Auf zur Macht …! Um jeden Preis?

Auf zur Macht …! Um jeden Preis?

Die Grünen vergessen ihre Wurzeln

Autor: Gabriele Heise
Kategorie: Politik
Ausgabe Nr: 88

Die Journalistin, spirituell Suchende und Grünen-Parteimitglied Gabriele Heise blickt auf die Entwicklung der Partei der Grünen zurück, von der Protestpartei über ihren Weg zur Volkspartei mit dem Wunsch mitzuregieren, und fragt kritisch, was aus den Visionen und Utopien der Anfänge geworden ist, die Spiritualität und Transformation des Bewusstseins als notwendige Parameter für eine gesamtgesellschaftliche Veränderung mit eingeschlossen.

Vorbemerkung:

Ende der 70er-Jahre fuhr ich nach Poona in den Ashram von Bhagwan (später: Osho). Nach Master-Examen und Redakteursausbildung kam die Frage: Was nun? Studentenbewegung, Frauenbewegung, therapeutische Erfahrungen lagen hinter mir. Nun der Beruf als Journalistin? Oder promovieren und im Schutzraum der Uni leben? Sechs Monate in Indien sollten Klärung bringen.

 Es folgten Jahrzehnte in meinem Beruf als Hörfunk-Journalistin. Dazu Familiengründung, Zusatzausbildungen, Friedensgruppen, Kulturinitiativen und schließlich: Die Grünen. Nun will ich Bilanz ziehen. Was bedeutet mir die Partei? Wie sieht Bürgersinn in einer Demokratie aus? Fühle ich mich meiner spirituellen Suche noch verpflichtet? Passt das alles zusammen?

Diese Fragen berühren viele Menschen, die Wandel und Transformation suchen. Deshalb also meine Einladung, darüber gemeinsam nachzudenken.

Eine Veranstaltung in Hamburg zum Thema »Sanftmut und Kampfgeist – Wie gehen Politik und Spiritualität zusammen« gab den Ausschlag. Und zeigte die Probleme. Wie geht es weiter?

Als Katharina Fegebank, zweite Bürgermeisterin von Hamburg und Wissenschaftssenatorin, an einem Frühsommerabend 2019, also vor Corona-Zeiten, den Saal des Rudolf-Steiner-Hauses am Mittelweg betritt, erschrickt sie spürbar. 270 Leute sind an diesem Abend gekommen. Überwiegend Frauen. Überwiegend jenseits der 40.

Sie habe angenommen, dass ein Stuhlkreis mit 20 oder 30 Personen sie erwarten würde, meint sie. Eine Fehleinschätzung. Im Saal sitzt das Milieu der Yoga-Praktizierenden, der Meditierenden, viele Psychologinnen und Heilpraktikerinnen. Alles spirituell Suchende, die prüfen wollen, ob sie bei der anstehenden Wahl zur Bürgerschaft in Hamburg noch ihr Kreuz bei den Grünen machen sollen. Auch viele politisch Aktive sind dabei, wie ein Saaltest ergibt. Auf der Bühne neben Katharina Fegebank zwei Meditationslehrer und der Leiter der lokalen GLS-Bank. Thema: »Mit Sanftmut und Kampfgeist – Wie gehen Politik und Spiritualität zusammen?« Sie alle bringen Fragen mit. »Wie überzeugt man jemanden von Spiritualität?« »Wie kann man politische Entscheider durch Meditation erreichen?« »Welchen Einfluss haben wir als Bürger noch?« Auf diese und ähnliche Fragen findet Katharina Fegebank in den nächsten zwei Stunden nur Antworten, die so allgemein ausfallen, dass sie nicht überzeugen. Sie räumt ein: »Die Gesellschaft ist oft zwei, drei Schritte weiter als die Politik. Wir müssen zuhören, ein Programm formulieren, Mehrheiten finden.« Auch bei der anstehenden Bundestagswahl 2021 zeigt sich nun wieder der Abstand zu diesen Teilen der Wählerschaft.

Viele spirituell ausgerichtete Grünen-Sympathisanten wissen nicht mehr, ob sie bei der Partei noch richtig sind.

Die Sprache stimmt nicht mehr, die Ziele sind zu machtpolitisch formuliert. Zu kalt, zu resonanzarm für Menschen, die die Welt mit anderen Antennen wahrnehmen.

Spirituelle Sprachlosigkeit wird inzwischen zu einem Problem der Grünen.

Lesen Sie im vollständigen Artikel, wie sich die Partei der Grünen im Laufe ihrer Parteigeschichte von dem spirituellen Milieu entfernt hat.

Der neue Mensch als politische Vision

Die Wurzeln des New Age waren spürbar. Man sprach noch von »Gaia«, nicht nur von Ökologie. Von Mütterlichkeit statt nur von Emanzipation. Man betonte die Verbundenheit mit der Schöpfung, verstand Meditation und Yoga als Rückkehr zu den Wurzeln und nicht nur als Wege zur Stressbewältigung.

Man sprach im Sinne von Rupert Sheldrake von Bewusstseinsfeldern, heute durch die Resonanztheorie von Hartmut Rosa in den aktuellen Diskurs geholt.

Small is beautiful, gewaltfreie Kommunikation, das Private ist politisch – das waren Losungen, auf die viele vor 40 Jahren setzten.

Ein neuer Mensch sollte wachsen. Sogar eine der ersten Bundestagsabgeordneten, Katrin Zeitler, meinte:

: »Um Demokratie auszufüllen und sich liberal zu verhalten, braucht es innerlich reife Menschen.«

Diese menschliche Reifung wird in politischen Konzepten der Grünen heute nicht erwähnt. In den Kreisen spirituell suchender Menschen steht sie hingegen im Mittelpunkt eines neuen Alltags. Sie gehen in die Yoga-Gruppe, meditieren, essen gesund, prüfen, was sie in ihren Kopf holen, und suchen den Zugang zu tieferen Schichten des eigenen Selbst, um dort einen stabilen Anker zu werfen. Sie versuchen, der rasenden Geschwindigkeit zu entkommen, mit der uns Ablenkung, Zerstreuung, Hetze oder Multitasking aus unserer Mitte reißen will.

Nach eigenem Verständnis leisten sie damit eine Art von Widerstand – einen privaten, diskreten, sanftmütigen.

Ihr Plädoyer: Frieden gelingt nur, wenn wir Frieden in uns selbst schaffen und weitertragen.

Sylvia Kolk, die bundesweit Stadt-Praxis-Gruppen aufgebaut hat, um damit buddhistische Bewusstseinsarbeit zu ermöglichen, erklärt es an diesem Abend so: Wissenschaftler haben bestätigt, dass Bewusstseinsveränderung durch Meditation möglich ist. Unser Mitgefühl ist nicht genug ausgebildet. Es fehlt uns an Empathie. Deshalb ihr Fazit:

»Erst aufs Kissen gehen – dann die Welt retten!«

Verlust der spirituellen Anbindung

Bei den Grünen übergeht man die spirituellen Quellen der Anfänge verschämt mit Schweigen. Auch zu den aktuellen Suchbewegungen findet sich selten eine Position. Fragen danach bleiben ohne Antwort aus Berlin. Robert Habeck beschwört »Zuversicht und Freundlichkeit«, bezeichnet sich als »säkularen Christen«, wehrt sich aber gegen übersteigerte Erwartungen an die Politik. »Kein Politiker ist ein Erlöser. Wer das hofft oder glaubt, bereitet seine eigene Enttäuschung vor.« Aber er sagt auch: »Ich habe tiefen Respekt für Menschen, die im Glauben Halt finden und Antworten geben.« Doch oberstes Credo der Partei ist die Vielfalt. Jeder soll nach der eigenen Façon selig werden – solange demokratische Grundwerte gelten. Habeck schreibt dazu in seinem Buch »Von hier an anders«: »Widersprüche auszuhalten, nicht jede Frage gleich mit einer Antwort niederzumachen, selbstkritisch zu sein, Fehler auch mal einzuräumen ist schwer.

Wir versuchen, die eigene Sicht und Überzeugung nicht zu verabsolutieren, sondern Konflikte zu lösen, Verletzungen zu vermeiden oder zu heilen, den gesellschaftlichen Diskurs zu verbessern.«

An diesem Mittwoch im Steiner-Haus von Hamburg ist der Abstand zwischen der Politik und dem Publikum deutlich zu spüren. Auf die Frage, wie sie sich in ihrem Amt als zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin denn zentriere und erhole, sagt Katharina Fegebank: »Rausgehen in die Natur. Den Baum vorm Fenster anschauen.« Inzwischen ergänzt sie diese Auskunft mit dem Hinweis auf ihre protestantische Orientierung und die bevorstehende Taufe der Zwillinge.

Wird den Grünen der Spagat zwischen realer gesellschaftlicher Transformation und Regierungsbestrebungen gelingen? Lesen Sie dies und vieles mehr im vollständigen Artikel. Unten können Sie das Pdf bestellen.

Würde die Partei der Grünen in die eigene Vergangenheit zurückschauen, gäbe es dort manche Schätze zu heben. In der Friedensbewegung der frühen 80er-Jahre suchte man angesichts atomarer Aufrüstung den »Mut in der Bedrohung«. »Empowerment durch Unterstützungsgruppen« wurde propagiert. »Gewaltfreie Kommunikation« sollte helfen, einen anderen Geist in die Politik zu tragen. Konzepte der »Tiefenökologie« öffneten den seelischen Resonanzraum für alles Lebendige. Dieser Handwerkskasten im Regal der Parteigeschichte könnte heute wieder helfen, die Gesellschaft in Zeiten der Spaltung und der Querdenker zusammenzuhalten.

Auf zur Macht ...! Um jeden Preis?

Ähnliche Empfehlungen haben auch die Meditationslehrer auf der Bühne des Rudolf-Steiner-Hauses in der Diskussion. Wolfgang Bischoff, seit 40 Jahren Leiter des Himalaya-Instituts in Hamburg, hat Hunderte von Meditationslehrern ausgebildet. Er berät nach eigener Auskunft Mitarbeiter der Weltbank, der UNESCO und einiger Regierungen. Er sagt: »Lernt, euch zu konzentrieren, zu meditieren, lernt zu erkennen, wer ihr wirklich seid. Wir müssen uns schulen.« Und mit freundlicher Autorität regt er die Versammlung an, zwei Minuten miteinander zu meditieren. Damit unterbricht er erfolgreich die Wortfluten und sorgt für deutliche mentale Beruhigung. Dieses einfache Mittel zur Gruppenstärkung kannte man auch schon in den Jahren der Friedensbewegung. Vor jeder Versammlung fünf Minuten zu meditieren, gehörte in einigen alternativen Kreisen zur Tagesordnung. Angesichts des Bundestagswahlkampfes meint Bischoff: »Was ich mir von den Grünen wünsche, wenn sie jetzt immer mehr politische Macht erhalten, ist eine Arbeit an sich selbst. Es sollte das Bemühen sein, ein neues Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Probleme, die wir heute haben, nicht von dem Bewusstsein gelöst werden können, das sie geschaffen hat.« Sein Angebot an Katharina Fegebank, ihn als »spirituellen Begleiter« zu engagieren, bleibt aber ohne Antwort.

Dies sind Ausschnitte aus dem Artikel.

Erfahren Sie mehr die spirituellen Anfänge der Grünen und was sie aus ihrer (spirituellen) Vergangenheit mit in die Zukunft nehmen könnten.

Lesen Sie die vollständige Fassung in Tattva Viveka 88 oder downloaden Sie diesen Artikel einzeln als ePaper für 2,00 € (Pdf, 10 Seiten).

Auf zur Macht …! Um jeden Preis? (PDF)

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Gabriele Heise
Auf zur Macht …! Um jeden Preis?

Die Journalistin, spirituell Suchende und Grünen-Parteimitglied Gabriele Heise blickt auf die Entwicklung der Partei der Grünen zurück, von der Protestpartei über ihren Weg zur Volkspartei mit dem Wunsch mitzuregieren, und fragt kritisch, was aus den Visionen und Utopien der Anfänge geworden ist, die Spiritualität und Transformation des Bewusstseins als notwendige Parameter für eine gesamtgesellschaftliche Veränderung mit einschlossen.
 

 

Artikelnummer: TV088e_09 Schlagwort:

 
 

Über die Autorin

Unsere Autorin Gabriele Heise

Gabriele Heise, seit 1980 freie Journalistin und Moderatorin für den öffentlich-rechtlicher Rundfunk. Acht Jahre im Vorstand des Journalistinnenbundes. Ehe-, Familien- und Lebensberaterin, Supervisionsausbildung. Sannyasin seit 1978, Mitglied der Grünen seit 2018. Eine Tochter. Lebt in Hamburg.

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