Die Stimme der Sirene

Die Stimme der Sirene

Von weiblicher Stimmgewalt & Stimm(ehr)furcht

Autor: Saskia Baumgart
Kategorie: Kunst / Musik / Literatur
Ausgabe Nr: 90

Die Autorin wirft einen unvoreingenommenen Blick auf den Mythos der Sirenen, ihre Stimmkraft und ihr unbekanntes Reich zwischen Himmel und Erde, in dem wir den Flow und die Inspiration erleben können. Es ist eine Weisheit, die im Zuge des Patriarchats und der Naturbeherrschung fast verloren ging. Durch Gesang und Musik kann Heilung erfolgen, und mit den Sirenen können wir in das ozeanische Gefühl des Lebendigen eintreten.

Etwas ist mit ihr … So viele Verbote, Vorschriften, Regeln und Gesetze, die weltweit existieren, sich um sie ranken, wie ein Zaun, der ein wildes Tier bändigt. Ebenso groß muss die existierende Angst sein, die als unbestimmte Furcht zu solchen Maßnahmen anhält, kulturübergreifend, durch die Jahrtausende hindurch.

Verbote für Frauen

Noch heute dürfen Frauen nicht nur ihr Haar nicht zeigen, sondern ebenso ihre Stimme, wenn sie eine russisch-orthodoxe Kirche betreten, was mich bei einer Reise durch Sibirien im Jahre 2018 schockiert hat. Sie tragen ein Kopftuch und haben zu schweigen. Solange sie ihre Stimme nicht erheben, dürfen sie sich dort gerne engagieren und für die ganze Gemeinde dienen. Das ist der Deal. Ebenso ist es immer noch verboten, dass Frauen in jüdischen Synagogen singen.

Die Stimme der Sirene

Im Land Iran und in vielen anderen Ländern ist es, bei Androhung härtester Strafen, den Frauen verboten, öffentlich zu singen. Sängerinnen müssen das Land verlassen, wenn sie ihre Kunst zeigen und damit Schönheit und kulturellen Reichtum teilen wollen. Ein Teil der uralten Sanges-Kultur, die von Generation zu Generation weitergereicht wurde, ist gezwungen, zu schweigen, unterzugehen oder hohe Risiken einzugehen, die lebensvernichtend sein können.

Die Mythologie der Sirenen

Laut Legende sind die machtvollen singenden und halbmenschlichen Fabelwesen, Sirenen genannt, Töchter von Gaia, der Erdmutter, und dem Meeresgott. Andere Quellen geben sie als Töchter der Musen an, der Schirmherrinnen der Künste und des Schöngeistes. Sie gelten als sinnlich anziehende Wesen, halb Frau, halb Wasserwesen, mit Fischschwanz ausgestattet, mitunter auch geflügelt, widerständig gegenüber der Ehe und frei in ihrem Liebesleben.

Auch daher rührte die gesellschaftliche Zuschreibung als Gefahr für die Moral und Unversehrtheit des Mannes innerhalb der Gesellschaftsordnung des Patriarchats, in dem solche Freiheiten nur den Männern zustanden. Wie in anderen berühmten Fällen der menschlichen Historie wurden diese unabhängigen weiblichen Wesen dämonisiert, abgewertet, schuldig gesprochen und zum personifizierten Bösen erklärt, vor dem man(n) sich hüten muss.

Die Verbindung von Weiblichkeit und ihrer natürlichen Anziehungskraft, eine Art des weiblichen Magnetismus und seiner Gefahren, besonders falls nicht durch männliche Gesetze reglementiert, wird hier als tief implementierte Grundangst deutlich. Die Warnung der Botschaft an den Mann erscheint deutlich: »Hüte dich, daher lasse dich nicht in die tieferen weiblichen Gewässer ziehen, es könnte dich zerstören.«

Lies im vollständigen Artikel auch die altbekannte altgriechisch Geschichte von Odysseus, der sich auf seinem Schiff festbinden ließ, um nicht den Tönen der Sirenen zu erliegen.

Die weibliche Kraft

Was hat dieses Angebundensein an die Energie und Schöpferkraft des Lebens mit den Sirenen und der weiblichen Stimme zu tun? Im Hinduismus Indiens wird diese Kraft »Shakti« genannt und entspricht dem weiblichen Aspekt des Göttlichen, der uns mit genau dieser Energie ausstattet. Sie erscheint zum Beispiel als »Sarasvati«, die Göttin der Künste und Wissenschaft.

Die weibliche Stimme scheint direkt mit dieser kraftvollen Repräsentanz in Verbindung zu stehen und an diese Wellenbewegung des Kommens und Gehens zu erinnern, den Kreislauf des Lebens, zwischen Geburt, Tod und Wiedergeburt.

Wenn wir uns eins fühlen mit dieser fundamentalen Bewegung, lebt es sich leicht. Im Widerstand zu dieser Welle kann das Dasein zur Qual werden.

Im Widerstand befindet sich meist das Ego, das nicht ausreichend mit der Weisheit der Anima kommuniziert und dieser vertraut, da es auf Kontrolle setzt.

Die Anima gilt, nach Carl Gustav Jung, als unser innerer weiblicher Part, über den jeder Mensch verfügt, der Counterpart zum Animus, ihrem männlichen Gegenspieler und Komplementär. In diesem potenziellen Konflikt der polaren Kräfte kann die ozeanische Qualität der Entgrenzung, als Fähigkeit der Musen und ihrer Töchter, der Sirenen, Wunder wirken. So kann uns, wie wir wissen, ein Lied zu Tränen rühren, eine Zeile von Poesie wieder an das Wesentliche erinnern und eine Stimme aus der gefühlten Enge führen, indem sie uns aufweichen oder sogar schmelzen lässt.

Es ist genau dieser Zauber des Lebens, den wir suchen und brauchen und ihn daher immer wieder aufsuchen, mit allen Mitteln der Kunst. Die Aufgabe, ihn wohl zu dosieren, um nicht haltlos darin unterzugehen, ist unsere eigene, deren Entwicklungsstand anzeigt, was wir schon gelernt haben – über uns selbst und das Leben.

Mehr darüber, wie weiblich Kraft sein kann, wie sie sich zum Patriarchat verhält und was sie mit dem Flow und dem Element Wasser zu tun hat, kannst du im vollständigen Beitrag lesen, den du unten bestellen kannst.

Heilung des Weiblichen und Männlichen in uns

Das weibliche Stereotyp hat durch die Jahrtausende des Patriarchats eine Kastration erfahren, ist eingeengt worden, sehr konkret zum Beispiel durch die Korsetts des viktorianischen Zeitalters, den Keuschheitsgürtel des Mittelalters und die Erniedrigung durch das gesamte Zeitalter hindurch.

Diese Deformation aufzulösen und eine gesunde natürliche Stimmkraft zurückzuerlangen, erfordert Zeit, Hingabe und Bewusstsein. Sich wieder aufzurichten und diese natürliche Größenordnung zu rehabilitieren, eben auch stimmlich, benötigt Entschlossenheit und Liebe. Es braucht Geduld und sogar einen gesunden Zugang zur eigenen Aggression als Verbindung zum eigenen Feuer, zu der Yang-Energie des Animus. Dadurch kann Integration und Ausgleichung der polaren Energien in der eigenen Mitte stattfinden, von Yin & Yang, dem Inneren Mann & der Inneren Frau, für eine wirkliche Balance im Innen und Außen.

Über wirkliche Freiheit und Selbstbestimmtheit zu verfügen, erfordert eine ausgewogene Sowohl-als-auch-Bewegung. Eine Verkörperung des Menschen, die beides kann und darf, die sich nicht in einer Entweder-oder-Ideologie der Geschlechter-Stereotypie versteckt, klingt deutlich anders, anregend und attraktiv. Diese umfassendere Stimme, die ihre Register zwischen Höhen- und Tiefenlagen kennt und sie kühn in der Mitte bündelt, ragt inspirierend heraus aus dem durchschnittlich verkürzten Einheitsgemenge.

Die Reise ins Unbekannte und Saskias Weg der Sängerin kannst du im vollständigen Artikel nachlesen, der am Ende des Textes für 2,00 € erhältlich ist.

Die Verbindung zu den Sirenen kam früh in meinem Leben, als mich immer wieder Menschen darauf ansprachen und meine Stimme als sirenenhaft bezeichneten. Oder als ich im peruanischen Amazonas als Sirene bezeichnet wurde und eine dementsprechende Meisterpflanze zum Meditieren und Studieren zugeordnet bekam.

Ich wusste intuitiv sofort, worum es ging, und wunderte mich nicht. Ein vertrautes warmes Heimatgefühl kam in mir auf. Ich fragte mich, warum vor den Sirenen, diesen singenden geflügelten Wasserwesen, in einigen Geschichten so eindringlich gewarnt wurde und ihnen ein so negativer bis mörderischer Ruf vorauseilte. Das wollte ich ergründen.

[…]

Die Stimme der Sirene

Die Versprechung des Sehnens liegt darin, zu entdecken, dass die unbekannten Ufer sich als Teil der inneren Heimat erweisen. Damit wird die größere Reise hinaus in die Welt zur Heimkehr ins eigene Innerste, das nun anders erstrahlen kann, hörbar im Klang der eigenen Stimme. Eine Stimme, die zum Weckruf werden kann, zum Ruf der Sirene.

Daher habe ich mein erstes Sasperella-Soloalbum »La Sirène« genannt. 2021 ist es fertig geworden und hier online erhältlich. Es ist eine Hommage an den Zauber der geflügelten Wasserwesen, die uns an unsere geistige Heimat sowie die seelische Verbundenheit mit ihr erinnern und die uns inspirieren, ihr Ausdruck zu verleihen, auf vielfältige Art und Weise. Und noch immer, wenn ich singe und mich dabei völlig hineingebe, beginne ich zu fließen und zu fliegen und sehe den Ozean vor mir.

Nicht einen der sieben uns bekannten irdischen, sondern ein Meer, das ihnen ähnelt und doch ein anderes ist. Es umfasst sie alle und leuchtet überirdisch, in einem besonderen Licht. Hier ist ultimativer Frieden, Zuhause.

Was wäre wirklich geschehen, wenn Odysseus und seine Männer die Insel der Sirenen nicht umschifft hätten, sondern ihrem Ruf todesmutig gefolgt wären?

Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.

Du möchtest mehr über die anhaltenden und charakteristischen Bedeutungen der Sirenen erfahren. Höre ihre laute Stimme erklingen.

Lies die vollständige Fassung in Tattva Viveka 90 .

Tattva Viveka 90

Tattva Viveka Nr. 90

Inhalt der Ausgabe

Schwerpunkt: Die Magie des Klangs
Erschienen: März 2022

Dietlinde Küpper – Musik als Tor zum Transzendenten • Miroslav Großer und Birge Funke – Die Sehnsucht des Klanges und seine multidimensionale Wirkung • Saskia Baumgart – Die Stimme der Sirene • Clemens Zerling – Eine Reise zum Urton • Hans Cousto – Die kosmische Oktave • Hannes Heyne – Musikalische Ökologie • Prof. Dr. Klaus Fessmann – Die Musik der Steine • Dr. Rahmi Oruc Güvenc – Heilwissen aus dem Orient • Anette Blühdorn – Das metaphorische Herz • Marion Schickert – Die vielbegabte Scannerpersönlichkeit • Peter Hubral – Arche Noah • u.v.m.

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Über die Autorin

Unsere Autorin Saskia Baumgart

Saskia Baumgart ist Sängerin, Vocal Coach und Musiktherapeutin. Sie arbeitet künstlerisch und heilerisch mit Gesang und Klang, gibt Solokonzerte als Sasperella, mit ihrem Trio Magic of Sound, Einzel-Sessions, Workshops und Gruppen zu Gesang, Klang sowie Stimme, auch speziell zur weiblichen Stimme. Darüber hinaus begleitet sie Sterbende mit ihrer Musik, Menschen in seelischen Krisen und begleitet Prozesse zur Potenzialentwicklung in allen Lebenslagen. Aufenthalte bei verschiedenen indigenen Kulturen der Welt haben ihre schamanische Anbindung vertieft.

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