Der freie Wille, die schöpferische Kraft und das gute Leben

Der freie Wille, die schöpferische Kraft und das gute Leben

Einleitung

Autor: Elisabeth Loibl
Kategorie: Wirtschaft
Ausgabe Nr: 88

Herrschaftssysteme und Geldfixiertheit drängen das eigentlich Elementare, nämlich das gute Leben selbst, unsere vielfältigen Beziehungen untereinander und die Wertschätzung von Mutter Erde, in den Hintergrund. Doch es stellt sich die Frage, wie eine andere Lebensweise erreicht und geführt werden kann. Forscherinnen zu matriarchalen Gesellschaften und Subsistenzwirtschaft liefern für die notwendige Transformation wertvolle Impulse und praktische Vorschläge.

Mit diesem Beitrag verfolge ich die Absicht, mich eingehend damit auseinanderzusetzen, wie wir uns durch eine liebevolle, fürsorgliche und umsichtige Betrachtung der Menschen und der Welt aus der schwierigen Lage befreien können, in der wir uns derzeit befinden. Welche bisherige Sicht der Dinge wäre dafür aufzugeben? Welche unangenehmen Tatsachen sind zur Kenntnis zu nehmen? Wie können wir unser Denken, Fühlen und Handeln in Einklang bringen?

Der freie Wille, die schöpferische Kraft und das gute Leben

Ausgangspunkt ist die Frage, was wir in diesem Zusammenhang von matriarchalen Gesellschaftsformen lernen können, die auf Subsistenz, die Versorgung der Gemeinschaft ausgerichtet sind. Nach der Beschreibung, worum es im Subsistenzansatz und in der Matriarchatsforschung geht, wurde mir bewusst, ich würde die Frage lieber andersherum stellen. Meine These ist, wir Menschen sind für diese Art zu leben geschaffen. Was also ist mit uns passiert, wenn wir Lebensformen als antiquiert, heutzutage nicht mehr lebbar oder als rückständig erachten, die unserem Menschsein entsprechen? Die uns veranlassen würden, fürsorglich und im Einklang mit anderen und der Natur zu leben? Wie konnten wir in einen derart lebensfeindlichen, zerstörerischen und uns wesensfremden Lebensstil geraten? Und vor allem stelle ich mir die Frage, warum halten wir uns für ohnmächtig, die Zerstörung unserer Beziehungen und Lebensgrundlagen zu beenden?

Ehe ich mich diesen Fragen zuwende, vorweg einige Begriffsbestimmungen, da wir Verhältnisse nur begreifen können, wenn wir fassbare Termini anwenden. Ich spreche ungern von Patriarchat, weil dies meines Erachtens eine reine Männerherrschaft voraussetzen würde. Meine Wahrnehmung ist jedoch, die meisten Männer werden ebenfalls durch die herrschenden Gegebenheiten benachteiligt, sie können ihr Potenzial ebenso wenig entfalten wie wir Frauen.

Es gibt viele Frauen, die dieses System der gegenseitigen Unterdrückung ebenso mittragen

und ihrerseits andere an der Selbstentfaltung hindern.

Lesen Sie im vollständigen Artikel, welche Merkmale Dominanzsysteme innehaben und was man diesen entgegensetzen kann.

Die Subsistenzperspektive

Im Zentrum der Subsistenzperspektive steht die Versorgung mit allen notwendigen Produkten und Diensten für das tägliche Leben.

Im Gegensatz dazu geht es in der neoliberalen Marktwirtschaft um die Kommerzialisierung des Lebens und der Bodenschätze, den Erwerb von Geld und um Gewinnmaximierung. Die Verschiedenheit in ökonomischer Hinsicht wird ersichtlich durch die Frage: Geld oder Leben (vgl. Bennholdt-Thomsen 2010)?

Nirgendwo zeigt sich diese grundlegende Unterscheidung deutlicher als in unserem

Alltagsleben, das sehr stark geprägt wird durch eine Erwerbsarbeit, dadurch, sich gezwungen zu sehen, Geld zu verdienen.

Daher würde Arbeit, so Veronika Bennholdt-Thomsen in ihrem Vortrag, lediglich auf die Erwerbsarbeit reduziert. Nur allzu leicht vergessen wir dabei, es gibt eine Reihe von Arbeiten, die für unser Leben notwendig sind, jedoch nicht in den Bereich des Geldverdienens fallen. Subsistenz-/Versorgungsarbeiten in Haushalt und Familie fallen meist dann auf, wenn sie nicht erledigt werden, denn sie gelten als selbstverständlich, solange der Haushalt, die familiäre Betreuung von Kindern, pflegebedürftigen und älteren Menschen erledigt wird. Wobei jene, die diese Arbeiten beinahe unsichtbar durchführen, meist Frauen sind. Regelmäßig ein Essen kochen, eine Jause richten, ein gemütliches Zuhause schaffen, sich die Sorgen und Probleme anderer anhören, jemandem einen freundschaftlichen oder elterlichen Rat geben, das sind keine Tätigkeiten, die »an die große Glocke gehängt werden«. All jene Arbeiten und gegenseitigen Dienste, auf die wir angewiesen sind, um uns wohl und körperlich wie auch seelisch genährt zu fühlen, werden seit dem 20. Jahrhundert mehr und mehr kommerzialisiert, von den Familien ausgelagert, weil Frauen wie Männer ihren Alltag vor allem damit verbringen, Geld zu verdienen.

Das war einer der Hauptangriffspunkte am Subsistenzansatz, auch als Ökofeminismus bezeichnet. Wenn Versorgungsarbeit in Haushalt und Familie, Mutterschaft und Kinderbetreuung als wichtiger Fokus im Alltagsleben angesehen werden, gibt es erfahrungsgemäß Widerstand seitens der Feministinnen, denn sie erachten all diese Arbeiten als rückschrittlich. Mutterschaft und die damit einhergehende Rollenverteilung wurde durch die Dominanzgesellschaft zu einer »Institution der Unterdrückung der Frau«, Kinder sind darin keine selbstbestimmte Aufgabe der Frauen mehr (Göttner-Abendroth 1998: 51f).

Egalitäre Gesellschaftsformen oder Matriarchat

Heide Göttner-Abendroth erforschte neben den Mosuo in Südchina weitere matriarchale Kulturen wie die Khasi in Nordindien, die Hopi und Irokesen in Nordamerika und den Stamm der Tuareg in Nordafrika. In ihrem Buch Matriarchat I behandelt sie Stammesgesellschaften in Ostasien, Indonesien und Ozeanien, in Matriarchat II Stammesgesellschaften in Amerika, Indien und Afrika. Im Folgenden eine kurze Darstellung, was nach Heide Göttner-Abendroth (1998: 45) matriarchale Gesellschaftsformen kennzeichnet.

Die ökonomischen Merkmale sind Garten- und Ackerbaugesellschaften. Land und Haus befinden sich im Sippenbesitz, es gibt kein Privateigentum. Die Frauen haben die Verfügungsmacht über die Nahrungsgrundlagen. Es gibt einen ständigen ausgleichenden Austausch an lebensnotwendigen Gütern. Daher spricht Göttner-Abendroth von Ausgleichsgesellschaften.

Die sozialen Merkmale sind Matrilinearität und Matrilokalität, das bedeutet, das Land wird an die Töchter weitergegeben und Kinder, Jugendliche und Erwachsene beider Geschlechter leben im Clan der Mutter. Männliche Bezugspersonen für die Kinder sind die Brüder der Mutter, die biologischen Väter leben entweder im Clan ihrer Mütter oder sind als Händler unterwegs. Es gibt Besuchsehen zwischen den Sippen. Göttner-Abendroth spricht von Verwandtschaftsgesellschaften.

Das politische Merkmal ist Konsensbildung sowohl im Sippenhaus als auch auf Dorf- und Stammesebene über ein Delegiertenwesen.

Die Delegierten sind dabei lediglich Kommunikations-, jedoch keine Entscheidungsträger. Darüber hinaus fehlen Klassen und Herrschaftsstrukturen. Heide Göttner-Abendroth erzählt in einem Interview, im Gegensatz zu den Gepflogenheiten hierzulande sei es den Menschen in Konsensgesellschaften nicht wichtig, den eigenen Willen durchzusetzen. Vielmehr gehe es ihnen darum, eine konstruktive Lösung zu finden, die aus den gegensätzlichen Vorschlägen gebildet wird und mit der zumindest alle leben können.

In weltanschaulicher Hinsicht handelt es sich um sakrale Gesellschaften, in denen es keine Trennung zwischen Alltag und spirituellen Handlungen gibt.

Wunderbar gezeigt wird dies anhand der Dokumentation »Das Tal der Frauen«, worin die Bäuerin Dorje Dölma in Bhutan betet, während sie Milch zur Käsezubereitung rührt.

Was können wir von matriarchalen bzw. egalitären Gesellschaften und von der Subsistenzwirtschaft lernen? Lesen Sie dies und vieles mehr im vollständigen Artikel. Unten können Sie das Pdf bestellen.

Was die Ökonomie betrifft, so wäre eine wesentliche Voraussetzung für eine Veränderung das Vorbild der Schenkökonomie, begründet von Genevieve Vaughan (2009). Im Tauschhandel geht es darum, zu überlegen, was habe ich und kann getauscht werden, um dies oder jenes zu bekommen. Das ist heutzutage meist das Geld. Im Unterschied dazu geht es beim Schenken darum, das, was in Fülle vorhanden ist, jenen zu geben, die es brauchen. Wenn ein Kind von klein auf alles bekommt, was es zum Leben braucht, wird es ebenso großzügig das weitergeben, was es im Überfluss hat. Doch gibt es in unserem Kulturkreis sehr viele bedürftige Eltern. Daher wachsen Kinder oft damit auf, andere, auch Erwachsene zu versorgen. Sie tun dies aus Liebe, auch wenn sie dadurch wiederum bedürftige Eltern werden.

Hier zeigt sich, dass die Ökonomie weder von menschlichen Bedürfnissen noch von gesellschaftlichen und ökologischen Systemen zu trennen ist. Das herrschende Finanzsystem, das ein ständiges Wirtschaftswachstum und dadurch Naturzerstörung erfordert, hält alle drei Systeme in einem unheilvollen Ungleichgewicht. Also gilt auch hier, das Übel von der Wurzel her zu tilgen. Dadurch wird großzügiges Verhalten wieder möglich, das auf einfache Art das Leben erleichtert und Freude bereitet.

Der freie Wille, die schöpferische Kraft und das gute Leben

In der mexikanischen Stadt Juchitán gibt es seit jeher die Tradition, anfallende Überschüsse in Form von gemeinsamen Festen zu verjubeln. Jahraus jahrein wird fast jeden Tag ein kleineres oder größeres Nachbarschaftsfest gefeiert. Dadurch wird das verhindert, was hierzulande als Kapitalakkumulation bekannt ist. Die dafür erhobene »Limosna«, eine den Einkommensverhältnissen entsprechende Geldspende für die Veranstalter.innen des Festes, trägt zu einer Umverteilung des Geldes bei. Die Menschen bringen außerdem Getränke und Essbares mit (vgl. Bennholdt-Thomsen 1994).

 

Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.

Erfahren Sie mehr über die Subsistenzwirtschaft und wie ein einfaches Leben, in dem dennoch die elementaren Bedürfnisse gedeckt sind, zu unserem Glück und zur Bewahrung der Natur beitragen würde.

Lesen Sie die vollständige Fassung in Tattva Viveka 88 oder downloaden Sie diesen Artikel einzeln als ePaper für 2,00 € (Pdf, 8 Seiten).

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Elisabeth Loibl
Der freie Wille, die schöpferische Kraft und das gute Leben

Herrschaftssysteme und Geldfixiertheit drängen das eigentlich Elementare, nämlich das gute Leben selbst, unsere vielfältigen Beziehungen untereinander und die Wertschätzung von Mutter Erde, in den Hintergrund. Doch es stellt sich die Frage, wie eine andere Lebensweise erreicht und geführt werden kann. Forscherinnen zu matriarchalen Gesellschaften und Subsistenzwirtschaft liefern für die notwendige Transformation wertvolle Impulse und praktische Vorschläge.
 

 

Artikelnummer: TV088e_04 Schlagwort:

 
 

Über die Autorin

Unsere Autorin Dr. Elisabeth Loibl

Elisabeth Loibl, *1963, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen, Absolventin und 2012 bis 2019 Lektorin der Universität für Bodenkultur, seit Ende der 1990er-Jahre Subsistenzperspektive und Matriarchatsforschung. Autorin von: Das Brot der Zuversicht (2003), Tiefenökologie. Eine liebevolle Sicht auf die Erde (2014).

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