Von wegen schwach!

Von wegen schwach!

Warum Hochsensible das Zeug zu mehr haben

Autor: Susanne Lohrey
Kategorie: Psychologie
Ausgabe Nr: 75

Das narzisstische System ist der Reiz, der das hochsensitive System in seine wahre Kraft bringt, wenn dieses bereit ist, seinem Schmerz in die Augen zu sehen. Gekonnt zieht die Autorin mit ihrer mutigen These Parallelen zur (quanten-)physikalischen Welt. Sie hilft dadurch dem Hochsensiblen aus seinem Opfersystem und führt ihn in seine Stärke, die seine Empfindsamkeit für die neue Zeit bringt. Es sind innerlich starke Persönlichkeiten, die selbst den stärksten Narzissten umhauen, weil sie Stärke nicht nur performieren, sondern innerlich ausgebildet haben.

An meiner Haustür prangt ein kleines Schild, eines von vielen, die in irgendwelchen grauen Straßenzügen auf psychologische Beratungspraxen hinweisen. Und doch, hinter verschlossenen Türen reiche ich hier Menschen die Hände, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Einerseits treffen dynamische, zielorientierte Führungskräfte ein, Menschen aus Politik, Wirtschaft und Industrie, die sich schnelle Hilfe in Sachen Auftreten, Verhandlungsgeschick und rhetorischer Präsenz erhoffen. Ihr Schritt ist forsch, ihre Bewegung eilig. Sie wirken wichtig in ihren dunklen Anzügen und formulieren gewandt, was ihr Begehr ist. Ihr Handschlag ist professionell und zeugt von Übung aus tausend Business-Tagen. Kurzer Small Talk zu Beginn, höflich, jedoch ohne offene Fenster, durch die man in ihr Inneres zu sehen vermag. Es ist kein leichtes Arbeiten, Kritik ist meist nicht erwünscht, nur Verbesserungsvorschläge für die perfekte Inszenierung. Ziel: die eigene Brillanz vor Publikum erhöhen und das am besten in wenigen Tagen. Erfolg ist schließlich trainierbar, heißt es, das Führen der Menschen unumgänglich, wenn man Karriere machen will.
Wer diese Leute sind? Typische Vertreter einer Zeit, die, laut Psychoanalytikern wie Hans-Joachim Maaz, hochnarzisstischer Natur ist. Darstellung von Macht und Omnipotenz, Feinschliff des Egos, das keine Angst, keine Hindernisse, aber auch keine Rücksicht kennt, sind die neuen Gebote.

Ich tue mein Bestes, trainiere mit ihnen die Kunst des Wortes und der Geste, obwohl mir mitunter Zweifel an der Rechtschaffenheit ihres Tuns in den Sinn kommen.

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Scheinen sich manche doch auf viel zu hohe Rösser schwingen zu wollen, die ihrer eigenen Proportion nicht entsprechen. In solchen Momenten beschwichtige ich mich manchmal mit dem Gedanken, dass es mir nicht zusteht, zu urteilen, zu verurteilen.
Andererseits suchen auch ganz andere Menschen Hilfe in meiner Praxis. Sie sind Vertreter einer nahezu komplementären Liga, weder robust noch machthungrig. Ihr Verhalten eher sensibel, hochempathisch, bescheiden, leise. Es ist die Abordnung der Filigranen, Dünnhäutigen und Sensitiven, die genau an jenen sperrigen Klippen der »narzisstischen Gesellschaft« zu zerschellen drohen. »Hochsensible Persönlichkeiten« oder HSP nennt man sie, wenn man es nett mit ihnen meint, »Überempfindliche« und »Mimosen«, wenn weniger nett. Ihr Gang ist nicht forsch, eher sachte. Ihr Blick geht manchmal zu Boden oder weicht aus. Ich bitte sie herein und sie sind sehr dankbar, wenn ich vorausgehe. Oft waren sie schon als Kind anders, manchmal Mobbing-Opfer in der Schule, Grübelnde, Selbstzweifler, eher scheue, introvertierte Wesen, Zurückgezogene oder die »schwarzen Schafe« der Familie.

Warum Hochsensible das Zeug zu mehr haben

Das Gegensatzpaar – Narzissten und Empfindsame

Haben wir es gar mit einer Konfrontation des Mächtigen mit dem Schwachen zu tun, mit der Konstellation Täter – Opfer? US-Forscher wie Jean Twenge und Keith Campbell konstatieren in ihrem Buch »The Narcissm Epidemic« ein gravierendes Störungsbild, das sich kontinuierlich ausbreitet. Eine von ihnen durchgeführte Langzeitstudie in den USA, die an 37.000 nicht klinisch auffälligen Studenten durchgeführt wurde, zeigte Narzissmus-Werte, die kontinuierlich anstiegen.
Auch Prof. Hans-Werner Bierhoff, Psychologe und Narzissmus-Forscher an der Uni Bochum, unterstreicht die Erkenntnisse seiner amerikanischen Kollegen, dass sich Narzissmus epidemisch ausbreiten und zunehmend das gesellschaftliche Bild prägen würde.

Warum Hochsensible das Zeug zu mehr haben
Das nach außen gelebte, brillante Bild der stets erfolgreichen, ehrgeizigen und hochattraktiven Person wird immer mehr zu unserem Alltag.

Insbesondere in der Social-Media-Szene, in der ich mich seit Jahren auch beruflich mit einem YouTube-Kanal rund um psychologisches Wachstum bewege, werden die Töne rauer, die Selbstdarstellungen aggressiver, die Farben greller. Menschen springen wild gestikulierend, aufmerksamkeitsheischend in marketing-technischen Purzelbäumen über den Bildschirm. Wehe dem, der nicht laut genug ruft und hochattraktiv die machtvollen Regeln des Erfolgs in den Äther schickt. Er wird von den Koryphäen narzisstischen Selbstumdrehungs-Gebarens rasch hinter sich gelassen. Die leisen Töne verlieren sich, scheint es. Werte wie Seriosität, Achtsamkeit, Empathie, Respekt haben keinen hohen Kurswert mehr, wie es scheint.
Und doch tauchen da immer mehr auch andere, geradezu exotisch wirkende Persönlichkeiten am medialen Horizont auf. Sie scheinen Vertreter einer neuen hochsensiblen Zunft zu sein, die immer mehr Anhänger gewinnt. Mitunter etwas spirituell-ätherisch wirkend, dann aber auch wieder sehr bodenständig und rechtschaffen, stellen sie sich fast oppositionell dem Regelwerk der narzisstischen Lebenshaltung entgegen. Emsig weisen sie auf alternative Lebensformen hin, beschäftigen sich mit Natur und Tiereswohl, denken über Eindämmung von Konsum und den Minimalismus nach und widmen sich ethisch-philosophischen Gesprächen und dem Posten von Antikriegs-Sprüchen.

Sie lesen hier Auszüge aus dem Artikel über Hochsensibilität. Für 2,00 € gibt es die Vollversion (am Ende des Beitrags bestellbar)!

Überkompensation

Hochsensible und narzisstische Persönlichkeiten scheinen genau auf jenem Wurzelwerk des mangelnden Selbstwertgefühls unterschiedliche Strategien aufzubauen. Eben jener »Mangel an Selbstwertgefühl führt zu Überkompensationen«, konstatiert der deutsche Psychiater Wolfgang Maier. Erstere entwickeln schon in frühen Kindheitsjahren neuronale, filigranste Werkzeuge ihrer Wahrnehmungsfähigkeit, um die Bedürfnisse ihrer Kernfamilie, ihrer ersten Bezugspersonen fast telepathisch wahrzunehmen. Sie fühlen, sehen, hören mehr und in feinsten Nuancen. Ihre Intuition wird zum stärksten Instrument ihrer Überlebenstechnik in hochkomplexen Familienverbünden.

Sie retten, lieben, sorgen, erfühlen sich die Seele aus dem Leib, um die Liebe zu erringen, die ihnen vorenthalten wird.

Ihr Komplementär, der pathologische Narzisst dagegen, kultiviert schon in jungen Jahren ganz andere Mechanismen des Gesehen-Werdens. Emotionaler Schmerz wird vermieden, Gefühle werden als kontraproduktiv und schädigend wahrgenommen. Neuronale Verbindungen in der Großhirnrinde, die für Empathie und emotionale Bindung zuständig sind, werden erst gar nicht ausgebildet. MRT-Aufnahmen des Gehirns narzisstischer Persönlichkeiten zeigen komplett andere Strukturen als jene empathischer Personen. Forschungen unter Stefan Röpke an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité in Berlin bestätigen, dass spezielle Hirnstrukturen, die ihren Sitz in der Großhirnrinde haben und für Empathie zuständig sind, bei narzisstischen Personen komplett anders ausgebildet sind.
Narzisstische Persönlichkeiten entwickeln schon in ihrer frühen Jugend Strategien der Selbsterhöhung und egozentrischer Eigeninszenierung. Rücksichtslosigkeit und Abwertung anderer werden zu legitimen Werkzeugen eigener Machterhöhung. Risikofreudig und nahezu angstfrei beschreiten sie den Weg ins Erwachsenenalter. Oft beruflich sehr erfolgreich und eloquent, wissen sie sich zu präsentieren, überzeugen durch Strategie und Ehrgeiz.

Durch gekonnte »Performance« und geschickte Manipulationstechniken erscheinen sie oft hochcharismatisch und werden so mit »Leader«-Funktionen bedacht, ohne dass man ihrer sozialen Defizite gewahr wird.

Lesen Sie im vollständigen Artikel mehr über die Dynamik zwischen Hochsensiblen und Narzissten.

Fazit meiner Arbeit mit hochsensitiven Menschen ist einerseits, dass ihre intensive Wahrnehmungsfähigkeit und das Erfühlen von Schwingungen https://www.tattva.de/kymatik-schwingende-welten/, Stimmungen, Menschen und Situationen Gefahren birgt, nämlich die der Vereinnahmung, der Flutung mit Fremdenergien und hoher Manipulierbarkeit. Sie sind nicht die Menschen mit »dicker Haut«, denen es leichtfällt, sich zu schützen. Eher sind sie Personen in »Pergamentpapier«, durchscheinend, ihr Innenleben ist durchlässig und damit auch infiltrier- und beeinflussbarer für Menschen, die sich ihrer bedienen wollen.
Doch trotz allem sind sie nicht »schwach«! Ihre Fähigkeit, in einer durchaus schmerzhaften, spannungsgeladenen Phase hoch resilient zu reagieren, mehr noch, gestärkt weit über sich hinauszuwachsen, macht sie zu gesellschaftlich wichtigen Antreibern. Sie tragen das Potenzial, sich durch Konflikte ihrer eigentlichen emotionalen Kraft anzunähern und damit wirksam zu werden. Prozesse ethischer und sozialer Ausrichtung und das Forcieren eines neuen Wertebewusstseins könnten durchaus vorangetrieben werden.

Warum Hochsensible das Zeug zu mehr haben

So könnte es letztendlich auch bedeuten, dass aggressiv-dominante Impulse einer narzisstisch geprägten Gesellschaft durch das ebenso anwachsende Komplementär eines hochsensiblen Systems ausgebremst und abgefedert werden. Während einerseits eine Partei Machthunger, Raumausdehnung, Ehrgeiz, Konsumausrichtung und brillante Eigendarstellung propagiert, verkörpert ihr Sparring-Partner die Werte des sozialen Miteinanders, der Umsichtigkeit und Hilfestellung, der Konfliktvermeidung und Diplomatie.
Zweifellos ist ein weiteres Voranschreiten aggressiv-invasiver Kräfte auf unserem Planeten, das oft mit kriegerischer Auseinandersetzung, Ausbeutung und dem Erlöschen von Empathie einhergeht, fatal. Der unlängst verstorbene Astrophysiker Stephen Hawking befürchtete, dass ein Überleben der Menschheit mit dem Verschwinden der Empathie keine hundert Jahre mehr gewährleistet ist. Trübe Aussichten, die die Hoffnung auf eine bessere Welt zu schmälern scheinen.
Wie heißt es: »Druck bildet Gegendruck«, oder, wie es die deutsche Aphoristikerin Waltraud Puzicha (1925–2013) ausdrückte: »Druck erzeugt Gegendruck, der zu Überdruck führt. Druck ist die erste Strophe zur Katastrophe.«

Die Autorin Susanne Lohrey

Über die Autorin

Susanne Lohrey ist seit 30 Jahren Kommunikationstrainerin und Business-Coach für Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft. Engagiert widmet sie sich vor allem auf Social Media und dem eigenen YouTube-Kanal dem Wachstum von Persönlichkeit und der Unterstützung von hochsensiblen Persönlichkeiten. Videos und Infos auf YouTube unter Lohreytraining und auf www.lohrey-training.de

Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.

Erfahren Sie mehr über das komplementäre hochsensible System im Bezug auf unsere narzisstisch gefärbte Gesellschaft.

Die vollständige Fassung des ersten Teils lesen Sie in der Tattva Viveka 75. Auch für 2,00 € als ePaper erhältlich (Pdf, 9 Seiten).

Noch mehr zum Thema: Mit der Tattva Viveka 75 ist eine komplette Ausgabe zum Schwerpunkt Hochsensibilität erschienen: Schau dir jetzt eine Übersicht aller Artikel an!

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Susanne Lohrey
Von wegen schwach! Warum Hochsensible das Zeug zu mehr haben
Narzissten und Hochsensible – die Sparringpartner der neuen Zeit?

Das narzisstische System ist der Reiz, der das hochsensitive System in seine wahre Kraft bringt, wenn dieses bereit ist, seinem Schmerz in die Augen zu sehen. Gekonnt zieht die Autorin mit ihrer mutigen These Parallelen zur (quanten-)physikalischen Welt. Sie hilft dadurch dem Hochsensiblen aus seinem Opfersystem und führt ihn in seine Stärke, die seine Empfindsamkeit für die neue Zeit bringt. Es sind innerlich starke Persönlichkeiten, die selbst den stärksten Narzissten umhauen, weil sie Stärke nicht nur performieren, sondern innerlich ausgebildet haben..
 

 

Artikelnummer: TV075e_03 Schlagwörter: , , , ,

 
 

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