter) ist, neigen wir dazu, es ontologisch zu überhöhen.
      Man muß sich bewußt entscheiden, welchen Standpunkt man einnimmt. Ich glaube, daß es eine nichtmaterielle Dimension gibt. Aber ich denke auch, man sollte offen bleiben für alle möglichen Argumente.

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