Analytische Psychologie und Spiritualität

Analytische Psychologie und Spiritualität

Ein neuer Zugang zu C. G. Jungs psychologischer Annäherung an die Religion

Autor: Dieter Schnocks
Kategorie: Psychologie
Ausgabe Nr: 95

In unserer heutigen säkularisierten Welt wird immer stärker nach einem überzeugenden inneren Gottes- und Religionserlebnis gesucht, das unabhängig von Dogmen und Glaubensbekenntnissen ist. Der tiefenpsychologische Zugang C. G. Jungs zur Religion stößt dabei auf wachsendes Interesse und Zustimmung. Seine Betonung der persönlichen religiösen Erfahrung scheint dem modernen spirituell orientierten Menschen entgegenzukommen.

Anders als Freud und Adler, die in der Religion eine Art sekundäre seelische Aktivität sehen, wertet C. G. Jung die Religion als eine höchste Form geistiger Betätigung und nennt

religiöse Einstellung »eine psychische Funktion von kaum absehbarer Wichtigkeit«.

Das Interesse C. G. Jungs an Spiritualität und Religion kann biografisch erklärt werden. Seine Mutter stammte aus einer traditionsreichen Pfarrersfamilie. Er war also von Kindesbeinen an mit religiösen Themen konfrontiert. Es verwundert nicht, dass Jungs erster erinnerter Kindertraum (im Alter von drei bis vier Jahren) von einer verborgenen religiösen Problematik berichtet: Ein unterirdischer Gott als phallusartiges Gebilde mit Auge sitzt auf einem Thron und stellt ein Gegenstück zu Jesus Christus dar.Im umfangreichen Gesamtwerk C. G. Jungs nehmen die kulturpsychologischen Untersuchungen einen besonderen Platz ein. Insbesondere hat sich Jung in seinen späteren Lebensjahren intensiv mit christlicher, aber auch mit alchemistischer Symbolik beschäftigt. In der Alchemie fand Jung seine Psychologie »endgültig in die Wirklichkeit gestellt und als Ganzes historisch untermauert«. 

Analytische Psychologie und Religion

Die Analytische Psychologie betrachtet Religion über die christlichen Konfessionen hinaus als Einstellung der Psyche gegenüber dem Göttlichen und Heiligen, dem Numinosen, als persönliche Erfahrung des Überpersönlichen. Sie ist eine der allgemeinsten Äußerungen der menschlichen Seele.

C. G. Jung meint dazu:

»Religion ist eine Beziehung zu dem höchsten oder stärksten Wert, sei er nun positiv oder negativ. Die Beziehung ist sowohl eine freiwillige als auch eine unfreiwillige, das heißt, man kann von einem Wert, also einem energiegeladenen psychischen Faktor, auch unbewusst besessen sein, oder man kann ihn bewusst annehmen. Diejenige psychologische Tatsache, welche die größte Macht in einem Menschen besitzt, wirkt als Gott, weil es immer der überwältigende psychische Faktor ist, der Gott genannt wird.« (GW 11)

Allerdings erhebt die Analytische Psychologie nicht den Anspruch, über die Existenz Gottes oder eines anderen religiösen Faktums urteilen zu wollen. Die Wirklichkeit des Glaubens ist als solche der Psychologie nicht zugänglich.

Die Analytische Psychologie befasst sich also nicht mit der Frage nach der Wirklichkeit Gottes, sondern mit der Tatsache eines seelischen Erlebnisses, das als Gott verstanden wird.

Spricht sie zum Beispiel von der jungfräulichen Geburt, so beschäftigt sie sich nicht mit der Frage, ob diese Art von Mutterschaft wahr oder falsch ist. Die Idee ist psychologisch wahr, indem sie existiert.

Die reflektive, bewusste Haltung des Menschen bedeutet Unterscheidung, und Unterscheidung bedeutet Trennen und Auswählen. Bewusstsein ist deshalb ebenso sehr ein Fluch wie ein Segen.

Ein wichtiger Aspekt der Entwicklung des menschlichen Bewusstseins ist nach C. G. Jung die Zurückziehung der Projektionen: »Wenn der historische Prozess der Weltentseelung, eben der Zurücknahme der Projektionen, so weitergeht wie bisher, dann muss alles, was draußen göttlichen oder dämonischen Charakter hat, zur Seele zurückkehren, in das Innere des unbekannten Menschen, von wo es anscheinend seinen Ausgang genommen hat.« (GW 11, Seite 102) Damit kann auch das Gottesbild im Inneren des Menschen gesehen werden, wie wir dies auch bei unseren christlichen Mystikern erfahren. 

Ein neuer Zugang zu C. G. Jungs psychologischer Annäherung an die Religion

Das Bild der Gottheit – ein Archetyp

Religiöse Bilder und Symbole entspringen der Urschicht unserer Seele.

Echtes religiöses Gefühl ist – wie die Kunst – immer in dieser tiefen Schicht unserer Seele verwurzelt. Große Beispiele für die sprudelnde innere Quelle sind die Offenbarungen, die in den großen Weisheitsbüchern der Menschheit aufgezeichnet sind. Große Religionsstifter (zum Beispiel Mohammed) erfuhren über Visionen und Auditionen ihre Weisheit und ihre Lehren aus den Tiefen ihrer Seele.Im Alten Testament wiederum wird von Träumen berichtet, in denen sich für den Träumer Gottes Wille oder seine Gegenwart kundgab. Neben diesen großen Träumen, Visionen und Offenbarungen gab es zu allen Zeiten die Erfahrung der vielen Einzelnen.

Sie kommen aus einer tiefen Schicht des Unbewussten, sammeln sich zu kollektiven Träumen und kommen gebündelt in Märchen, Legenden und Mythen zum Ausdruck.

In ihnen spielen Bilder und Symbole eine wichtige Rolle.

Dies ist nur der Anfang des Artikels.

Willst du mehr über das innere und das äußere Gottesbild erfahren? Der Autor verrät mehr über die unterschiedlichen Sichtweisen im vollständigen Artikel, der in Tattva Viveka 95 erschienen ist.

Tattva Viveka 95

Tattva Viveka Nr. 95

Inhalt der Ausgabe

Schwerpunkt: Seele
Erschienen: Juni 2023

Maik Hosang – Ein metamoderner Begriff der Seele. Der zentrale Moment von zukunftsfähiger Psychologie und Philosophie, Kultur und Gesellschaft • Ronald Engert – Seele, Körper und Befreiung in der Bhagavad-gītā. Leben in der göttlichen Ordnung • Dr. Jens Heisterkamp – Die Seelen-Lehre Rudolf Steiners. Von den drei seelischen Dimensionen • Sebastian F. Seeber – Die Seele bei Platon. Über die Selbsterkenntnis des Menschen • Dieter Schnocks – C. G. Jungs Verständnis der Seele. Grundlagen des Modells der Analytischen Psychologie • Samuel Eckhart – Die Ogdoadische Tradition. Rückkehr im Lebendigen Licht des Glorreichen Sterns • Nora Philine Hansing – Die Revolution der Seele. Wegweiser in eine erwachte Kultur der Allverbundenheit • Stefanie Aue – Göttinnen im Tantra. Die zehn göttlichen Erkenntniswege der Dasha Maha Vidyas (Teil 2) • Akambi Oluwatoyin – Charakter ist Spiritualität. Warum die Charakterbildung in der Nago-Tradition die Grundlage für Spiritualität darstellt • Armin Denner – Der esoterische Tarot. Wahrsagerei oder »Die Wahrheit sagen«? • Christiane Krieg – Krafttiere. Spirits der Schamanen • Gerlinde Henriette Stärk – Wieder erinnern lassen. Von meiner erwach(s)enden Liebe zur Erde • u.v.m.

+ Mehr zum Inhalt

Wähle: Einzelheft, Abo oder Membership

Digitale Ausgaben im Format PDF/ePUB/mobi

GEDRUCKTE AUSGABE 33,00€/JAHR

4x jährlich, kostenloser Versand in Deutschland

DIGITALE AUSGABE 24,00€/JAHR

4 x jährlich als PDF/ePUB/mobi downloaden

Jetzt machen wir ALLES
online verfügbar:

TATTVA MEMBERS - ÜBERSICHT

Alle Beiträge, alle Videos!

Zum Autor

Unser Autor Dieter Schnocks

Dieter Schnocks, Jahrgang 1950, ist Dipl.-Psychologe und psychologischer Psychotherapeut, Psychoanalytiker, Dozent, Supervisor sowie Lehranalytiker.

Webseite: dieterschnocks.de

Keine Kommentare

Kommentar abgeben