Die vergessenen Erkenntnisse
des Hugo de Balma

Die vergessenen Erkenntnisse
des Hugo de Balma

Spirituelle Erfahrung als Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis

Autor: Prof. Dr. Dr. Harald Walach
Kategorie: Philosophie
Ausgabe Nr: 61

In vielen Disziplinen ist heute die sanfte Annäherung von Wissenschaft und Spiritualität zu erkennen. In dieser Abhandlung führt uns Walach in die Anfänge dieser Bewegung zurück. Hugo de Balma war ein mittelalterlicher Kartäusermönch und Freigeist, der den Weg zur mystischen Erfahrung mit Gott beschrieb und zur Grundlage von Erkenntnis und Wissen machen wollte. Für seine Zeit war sein Ansatz zu weitsichtig. Werden wir ihn heute integrieren können?

Hugo de Balma – ein kurzer historischer Hintergrund

Haben Sie schon einmal von Hugo de Balma gehört? Nein? Wundern Sie sich nicht. Nur die Spezialisten kennen ihn, und auch von diesen die wenigsten im Original, eher sekundär, aus Überblickswerken zur Geschichte der Mystik oder der Spiritualität des Mittelalters. Dennoch ist er vermutlich einer der bedeutendsten mystischen Schriftsteller des Mittelalters nach den antiken Vätern und vor Meister Eckhart, den er wohl maßgeblich mit beeinflusst hat – das steht allerdings auf einem anderen Blatt, das es erst noch zu beschreiben gilt.

Warum ist er dann so wenig bekannt? Warum spricht keiner von ihm, während Bonaventura, Meister Eckhart, Heinrich Seuse, Johannes Tauler, Theresia von Avila, Johannes vom Kreuz, Hendrik Herp, Ignatius von Loyola im Munde all jener sind, die über Mystik schreiben und forschen? Obwohl er alle diese Größen der christlichen Mystik – außer Bonaventura, vermutlich lebte der später – maßgeblich beeinflusst hat?

Die bekannte Geschichte ist die Siegergeschichte, die Geschichte derer, die es irgendwie geschafft haben, nach vorne und nach oben zu kommen, ins Licht der Öffentlichkeit und ins Bewusstsein der Forschenden und Lehrenden. Meistens stehen diese auf den Rücken mindestens ebenso vieler und oft ebenso großer Geister, deren Licht erloschen scheint. Aber nur weil sie auf deren Rücken stehen, sieht man sie.

Gott als PantogratorGott als Pantogrator
Frontispiz der Bibel Ludwigs des Heiligen
Santa Iglesia Catedral, Primada de Toledo, ca. 1226-1234
The Morgan Library & Museum, New York

Hugo de Balma ist ein Name aus der Schattengeschichte. Wer war er? Wir wissen wenig Gesichertes über ihn. Hier sind die bekannten Fakten: Er war höchstwahrscheinlich ein Kartäuser, als er starb. Ob er immer schon Kartäuser war oder vorher einem anderen Orden angehörte, z. B. dem Franziskanerorden, wissen wir nicht mit Sicherheit. Manches spricht für Letzteres.

Er schrieb zwischen 1258 und 1270, lebte also zur Zeit der Hochscholastik. Große Denker wie Bonaventura, der 1257 zum Generaloberen der Franziskaner gewählt wurde, oder Thomas von Aquin, der etwa zur gleichen Zeit einen Lehrstuhl in Paris innehatte, waren vermutlich zeitgleich mit ihm aktiv, obwohl sie schätzungsweise etwas älter waren.
Er schrieb einen Text über Mystik (»De mystica Theologia – Die Mystische Theologie«), der dem Mittelalter unter seinen Anfangssätzen »Viae Sion lugent – Die Wege nach Sion trauern« bekannt war. Dieser Text dürfte sich aus mehreren Teilen zusammensetzen, die dann irgendwann, wohl spätestens 1270, zusammengefasst wurden, wahrscheinlich vom Autor selbst.

Gott kann durch Gedanken nicht erreicht werden. Man muss alles Denken, alle geistigen Akte zurücklassen und ins Dunkel der Gottheit eintauchen.

Der erste Textzeuge, noch anonym, taucht erst hundert Jahre später auf, ein Manuskript aus der Trierer Kartause, etwa aus dem Jahre 1360. Der erste Text, der den Namen des Autors trägt, taucht weitere hundert Jahre später auf. Es ist das Manuskript, das in der Großen Kartause bei Grenoble aufbewahrt wurde. Der Text liegt in mehr als hundert handschriftlichen Kopien vor, wurde schon im ausgehenden Mittelalter ins Spanische und ins Altbayrische übersetzt. Relativ früh dürfte der Text nach England gekommen sein, denn der anonyme Autor der mittlerweile wohlbekannten »Cloud of Unknowing« – höchstwahrscheinlich auch dies ein Kartäuser oder ein ihnen nahestehender Schriftsteller, der Anfang des 14. Jahrhunderts schrieb – bezieht seine Gedanken praktisch ausschließlich von Hugo de Balma.

Interessanterweise wissen die Kartäuser-Quellen nicht viel über ihn zu berichten, und was sie schreiben, ist garantiert falsch. Denn sie verwechseln den Autor mit einem anderen Hugo, der etwa einhundert Jahre früher geschrieben hatte und bringen Verschiedenes durcheinander. Das erstaunt nun am allermeisten, denn die Kartäuser waren ein Orden, der, weil oft angefeindet, sehr präzise über die Errungenschaften seiner Autoren Buch führte. Selbst Kartäuser-Autoren, die heute verhältnismäßig unbedeutend sind, werden präzise verortet und biografisch gewürdigt. Nicht so Hugo de Balma. In allen verfügbaren Kartäuser-Annalen: nichts Brauchbares. Warum war das so? Ich habe die These aufgestellt, dass dies mit zwei Dingen zusammenhing:

  1. Er war vermutlich nicht von Anfang an Kartäuser, sondern Franziskaner und ging – freiwillig oder unfreiwillig – erst später zu den Kartäusern.1 Dies erklärt, warum die Kartäuser-Quellen keine stimmige Information liefern. Es erklärt aber auch, im Verein mit dem nächsten Punkt, warum weder die Franziskaner noch die Kartäuser viel Interesse daran hatten, seine Lehren weiter zu verbreiten.
  2. Denn zu der Zeit, als er schrieb, wandte er sich mit großer Sicherheit gegen die mystische Lehre des großen Bonaventura. Zwar nicht direkt, aber in der Sache attackierte er ihn und versuchte – vermutlich sogar im akademischen Leben von Paris – eine Gegenposition zu etablieren.

Gott als ArchitektGott als Architekt
Frontispiz der Bibel Ludwigs des Heiligen, ca. 1226-1234

Im Jahre 1260 verhängte das Generalkapitel der Franziskaner, also die oberste Beschlusskommission, auf Antrag von Bonaventura, ihrem Generalobersten, in Narbonne ein generelles Publikationsverbot. Alle Autoren mussten ihre Texte den Obersten zur Freigabe vorlegen, und nur was diese ordensinterne Zensur passierte, durfte kopiert und weiterverteilt werden. Die Franziskaner taten das, weil zu dieser Zeit der Orden zu zerbrechen drohte. Eine freigeistige Bewegung, die sich von den Ideen des um 1202 verstorbenen Zisterzienserabtes Joachim von Fiore hatte inspirieren lassen, die sogenannten Spiritualen, die überdies auch noch den Mächtigen des Ordens vorwarfen, sie hätten das originale Vermächtnis des hl. Franziskus verraten, erwartete für das Jahr 1260 das Kommen der sogenannten »Epoche des Geistes«. Keine Autorität sei dann mehr nötig, denn alle würden vom hl. Geist inspiriert sein. Gesetze seien auch überflüssig, meinte die radikalste Fraktion, und kirchliche Autorität sowieso. Es bedarf keiner großen historischen Kenntnisse oder Fantasie, um zu verstehen, dass dies äußerst gefährlich war. Der Orden drohte zu zerbrechen, die Kirchenautorität war dabei, zu intervenieren. Also wurden die Autoren des Ordens unter strenge Aufsicht genommen.

Aus textinternen Gründen gehe ich davon aus, dass Hugo de Balma seine Laufbahn als Franziskaner begann, bevor er Kartäuser wurde. Er dürfte unter dieses Edikt gefallen sein. Aber sein Text war auch noch aus inneren Gründen voller Sprengstoff. Hier ist eine Kurzfassung seiner Lehre: […]

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Prof. Dr. Dr. Harald Walach
Die vergessenen Erkenntnisse des Hugo de Balma

In vielen Disziplinen ist heute die sanfte Annäherung von Wissenschaft und Spiritualität zu erkennen. In dieser Abhandlung führt uns Walach in die Anfänge dieser Bewegung zurück. Hugo de Balma war ein mittelalterlicher Kartäusermönch und Freigeist, der den Weg zur mystischen Erfahrung mit Gott beschrieb und zur Grundlage von Erkenntnis und Wissen machen wollte. Für seine Zeit war sein Ansatz zu weitsichtig. Werden wir ihn heute integrieren können?
 

 

 
 

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