Lernte Jesus von den Frauen?

Lernte Jesus von den Frauen?

Die Botschaft Jesu und ihr ursprünglicher Hintergrund

Autor: Dr. Christa Mulack
Kategorie: Christentum
Ausgabe Nr: 78

Die Theologin Christa Mulack wirft hier einen konsequent feministischen Blick auf die Wirkungsgeschichte Jesu. Ihre Lesart der Bibel arbeitet die weiblichen Werte heraus, die Jesus vertrat, und zeigt, wie Jesus in vielfältigen Beziehungen zu Frauen stand. In wichtigen theologischen Kategorien wie dem Reich Gottes, den Elohim und Eva sieht Mulack matriarchale Einflüsse. So plädiert sie für eine Thealogie, die umfassender als die herkömmliche patriarchale Theologie ist.

Tattva Viveka:Warum haben Sie eine weitere Veröffentlichung zum Thema Jesus geschrieben?

Christa Mulack:Meine neue Veröffentlichung enthält die Essenz meiner bisherigen Arbeiten zu diesem Thema. Mein Buch »Jesus – der Gesalbte der Frauen« enthielt schon viele der heutigen Thesen. Inzwischen habe ich mich noch intensiver mit der Matriarchatsforschung beschäftigt und viele weitere psychologische und soziologische Erkenntnisse dazu gewonnen. Im ersten Buch ist zwar alles schon angedeutet, aber nun wird es noch viel grundsätzlicher und konsequenter. Der Tenor aber ist geblieben.

Der Titel des ersten Buches war ja »Jesus der Gesalbte der Frauen, Weiblichkeit als Grundlage christlicher Ethik«. Es wird nur im neuen Buch noch deutlicher, wie matriarchal Jesus gedacht hat, auch vom Strukturellen her.

TV: In den Mittelpunkt Ihres Buches stellen Sie die Herkunft der Lehren Jesu. Sie kommen zu dem Schluss, dass diese Lehren nicht von Gott stammen, sondern von Frauen. Könnten Sie das für unsere LeserInnen kurz ausführen?

CM: Erstmal ist es so, dass Jesus in den Textstellen, die ich aufführe, nicht im Namen Gottes spricht. Wir finden im Gegenteil die Formulierung, »den Alten wurde gesagt, ich aber sage euch…«. Da spricht er eindeutig als »Ich, Jesus von Nazareth« und nicht »Ich, Sohn Gottes«, das sind ja Titel, die erst später dazugekommen sind. Er hätte nie von sich gesagt, »Ich, Sohn Gottes«. Jesus hätte es höchstens in dem Sinne gebraucht, wie alle Menschen Kinder Gottes sind.

Lernte Jesus von den Frauen?
Unbekannter Maler, Pietà aus Villeneuf-les-Avignon, Mitte 15. Jh.

Die weibliche Prägung Jesu

TV: Wie Sie schreiben, hätte sich die christliche Welt durch Jesu Vorbild und Botschaft eigentlich zum Besseren wandeln müssen. Wie ist es zu der heutigen Entwicklung gekommen?

CM: Die Herrschaftsformen haben sich im Laufe der Jahre zwar geändert, aber nicht die patriarchalen Machtstrukturen. Wir hatten mal die Monarchie, mal die Diktatur, mal die Demokratie, aber die grundlegenden Strukturen sind geblieben. Strukturen, denen auch die Kirchen die Treue hielten – allen voran jedoch die Jünger Jesu. Ihnen sagte er schon damals: »Habt ihr mich denn immer noch nicht verstanden? Wisst ihr nicht, wes Geistes Kind ihr seid? Ich bin gekommen um Seelen zu retten und ihr wollt Feuer vom Himmel auf Samarien regnen lassen, weil sie euch nicht angenommen haben?« (Lukas 9,55) Es gibt dagegen keine einzige Textstelle, die darauf hinweist, dass Jesus sich von Frauen nicht verstanden fühlte. Jesus verzweifelte offenbar bereits zu Lebzeiten an seinen Jüngern. Noch in Gethsemane sagt er: »Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir warten? Könnt ihr mir nicht zur Seite stehen?« Nein, die Jünger schlafen. Anders die Frauen, sie stehen unter dem Kreuz und harren dort stundenlang aus. Außer Johannes wird kein Jünger unter dem Kreuz erwähnt. Und selbst bei ihm gehen Theologen davon aus, dass seine Erwähnung Fiktion ist.

Meine These ist, dass Jesus sich den Frauen in besonderer Weise geöffnet und ihre Werte und Verhaltensmuster aufgegriffen und in seiner Ethik verwendet hat.

Meiner Ansicht nach war auch er zuvor ein Macho. Das zeigt die Geschichte von der Kanaanäischen Frau meines Erachtens ganz deutlich (Matthäus 15, 21-28, s. Kasten unten). Musste diese Frau noch um die Hilfe Jesus betteln, so war er nach der Begegnung mit ihr von sich aus bereit, Tausenden von Kranken und Hungrigen zu helfen. Aus meiner Sicht war auch Jesus ursprünglich in der Frauenfeindlichkeit seiner Zeit gefangen. Doch konnte er sich durch die Begegnung mit Frauen von ihr befreien, erfuhr also einen tiefgreifenden Bewusstseinswandel. Während er anfangs noch erklärt: »Ich bin nur zu den verlorenen Schafen Israels gekommen«, sagt er so etwas später nie wieder. Damit stellt er immerhin sein ursprünglichen »Sendungsauftrag«, zur Disposition, wusste er sich doch nur »zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel« gesandt.

Begegnung mit der kanaanäischen Frau, Mt 15, 21-28

 

Und Jesus ging von dort weg und zog sich in die Gegend von Tyrus und Sidon zurück. Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus jenem Gebiet zu ihm und schrie laut: Erbarme dich meiner, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon schwer geplagt. Er aber antwortete ihr nicht ein Wort. Und seine Jünger traten hinzu und baten ihn: Fertige sie ab, denn sie schreit uns nach. Doch er antwortete ihnen und sprach: Ich bin nur zu den verlornen Schafen des Hauses Israel gekommen. Da kam sie, warf sich vor ihm nieder und sagte: Herr, hilf mir. Er aber antwortete und sprach: Es ist nicht recht, den Kindern das Brot zu nehmen und es den Hunden hinzuwerfen. Sie aber sagte: Herr, auch die Hunde zehren ja (nur) von den Brosamen, die vom Tisch der Herren fallen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: O Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst. Und ihre Tochter war geheilt von jener Stunde an.

Lese im vollständigen Artikel, was genau Jesus von den Frauen gelernt hat und welche weiblichen Elemente in seiner Lehre zu finden sind. Bestellbar am Ende dieses Beitrags.

TV: Wie genau würden Sie den Begriff »Feministische Theologie« definieren?

CM: Dieser Begriff ist insofern schwierig zu definieren, weil es viele unterschiedliche feministische Theologien gibt. Es gibt nicht DIE feministische Theologie, und so kann ich hier nur für meinen Ansatz sprechen. Bei mir handelt es sich aber eher um eine Thealogie, da ich gegen eine Verengung des Gottesbildes  auf Männlichkeit bin. Ich betreibe eine Thealogie aus einer aufgeklärten frauenbewussten Perspektive heraus. Warum sollten Frauen heute noch das Männliche vergöttlichen? Dazu haben sie nicht den geringsten Grund, da sie damit dem Mann eine Macht zusprechen, die ihnen selbst vorenthalten wird. Ich fühle mich daher keiner traditionellen Einengung verpflichtet. Im Sinne einer Hermeneutik des Verdachts, sollten besonders Frauen davon ausgehen, dass alles, was uns an Texten vorliegt, patriarchal geprägt ist und zugunsten von Männern geschrieben und ausgelegt wurde – und heute noch wird. Wenn ich frauenbewusst sage, schaue ich immer auf die Auswirkungen, die bestimmte Aussagen für Frauen haben und wie wir selbst diesen Sachverhalt beschreiben würden. Dabei kommt dann eine ganz andere Theo- bzw. Thealogie heraus, und die lässt sich nicht subsumieren unter das patriarchale theologische Glaubens- und Denksystem, auch wenn das immer wieder versucht wird.

Lernte Jesus von den Frauen?
Fra Angelico: Freskenzyklus im Dominikanerkloster San Marco in Florenz, Szene: Die Drei Marien am Grabe Christi, um 1437-1446, Fresko

Ich hatte diverse Lehraufträge an verschiedenen Universitäten Deutschlands und habe dabei gemerkt, dass meine Theologie dort im Grunde genommen keinen Platz hat. Sie sprengt das vorhandene Lehrgebäude und lässt sich nicht anhand von patriarchalen Maßstäben messen. Nach meiner Meinung müsste sich die vorhandene Theologie in eine Thealogie integrieren, da das Weibliche immer das Umfassendere und Aufnehmende ist. Nur von dort aus könnte sie sich korrigieren lassen.
Das ist natürlich völlig utopisch; denn nach wie vor ist Paulus die wichtigste Gestalt des christlichen Glaubens. Insofern ist die traditionelle Theologie in Bezug auf die Wahrheit Jesu unbrauchbar, denn diese Wahrheit wird nur hin und wieder und dann auch nur ganz punktuell ausgesprochen. Ich will damit nicht sagen, dass die traditionelle Theologie falsch liegt. Sie enthält zwar viel Wahrheit, aber es wird nicht weitergedacht.

 

Das Interview führte Naomi Becker.

 

Literaturhinweis:
Christa Mulack – Der veruntreute Jesus. Die Botschaft Jeus vom Reich der Königin. Verlag fabrica libri 2009.

Dies ist ein Best-of Artikel, der erstmals in Tattva Viveka Nr. 40, Oktober 2009 erschienen ist.

Dr. Christa Mulack beschreibt in diesem Interview auf welcher Grundlage sie die These entwickelte, dass Jesus vor seinem Wirken von Frauen lernte und geprägte wurde. Außerdem spricht sie an, wieso diese weiblichen Werte in Jesus Lehre mit der Zeit an Gewicht verloren.

Lesen Sie die vollständige Fassung in der Tattva Viveka 78 oder downloaden Sie diesen Artikel einzeln als ePaper für 2,00 € (Pdf, 10 Seiten).

Lernte Jesus von den Frauen? (PDF)

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Dr. Christa Mulack
Lernte Jesus von den Frauen?

Die Theologin Christa Mulack wirft hier einen konsequent feministischen Blick auf die Wirkungsgeschichte Jesu. Ihre Lesart der Bibel arbeitet die weiblichen Werte heraus, die Jesus vertrat, und zeigt, wie Jesus in vielfältigen Beziehungen zu Frauen stand. In wichtigen theologischen Kategorien wie dem Reich Gottes, den Elohim und Eva sieht Mulack matriarchale Einflüsse. So plädiert sie für eine Thealogie, die umfassender als die herkömmliche patriarchale Theologie ist.
 

 

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