15 Aug. Vergebung auf Hawaiianisch
Wie das Verzeihen Heilung ermöglicht
Autor: Ulrich Duprée
Kategorie: Psychologie
Ausgabe Nr: 92
Wo Menschen zusammenkommen, sind Konflikte fast unvermeidbar. Wenn wir uns jedoch eingestehen, dass wir oft Opfer und Täter in einer Auseinandersetzung waren, dann Reue zeigen und aus tiefstem Herzen vergeben, können wir die energetischen Altlasten eines solchen Konfliktes auflösen und unser Leben in Harmonie fortführen. Ulrich Duprée zeigt, unter anderem anhand der hawaiianischen Konfliktlösungsmethode Ho’oponopono, wie wir uns die Täterrolle eingestehen und uns aus der Opferrolle befreien können.
»Blicke nicht mit Missgunst auf die Fehler der Menschen, sondern vergebe und reinige.«
Wahlspruch der letzten Königin von Hawaii
Lili’uokalani (1838–1917)
Vergebung ist für viele Menschen ein verwirrendes Thema. Man weiß zwar, es ist wichtig, aber wie geht Vergeben praktisch? In den letzten zehn Jahren konnte ich Tausenden Menschen zeigen, wie sie sich selbst und anderen vergeben und dadurch wieder zu Lebensfreude und innerem Frieden gelangen. Ich freue mich sehr, Ihnen hier interessante Einblicke in dieses bedeutsame Thema zu geben.
Von düsteren Vorzeichen und erhellenden Vorsilben
Die Vorsilbe ver leitet sich vom mittelhochdeutschen far ab, was »weit weg, entfernt« bedeutet, und so ist Vergebung allgemein als das große Erlassen von Schulden bekannt. Das, was auf unseren Schultern lastet, wird heruntergenommen, und man darf sich wieder frei fühlen. Der hawaiianische Begriff für Vergebung lautet Kala beziehungsweise Kalana. Kala besitzt zusätzliche Synonyme, die das Thema für uns näher beleuchten: (1) das Licht im Herzen wieder entzünden, (2) der neue Tag, (3) Loslassen und (4) Freiheit.
In der Lebensphilosophie der hawaiianischen Schamanen sagt man: Wenn ein Frevel geschieht, dann bewirkt diese Tat eine Verspannung im Energiekörper, in der Erinnerung bis hinein ins Zellgedächtnis, und das sowohl im Opfer als auch im Täter. Um diese Verspannung zu entlassen und das Leben wieder in den Fluss, zu Freude und Harmonie zu bringen, nutzt man seit Jahrhunderten die Lomi-Lomi-Massage und eine geistig-spirituelle Reinigung: die Vergebung.
Innere Turbulenzen im Fluss des Lebens äußern sich auf vielen Ebenen: in kreisenden Gedanken (Kummer und Sorgen), destruktiven Emotionen (zum Beispiel in Ängsten, Wut, Jähzorn, Überforderung und Resignation), in Selbstsabotageprogrammen (zum Beispiel im Aufschieben und Zögern), in einschränkenden Ahnenmustern (unbegründeten Ängsten und Bestrafungszwang), aber auch in Unfällen und anderen Schicksalsschlägen, die man bisweilen negatives Karma nennt.
Vergebung zielt deshalb allgemein darauf ab, all das zu entlassen und zu bereinigen, was uns energetisch und karmisch, bewusst und auch unbewusst blockiert.
Wir bereinigen damit, was unser Leben düster und das Herz schwer macht, und konzentrieren uns auf zwei Aspekte: (1) das offensichtliche Problem, das in der Regel die Spitze eines Eisberges darstellt, und (2) die darunter liegenden Ursachen, um die Kette der Verstrickungen und Reaktionen zu unterbrechen.
Manchmal hört man den Einwand, ausschließlich Gott könne vergeben, da eine Schuld nur durch die Gnade der spirituellen Urquelle, die über den kosmischen Gesetzen von Ursache und Wirkung steht, getilgt werden könne. Der Mensch könne dementsprechend nur verzeihen. Verzeihen leitet sich von Verzicht ab, das heißt vom alttestamentarischen Recht auf Vergeltung (Auge um Auge) abzusehen. Spinoza schrieb dazu: »Wer nach Leitung der Vernunft lebt, strebt soviel er kann, den Hass, den Zorn und die Verachtung durch Liebe zu vergelten.«
Im Unterschied zum verstandesbetonten Verzicht, es jemandem heimzuzahlen, zeigt sich Vergebung in persönlichen, zwischenmenschlichen und sogar bei nationalen Konflikten als eine Herzensangelegenheit – denn es geht immer um Menschen und Emotionen. Man strebt nach Heilung, denn
heil werden bedeutet im eigentlichen Sinne wieder vollständig werden.
Genau das scheint ein Anliegen unserer Zeit zu sein, denn viele Menschen fühlen sich getrennt von ihrer Familie, nicht gut genug, ausgeschlossen, von ihren Gefühlen abgeschnitten, voller Zweifel und enttäuscht, depressiv oder im Burn-out, zerrissen und von der Natur entfremdet. Doch in der Tiefe der Seele wünscht man sich nur, körperlich, mental und emotional zu gesunden, Nähe zu spüren, sich selbst zu finden und wirklich glücklich zu sein.
Wie Vergebung beginnt
Wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, persönlich spüren, dass sich Ihr Leben im Kreis dreht, dass Sie feststecken, sich als Opfer fühlen oder Schuldzuweisungen kennen, wenn Sie wiederkehrend Wut und Groll erleben, vielleicht unerklärliche Schmerzen haben oder von Ängsten geplagt werden, dann sind dies die Signale, dass es in Ihrem Leben noch etwas zu vergeben gibt. Es sind Hinweise darauf, dass in Ihrer persönlichen oder Familiengeschichte etwas geschah, das noch nicht vergeben und losgelassen wurde.
Der aktive Prozess der Vergebung beginnt mit dem bedingungslosen Annehmen der Situation. Gleichgültig, ob Opfer oder Täter, wir schauen alles an. Nur was wir vollständig annehmen und akzeptieren, das können wir loslassen.
Jeder Widerstand in uns führt nur zu noch mehr Reibung und Verspannung.
Wir akzeptieren beispielsweise unsere Wut, die Überforderung, Verzweiflung und Resignation. Wir nehmen es an und sind bereit zur Veränderung. Wenn wir unsere eigenen Verfehlungen (individuelle und kollektiv als Menschheit) nicht erkennen und anschauen wollen, ist Loslassen absurd. Erst wenn wir das Leben in seiner Ganzheit akzeptieren, finden wir inneren Frieden und die Kraft, das Beste aus einer Situation zu machen.
Die Erkenntnis und das Bekenntnis, jemanden bewusst oder unbewusst, körperlich oder psychisch verletzt zu haben und dann Reue zu zeigen, öffnen uns für höhere Einsichten und Wahrheiten. Im Täter-Opfer-Ausgleich, aber auch in allen kleineren alltäglichen, zwischenmenschlichen Konflikten, ist die Reue des vermeintlichen Täters die Grundvoraussetzung für eine Annäherung. Menschen erwarten eine Entschuldigung, wenn sie verletzt wurden.
Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.
Wieso Vergebung sowohl für den Täter als auch für das Opfer wichtig ist, um mit der Verletzung abzuschließen und Heilung zu erfahren, wichtig ist, erfährst du im vollständigen Artikel, der in Tattva Viveka 92 erschienen ist.
Tattva Viveka Nr. 92
Wähle: Einzelheft, Abo oder Tattva Members
Schwerpunkt: Frieden
Erschienen: September 2022
Thomas Hübl – Kollektives Trauma heilen. Ein Integrationsprozess • Ulrich Duprée – Vergebung auf Hawaiianisch. Wie das Verzeihen Heilung ermöglicht • Mironel de Wilde – Gewaltfreie Kommunikation. Eine Form des Bewusstseins •Dr. Dieter Duhm – Heilungsbiotope als Weg zum Frieden. Wie wir den Krieg überwinden und zu innerem und äußerem Frieden finden • Ronald Engert – Ewiger Frieden durch Transzendenz. Was sagen die spiritituellen Traditionen? • Sri Preethaji – Der Weg zur Erleuchtung. Wie man Grenzen überwindet und inneren Frieden findet • Dr. Patrick Krüger – Die unbekannte Religion der Jainas. Altes Wissen für eine moderne Welt • Catharina Roland – Das Manifest der neuen Erde. »Jeder kann zu einem Leuchtturm werden« • Florin Mihail – Achtsamkeit für ein langes Leben. Über Chromosomen, Stress und die Wunderwaffe Meditation • Prof. Dr. Peter Hubral – Adam und Eva. Der Mythos als Allegorie für den Weg des geistigen Aufstiegs • Buchbesprechungen • u.v.m.
Über den Autor
Ulrich Duprée, Jahrgang 1962, ist ein spiritueller Forscher, Schriftsteller und Kursleiter. Er besitzt die Fähigkeit, Menschen auf einfache Weise zu zeigen, wie sie vergeben und so große Fortschritte in ihren persönlichen Entwicklungswegen machen können. Seine bisher zehn Bücher erscheinen in 16 Sprachen und in mehr als 16 Ländern. Er gehört zu den wenigen deutschen Autoren, deren Bücher sowohl in den USA als auch in Russland erscheinen. Sein Buch »Ho‘oponoopono, das hawaiianische Vergebungsritual« gilt schon heute als ein Klassiker.
Webseite: Ulrich-Dupree.com
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