21 Dez Die Lebendigkeit in allem sehen
Goethes intuitives Verständnis von Musik
Autor: Dietlinde Küpper
Kategorie: Kunst / Musik / Literatur
Ausgabe Nr: 85
Johann Wolfgang von Goethe gilt als einer der größten Dichter der europäischen Geistesgeschichte, doch seine Neugierde und Wissbegierde ließen ihn auch in verschiedene weitere Bereiche der Kunst und Naturwissenschaft eintauchen mit dem Wunsch, das Wesen der Welt hinter den Dingen zu begreifen. In der Rezeption wird sein Verhältnis zur Musik eher stiefmütterlich behandelt, obwohl er trotz seiner tendenziell mangelnden Musikalität, aber geleitet durch sein Vertrauen auf die eigene Intuition zu Erkenntnissen gelangte, die heute von der Wissenschaft bestätigt werden.
Goethes »Faust«-Dichtung mit seiner kaum auslotbaren Tiefe überrascht immer wieder mit aktuellen Bezügen – so wird im 2. Akt von Teil II sogar ein künstlicher Mensch erschaffen. Johann Wolfgang von Goethe hinterließ uns nicht nur Dramen, Gedichte und Romane. Er war vielseitig interessiert und ein Profi in Fächern wie Medizin, Optik oder Witterungslehre; er malte und er entwarf Gebäude und Gartenlandschaften, die wir heute noch als gelungen empfinden. Wie er über verschiedenste Dinge dachte, lässt sich heute noch umfassend und detailreich nachvollziehen – so existieren z. B. über 15.000 erhaltene Briefe.
Als Forscher interessierten ihn nicht nur die nackten Fakten und die daraus zu ziehenden Schlüsse, er suchte nach einem »lebendigen Begriff«, wie er das nannte:
ein unmittelbar erlebtes Erfassen von tieferen Zusammenhängen, eine Sicht, die nicht nur die Einzelaspekte einer Untersuchung im Blick hatte, sondern das Ganze in seinem Wesen verstehen wollte.
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Die Welt hinter der sichtbaren Welt
Wenn wir uns »einen Begriff« von der Welt machen, handeln wir oft ebenso wie Goethe: Von manchem, was sich nicht beweisen lässt, sind wir zutiefst überzeugt. Warum? Weil wir es fühlen oder tief in unserem Inneren wissen. Dass meine Katze wusste, was ich beschlossen hatte, als sie mir so intensiv in die Augen sah; dass der Umzug mir kein Glück bringen werde. Dass mein verstorbenes Kind mir immer noch nah ist; dass das Leben einen tieferen Sinn hat, den ich nicht in Worte fassen kann. Woher »wissen« wir solche Dinge?
Meist vertrauen wir einfach auf dieses Gefühl, manchmal aber erfahren wir eine überwältigende Evidenz, wir wissen, dass wir uns eine bestimmte Wahrnehmung nicht einbilden.
»Von guten Mächten wunderbar geborgen« schrieb Dietrich Bonhoeffer. Diese tröstlichen Energien hat er wohl tief in sich als etwas Verlässliches erfahren.
Klar, wir lassen uns auch täuschen, es ist ein äußerst glattes Terrain, sich auf Wahrheitssuche zu begeben, wo es keine »Beweise« gibt. Und doch – wenn wir unserer Intuition vertrauen, können wir sie schärfen. Wir können manches herausfinden, einiges besser verstehen und einordnen, und es können sich auch tiefere Zusammenhänge zeigen.
Die Welt hinter den Dingen, die sich dem Gefühl in großer Klarheit offenbaren kann, für die hatte Goethe feinste Antennen. Dass es für die Seele keinen Tod gibt, das wusste er, so heißt es im Gedicht »Vermächtnis«:
»Kein Wesen kann zu Nichts zerfallen!
Das Ew‘ge regt sich fort in allen,
Am Sein erhalte dich beglückt!
Das Sein ist ewig; denn Gesetze
Bewahren die lebend‘gen Schätze,
Aus welchen sich das All geschmückt.«
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Goethes Tonlehre
Als der mittlerweile Sechzigjährige 1810 nach jahrelanger Vorarbeit seine »Farbenlehre« veröffentlicht hatte – bis heute ist sie ebenso faszinierend wie umstritten –, wollte er auch den Gesetzen der Akustik und der Entstehung von Tonsystemen auf den Grund gehen. Nach vielen Gesprächen mit dem Freund Carl Friedrich Zelter, Komponist und sein Fachmann in Sachen Musik, erstellte er eine tabellarische Skizze zu einer »Tonlehre«. Der mittlere Hauptteil besteht aus drei Spalten: Entstehung von Musik, Handhabung der Instrumente und mathematische Klassifizierung der Intervalle.
In der linken Spalte heißt es zur Entstehung von Musik:
»Organisch (Subjektiv): Indem sich aus und an dem Menschen selbst die Tonwelt offenbart«.
Tonsysteme, wie z. B. unser Dur und Moll, hatten sich seiner Überzeugung nach also direkt über die Praxis herausgebildet und weniger über den Umweg eines Nachdenkens über passende Zusammenklänge. So heißt es weiter: »hervortritt in der Stimme / zurückkehrt durch’s Ohr / aufregend zur Begleitung den ganzen Körper«. Aufgrund welcher Erwägungen Goethe überzeugt war, dass die Ordnung der Töne sich von selbst über das Singen herausgebildet hatte, wissen wir nicht, und das blieb natürlich spekulativ.
Wer konnte jemals wissen, was vor Abertausenden von Jahren geschah, als Menschen begannen, sich musikalisch zu äußern, zu singen oder sich aus Knochen Flöten zu schnitzen?
Goethe hatte hier klare Vorstellungen, die Wissenschaft nicht.
Doch zur Entstehung von Tonsystemen weiß man mittlerweile mehr. Denn erst vor wenigen Jahren kam man einem interessanten Phänomen auf die Spur: dass zwischen der Art, wie menschliche Sprache sich akustisch äußert, und den Tonsystemen, die Menschen vor langer Zeit weltweit erfunden haben, ein auffälliger Zusammenhang besteht.
In dieser Fassung sind Auszüge aus dem Artikel wiedergegeben. Den vollständigen Artikel gibt es im Pdf, das unten bestellt werden kann.
Tonalität und Atonalität
Die Polarität lag für Goethe allem Existierenden als ein Ur-Gegensatz zugrunde, der sich überall manifestierte.
Das Gegensatzpaar fröhlich (Dur) – traurig (Moll) fügt sich in diese Vorstellung auch nahtlos ein. Es gibt durchaus auch entsprechende Hinweise: Spiegelt man beispielsweise einen Dur-Dreiklang nach unten, entsteht ein Moll-Dreiklang (bei C-Dur z. B. f-Moll). Die Forschungsergebnisse aus der Duke-Universität sagen zu dieser von Goethe thematisierten Polarität zwischen Dur und Moll allerdings gar nichts. Dafür kam ein anderes Team um Dale Purves noch weiteren parallelen Bezügen zwischen Sprechen und Singen auf die Spur. Die ForscherInnen untersuchten, ob sich der Unterschied zwischen tonalen und nicht-tonalen Sprachen auch in traditioneller Musik widerspiegle (Shui‘ er Han et al. 2011).
Bei den »tonalen« Sprachen spielen variierte Tonhöhen für die Wortbedeutung eine Rolle, bei den anderen nicht. So gibt es im chinesischen Mandarin vier »Töne« (hoch / steigend / fallend / fallend-steigend-fallend), mit denen die Wortbedeutung verändert werden kann. Bei den »nicht-tonalen« Sprachen, wie z. B. dem Deutschen, spielt die Sprechmelodie für die Bedeutung keinerlei Rolle.
Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.
Erfahren Sie mehr über den Zusammenhang von Sprache, Kultur und Tonalität.
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Dietlinde Küpper
Die Lebendigkeit in allem sehen
Johann Wolfgang von Goethe gilt als einer der größten Dichter der europäischen Geistesgeschichte, doch seine Neugierde und Wissbegierde ließen ihn auch in verschiedene weitere Bereiche der Kunst und Naturwissenschaft eintauchen mit dem Wunsch, das Wesen der Welt hinter den Dingen zu begreifen. In der Rezeption wird sein Verhältnis zur Musik eher stiefmütterlich behandelt, obwohl er trotz seiner tendenziell mangelnden Musikalität, aber geleitet durch sein Vertrauen auf die eigene Intuition zu Erkenntnissen gelangte, die heute von der Wissenschaft bestätigt werden.
Über die Autorin
Nach Abschluss ihres Magisterstudiums in Germanistik und Musikwissenschaft arbeitete Dietlinde Küpper fünf Jahre in Italien als Lehrerin und Übersetzerin. Für den Bayerischen Rundfunk und die Deutsche Welle verfasste die Autorin u. a. Features über Mozart, Händel und zeitgenössische Musik sowie mehrere Essays über Richard Wagner. Sie veröffentlichte eine Studie über die amerikanische Sinfonikerin Gloria Coates.
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