Hochsensibilität in der Psychosomatik

Hochsensibilität in der Psychosomatik

Autor: Prof. Dr. Thilo Hinterberger
Kategorie: Medizin
Ausgabe Nr: 75

Die Universitätsklinik Regensburg und die Heiligenfeld-Kliniken legen ein Forschungsprojekt zum Verständnis von Hochsensiblität auf und entwickeln Methoden, um für die besondernen psychosomatischen Symptome bei erhöhter Sensitivität Entlastung zu bringen.

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Was ist Hochsensibilität? Diese Frage könnte ähnlich beantwortet werden wie die Frage: Was ist Intelligenz? Nämlich das, was der Intelligenztest misst.

So könnte Hochsensibilität als der stark erhöhte Ergebniswert des derzeit meist genutzten Fragebogens zum Konzept der Sensibilität von Wahrnehmung und Verarbeitung (engl. sensory processing sensitivity, SPS) gelten.

Dieser Fragebogen wurde 1997 von dem amerikanischen Ehepaar E. und A. Aron entwickelt und sollte zunächst als Skala für die hochsensible Persönlichkeitsstruktur dienen. Er umfasst 27 Fragen, welche bei stark erhöhter Zustimmung die hochsensible Persönlichkeit definieren. Im Laufe der Jahre untersuchten dann  verschiedene Wissenschaftler diesen Fragebogen und entdeckten darin mehrere Teilaspekte dieser SPS. So konnte damit beispielsweise unterschieden werden zwischen leichter Erregbarkeit einer Person, der sogenannten ästhetischen Wahrnehmungssensibilität und einer niedrigen Reizschwelle, die zu feinsinnigen und vielfältigen Wahrnehmungen führt. Doch was bedeutet dies für Menschen, denen diese Eigenschaften durch solch eine Selbstbewertung zugesprochen werden? Sind sie damit glücklicher, leistungsfähiger, gesünder, zufriedener, …?

Wenn also im Gesundheitswesen oder in der psychosomatischen Medizin auf die Gruppe hochsensibler Personen speziell eingegangen werden soll, wird wichtig zu wissen: Welche Ausprägungen und welche Aspekte der Hochsensibilität sind gesundheits- und welche sind krankheitsfördernd? Führt eine erhöhte Sensibilität vermehrt zu psychosomatischen Störungen? Und wie könnte ein therapeutisches Konzept den Bedürfnissen hochsensibler angepasst werden? Diesem Thema haben sich die Heiligenfeld Kliniken in Bad Kissingen in einer Forschungskooperation mit dem Universitätsklinikum Regensburg angenommen.

Hochsensibilität – auch ein Thema für die Psychosomatik

In diesem Kontext entwickelten wir einen neuen Fragebogen, der es ermöglicht, mit wenigen Fragen sowohl die Sensibilität einer Person zu erfragen, als auch die eventuell damit verbundenen Probleme bei der Verarbeitung des Wahrgenommenen. Die Sensibilität bezieht sich hierbei sowohl auf die feine und differenzierte Wahrnehmung der Umgebung, auf eine gesunde Neugier, als auch auf die Fähigkeit, emotional sensibel und feinsinnig für innere Wahrnehmungen zu sein. Zunächst sind wir davon ausgegangen, dass eine hohe Sensibilität eine durchaus gesunde und wertvolle Qualität eines Menschen ist. Bestätigende Hinweise lieferte uns ein Vergleich des Sensibilitätsfaktors unseres Fragebogens mit Angaben zu sogenannten Lebenskompetenzen.

Demnach haben Menschen mit erhöhter Sensibilität mehr positive Gefühle, zeigen ein höheres Engagement, besitzen mehr soziale Kompetenzen und erleben mehr Sinn, auch in spiritueller Hinsicht.

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Der zweite Faktor des Fragebogens beschreibt die sogenannten Verarbeitungsproblematiken, welche sich beispielsweise auf Stressreaktionen, Abgrenzungsschwierigkeiten oder emotionales Ungleichgewicht beziehen. Hier gingen wir davon aus, dass die wesentlichen Störungen und Schwierigkeiten, die mit der Wahrnehmung in Zusammenhang stehen, mit Problemen in der Verarbeitung des Wahrgenommenen in Zusammenhang stehen. Hinzu kommt, dass eine hohe Sensibilität auch hohe Anforderungen an die Reizverarbeitung stellt.

Können Reize nicht ausreichend verarbeitet, eingeordnet und losgelassen werden, dann beschäftigen sie uns und erzeugen Stressreaktionen.

Dies kann zu psychosomatischen Störungen führen, wodurch die eigene Sensibilität zur Belastung für Psyche und Körper werden kann. Beispielsweise können Menschen, die viele Feinheiten wahrnehmen und viele Ideen und Fantasie haben, das Gefühl haben, mehr Zeit zur Verarbeitung zu benötigen. Oder Menschen, die emotional sensibel sind und Stimmungen anderer sehr differenziert spüren, können diese leicht selbst übernehmen und leiden unter emotionaler Unausgeglichenheit.  Die Unterscheidung zwischen Sensibilität und den eventuell damit verbundenen Verarbeitungsproblematiken ist im psychosomatischen Kontext schon deshalb sinnvoll, weil sich die Therapie primär auf den Umgang mit Verarbeitungsproblemen bezieht. Gleichzeitig können hochsensible Patienten von Angeboten wie einen Raum der Stille oder Meditationen in besonderer Weise profitieren. Dass hierauf in der psychosomatischen Rehabilitation speziell ein Fokus gelegt werden sollte, zeigen unsere Untersuchungen, wonach Patienten mit psychosomatischen Störungen gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhte Verarbeitungsprobleme aufweisen. Insbesondere Depressivität und Angstsymptomatiken korrelieren hoch mit den Verarbeitungsproblemen. Im Gegensatz zur Sensibilität erleben Menschen mit vermehrten Verarbeitungsproblemen weniger Erfolg und positive Gefühle, zeigen weniger Engagement und soziale Kompetenz und geringere Fähigkeiten der Selbststeuerung. Aus diesen Forschungsergebnissen können sehr gut wichtige therapeutische Schritte abgeleitet werden, die aber auch prophylaktisch für sensible Menschen sehr gut geeignet sind.

Hochsensibilität – auch ein Thema für die Psychosomatik

Zusammenfassend können wir also sagen, dass es gerade für Menschen mit einer hohen Sensibilität sehr wichtig ist, sorgsam mit ihren Wahrnehmungen umzugehen und auf eine gesunde Verarbeitung des Wahrgenommenen zu achten.

Dazu gehören vor allem ein achtsamer Umgang mit den Wahrnehmungen, eine liebvolle Zuwendung zur Umwelt, aber auch innere Ressourcen, sich von Wahrnehmungen distanzieren zu können, ihnen nicht anzuhaften und sich nicht von ihnen überfluten zu lassen.

Darin liegt die Eigenverantwortung von sensiblen Menschen, die nicht entschuldigend auf die Umwelt übertragen werden sollte. Gelingt es aber, in der Balance zwischen hoher Sensibilität und einer gesunden Wahrnehmungsverarbeitung zu leben, kann dies zu einer hohen Lebensqualität, Begeisterungsfähigkeit und Zufriedenheit führen.

Der Autor Prof. Dr. Thilo Hinterberger

Über den Autor

Prof. Dr. rer. nat. Thilo Hinterberger ist Physiker und Neuro- und Bewusstseinswissenschaftler. Er leitet den Forschungsbereich Angewandte Bewusstseinswissenschaften in der Psychosomatischen Medizin am Universitätsklinikum Regensburg, welcher sich interdisziplinär mit Fragen des Bewusstseins beschäftigt. Seine Forschungsinteressen reichen von den Grundlagen des Bewusstseins, der Entwicklung von Gehirn-Computer Schnittstellen, über die Untersuchung außergewöhnlicher Bewusstseinszustände bis hin zu Fragen in Bereichen Therapie, psychosomatischer Medizin und Spiritualität.

Dies ist ein Volltext aus der Tattva Viveka 75.

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Hochsensibilität in der Psychosomatik (PDF)

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Prof. Dr. Thilo Hinterberger
Hochsensibilität in der Psychosomatik

Die Universitätsklinik Augsburg und die Heiligenfeld-Kliniken legen ein Forschungsprojekt zum Verständnis von Hochsensiblität auf und entwickeln Methoden, um für die besondernen psychosomatischen Symptome bei erhöhter Sensitivität Entlastung zu bringen.
 

 

 
 

3 Kommentare
  • Nocker Margit
    Gepostet am 16:45h, 27 August Antworten

    Habe heute vor kurzem Eure Ausgabe von Tattva Viveka, “Die Seele”, zu 7,- EUR bestellt – als Gast.
    Es scheint etwas schiefgelaufen zu sein.
    Bitte, dies zu klaeren.
    Danke.
    MfG

    • Tattva-Archiv
      Gepostet am 12:49h, 28 August Antworten

      Hallo, wir haben keine Bestellung bekommen. Bitte nochmal probieren. Kommentar haben wir nicht freigeschaltet, wie gewünscht. Lg Ronald Engert

  • Elisabeth Bock
    Gepostet am 23:26h, 07 August Antworten

    Sg Hr Prof Dr Thilo Hinterberger,

    Danke für Ihre Ausführungen. Ich habe lange als Musiktherapeutin in einer psychosomatischen Klinik in Österreich gearbeitet. Da mich die Hintergründe von Hochsensitivität interessieren, möchte ich Sie fragen, ob es Untersuchungen über HSP in Bezug auf pathologische und nicht pathologische Biographien gibt.

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