Atem der Welt

Atem der Welt

Das Vaterunser in der aramäischen Muttersprache von Jesus

Autor: Martin Auffarth
Kategorie: Christentum
Ausgabe Nr: 97

Übersetzungen kommen dem Originaltext oft nur bedingt nahe. Besonders kritisch wird es, wenn es sich um einen sehr alten Text handelt, der zudem noch spirituelle Inhalte vermittelt. Die genaue Untersuchung des Aramäischen und seine Neuübersetzung ins Deutsche zeigt eine andere Bedeutung und Stimmung des Vaterunsers. Diese neue Übersetzung moralisiert nicht und klingt überraschend modern. Zutage tritt wahres spirituelles Wissen.

Sprache ist Musik. Sie ist Klang, will gehört werden und resonieren. Zunächst und vor allem in der Muttersprache. Diese ist originell, hat ihren eigenen Sound, der unnachahmlich ist und sich eigentlich nicht übersetzen lässt. Es braucht demnach Einfühlungsvermögen, um dem ursprünglich Gemeinten möglichst nahe, möglichst authentisch nahezukommen. Machen wir die Probe aufs Exempel. Im Deutschen können wir zu jemandem sagen: »Ich habe dich zum Fressen gern!« Deutsche Muttersprachler wüssten, was gemeint ist. Doch übersetzen Sie dies ins Englische, wortwörtlich. Englischmuttersprachler würden uns mit entgeisterten Gesichtern ansehen und mit verblüfften Ohren kopfschüttelnd zuhören: »Hä, was meinst du?«

So kennt auch das Aramäische, die Muttersprache von Jesus, Worte, die – vor uns ausgebreitet – uns staunen lassen: »Ah, so ist das gemeint?! Ah, jetzt verstehe ich den bislang überlieferten Wortlaut des Vater-unser-Gebets doch anders, tiefer und mit neuer Aufmerksamkeit.« Ein Wort dieser Muttersprache weist viele und zumal recht unterschiedliche Bedeutungsvarianten auf. Als wir in einem unserer evangelischen Gottesdienste in Freiburg diese aramäischen Varianten aufgreifen wollten, war zufällig ein Aramäisch sprechender Christ unter den Feiernden. Er bot uns an, dieses Gebet in seiner Muttersprache zu Gehör zu bringen. Er leitete es mit diesen Worten ein: Die aramäische Gebetsanrede »Abwûn d’bwaschmâja« kann folgendermaßen übersetzt werden: »Du, mein Geliebter« oder »Du, mein Augapfel«. Wie anders klingt das als die gewohnte Anrede: »Vater unser im Himmel …« – oder? Danach sprach er dieses Gebet in der Art, wie Jesus es gesprochen haben könnte oder gebetet hat – in dessen Muttersprache Aramäisch. Was für ein Raumklang!

Im Folgenden werde ich in jedem Abschnitt die gewohnten deutschen Worte zitieren, den aramäischen Wortlaut hinzufügen und danach aufzeigen, wie es übersetzt werden kann, jeweils begleitet von Anregungen für die persönliche Meditation oder kleinen Experimenten. Von den vielen Varianten wählte ich immer die aus, die in mir eine vibrierende Resonanz hervorzurufen vermögen1, also Musik und Klang sind. Haben Sie nun Lust, Gewohntes anders und neu zu vernehmen?

Vater unser im Himmel – Abwûn d’bwaschmâja

In der Rückübersetzung aus dem Aramäischen in dieser Variante: »Atem der Welt. Wir hören dich atmen. Ein und aus – in Stille.«

Die hebräische Bibel beschreibt in ihren ersten Erzählungen, dass Gott aus Materie, aus Erde also, den physischen Menschen formt, und dies übersetzte Martin Luther dann so wortmächtig2: »Da blies Gott dem Menschen seinen Odem ein. Da erst ward der Mensch lebendige Seele. Da erst.« Wir nehmen also, wenn wir einatmen, Sauerstoff ein. Ein Geschenk des Himmels. Wir bereichern sodann die Schöpfung durch unser Ausatmen: ein … und aus … Ein einfaches Beispiel: Ein Baum bietet seinen Sauerstoff für ca. 30 Menschen an, diese 30 Menschen bieten dem Baum wiederum ihren Kohlenstoff an. Allein dieser Vorgang verbindet den Menschen mit der Schöpfung, verbindet die Schöpfung mit uns und eigentlich mit allem, was atmet. Mehr noch: In diesem Vorgang atmen wir zugleich den Atem Gottes ein, der uns und das gesamte Universum belebt, und dabei atmen wir in Gott aus.

Das einfache Ein- und Ausatmen verbindet uns untereinander, verbindet uns mit Gott, mit der gesamten Schöpfung, im Nehmen und Geben, mit jedem Atemzug.

Vom Aramäischen her: »Atem der Welt. Wir hören dich atmen, ein und aus – in Stille.« Was für eine Einstimmung ins Beten!

Experiment – Meditation:

(Wer will, schließt die Augen) Ich atme ein – ich atme aus – einatmen – ausatmen … mehrfach wiederholen … als Geschöpf verbinden wir uns mit der Schöpfung – die Schöpfung verbindet sich mit uns … mehrfach wiederholen … ich atme Gott ein – ich atme in Gott aus … mehrfach wiederholen … Was für ein Vorgang, was für ein Geschenk!

Gott gab uns Atem, damit wir leben,
er gab uns Augen, dass wir uns sehn.
Gott hat uns diese Erde gegeben,
dass wir auf ihr die Zeit bestehn.
Gott hat uns diese Erde gegeben,
dass wir auf ihr die Zeit bestehn.

Das Vaterunser in der aramäischen Muttersprache von Jesus

Geheiligt werde dein Name – Nethkâdasch schmach

Oder jetzt von Jesus’ Muttersprache her: »Dein Name, dein Klang, überall ist er, bewegt uns, wenn wir unsere Herzen auf deinen Ton einstimmen.«

Was wir gerne mit dem Wort »Gott« übersetzt bekommen, ist in der hebräischen Bibel kein Begriff, sondern eher eine Beschreibung dessen, was damit gemeint sei. In diesem Falle beispielsweise das Substantiv »Schem« (Übersetzung: Name). Lautmalerisch ausgesprochen als »schemmm«, und schon hören wir es in der Bedeutung von Klang, von Frequenz, von Schwingung, als Name. Ja, alles klingt.

Alles ist vom Ursprung her so, dass es vibrieren möchte, klingen will, dass es aus der Starre in eine Lebendigkeit zurückkehren kann und möchte.

»Nada Brahma« heißt es in den Veden: »Gott ist Klang. Klang ist Gott.«

Jede Zelle von ca. 90 Billionen im menschlichen Körper schwingt.

Organe, wenn sie gesund sind, vibrieren, ebenso Gewebe, Bäume, Ameisen, Ozeane. Pulsare, also schnell rotierende Neutronensterne, knattern wie Kastagnetten. Die Forschung bestätigt, dass alles Klang sei. An uns gerichtet ist:

Hören, aufhören im Sinne von einen Punkt setzen, pausieren.

Aufhorchen: »Unsere Herzen auf deinen Ton einstimmen.«

Dies ist nur der Anfang des Artikels.

Wie die Neuübersetzung des Vaterunsers weitergeht und welche Geheimnisse diese uns offenbart, erfährst du im vollständigen Artikel, der in Tattva Viveka 97 erschienen ist.

Tattva Viveka 97

Tattva Viveka Nr. 97

Inhalt der Ausgabe

Schwerpunkt: Trauma und Heilung
Erschienen: Dezember 2023

Gabor Maté – Vom Mythos des Normalen • Thomas Hübl – Trauma reduziert unsere Beziehungsfähigkeit. Adäquate Beziehung als Mittel zur Heilung von individuellem und kollektivem Trauma • Lea Loeschmann – Körperloses Bewusstsein kann nicht sterben. Von der Rückgewinnung des Urvertrauens ins Leben • Ronald Engert – Trauma und Heilung. Wie man an der Ursache ansetzt und nachhaltig heilt • Gabriella Rist – Wie Traumaheilung durch Neurophilosophie und Körperpsychotherapie gelingen kann. Die Suche nach dem wahren Selbst • Saskia John – »Erste-Hilfe-Koffer« bei Angst und Panik. Fünf wirksame Tipps zur Sofortmaßnahme • Prof. Dr. Niko Kohls – Die gesellschaftliche Akzeptanz von Achtsamkeit und Spiritualität. Ein Abbild des Bewusstseinsstandes der gegenwärtigen Gesellschaft Teil 2 • Sarah Rubal – Die Heimkehr der Göttin. Unsere mythische Heldinnenreise (Teil 1) • Christiane Krieg – Dein spiritueller Wegweiser durch die Raunächte. Öffne dich für deine Herzensvision • Martin Auffarth – Atem der Welt. Das Vaterunser in der aramäischen Muttersprache von Jesus • u.v.m.

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Zum Autor

Unser Autor Martin Auffarth

Martin Auffarth wirkte als protestantischer Pfarrer. Inzwischen ist er im Ruhestand und führt eine eigene Praxis in Freiburg.

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