Wir brauchen eine neue Kultur des Friedens

Wir brauchen eine neue Kultur des Friedens

Plädoyer für eine erneute Abrüstung

Autor: Dr. Franz Alt
Kategorie: Politik
Ausgabe Nr: 94

Fundamental-Pazifismus und Real-Pazifismus krachen derzeit in Anbetracht des Ukraine-Krieges aufeinander, und ihre jeweiligen Anhänger möchten nicht von ihren jeweiligen Positionen abweichen, im Gegenteil. Doch der seit Jahrzehnten als Pazifist auftretende und agierende Dr. Franz Alt setzt sich für beides ein: Einerseits können Waffen Leben retten, doch andererseits ist eine weltweite Abrüstung viel wichtiger, in der alle Seiten den Wahnsinn des Krieges einsehen und diesen so endlich stoppen. Erst so wird Frieden möglich.

Nach meinem Auftritt Ende Januar 2023 in der ZDF-Sendung »Maybrit Illner« über den Ukraine-Krieg haben mir viele Zuschauer vorgeworfen, ich sei ein »Putin-Versteher«. Sie haben recht. Wenn wir mit Putin wieder klarkommen wollen, müssen wir ihn besser verstehen als zurzeit, wo wir ihn dämonisieren oder verharmlosen. Putin-Versteher ist in weiten Kreisen in Deutschland ein Schimpfwort geworden. Das sagt viel über uns und wenig über Putin aus. Für mich ist Putin-Versteher gerade nicht »Putin-Bewunderer«, sondern der Versuch, auch mit Putin so rasch wie möglich zu einem Ende des Krieges zu kommen, damit das unermessliche Leid dieses Krieges beendet wird. Wenn ich das wirklich will, dann muss ich ihn zuerst verstehen. Das ist nicht anders bei unseren Konflikten im Privatleben. Wir werden wohl noch lange Zeit keinen anderen Gegner oder Feind am Verhandlungstisch haben können. Wer sagt »Mit Putin kann man nicht reden«, der darf sich nicht wundern, wenn immer noch kein Dialog zustande kommt.

Plädoyer für eine erneute Abrüstung

Russlands Präsident führt einen verbrecherischen, völkerrechtswidrigen, blutigen und grausamen Krieg gegen 45 Millionen Menschen in der Ukraine. In dieser Situation muss die Ukraine humanitär, wirtschaftlich, aber auch militärisch unterstützt werden und von außen Hilfe bekommen. Auch Pazifisten dürfen sich nicht hinter ihrem alten Slogan »Frieden schaffen ohne Waffen« verstecken. Wer jetzt den Ukrainern empfiehlt »Frieden schaffen ohne Waffen«, handelt zynisch. Das ist unterlassene Hilfeleistung. Auch die Friedensbewegung muss in dieser Situation umdenken und ihren Appell »Stoppt den Krieg« an die richtige Adresse richten, nämlich an den Aggressor in Moskau. Das ist schmerzlicher Real-Pazifismus im Gegensatz zum Fundamental-Pazifismus. Fundamental-Pazifismus heute ist ein Pazifismus im Sinne des Aggressors. Diese Unterscheidung machte schon der große Pazifist Albert Einstein, der zwischen verantwortungslosem und verantwortlichem Pazifismus unterschied. Ähnlich argumentierte auch die echte Pazifistin Bertha von Suttner. Sie sagte: »Jedes Volk hat selbstverständlich das Recht zur Selbstverteidigung.« So steht das auch in der UNO-Charta. Fundamental-Pazifisten widersprechen und schreiben mir, der ich bei »Maybrit Illner« auch für die Lieferung deutscher Defensivwaffen plädiert habe: »Alle Waffen töten«, heißt es.

So ähnlich habe ich auch lange argumentiert. Deshalb verstehe ich dieses Denken. Doch gerade in den letzten Wochen zeigt sich, dass Abwehrwaffen aus Deutschland vielen Ukrainern das Leben gerettet haben. An einem Tag Anfang Januar haben russische Soldaten mit 82 Raketen auf zivile ukrainische Ziele geschossen. Davon konnten über 70 mit Abwehrraketen in der Luft zerstört werden. Deutsche Waffen haben Hunderten Ukrainern das Leben gerettet. Wenn wir nicht ideologisch verbohrt sein wollen, müssen wir in dieser Situation umdenken und lernfähig bleiben. Das darf jedoch nie heißen, mit dem Druck auf Dialog nachzulassen. Aber: Wenn mein Nachbar um Hilfe ruft, darf ich als Christ und Pazifist mir nicht die Ohren zuhalten, wenn ich wirksame Abwehrwaffen habe. Das wäre das Gegenteil dessen, was alle Religionen und Weisheitslehren fordern. »Du sollst nicht töten« heißt auch: »Du sollst nicht töten lassen, wenn du das verhindern kannst.« Das ist das Ur-Ethos der Menschheit.

Plädoyer für eine erneute Abrüstung

Real-Politik und Real-Pazifismus

Die »Feindesliebe« der Bergpredigt Jesu heißt ja niemals »Lass dir alles bieten«. Das hieße doch, den wunderbaren jungen Real-Pazifisten aus Nazareth zum Deppen zu erklären. »Feindesliebe« heißt: Sei klüger als dein Feind. Versuche immer, dich in ihn hineinzudenken. Sei Putin-Versteher, nur dann kannst du vielleicht mit ihm klarkommen und eventuell sogar vernünftige Kompromisse mit ihm schließen.

Wir dürfen uns nicht länger für die absolut Guten und die Russen für die absolut Bösen halten.

Auch der Westen hat Fehler gemacht.

Ich will drei Realpolitiker nennen, die den Westen an seine bisherigen Fehler gegenüber Putin und Russland immer wieder erinnert haben:

Michail Gorbatschow. Während des Kalten Krieges musste er sich in Ronald Reagan einfühlen, der weiß Gott kein Pazifist war. Doch sie schafften zusammen die größte militärische Abrüstung aller Zeiten. Und das Ende des Kalten Krieges. Das hieß 30 Jahre Frieden – ein Geschenk für die ganze Welt, vor allem für Deutschland. Gorbi war vom Westen enttäuscht, der »nie an einem stabilen und demokratischen Russland interessiert gewesen« sei. 2017 sagte mir Gorbatschow in unserem gemeinsamen Buch »Nie wieder Krieg«: »Der Westen hat sich nach 1990 Russland gegenüber als Sieger aufgespielt.«

Gorbi machte nicht die »russische Besatzung der Krim«, sondern »die Überheblichkeit Washingtons« für die Verschlechterung des Ost-West-Verhältnisses verantwortlich.

Nach 1990 hatte die NATO 16 Mitglieder. Heute sind es 30 und weitere sollen es werden. Das ist für uns im Westen scheinbar kein Problem: Doch für einen von Angst getriebenen Politiker und Geheimdienst-Mann wie Putin und für Millionen Russen sieht diese NATO-Osterweiterung ganz anders aus. Man muss kein Psychologe sein, um das zu verstehen.

Meine Gegenfrage an westliche Hardliner: Wie würden denn die USA reagieren, wenn Kanada oder Mexiko als direkte Nachbarn zu den Vereinigten Staaten einen Militärpakt mit Russland schlössen? Das haben wir doch 1962 bei der Kuba-Krise gesehen. Die USA wollten um jeden Preis verhindern, dass Russland nahe den USA Atomraketen stationiert. Die Welt geriet an den Rand eines Atomkrieges. Und soeben haben Atomwissenschaftler die »Weltuntergangsuhr« auf »90 Sekunden vor zwölf« gestellt. Noch nie standen wir so nah am atomaren Abgrund. Das hat vor wenigen Wochen auch US-Präsident Biden – ebenfalls ein Realpolitiker – so gesagt.

Dies ist nur der Anfang des Artikels.

Wer die beiden anderen Realpolitiker waren, die den Westen an seine Fehler gegenüber Putin immer wieder erinnert haben, erfährst du im vollständigen Artikel, der in Tattva Viveka 94 erschienen ist. Auch einzeln zum downloaden als ePaper für 2,00 € (Pdf, 9 Seiten).

Wir brauchen eine neue Kultur des Friedens (PDF)

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Dr. Franz Alt
Wir brauchen eine neue Kultur des Friedens

Fundamental-Pazifismus und Real-Pazifismus krachen derzeit in Anbetracht des Ukraine-Krieges aufeinander, und ihre jeweiligen Anhänger möchten nicht von ihren jeweiligen Positionen abweichen, im Gegenteil. Doch der seit Jahrzehnten als Pazifist auftretende und agierende Dr. Franz Alt setzt sich für beides ein.
 

 

Artikelnummer: TV094e_10 Kategorie: Schlagwort:

 
 

Über den Autor

Der Autor Dr. Franz Alt mit Michael Gorbatschow
Der Autor Dr. Franz Alt mit Michael Gorbatschow

Dr. Franz Alt, geboren 1938, Journalist und Buchautor, seit 1968 beim SWR, wo er 20 Jahre das Politmagazin »Report Baden-Baden« moderierte. Seit 1992 Leitung der Sendereihe »Zeitsprung« im SWR und seit 1997 des Magazins »Querdenker« in 3sat. Franz Alt ist der am meisten ausgezeichnete deutsche Fernsehjournalist: Goldene Kamera, Bambi, Adolf-Grimme-Preis, Siebenpfeiffer-Preis, Ludwig-Thoma-Medaille, Deutscher und Europäischer Solarpreis, Welt-Windpreis, Menschenrechtspreise, Goldenes Löwenherz, Umweltpreis der Deutschen Wirtschaft, Außergewöhnlichster Redner des Jahres u. v. a.

Webseite: sonnenseite.com

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