Transzendenzoffene Wissenschaft

Transzendenzoffene Wissenschaft

Auf dem Weg zu einem neuen Bewusstsein in einer Welt der Krise

Autor: Dr. rer. nat. Andreas K. Freund
Kategorie: Bewusstsein
Ausgabe Nr: 55

Der Physiker Andreas Freund spricht sich für die Verbindung von Wissenschaft und Spiritualität aus. Beide Ansätze ergänzen sich zu einer höheren Wahrheit. Faktisches Wissen muss auch immer mit einer Reifung der inneren Person einhergehen.

Unser Verständnis der Welt, des Lebens und unserer Existenz erfährt zurzeit eine noch nie dagewesene und völlig ungekannte Umwandlung. Diese tiefgreifende Transformation wird überall in der Welt, auf allen Ebenen, in allen Kulturen verspürt. Ein gewaltiges Beben rüttelt an den Fundamenten der wissenschaftlichen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen. Die vedische Überlieferung, die wohl die Welt älteste aller spirituellen und religiösen Traditionen ist, spricht von einem Übergang zum nächsten Yuga (Zeitalter). Zunehmend stärkere Turbulenzen gehen solchen Übergängen voraus und erscheinen als Krisen aller Art. Es handelt sich hier primär nicht um Energie- oder Wirtschaftskrisen, sondern um Krisen der Unwissenheit und eines Mangels an Bewusstsein, und dies trotz eines exponentiellen Wachstums von Wissen und Austausches von Information durch zunehmend schnellere und leistungsfähigere Kommunikationsmedien, und trotz einem enormen wissenschaftlich-technologischen Fortschritt, oder vielleicht gerade deswegen? Insbesondere hat die Quantentheorie in der Physik, der Chemie, der Materialforschung und der Biologie wissenschaftlich-technisch bedeutende und aber auch gesellschaftlich-ethisch folgenschwere Entwicklungen ermöglicht. Die technischen Auswirkungen sind da; wie steht es mit dem philosophischen Hintergrund? Es sieht so aus, also ob wir diesem Teil nicht den Rücken zukehren sollten sondern das Ganze betrachten müssen.

Wissenschaft steht nicht im Widerspruch zu Spiritualität, sondern beide ergänzen sich gegenseitig.

Wir können die Quantentheorie nicht mit unserem gewöhnlichen und altgewohnten Verstand begreifen, sagen die Väter dieser wissenschaftlichen Revolution. Und selbst wenn der mathematische Formalismus perfekt funktioniert und Ergebnisse liefert, die durch Experimente bestätigt werden, erfordert das grundlegende Verständnis der diesem Konzept zugrunde liegenden Philosophie einen Sprung des Bewusstseins, unseres inneren Wahrnehmungs- und Kontrollorgans. Die innere Revolution hat bereits begonnen, bezeugt durch die kontinuierlich steigende Anzahl der Publikationen über die Bedeutung des Quantenkonzepts in unserem Leben. Sie gründet sich auf die globale Sicht eines Systems, in dem alles mit allem verbunden ist, einer dynamischen und offenen Struktur aller Möglichkeiten, in der nichts mehr absolut vorherbestimmt ist, also in völligem Gegensatz zur klassischen Physik. Der Beziehung und Verbindung zwischen Teilen dieses Systems kommt zentrale Bedeutung zu. Es geschah nicht von ungefähr, dass das Internet bei CERN1 in unserem Zeitalter erfunden wurde.

Wenn der Weise auf den Mond zeigt, schaut der Dummkopf auf den Finger.

Das Sprichwort sagt: »Wenn der Weise auf den Mond zeigt, schaut der Dummkopf auf den Finger«. Die Wissenschaftler, sagen wir die große Mehrzahl, konzentrieren sich auf das Objekt und vergessen dabei den Weisen. Die Mystiker schauen auf den Weisen und vergessen den Mond. Der Dummkopf ist also eher intelligent, weil der Finger das wesentliche Verbindungselement bedeutet. Das lateinische Wort »intelligere« heißt ja »verbinden zwischen«.
Die wissenschaftlichen Entdeckungen und die sie begleitenden technologischen Entwicklungen prägen unser Leben mehr als je zuvor. Das Wissensvolumen in allen Forschungsgebieten sowohl der Natur- als auch der Humanwissenschaften wächst exponentiell an, dem Mooreschen Gesetz folgend. Die Ansammlung von Wissen nimmt immer mehr Raum ein, die »Wissensblase« wird größer und größer, bis sie eine kritische Masse erreicht, wo das menschliche Bewusstseinsniveau nicht mehr fähig ist, diese Inflation von Wissen auf einer moralisch-ethischen Ebene zu verdauen. Das Bewusstsein muss einen »Quantensprung« in eine neue Weltsicht und Lebensweise machen, wo dieses Wissen, oder vielleicht besser gesagt, Informationsmaterial, in wirkliches Begreifen umgesetzt wird, zugleich mit der Entwicklung eines dementsprechenden ethischen Unterscheidungsvermögens. Dann kann eine harmonische Einordnung in ein globales Wissen stattfinden, wo wir auch begreifen, welche Aktionen wir ergreifen müssen. Es ist oft behauptet worden, dass die Wissenschaft uns an den Rand eines Abgrunds geführt hat. Genau gesehen sind es jedoch die Bestimmung der Richtungen, in die geforscht wird, sowie die Art und Weise Forschung auszuführen und deren Ergebnisse anzuwenden, die das Problem darstellen. Wissenschaftlicher Fortschritt muss begleitet sein von Bewusstseinsevolution. »Conscience« – Bewusstsein auf Französisch, bedeutet, was die Wissenschaft – »Science« – begleitet.

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Ein Beispiel eines Oratoriums der innerenWissenschaft: der von dem indischen Weisen Sri Tathāta in Kollur, Karnataka, gebaute Dharma Peetha Tempel.

Man kann den Prozess der aktuellen Übergangsphase mit dem Mechanismus eines Erdbebens vergleichen. Die tektonischen Platten werden ständig und in zunehmendem Maß gegeneinander gedrückt. Die potenzielle Energie wächst bis zu einem Punkt, wo der Reibungswiderstand überwunden ist und eine plötzliche Bewegung ausgelöst wird. Auf analoge Weise nimmt das Potenzial unseres Wissens und der entsprechenden technologischen Entwicklungen zu, bis es zu Erschütterungen kommt, deren Ausmaß sich laufend vergrößert, wenn das individuelle und kollektive Bewusstsein unverändert bleiben. Das äußere Beben ist der Wecker eines schlafenden inneren Bewusstseinszustands. Die äußere Evolution führt zu einer inneren Revolution.

Der Mechanismus eines Übergangs zu einem höheren Ordnungszustand findet sich oft in der Natur. Man kann ihn z.B. in der Festkörperphysik beobachten, etwa beim Magnetismus. Beim Abkühlen wandelt sich die ungeordnete paramagnetische Struktur eines magnetischen Materials um in eine geordnete, ferromagnetische Phase, wobei Energie gewonnen wird. Die beliebig orientierten Spins oder atomaren Magnete beginnen sich zuerst in kleinen Bereichen parallel anzuordnen. Wenn die Temperatur weiter sinkt, richten sich alle Bereiche auf einmal so aus, dass alle Spins nun parallel sind. Auf ähnliche Weise geht einer kollektiven Bewusstseinswandlung eine individuelle Wandlung voraus, dann kristallisieren sich kleine Gruppen, die als Keime einer globalen Transformation wirken. Die Menschheitsgeschichte zeigt, dass große Umwandlungen von einer kleinen Zahl von Individuen ausgelöst worden sind.

Es handelt sich hier primär nicht um Energie- oder Wirtschaftskrisen, sondern um Krisen der Unwissenheit.

Es ist interessant, das Vorgehen des Menschen zu betrachten, wenn er die Natur oder seine Mitmenschen studiert. Einerseits ist seine Sichtweise von der Umwelt beeinflusst, andererseits projiziert er seine eigene, subjektive Wahrnehmung auf die Umgebung. Oft passt er die Natur seinen vorgefassten Erwartungen an, er macht sie sich sozusagen untertan, vor allem, wenn er von ihr profitieren kann. Oder, wenn ihm das mehr zusagt, gleicht er sich der Natur an. Er versucht sich harmonisch einzuordnen, weil er sich bewusst ist, dass diese Haltung sich positiv auf die Gesamtheit auswirkt. In diesem dynamischen Wechselspiel werden die Natur und die Umwelt zu einem »aktiven« Spiegel, der dem Menschen hilft, sich selbst zu finden.

Auf dem Weg zu einem neuen Bewusstsein in einer Welt der Krise

Das ESRF (European Synchrotron Radiation Facility) in einer Luftaufnahme.

Nehmen wir als bekanntes Beispiel den Computer, eine menschliche Erfindung. In diesem ist ein Programm installiert, eine Software, die dem Gehirn entspricht. Die elektronische Vernetzung ist das Nervensystem, und die Tastatur, der Bildschirm, die Festplattenmechanik und das Gehäuse entsprechen dem Körper. Der Mensch hat also den Computer nach seiner eigenen Funktionsweise geschaffen. Wie oft wird gesagt, dass der Mensch ein Computer ist, eine Maschine! Das Bewusstsein formt die Materie, nicht umgekehrt. »Materie ist geronnener Geist«, sagt Hans-Peter Dürr. Es stimmt andererseits auch, dass es immer eine Rückwirkung gibt und der Mensch zum Sklaven seines eigenen Produktes werden kann. Er fällt dann seines mentalen Narzissmus zum Opfer, der sein Bild an der Oberfläche bewundert, aber nicht in die Tiefe geht und das Echo seiner Seele nicht hört. Er wird arrogant und fühlt nicht mehr seine Verbindung mit dem höheren Bewusstsein, das durch ihn schaffen, ihn inspirieren will. Die Illusion der Macht verblendet ihn, er will immer mehr und findet keinen Frieden, keine wirkliche Freude. Er ist seinem Ego ausgeliefert. Seine Seele verdirbt. Das genau ist das Problem unserer Zeit.

Die innere Revolution hat bereits begonnen.

Die Natur dagegen ist großzügig wie eine Mutter. Sie erlaubt uns, ihr ihre Geheimnisse abzulauschen, ohne dass wir sie foltern müssen, wie das von einer gewissen Philosophie vorgeschlagen wurde, die auf ihre brutale Ausnützung in erniedrigender und verachtender, sogar zerstörerischer Weise abzielte. Wenn der forschende Mensch eine Entdeckung gemacht und damit eine Antwort auf seine Frage erhalten hat, bekommt er buchstäblich die Verantwortung für diese Entdeckung. Er ist verpflichtet, Verantwortlichkeit zu zeigen: sie ist der Preis, den er bezahlen muss. Die deontologische Ethik wird nicht von der Quantenphysik ausgerechnet, sondern vom Bewusstsein bestimmt, über die Spiritualität, die eine das Ego transzendierende Wertskala schafft.

Wir können die Forschung nicht anhalten, weil sie ein Teil der Evolution des Menschen darstellt. Man könnte sagen, sie folgt einem natürlichen Instinkt, dem Entdeckungstrieb. Nachdem das Niveau der Fragestellung an die Natur das Niveau der Antwort definiert, ist es das Bewusstseinsniveau des Forschenden, das die Art und die Bedeutung seiner Entdeckungen bestimmt. Somit sind die vom menschlichen Geist gemachten Entdeckungen immer auf sein Bewusstseinsniveau abgestimmt. Darum birgt Forschung nie eine Gefahr in sich. Was die Zielsetzung angeht, hat der Mensch die Wahl. Entweder entscheidet er zugunsten des Placebos seines Egos, das ich hier Placego (= was dem Ego gefällt) nennen will, oder aber er will einem höheren Ziel dienen, zum Wohl der gesamten Menschheit. […]

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Dr. Andreas Freund
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Der Physiker Andreas Freund spricht sich für die Verbindung von Wissenschaft und Spiritualität aus. Beide Ansätze ergänzen sich zu einer höheren Wahrheit. Faktisches Wissen muss auch immer mit einer Reifung der inneren Person einhergehen.
 

 

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